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Frankreich-Wahl: Olaf Scholz muss aus Macrons Fehlern lernen


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MeinungVon Heike Vowinkel

Aktualisiert am 01.07.2024Lesedauer: 8 Min.
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Demonstranten auf dem Platz der Republik in Paris: Tausende gingen am Sonntagabend nach dem Wahlsieg der Rechtsnationalen auf die Straße. (Quelle: Louise Delmotte/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser

mangelt es Ihnen auch an Zuversicht? Ich frage für den Kanzler. Der hat nämlich den Eindruck, dass vielen Menschen hier im Land die Zuversicht abhandengekommen ist. In seiner Rede vergangene Woche im Bundestag hat er auch Schuldige ausgemacht: die vielen Krisen. Russlands Krieg in der Ukraine, die Probleme mit der Migration, die schwächelnde Wirtschaft, hohe Preise.

Stimmt schon, die gute Laune kann einem dadurch vergehen. Selbst wenn die deutsche Nationalmannschaft nach einem spannungsreichen Spiel die Dänen doch noch mit 2:0 am Samstag besiegt hat (wer es nachlesen will, kann dies hier tun). Was Olaf Scholz bei seiner Regierungserklärung nicht sagte: Welchen Anteil er selbst am grassierenden Missmut im Land hat. Denn seine Antworten und die seiner Regierung auf diese Krisen überzeugen offenkundig nicht viele. Nur Zuversicht zu beschwören, reicht nun mal nicht. Sie will genährt werden.

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Was droht, wenn ihm und seiner Regierung das weiterhin nicht gelingt, kann er gerade beim französischen Nachbarn beobachten. Dort zeichnet sich eine Machtverschiebung ab, die nicht nur für das Land dramatische Folgen haben wird, sondern für Europa und ganz entscheidend auch für Deutschland.

Im ersten von zwei Wahlgängen wurde am Sonntag dort die extreme Rechte, die Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen, stärkste Kraft und erhielt rund 33 Prozent der Stimmen. Die liberale Regierungspartei des Präsidenten Emmanuel Macron verlor ihre relative Mehrheit und landete auf Platz drei. Entscheidend wird nun der 2. Wahlgang kommenden Sonntag sein, in etlichen Wahlkreisen wird es dann zu Stichwahlen kommen. Selbst wenn der RN dabei nicht die meisten Sitze erhalten und damit den Premier stellen sollte, wird nicht nur Macron, sondern auch das Land innen- wie außenpolitisch massiv geschwächt sein.

Denn der RN dürfte Frankreichs Politik in Zukunft maßgeblich mitbestimmen. Schlimmer noch, Le Pen macht sich nun zu Recht große Hoffnung auf ihr eigentliches Ziel: in drei Jahren Präsidentin zu werden. Drei Lehren sollte die deutsche Regierung – trotz aller Unterschiede – daher aus diesem Wahlergebnis nun ziehen:

1. Politik ist kein Spiel, erst recht nicht für Realitätsverweigerer

Macron pokerte hoch, als er noch am Abend der Europawahl Anfang Juni ohne Not Neuwahlen ausrief. Der französische Präsident besitzt dieses Recht, kurzfristig die Nationalversammlung aufzulösen, in Frankreich nennt man es auch die "Atombombe der Verfassung". Groß war offenbar die Enttäuschung über das schlechte Abschneiden seiner Partei und wohl auch Macrons Selbstüberschätzung. Sein eigenes politisches Lager war fassungslos; noch nie in der Fünften Republik hatte ein Präsident nach einer verlorenen Wahl zu diesem Mittel gegriffen.

Es folgte der kürzeste französische Wahlkampf aller Zeiten, in dem sich rasch zeigte: Macron hat sich verzockt. Politiker der konservativen und republikanischen Partei schlossen sich dem RN an und die zerstrittene Linke vereinte sich zu einem Bündnis von Sozialdemokraten bis Linksradikalen. Statt eines Befreiungsschlags für sein Mitte-Lager sah sich Macron unvermittelt zwei starken extremen Blöcken gegenüber.

Scholz hat mit Macron gemein, dass er sich die Wirklichkeit gern schöner redet, als sie ist – inklusive seines Selbstbildes. Wer von mangelnder Zuversicht spricht, verkennt, dass es sich bei nicht wenigen bereits um Wut handelt, die sich langsam von den Rändern in die Mitte der Gesellschaft frisst. Wut auch über Ankündigungen, denen keine Taten folgen. Etwa wenn der Kanzler vollmundig behauptet: "Wer bei mir Führung bestellt, bekommt Führung", dann aber seine Koalitionspartner munter aufeinander eindreschen lässt. Oder wenn er ankündigt: "Wir werden im großen Stil abschieben", das dann aber nicht einlösen kann.

Der Kanzler ist zwar nicht bekannt für Bauchentscheidungen. Er ist auch kein Risikomensch wie Macron und wird vermutlich daher nicht derjenige sein, der die Ampel vorzeitig beendet – trotz aktuell schwieriger Haushaltsverhandlungen. Nicht so sicher bin ich mir aber, ob das auch für seine Koalitionspartner gilt. Sie und auch die Opposition, die gern regelmäßig Neuwahlen fordert, sollten sich das mit Blick über die französische Grenze daher noch mal sehr genau überlegen.

2. Rechtspopulisten zu verteufeln, ist genauso falsch wie sie zu unterschätzen

Die AfD nimmt sich längst Marine Le Pens RN zum Vorbild. Das zeigte sich auch bei ihrem Parteitag in Essen. Erwachsener und professioneller trat die AfD dort auf, anders als bei früheren Parteitagen. Statt sich wie sonst zu zerfleischen und in Lagerkämpfen zu verausgaben, wurden im Vorfeld strittige Punkte zwischen Bundesvorstand, Landesverbänden und den wichtigsten Lagern geklärt. Doch weniger radikal ist weder der neue Vorstand noch die Partei, wie meine Kollegin Annika Leister schreibt.

Der RN verfolgt eine solche Strategie schon seit Langem. Le Pen hievte 2022 mit Jordan Bardella einen damals gerade einmal 26-Jährigen auf den Vorsitz. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten, weil er zu aggressiv rechtsextrem auftrat, avancierte er inzwischen zum sanfteren Schwiegermutter-Liebling. Offiziell stellt er sich zwar hinter die Ukraine und spricht sich wie Le Pen demonstrativ gegen Antisemitismus aus. Doch wie viel davon Wolf im Schafspelz und wie viel Überzeugung ist, bleibt offen.

Am fremdenfeindlichen Kurs lässt jedenfalls auch er keinen Zweifel: So will er, sollte er Premier werden, das Geburtsortsprinzip abschaffen, also jenes alte französische Gesetz, nach dem Kinder von Einwanderern qua Geburt Franzosen sind. Flüchtlinge will er schneller abschieben, nur noch maximal 10.000 Einwanderer pro Jahr ins Land lassen. Anspruch auf ärztliche Versorgung sollen sie auch nicht mehr haben – außer in lebensbedrohlicher Notlage. Die "nationale Priorität" solle gelten, was heißt: Franzosen werden immer bevorzugt, bei Ämtern und Posten genauso wie bei Sozialwohnungen.

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Unterschätzen sollte man den RN daher genauso wenig wie die AfD. Aber verteufeln, wie Macron es nicht nur diesem Wahlkampf getan hat, eben auch nicht. Ein "Bürgerkrieg" drohe, sollte der RN stärkste Parlamentspartei werden, mahnte der französische Präsident diesmal. Eine abschreckende Wirkung hatte das offenbar nicht mehr, auch weil es sich abnutzt. Klar zu benennen, welche Folgen es hat, wenn der RN den Premier stellt, ist sicherlich richtig.

Das geht aber auch ohne überdramatische Angstmacherei. Vor allem aber hatte Macron kein Rezept gegen das Gefühl vieler Franzosen, von den Eliten des Landes nicht gesehen zu werden. Im Gegenteil, er hat es in den vergangenen sieben Jahren seiner Präsidentschaft verstärkt.

Deutschland hat teilweise andere Probleme als Frankreich, doch das Gefühl, dass ihre Sorgen nicht gehört oder wahrgenommen werden, haben auch hier viele. Wenn es Scholz‘ Regierung nicht gelingt, dagegen glaubwürdig anzugehen, werden auch hier Warnungen vor der AfD verhallen.

3. Deutschland muss neue Allianzen schmieden

Zwar ist Präsident Emmanuel Macron noch bis 2027 im Amt und wird weiterhin über die Verteidigungs- und Außenpolitik entscheiden. Aber nicht nur, wenn es dem RN gelingt, in den Stichwahlen die absolute Mehrheit zu erringen, wird es für Macron deutlich schwieriger, seine Politik durchzusetzen. Eine absolute Mehrheit dürfte es dann für kaum eine andere Partei geben und die politische Lage im Land entsprechend instabil werden.

Das wird Frankreich auch außenpolitisch schwächen. Als starker europäischer Partner an der Seite Deutschlands wird das Land dann ausfallen – ausgerechnet in einer geopolitisch heiklen Zeit. Autoritäre Mächte wie Russland und China streben nach mehr Einfluss in der Welt, in den USA droht Donald Trump, die Präsidentschaftswahlen im November zu gewinnen. Für die Unterstützung der Ukraine im Abwehrkrieg gegen Russland könnte das dramatische Folgen haben.

Umso wichtiger ist es daher nun, dass Deutschland die Verbindungen zu anderen, nicht populistisch und rechtsnational regierten Ländern in Europa stärkt. Polen zum Beispiel. Da passt es gut, dass ein erster Schritt in diese Richtung bereits geplant ist. Heute Abend reisen Scholz und sein Ampelkabinett für Regierungskonsultationen nach Warschau. Beide Regierungen haben seit Monaten einen Aktionsplan für eine neue Zusammenarbeit vorbereitet.

Ein Grund zur Zuversicht, immerhin.


Verbotene Nazi-Parole

Ein AfD-Politiker, der in jedem Fall nicht unterschätzt werden sollte, ist Thüringens AfD-Chef Björn Höcke. Am Montag wird in Halle ein Gerichtsverfahren gegen ihn fortgesetzt. Bei einem Stammtisch seiner Partei mit rund 350 Teilnehmern im thüringischen Gera soll er im vergangenen Dezember die verbotene Nazi-Parole "Alles für Deutschland" angestimmt haben. Und das, obwohl zu dem Zeitpunkt bereits ein Verfahren gegen ihn lief, weil er die gleiche Parole auf einer Wahlkampfveranstaltung in Merseburg im Mai 2021 verwendet hatte. Mitte Mai war er deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Ob es in Halle heute zu einem Urteil kommt, ist noch nicht klar.


Schutz für Ex-Präsidenten?

In Washington wird der Oberste US-Gerichtshof über eine Frage urteilen, die nicht nur für Donald Trumps Zukunft entscheidend ist, sondern auch für das Amt des US-Präsidenten generell: Ist auch ein Ex-Präsident noch vor Strafe geschützt? Bei den Verhandlungen im April hatten die mehrheitlich konservativen Richter erkennen lassen, dass sie in bestimmten Fällen einen solchen Schutz vor Anklagen unterstützen. Trumps Forderung nach einer absoluten Immunität schienen sie dagegen skeptisch zu sehen.

Je nachdem, wie sie nun urteilen, wird sich das auf die schwerwiegendste Anklage gegen Trump auswirken: das Verfahren von Sonderermittler Jack Smith im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021. Smith wirft Trump Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten vor, er soll versucht haben, die Wahl auf Bundesebene zu beeinflussen und verantwortlich für den Angriff seiner Anhänger auf das Kapitol sein. Das Verfahren könnte dann entweder in sich zusammenfallen – oder sich noch weiter verzögern. Profitieren würde in jedem Fall: Trump.


Kampf ums Viertelfinale

Seit gestern Abend ist klar, gegen wen Deutschland bei der Europameisterschaft im Viertelfinale am kommenden Freitag antritt: Spanien. Der Titelfavorit besiegte Sonntagabend den Außenseiter Georgien klar mit 4:1, lag dabei kurzzeitig sogar mit 0:1 hinten. Hier können Sie das Spiel nachlesen.

Dramatisch verlief das Spiel England gegen die Slowakei. Bis zur 90. Minute lagen die Engländer 0:1 zurück und erzielten erst in der Nachspielzeit noch zwei Treffer. Wie das Spiel im Detail verlief, lesen Sie hier. Für meinen Kollegen William Laing steht dennoch: England darf auf keinen Fall die EM gewinnen. Warum, lesen Sie hier.

Heute kämpfen um 18 Uhr in Düsseldorf dann zwei weitere Titelfavoriten um den Einzug ins Viertelfinale: Vizeweltmeister Frankreich und Belgien mit dem deutschen Trainer Domenico Tedesco. (ZDF und MagentaTV übertragen das Spiel). Anschließend um 21 Uhr (ARD und MagentaTV) treffen in Frankfurt am Main dann Portugal und Slowenien aufeinander. Die Portugiesen um Superstar Cristiano Ronaldo gehen trotz ihrer Niederlage gegen Georgien im letzten Gruppenspiel als klarer Favorit in die Partie.


Das historische Bild

Zwei Jahre hatte der Erste Weltkrieg bereits gewütet, als 1916 eine seiner blutigsten Schlachten begann. Mehr lesen Sie hier.


Lesetipps

Tragödie mit Ansage: Kann Joe Biden seine Kandidatur für die Demokraten am Leben halten? Die Debatte um über eine Alternative zum Präsidenten ist in vollem Gang. Wer könnte von Biden übernehmen? Unser Kolumnist Gerhard Spörl hat einen Favoriten.


Mehr Russland wagen: Thüringens AfD-Landesvorsitzender Björn Höcke und AfD-Chefin Alice Weidel treiben auf dem Parteitag in Essen die AfD mit prorussischen Resolutionen in eine klare Richtung. Kritische Stimmen aus den eigenen Reihen werden deutlich überstimmt, schreibt meine Kollegin Annika Leister.


Böse Überraschung: Eigentlich haben Deutschlands Rentner Grund zur Freude: Ab Juli steigen die Renten stärker als erwartet. Eine Folge ist vielen dabei aber nicht bewusst. Welche das ist, verrät Finanzredakteurin Christine Holthoff.


Zum Schluss

Des einen Freud ist des anderen Unverständnis

Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Start in die Woche mit ganz viel Zuversicht. Morgen schreibt mein Kollege Johannes Bebermeier dann für Sie.

Herzliche Grüße

Ihre Heike Vowinkel
Textchefin t-online
X: @HVowinkel

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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