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Riskante Ukraine-Politik der SPD: Wie lange können sie das durchhalten?


Meinung
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Tagesanbruch
Endlich aussprechen, was viele Genossen lange umtreibt

  • Daniel Mützel
MeinungVon Daniel Mützel

Aktualisiert am 26.03.2024Lesedauer: 6 Min.
Kanzler Scholz und SPD-Fraktionschef Mützenich: Der Ukraine-Antrag der Ampelparteien stellt keine Gefahr für den Kanzler da.Vergrößern des Bildes
Kanzler Scholz und SPD-Fraktionschef Mützenich: Astreines "mixed messaging". (Quelle: IMAGO)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

wünschen Sie sich auch manchmal, dass die Ampel einfriert?

Das ist gar nicht böse gemeint. Einfach mal zwei, drei Wochen Ruhe im Karton. Kein Streit. Keine Staus. Keine Hektik. Eine Regierung wie eine Jever-Werbung.

Der Traum vom konfliktfreien Regieren ist auch so manchem Ampelpolitiker nicht fremd. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Roth gestand soeben der "Frankfurter Rundschau", dass ihn der Streit über die Ukraine-Politik "kirre" mache. "Aber wenn ich mir einen eingefrorenen Konflikt wünschte, dann wäre es der in der Koalition".

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Roths Spitzen galten dabei nicht nur den dauerzankenden Ampelpartnern, sondern auch seinem eigenen Fraktionschef, Rolf Mützenich, der vor Kurzem im Deutschen Bundestag ein "Einfrieren" des Ukraine-Kriegs gefordert hatte. Mützenich trat damit eine Welle der Empörung los, bei der die SPD sich alle Mühe gab, sie wieder einzufangen.

Was dann geschah, war zunächst erwartbar: Führende Sozialdemokraten stellten sich schützend vor ihren Chefgenossen im Bundestag. Wer jedoch genau hinsah, erkannte nicht nur Lob. Und auch das blieb inhaltlich eher abstrakt. Die SPD sei von ihrer "DNA" her eben eine Friedenspartei, lautete eine oft angeführte Begründung. Eine andere verwies auf das Bedürfnis, angesichts eines blutigen Stellungskriegs in der Ukraine die deutsche Debatte zu weiten, und auch über Diplomatie zu sprechen, nicht nur über Waffen.

Doch sobald es ins Konkrete ging, ließen sich Absetzbewegungen beobachten. Da waren etwa die Parteichefs Lars Klingbeil und Saskia Esken, die klarstellten, dass die SPD natürlich wisse, dass Putin derzeit nicht verhandeln wolle. Oder Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der in Ramstein zu Protokoll gab, dass sich am Kurs der Bundesregierung nichts geändert habe.

Der Außenpolitiker Roth, oft mit der Parteilinie über Kreuz, ließ sich sogar zu der Aussage hinreißen, zwei Jahre Krieg hätten "bei manchen" in der SPD "zu einer gewissen Müdigkeit und Ratlosigkeit" geführt. Dem "Stern" sagte Roth nun, er wolle sich nach der Bundestagswahl 2025 aus der Politik zurückziehen.

Selbst Rolf Mützenich stellte noch mal klar, dass sein Vorschlag nicht für sofort gedacht gewesen sei.

Warum man aber trotzdem jetzt über ein Einfrieren des Krieges reden soll, wenn gerade jetzt die Voraussetzungen dafür fehlen, lässt sich wohl nur so erklären: Um den genauen Zeitpunkt ging es Mützenich nicht. Er wird wohl wissen, dass es dafür nur den falschen geben kann, zumindest aus Sicht derjenigen, die unter Einfrieren ein Einknicken vor Putin verstehen.

Der Kern des Arguments ist ein anderer: Wenn Deutschland die Ukraine noch die nächsten Jahre und Jahrzehnte unterstützen wolle, müsse die Regierung die Bevölkerung mitnehmen. Gerade in einer Zeit, in der die Wirtschaft kriselt, der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt und die Russlandfreunde von der AfD bei den Ostwahlen einen politischen Erdrutsch verursachen könnten, müsse eine Kanzlerpartei die Sorgen der Leute vor einer Eskalation des Krieges ernst nehmen.

Ob die Ängste der Menschen schon da waren oder durch eine oft verworrene Kommunikation der Regierung zusätzlich genährt wurden, sei mal dahingestellt. Doch ein reines Wahlkampfmanöver, wie der SPD nun (von anderen Wahlkämpfern) vorgeworfen wird, ist es nicht. Der Wahlkampf ist vielmehr der Anlass, endlich auszusprechen, was viele Genossen schon länger umtreibt.

Klar ist aber: Folgen für das Regierungshandeln hat das erst mal keine.

Mützenichs Vorstoß lässt sich nur in einem breiteren Kontext verstehen, in dem Kanzler Scholz ziemlich genau das Gegenteil von dem tut, was sein Fraktionschef im Bundestag vorschlägt: die militärische Ertüchtigung der Ukraine erhöhen. Seit Anfang des Jahres spielt Scholz den Antreiber Europas bei der Militärhilfe, bindet sich mit einem Sicherheitsabkommen noch stärker an Kiew, schraubt deutsche Waffenlieferungen für die Ukraine auf sieben Milliarden Euro hoch.

Ob das reicht, dass die Ukraine den Krieg nicht verliert oder gar ihre Territorien zurückerlangt, ist zwar fraglich. Doch abgesehen vom Taurus-Veto gibt es keine Indizien, dass der Kanzler oder sein Verteidigungsminister von ihrem bisherigen Kurs in Sachen Ukraine-Unterstützung abweichen.

Zugespitzt: Scholz liefert weiter Waffen, während Mützenich die wachsende Kriegsmüdigkeit politisch auffängt. Ein astreines "mixed messaging", das für die Sozialdemokraten allerdings zwei Risiken birgt:

Zum einen geht es um die Tragfähigkeit ihrer Ukraine-Politik: Die SPD mag kurzfristig in den Umfragen zulegen, was durch das Politbarometer und den "Insa"-Sonntagstrend gerade bestätigt wurde. Zugleich könnte sie mittel- bis langfristig genau das aufs Spiel setzen, was sie angibt, sichern zu wollen: den gesellschaftlichen Rückhalt für die Kanzlermaxime, die Ukraine "as long as it takes" zu unterstützen.

Setzt die SPD den Diskurs über Einfrieren und diplomatische Lösungen fort (was derzeit intern abgewogen wird), obwohl die Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind, könnte sich in der Bevölkerung die Erzählung durchsetzen, der Krieg könnte zeitig durch Verhandlungen beendet werden, ohne dass es dafür derzeit eine reale Chance gibt. Ist die Überzeugung erst mal verankert, flankiert durch ranghohe Regierungspolitiker, ist der Schritt nicht weit, entsprechende Zugeständnisse von der Ukraine einzufordern, damit sich diese Hoffnung auch realisiert.

Putin hat gerade erst erklärt, dass er Verhandlungen jetzt, da die Ukraine unter Munitionsmangel leidet, für "absurd" hält. Der Kremlchef dürfte ohnehin auf die US-Wahl im Herbst warten, weil er mit einem möglichen Präsidenten Trump vermutlich freie Hand hätte. Der Zeitpunkt für eine deutsche Friedensinitiative erscheint auch vor diesem Hintergrund besonders ungünstig.

Und zum anderen gerät die Glaubwürdigkeit der "neuen Ostpolitik" der SPD ins Wanken: Die hatte Parteichef Lars Klingbeil vor einem Jahr ausgerufen. Um das mit Taten zu unterlegen, ging Klingbeil im März 2023 auf Versöhnungstour durch Osteuropa. Reiste zunächst – gemeinsam Fraktionschef Mützenich – zu Selenskyj nach Kiew und anschließend nach Warschau, traf Sozialdemokraten aus 13 osteuropäischen Ländern, legte Nelken ans Ehrenmal für die Helden des Warschauer Ghettos.

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Klingbeil warb bei den osteuropäischen Partnern um Vertrauen und räumte ein, dass die SPD zu wenig auf Polen und Balten gehört hatte, die frühzeitig vor einem russischen Überfall auf die Ukraine gewarnt hatten. Künftig soll das besser laufen, so das Versprechen.

Der SPD-Chef ging mit seinem Projekt neue Ostpolitik politisch ins Risiko. Nicht nur, weil er für die Fehler seiner Partei in der Russlandpolitik geradestehen und sich dafür in Warschau einiges anhören musste, wie er t-online vor einer Weile erzählte. Auch innerparteilich legte er sich mit all jenen Sozialdemokraten an, die die Irrtümer der jüngeren Vergangenheit am liebsten vergessen würden.

Doch Klingbeil setzte sich durch. In einem Parteitagsbeschluss Ende 2023 bekannte sich die SPD dazu, das Putin-Regime falsch eingeschätzt zu haben und die Lehren daraus zu ziehen.

Genau von diesen Lehren hört man dieser Tage jedoch recht wenig. Weder die Polen, die Ukrainer noch die Balten sprechen von diplomatischen Initiativen, sondern warnen immer eindringlicher vor der russischen Aggression, die sich, sollte Putin die Ukraine besiegen, als Nächstes gegen das Baltikum richten könnte. Die aktuelle Debatte im Deutschen Bundestag dürfte in Warschau, Vilnius und Tallinn böse Erinnerungen wachrufen.

Die SPD muss aufpassen, dass das zarte Pflänzchen neue Ostpolitik im Superwahljahr 2024 nicht elendig verkümmert. Klingbeil hat in Warschau am eigenen Leib erfahren, wie schwierig es ist, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen – und wie schnell man es wieder verlieren kann.


Was steht an?

Deutsches Krisenmanagement in Nahost: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) setzt ihre Israel-Reise fort. Es ist ihr bereits sechster Besuch seit dem Massaker der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober. Baerbock hatte noch vor ihrer Ankunft die israelische Regierung eindringlich davor gewarnt, die geplante Bodenoffensive in der Stadt Rafah im Süden Gazas durchzuführen. "Eine Großoffensive auf Rafah darf es nicht geben", so Baerbock, die sich angesichts einer UN-Resolution für eine Waffenruhe in Gaza "erleichtert" zeigte.

Am Dienstagvormittag trifft sie ihren israelischen Amtskollegen Israel Katz. Dann wird sie erfahren, wie empfänglich die Netanjahu-Regierung für die deutschen Warnungen ist.


Letzter Ausweg für den Wikileaks-Gründer: Der britische High Court will am Dienstag sein Urteil zum Berufungsantrag von Julian Assange veröffentlichen. Der 52-jährige Australier will damit seine geplante Auslieferung in die USA verhindern, wo ihm 175 Jahre Haft drohen.

Assanges Frau Stella erklärte auf X: "Jetzt geht es los. Entscheidung morgen". Entscheiden die Richter, dass Assanges seine Rechtsmittel in Großbritannien ausgeschöpft hat, könnte es eng für den Wikileaks-Gründer werden. Im Fall einer Niederlage bliebe dem Australier nur noch der Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Doch dort sind die Fristen laut seiner Frau knapp bemessen.


Lesetipps

Die Amerikaner erhöhen den Druck auf ihren engsten Verbündeten im Nahen Osten. Mit einem Manöver im UN-Sicherheitsrat riskiert Joe Biden eine Krise mit Israel, berichtet unser USA-Korrespondent Bastian Brauns.


Der blutige Terroranschlag des "Islamischen Staates" in Moskau erschüttert Russland, doch Kremlchef Putin beschuldigt die Ukraine – und den Westen. Was das für Folgen haben könnte, analysiert Oberst Markus Reisner im Gespräch mit meinem Kollegen Marc von Lüpke.


Zum Schluss

Die K-Frage der Union scheint fast geklärt, nur in Bayern sieht man das noch nicht so.

Ich wünsche Ihnen einen vergnüglichen Dienstag. Morgen kommt der Tagesanbruch von Bastian Brauns.

Herzliche Grüße

Daniel Mützel
Reporter im Hauptstadtbüro von t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

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