Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Feinstes Kommunikationschaos
Guten Morgen liebe Leserin, lieber Leser,
manchmal beginnt man seinen Tag mit komischen Fragen. Meiner begann gestern mit der folgenden: Was wird von der Ampel mal übrig bleiben? Also abgesehen vom Dauerzoff, der Lust am Beschädigen der Regierungspartner, dem Miesmachen der eigenen Leistung? Sicher auch das: eine schier endlose Schleife kommunikativer Fehltritte und nachträglicher Korrekturen.
Medien wird ja gern der Vorwurf gemacht, die Politik schlechtzureden. Das mag stellenweise stimmen, und mit der Kritik müssen wir uns in den Redaktionen auch auseinandersetzen. Aber zur Wahrheit gehört auch: So gekonnt sich selbst schlechtreden, wie es die Ampel tut, können es die Medien gar nicht.
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Sei es – um nur zwei aktuelle Beispiele zu nennen – die Selbstverzwergung zur "Übergangsregierung" (Grünen-Chef Nouripour) oder die Kontroverse um die Ukraine-Hilfen: Die Ampel scheint aufgegeben zu haben, ihr Bild in der Bevölkerung noch irgendwie retten zu wollen. Selbst die handelnden Akteure glauben nicht mehr daran, dass der Umgang besser wird. Ab jetzt kämpft jeder allein, ob für die eigene Reputation oder die nächste Wahl.
Beim jüngsten Kommunikationsausfall um die Ukraine-Gelder ließ sich das einmal mehr beobachten. Eigentlich ging es um die Neugestaltung der deutschen Militärhilfen, die künftig nicht mehr aus dem Bundeshaushalt, sondern über einen 50-Milliarden-Kredit der G7-Staaten finanziert werden sollen. Doch die Kommunikation lief ampeltypisch: intern uneins, in sich widersprüchlich, chaotisch.
Am Ende waren alle beschädigt: Kanzler Olaf Scholz (SPD), der in einer zentralen politischen Frage nicht für Klarheit sorgt. Finanzminister Christian Lindner (FDP), der immer mehr zum Ampelfähnchen im Wind wird. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der mit seinen Vorstellungen erneut gegen eine Wand lief.
Was war passiert? Am Wochenende berichtete die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (FAS) von einem Brief Lindners an Pistorius und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). In dem Schreiben vom 5. August teilt Lindner sinngemäß mit, dass es keine neuen Militärhilfen an die Ukraine geben werde, sofern diese nicht im Haushalt 2024 oder im Haushaltsentwurf 2025 hinterlegt sind. Bereits bewilligtes Material könne geliefert werden, aber alle neuen Anträge aus Pistorius' Haus sollen nicht mehr genehmigt werden. Die Sperre soll "auf Verlangen" von Scholz verhängt worden sein, hieß es in der "FAS". "Ende der Veranstaltung. Der Topf ist leer", zitiert die Zeitung einen Regierungsvertreter.
Der Bericht löste einen Sturm der Entrüstung aus. In der Ukraine war die Verunsicherung groß, auch innerhalb der Ampel formierte sich Widerstand. Um die Verwirrung perfekt zu machen, schaltete die Regierung hastig in den Rückwärtsgang: Noch am Sonntag ruderte Finanzminister Lindner in der "Bild"-Zeitung zurück und zeigte sich grundsätzlich bereit, weitere Gelder lockerzumachen. Und am Montag wiesen mehrere Ministerien ihre Sprecher an, dem Eindruck entgegenzuwirken, man wolle die Ukraine-Hilfe kürzen. "Wir setzen die Hilfe fort, solange es nötig ist", versicherte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner. (Mehr dazu lesen Sie hier.)
Fairerweise sollte erwähnt werden, dass auch so manche Kritiker überzogen haben: Weder wirft Deutschland die Ukraine vor den Bus noch endet die deutsche Ukraine-Hilfe. Was die Ampel im Haushalt eingeplant hat, ist kein Pappenstiel. Für das laufende Jahr 2024 schickt Berlin Waffen und Munition für rund sieben Milliarden Euro nach Kiew, 2025 für vier Milliarden. Damit werden unter anderem Flugabwehrsysteme, Panzerhaubitzen und Kampfpanzer bezahlt. Deutschland ist weiterhin europaweit der größte Ukraine-Unterstützer, und weltweit – nach den USA – Nummer zwei.
Auch ist spätestens seit dem Haushaltsbeschluss Mitte Juli bekannt, dass die Ampel die direkte Militärhilfe nächstes Jahr auf die erwähnten vier Milliarden Euro einschmelzen will. Denn statt aus dem Bundeshaushalt sollen die Hilfen künftig aus einem 50-Milliarden-Dollar-Kredit fließen, auf den sich die G7-Staaten bei ihrem Gipfel im Juni im italienischen Apulien geeinigt hatten.
Der Kredit soll größtenteils aus einem US-Darlehen bestehen, das sich wiederum aus Zinserträgen speist, die im Westen eingefrorene russische Vermögen abwerfen. Rund 210 Milliarden Euro russisches Zentralbankgeld lagert derzeit allein auf europäischen Konten. Die jährlichen Zinserträge von rund drei Milliarden Euro sollen als Absicherung für den 50-Milliarden-Kredit dienen.
Der Clou: Anstatt die Zinserträge jährlich nach Kiew zu überweisen, wird der Ukraine auf einen Schlag der gesamte Kredit zur Verfügung gestellt. Die 50 Milliarden Dollar sollen bis Ende des Jahres fließen und von Kiew nach eigenem Belieben eingesetzt werden dürfen.
Also alles halb so wild? Nein. Neben dem kommunikativen Schaden und den verunsicherten Partnern in Osteuropa konterkariert die Scholz-Regierung damit ihr eigenes Versprechen: eine langfristige und vor allem verlässliche finanzielle Ukraine-Unterstützung aufzustellen.
Schon die Einigung der G7 im Juli war ein mühsam gefundener Kompromiss. Während die USA darauf drängten, die gesamten eingefrorenen russischen Vermögen nach Kiew zu überweisen, warnten Skeptiker, darunter vor allem Deutschland, vor einem Schaden für das europäische Finanzsystem.
Der jetzige G7-Plan ist eine Light-Version, die ebenfalls ihre Tücken hat: Denn auch Abschöpfung der Zinserträge ist rechtlich umstritten. Zudem muss der Mechanismus noch von der EU-Kommission ausgearbeitet werden – was nicht einfach wird. Brüssel muss einen Weg finden, an die russischen Gelder zu kommen, ohne internationale Regeln zu brechen. Und ob am Ende wirklich die 50 Milliarden Dollar stehen und vor allem wann, ist noch offen.
Eine weitere Unbekannte in der Gleichung: Wenn im Januar 2025 die Russland-Sanktionen der EU ablaufen und die ungarische EU-Ratspräsidentschaft eine Verlängerung blockiert, könnte ein Auftauen russischer Vermögenswerte drohen – und damit ein Teil der Zinserträge ausfallen.
Das größte Problem aber ist die Übergangsphase: Warum sattelt die Ampel auf ein Finanzinstrument um, noch bevor dieses rechtlich sicher steht und nachweislich funktioniert? Ohne Not hat sich die Bundesregierung selbst die Hände gebunden: Da die bisherigen Hilfen bereits verplant sind, kann sie nicht frühzeitig weitere Bestellungen in Auftrag geben oder dynamisch auf die sich schnell verändernde Lage auf dem Schlachtfeld reagieren. Das heißt: Braucht die Ukraine dringend weiteres Material, muss sie womöglich woanders anklopfen.
Mit möglicherweise fatalen Folgen: Seit Monaten steht die ukrainische Armee unter enormem Druck im Osten des Landes, wo Putins Streitmacht sich Tag für Tag mehr ukrainisches Gebiet einverleibt. Auch weil es den Verteidigern am Nötigsten fehlt: Ersatzteile für aus Deutschland gelieferte Panzerhaubitzen, Flugabwehrraketen, Artilleriemunition.
Schon jetzt soll die von Scholz angewiesene und von Lindner vollzogene Sperre wirken. So berichtet "Bild", dass aufgrund von Lindners Vorgaben "derzeit über 30 durch die Ukraine hochpriorisierte Maßnahmen in Höhe von insgesamt circa über 3 Milliarden Euro nicht weiter verfolgt werden können". Das Blatt zitiert ein internes Papier des Verteidigungsministeriums, in dem Lindner die "Änderung der Spielregeln nach Spielbeginn" vorgeworfen wird, was die "kontinuierliche Versorgung aller an die Ukraine abgegebenen Waffensysteme" gefährde.
Sollte die restriktive Haushaltspolitik der Ampel tatsächlich wichtige Lieferungen blockieren, wäre das ein Offenbarungseid. Noch im Dezember hatte Scholz in einer Rede vor dem Bundestag versprochen, die Ausnahmeregelung von der Schuldenbremse zu ziehen, falls sich "die Lage an der Front verschlechtert". "Dann werden wir darauf reagieren müssen", sagte der Kanzler unter tosendem Applaus seiner Genossen.
Der Fall ist eingetreten, doch neun Monate und einen weiteren Haushaltsstreit später will Scholz offenbar nichts mehr davon wissen. Dass Lindner für die Schuldenbremse wohl auch den Regierungskollaps in Kauf nehmen würde, scheint nun allen in der Ampel klar. Statt Haushaltsnotlage gibt es daher nun eine -sperre – zumindest so lange, bis der G7-Kredit steht oder der Verteidigungsminister wieder Anträge stellen darf.
Letzteres hat der Finanzminister am Sonntag versucht geradezurücken: Sein Haus sei bereit, die "kurzfristige Bereitstellung" weiterer Ukraine-Hilfen zu prüfen, wenn diese "konkret gemeldet und nachvollziehbar" seien. Ohne Seitenhieb auf einen Kabinettskollegen scheint in der Ampel nichts mehr zu gehen.
Doch das eigentliche Kommunikationsversagen liegt bei Bundeskanzler Olaf Scholz. Statt die Ukraine-Unterstützung, wie versprochen, "so lange wie nötig" zu gewährleisten und vor Unterbrechungen und rechtlichen Unwägbarkeiten abzuschirmen, muss jene sich nun der klammen Kassenlage der Ampel unterwerfen. Im Zweifel gilt die deutsche Schuldenbremse auch für den ukrainischen Abwehrkampf. Dafür kann dann auch mal das "historische" Signal an Putin, das noch im Juli auf dem G7-Gipfel so gefeiert wurde, etwas schwächer ausfallen.
Wie Scholz den kommunikativen Schaden zu reparieren gedenkt? Anders als erwartet. Im Interview mit Sat.1 am Dienstag ging er direkt einen der Moderatoren an, weil dieser anzweifelte, dass der 50-Milliarden-Kredit bald verfügbar sein werde. "Es kommt jetzt ganz schnell. Da ist überhaupt nichts unklar", konterte Scholz angriffslustig. Er sei über die ganze Debatte "ein bisschen verwundert" und versicherte, die Ukraine-Unterstützung seiner Regierung wackele "überhaupt nicht".
Zugleich bestätigte Scholz indirekt: Für akute Hilfe stehen der Ukraine weiterhin nur die bewilligten Haushaltsmittel zur Verfügung. Da diese jedoch bereits verbucht sind, könnte Lindner am Ende doch eine Sperre für weitere Ausgaben erwirken. Das allerdings verschwieg der Kanzler.
Was steht an?
US-Demokraten im Wahlkampffieber: Der Parteitag der demokratischen Partei in den USA geht am Mittwoch in die dritte Runde. Nach Präsident Joe Biden am Montag und Ex-Präsident-Barack Obama am Dienstag wird am Mittwoch Tim Walz seine Antrittsrede halten. Der Gouverneur von Minnesota und Vize der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris gilt als Einpeitscher. Seit Tagen touren Harris und Walz durch das Land und elektrisieren die Parteibasis. Wie lange der Höhenflug der Demokraten andauert, muss sich zeigen. Bislang scheint der republikanische Gegenkandidat Donald Trump dem Duo Harris-Walz kaum etwas entgegensetzen zu können. Das kann sich jedoch jederzeit ändern.
Russlands nächstes Ziel? Kanzler Olaf Scholz reist am Mittwoch nach Moldau. Es ist der erste Besuch eines deutschen Regierungschefs in der ehemaligen Sowjetrepublik seit zwölf Jahren. Scholz wird die Präsidentin Moldaus, Maia Sandu, und Ministerpräsident Dorin Recean treffen. Das kleine Land grenzt an die Ukraine und fürchtet, das nächste Opfer der russischen Aggression zu werden. Das abtrünnige Regime in Transnistrien im Osten des Landes wird von Russland gestützt, auch russische Truppen befinden sich im Land. Neben sicherheitspolitischen Fragen wird es auch um den EU-Beitritt Moldaus gehen.
Was lesen?
Finanzminister Lindner will nicht unter einem Grünen-Kanzler arbeiten, hatte er vor einigen Wochen gesagt. Statt sich verärgert zu zeigen, macht Robert Habeck klar: Das trifft sich gut. Das berichtet mein Kollege Johannes Bebermeier von einer Veranstaltung im Wirtschaftsministerium.
Die Beziehungen zwischen China und den USA sind angespannt, Peking bereitet sich auf einen Machtwechsel in Washington vor. Warum sich Chinas Machthaber Xi Jinping weiterhin schwer mit der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris tut, analysiert mein Kollege Patrick Diekmann und versucht sich an einer Antwort.
Nochmal USA: Bei seiner Rede auf dem Parteitag der Demokraten zeigt sich Joe Biden emotional und angriffslustig. Was der Auftritt des 81-Jährigen über seine Partei und seine Nachfolgerin an der Spitze der Demokraten aussagt, erklärt der US-Experte David Sirakov meinem Kollegen Julian Seiferth.
Zum Schluss
Russland zeigt vorsichtig Verhandlungsbereitschaft.
Ich wünsche Ihnen weiterhin eine gute Woche. Am Donnerstag schreibt Ihnen David Schafbuch.
Ihr Daniel Mützel
Politischer Reporter im Hauptstadtbüro
Twitter: @DanielMuetzel
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Mit Material von dpa.
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