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Haushalt: Ampel-Kompromiss? Diese Gefahr droht


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Aktualisiert am 02.07.2024Lesedauer: 5 Min.
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Robert Habeck, Olaf Scholz und Christian Lindner bei der Pressekonferenz zum Haushaltskompromiss im vergangenen Dezember: Machen sie es dieses Mal besser? (Quelle: IMAGO/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

beim letzten Mal hielt die Einigkeit nur wenige Stunden. Es war Mitte Dezember, Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner hatten die Nacht durchverhandelt. Um 5 Uhr morgens stand der Kompromiss im Haushaltsstreit. Oder das, was man damals für den Kompromiss hielt.

Schon als Cem Özdemir erwachte, war es vorbei mit der Einigkeit. Der grüne Landwirtschaftsminister kündigte an, nicht mittragen zu können, was der Kanzler, der Vizekanzler und der Finanzminister da ausgehandelt hatten. Die Lösung enthielt gleich zwei Härten für seine Bauern: Die Kfz-Steuerbefreiung und die Agrardieselsubvention sollten entfallen. Ein großer Haufen Mist, der die Bauern auf die Barrikaden brachte. Spätestens da wollte fast niemand mehr was mit der Einigung zu tun haben. Der Ampelstreit ums Geld ging weiter.

Es werden also böse Erinnerungen wach, wenn in diesen Tagen wieder über den Haushalt verhandelt wird. Die Ampelregierung will es natürlich besser machen diesmal. Nur hat sie eben schon oft bewiesen, wie gut sie darin ist, sich ihre wochenlang zusammenverhandelten Kompromisse in wenigen Stunden wieder zu zerreden. Schafft sie dieses Kunststück auch jetzt wieder?

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Es gibt dummerweise ein paar Dinge, die dafür sprechen. Die Haushaltslücke ist noch größer als im vergangenen Jahr, das allein macht es kompliziert. SPD und Grüne wollen deshalb eigentlich mehr Schulden aufnehmen, die FDP will das auf keinen Fall. So weit, so bekannt.

Vergangene Woche aber verkeilten sich SPD und FDP überraschend heftig. Die SPD forderte in einer gemeinsamen Erklärung der maßgeblichen Fraktionsflügel, die Notlage auszurufen, um die Schuldenbremse noch einmal aussetzen zu können. Die FDP drohte zurück, und zwar mit Koalitionsbruch, wenn es dazu kommen sollte. Eine wenig hilfreiche Eskalation, wie genervte Grüne hinter vorgehaltener Hand bemerkten.

Die erste Deadline wird die Ampel diese Woche reißen. Den Haushaltsentwurf kann sie am Mittwoch, dem 3. Juli, nicht wie geplant beschließen. Das ist seit einigen Tagen klar. So weit sind sie noch nicht, obwohl Scholz, Habeck und Lindner auch am Wochenende verhandelt haben. Statt eines Gesetzentwurfs könnte es eine "politische Einigung" geben, also so etwas wie Eckpunkte, die großen Linien. Besser als nichts, könnte man sagen, besonders die SPD hatte zuletzt Druck auf ihren Kanzler gemacht, irgendwas vorzulegen.

Doch "politische Einigungen" bergen in der Ampel eine Gefahr. Solange es nichts Schriftliches außer ein paar Eckpunkten gibt, also keinen durchgerechneten Gesetzentwurf, könnte passieren, was in vergleichbaren Situationen schon oft passiert ist: Alle drei Ampelpartner interpretieren die "Einigung" auf ihre ganz eigene Weise. Jeder schickt seine Spindoktoren los, um Journalisten davon zu überzeugen, dass man sich in den Verhandlungen am meisten durchgesetzt habe. Am Ende blickt kaum noch jemand durch, was genau beschlossen wurde. Und der Streit geht weiter.

So muss es aber nicht kommen. Es gibt auch ein paar Hinweise, dass es dieses Mal besser laufen könnte. Die Ausgangslage ist eine andere: Als das Bundesverfassungsgericht im November das Finanzkonstrukt der Ampel für verfassungswidrig erklärte, war der Kabinettsentwurf fertig. Die Ampelfraktionen im Bundestag waren gerade dabei, ihn zu Ende zu verhandeln. Was auch bedeutete, dass Scholz, Habeck und Lindner als Kabinettsmitglieder eigentlich gar nicht mehr zuständig waren. Sie mussten das riesige Haushaltsloch flicken, ohne die selbstbewussten Fraktionen von SPD, Grünen und FDP im Bundestag auszubooten. Und das in nur wenigen Wochen. Dieses Mal wissen alle seit Monaten Bescheid, dass es eng wird. Und sie können ihren Entwurf von Anfang an so konzipieren, wie es nötig ist.

So schlecht scheint das nicht zu laufen. Zumindest geben sich Leute, die nah dran sind, in diesen Tagen optimistisch. Überraschend optimistisch. Das könnte natürlich Autosuggestion sein: Man redet sich so lange ein, dass es gut läuft, bis man wirklich daran glaubt.

Doch angeblich gibt es tatsächlich bedeutende Fortschritte. Statt über 30 Milliarden Euro soll die Lücke zuletzt nur noch rund 10 Milliarden Euro groß gewesen sein. Nachdem vorher immer vorsichtig und vage auf einen Kabinettsbeschluss "im Juli" verwiesen worden war, legte sich Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag beinahe fest und sagte, es werde wohl der 17. Juli. Da sei er bei aller gebotenen Vorsicht zuversichtlich.

Das ist nicht das einzig Bemerkenswerte. Die Grünen geben sich gerade besonders zurückhaltend, und zwar auch der sonst konfliktfreudige linke Parteiflügel. Das liegt eher nicht an einer plötzlich entdeckten Liebe für Christian Lindner, sondern wohl an der Erkenntnis, dass es diesmal wirklich ernst ist. Die Grünen sind bereit, harte Kompromisse einzugehen, nur damit die Ampel nicht auseinanderfliegt.

Die Europawahl hat gezeigt, was den Ampelparteien bei einer vorgezogenen Neuwahl drohen würde. Das allein diszipliniert. Hinzu kommen die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Herbst. Für die Ampelparteien sieht es überall recht katastrophal aus. Für die AfD überall glänzend. Niemand in der Bundesregierung will die Lage mit einer Regierungskrise oder auch nur einem Haushaltsstreit bis Weihnachten verschärfen.

Es ist ungemütlich genug, auch international. In den USA scheint es nur noch darum zu gehen, ob ein müder Joe Biden selbst gegen Donald Trump verlieren darf oder ob das ein jüngerer, unbekannterer Demokrat übernimmt. Und in Frankreich hat es der etwas zu aufgedrehte Emmanuel Macron fertiggebracht, dass bald der rechtsextreme Rassemblement National von Marine Le Pen die Regierung anführen könnte.

Genug Anschauungsmaterial also, wie es nicht geht. Und genug Motivation, es anders zu machen, besser. Mit einem fairen Kompromiss, bei dem alle Partner sparen und sich möglicherweise trotzdem ein Sondervermögen genehmigen. Um die Schuldenbremse zu ehren und zugleich genügend Geld für nötige Investitionen zu haben. Es wäre im ureigenen Ampelinteresse. Und vor allem: im Interesse dieses Landes.


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Ihr Johannes Bebermeier
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Mit Material von dpa.

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