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AfD-Parteitag: "Eine Alternative ist etwas anderes"


AfD-Parteitag
Gefährlich professionell


29.06.2024Lesedauer: 4 Min.
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Alice Weidel und Tino Chrupalla: Sie wurden mit guten Ergebnissen als Parteichefs wiedergewählt. (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Die AfD tritt in Essen erwachsen auf. Das verdankt sie zahlreichen Absprachen hinter den Kulissen. Weniger radikal aber ist sie deswegen nicht.

Vor der Tür in Essen demonstrieren Zehntausende, rufen "Nazis raus" und singen "Scheiße ist blau" – drinnen aber hat die AfD freie Fahrt, um den Vorstand zu wählen, der sie in die Bundestagswahl 2025 führen wird. Von 600 AfD-Delegierten haben es um 10.30 Uhr mehr als 530 in die Grugahalle geschafft. Die Versammlung ist damit beschlussfähig. Das große Ziel vieler Initiativen, den AfD-Parteitag zu blockieren, ist gescheitert.

Und die AfD will diese Chance nutzen. Ein Jahr liegt hinter ihr, in dem sie weit hinter ihren eigenen Erwartungen zurückgeblieben ist. Zweitstärkste Kraft ist sie zwar geworden bei der Europawahl, ein Rekordergebnis für sie. Mit knapp 16 Prozent aber schnitt sie wesentlich schlechter ab als von vielen in ihren Reihen erhofft. Beschäftigt war sie mit sich selbst, monatelang und besonders im Wahlkampf-Endspurt drehte sie sich um Skandale ihrer Spitzenkandidaten. Noch dazu zerlegten sich zuletzt die so mächtigen rechtsextremen Lager.

Essen soll ein Neuanfang für die Partei sein, vor allem mit Blick auf die für sie so wichtigen Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen im Herbst. Parteichef Tino Chrupalla formuliert in seiner Rede klar das Ziel: "Im Osten muss für uns die Sonne der Regierungsverantwortung aufgehen", ruft er. "Dafür brauchen wir eine geschlossene Partei." Nur so könne die AfD das Land "vom Kopf auf die Füße stellen".

Und die Geschlossenheit, die Chrupalla fordert, liefert die AfD an diesem Samstag willig. Die mit zehn Jahren noch junge Partei, die sich sonst auf ihren Parteitagen in der Vergangenheit so oft zerfleischt, angebrüllt, auf offener Bühne zerlegt und bei Wahlen blockiert hat, sie zieht an diesem Samstag an einem Strang. Plötzlich professionell wirkt die AfD.

 
 
 
 
 
 
 

"Sie werden schon sehen!"

Damit das glückt, hat es noch in der Nacht letzte Absprachen zwischen Bundesvorstand, Landesvorständen und den stärksten Netzwerkern in der Partei gegeben. Eine Schippe wollen sie so auch den Medien schlagen, die bereits im Voraus Chaos und Streit prognostiziert hatte. "Sie werden schon sehen, Sie werden nichts Schlechtes zu schreiben haben!", kündigt nicht nur ein Funktionär am Samstag in Gesprächen mit der Presse an.

Und der Plan geht auf, das Chaos bleibt aus: Der Landesverband Bayern zieht einen hoch umstrittenen Antrag zur Aufarbeitung des Streits um die EU-Spitzenkandidaten zurück, über den vorab viel geschrieben wurde. Auch andere Anträge mit Konfliktpotenzial werden gar nicht erst diskutiert, sondern einfach gestrichen. Sogar die ewige Diskussion um eine Einerspitze, die die AfD eigentlich so sehr will und so oft umtreibt, wird in Kürze abgehakt. Chrupalla und Weidel haben klar gemacht, dass sie das nicht wollen, dass es jetzt kein kluger Schachzug wäre – und die Partei fügt sich. Kein Hauch von Rebellion, nirgendwo.

Auch die Vorstandswahlen laufen zu großen Teilen glatt ab: Alice Weidel wird mit 79 Prozent wiedergewählt, Tino Chrupalla erhält sogar 82 Prozent Zustimmung. Dabei war der vor zwei Jahren mit nur 53 Prozent knapp wiedergewählt worden. Auch das ist ein Zeichen vor den Landtagswahlen, ein Zeichen auch an einige Medien, die Chrupalla zuvor bereits ganz abgeschrieben hatten: Die AfD ist bereit für den Osten. Jetzt erst recht.

Viele Abstimmungen vorab

Neben Chrupalla und Weidel werden 12 Posten im Bundesvorstand an diesem Samstag neu besetzt – ein Großteil davon wird ohne Gegenkandidaten und mit hohen Zustimmungswerten vergeben. Sie waren in vorherigen Absprachen zwischen Landeschefs und Netzwerkern vorabgestimmt.

Trügen allerdings darf diese erhöhte Professionalität nicht: Der Vorstand und die AfD bleiben so radikal wie bisher. Mit Hannes Gnauck zieht der Chef der als gesichert rechtsextrem eingestuften Jugendorganisation "Junge Alternative" in den Bundesvorstand ein. Im Bundestag war im Mai seine Immunität aufgehoben worden, weil er während seiner Zeit bei der Bundeswehr gegen Asylbewerber und Ausländer gehetzt haben soll.

Auch die neuen Vorstandsmitglieder Heiko Scholz aus Hessen und Dirk Brandes aus Niedersachsen werden zu den Rechtsaußen-Lager der Partei gezählt – und erreichen aus dem Stand an die 90 Prozent Zustimmung. Der Jurist Roman Reusch hingegen, der die Partei im Verfahren gegen den Verfassungsschutz vertreten hat und einen nur vergleichsweise gemäßigten Kurs fordert, schafft trotz massiven Zuspruchs durch die Parteichefs gegen den nicht sonderlich beliebten Ingo Hahn nur 63 Prozent Zustimmung. Der Kurs der AfD bleibt unbeirrt radikal.

Viele formulieren es im Gespräch mit t-online ähnlich wie Sachsens Landeschef Jörg Urban: "Wir haben in den zehn Jahren gelernt, dass man Meinungsverschiedenheiten nicht auf Parteitagen austrägt", sagt er. "Das machen wir jetzt intern."

"Eine Alternative ist das nicht"

Nicht allen aber gefällt dieser Weg, die Abkehr von der rauen, chaotischen Ehrlichkeit ist schließlich zugleich ein weiter Schritt weg von der Basisdemokratie, derer sich die AfD noch immer so rühmt. Dirk Spaniel, der in der Partei als Quertreiber aus dem extrem rechten Flügel gilt, bewarb sich als einziger für die Versammlung völlig überraschend um einen der prominenteren Posten im Vorstand – und unterlag. Schon in seiner Bewerbungsrede auf dem Parteitag kritisierte er ein "Absprachenetzwerk".

Im Gespräch mit t-online sagt er später: Bisher sei es bei der AfD darum gegangen, dass alle kandidieren könnten und die besten Köpfe sich durchsetzten – das aber habe sich geändert. "Eine Alternative ist etwas anderes."

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Recherchen
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