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SPD-Chef Lars Klingbeil auf Balkan-Reise: "Olaf weiß, was ich tue"


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SPD-Chef als Neben-Außenminister
"Olaf weiß, was ich tue"


Aktualisiert am 13.02.2024Lesedauer: 6 Min.
Lars Klingbeil mit Dimitar Kovačevski.Vergrößern des Bildes
SPD-Chef Klingbeil (r.) und der mazedonische Ex-Premier Kovačevski (l.): Das Scholz-Doppelgänger-Meme sorgt auch in Skopje für Lacher. (Quelle: Angel Pavlovski/t-online)
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Lars Klingbeil reist auf den Westbalkan, um ein Bündnis gegen Russland zu schmieden. Dabei stößt der SPD-Vorsitzende auf Widrigkeiten – und überraschende Erkenntnisse.

Es dämmert schon, als Lars Klingbeil vergangenen Samstagabend das Regierungsgebäude in Priština verlässt. "Kein einfaches Gespräch", sagt der SPD-Chef nachdenklich und bahnt sich einen Weg durch die Fußgängerzone der kosovarischen Hauptstadt. 70 Minuten hat er zuvor versucht, Kosovos Premierminister Albin Kurti zu erklären, dass sein Zeitfenster enger werde.

Doch für Kurti ist die Lage verzwickt. Die Spannungen mit dem serbischen Nachbarn nehmen zu. Immer wieder kommt es zu gewaltsamen Unruhen, wie zuletzt im vergangenen Herbst, als 30 Bewaffnete ein Kloster kaperten. Die serbische Regierung wirft dem Kosovo vor, die serbische Minderheit im Norden des Landes zu unterdrücken. Priština wiederum verdächtigt Belgrad, serbische Nationalisten im Land zu unterstützen und den Konflikt anzuheizen. Kurti, ehemaliger politischer Häftling in Serbien, will Stärke zeigen.

"Er hat das Herz am rechten Fleck"

Klingbeil ist für zwei Tage auf den Westbalkan gereist, in den Kosovo und zuvor nach Nordmazedonien. Als SPD-Chef hat er sich die Neuausrichtung der sozialdemokratischen Außenpolitik auf die Fahnen geschrieben. Ihre Kernidee: Deutschland muss eine Schlüsselrolle bei der Sicherheit Europas spielen, und die sieht sich mit einer neuen geopolitischen Lage konfrontiert. Es ist an der Zeit, ein Bündnis zu schmieden gegen russische und chinesische Interessen in der Region, findet Klingbeil.

Doch das ist gar nicht so einfach, wie er bei seiner Reise immer wieder zu spüren bekommt. Nach seinem Gespräch mit dem kosovarischen Premier Kurti sagt Klingbeil: "Er hat das Herz am rechten Fleck", aber müsse für den EU-Beitritt jetzt weitere Schritte gehen. Im November könnte Trump ins Weiße Haus einziehen und die wichtige US-Unterstützung einfrieren, so Klingbeil.

Was der SPD-Chef meint, aber so nicht sagt: Sollten sich die USA unter Trump abwenden, könnte nur ein engeres Bündnis mit Brüssel dem Kosovo Stabilität geben – doch das gibt es eben nicht umsonst.

Es ist noch viel Überzeugungsarbeit nötig, um dem jungen Staat die deutsche Position schmackhaft zu machen. Und nicht nur ihm: Auf seiner Reise trifft Klingbeil auch die sozialdemokratischen Parteichefs der anderen fünf Länder des Westbalkans. Sie will er ebenfalls davon überzeugen, dass Deutschland und Europa es ernst meinen mit der EU-Beitrittsperspektive für den Westbalkan im Rahmen des sogenannten Berliner Prozesses.

Und dass Russland, aber ebenso China die Region destabilisieren würden, wenn sie keiner stoppt.

Gegenpol zu Russland und China

Denn der neue heraufziehende Kalte Krieg zwischen Russland, China und dem Westen wird längst auch auf dem Westbalkan ausgetragen. Serbien, die größte Wirtschaftsmacht der Region, gilt als Einfallstor für den russischen und chinesischen Einfluss. Peking investiert Milliarden in die serbische Infrastruktur, Moskau liefert billiges Gas und antiwestliche Desinformation. Serbiens Regierungschef Alexander Vučić provoziert offen mit seiner prorussischen Haltung, beteuert aber, auch einen europäischen Weg gehen zu wollen.

Ein Widerspruch, der nicht mehr lange zu halten sein wird. Vergangene Woche forderte etwa der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der kurz vor Klingbeil in die Region gereist war, von Serbien ungewöhnlich deutlich, sich zwischen Europa und Russland zu entscheiden. Man könne "nicht auf zwei Hochzeiten tanzen", so Pistorius. In Belgrad war man erzürnt.

Klingbeil, der Serbien nicht auf seiner Besuchsliste hat, setzt weniger auf schrille Töne. Der SPD-Chef will ein nachhaltiges Netzwerk stricken, das stabil genug ist, um serbischen und damit russischen Destabilisierungsversuchen standzuhalten. Dafür braucht er keine Lautstärke und knallige Schlagzeilen, sondern das Vertrauen der künftigen Partner und vor allem: Zeit.

Eine neue Ostpolitik

Klingbeil denkt nicht an morgen oder übermorgen, sondern in langen Linien. "Zeitenwende heißt, dass wir in einer Welt der wachsenden geopolitischen Konfrontationen leben, die Jahre, vielleicht Jahrzehnte dauern", sagt er.

Dabei geht es auch darum, zu zeigen, dass die SPD sich von ihrer verfehlten Russland-Politik verabschiedet hat. Klingbeil arbeitet offensiv am neuen Image der deutschen Kanzlerpartei bei seinen Partnern. Auf der Zeitenwende-Konferenz in Warschau 2023, als er Sozialdemokraten aus 13 europäischen Staaten traf, sprach er die Fehler der Vergangenheit offen an – und musste einiges aushalten.

"Das war zu Beginn 13 gegen 1", erinnert sich Klingbeil. Aber das gehöre dazu und habe sich durch die Konferenz gedreht – man habe Vertrauen zurückerkämpft. Hier, auf dem Westbalkan, werde Deutschlands Rolle nicht infrage gestellt. Im Gegenteil: Man sehe Berlin als wichtigen Unterstützer auf dem Weg in die EU.

Ist er ein Neben-Außenminister? "Quatsch"

Um seine außenpolitischen Vorstellungen umzusetzen, kann er einen Apparat nutzen, der anderen deutschen Parteien so nicht zur Verfügung steht: ein internationales Netzwerk sozialdemokratischer Schwesterparteien, die mal mehr, mal weniger im Austausch miteinander stehen. Und falls diese gerade in der Regierung sind, gibt es einen besonderen Vernetzungsbonus: den unmittelbaren Zugang zur Macht.

Auf seiner Westbalkan-Reise zeigen sich die Vorzüge dieser Strategie: Derzeit regieren drei der sechs sozialdemokratischen Parteien der Region in ihren jeweiligen Ländern mit. Klingbeil führt damit indirekt Regierungsgespräche, nutzt dafür aber die Drähte der Parteien. Eine parallele Außenpolitik, gesteuert aus dem Willy-Brandt-Haus in Berlin.

Fühlt er sich manchmal als Neben-Außenminister? "Quatsch", entgegnet Klingbeil. Aber hat Außenministerin Annalena Baerbock denn gar nichts dagegen, dass der SPD-Chef sein eigenes außenpolitisches Süppchen kocht?

"Wir nutzen unser starkes sozialdemokratisches Netzwerk weltweit, das ist auch gut für die deutsche Außenpolitik", versichert er. Übersetzt: Baerbock kann froh sein, dass der SPD-Chef hier auf dem Balkan für deutsche Interessen kämpft. Viel wichtiger sei ohnehin die Abstimmung mit dem Kanzler, sagt Klingbeil. "Olaf weiß, was ich tue, wir agieren eng abgestimmt." Er habe als Parteivorsitzender andere Zugänge und nutze diese, um die sozialdemokratische Außen- und Sicherheitspolitik mitzubestimmen.

Drohende Destabilisierung

In Nordmazedonien, wo Klingbeils Reise vergangenen Freitag begann, suchte er ebenfalls den engen Kontakt zu seinen sozialdemokratischen Kollegen. Das Land ist im regionalen Vergleich zwar recht stabil, doch auch hier steigt die gesellschaftliche Polarisierung. 2024 ist Superwahljahr, im April und Mai wählen die Mazedonier einen neuen Staatspräsidenten und ein Parlament. Sollten die nationalistischen EU-feindlichen Kräfte gewinnen, droht das Land in die serbische und damit russische Einflusssphäre abzurutschen – mit möglicherweise fatalen Folgen für die gesamte Region.

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Als letztes Bollwerk vor diesem geopolitischen Schreckensszenario gelten die mazedonischen Sozialdemokraten. Auch deswegen ist Klingbeil hier – er will der Schwesterpartei im Wahlkampf helfen. Klingbeil verspricht deren Chef Dimitar Kovačevski einen Austausch zu programmatischen Punkten und zur Frage, wie man Fake News in sozialen Medien bekämpft. Am Ende sollen "konkrete Absprachen" stehen, vielleicht schon auf dem Kongress der europäischen Sozialdemokraten am 2. März in Rom, wo sich die beiden wiedersehen.

Ein Vieraugengespräch mit dem Regierungschef des mächtigsten EU-Landes, so die Hoffnung, könnte bei den Mazedoniern die zuletzt wieder geschrumpfte Hoffnung auf einen EU-Beitritt neu entfachen – und die Sozialdemokraten zurück an die Macht hieven.

Partnerschaft auf Augenhöhe – statt deutsche Interessen durchzupeitschen

Doch die Sozialdemokraten in der Region sind kaum vernetzt. Klingbeil erfährt erst vor Ort, dass er im Grunde bei null anfangen muss. Eine robuste Allianz gegen russischen Einfluss ist hier noch in weiter Ferne. Bei einer Podiumsdiskussion in der mazedonischen Nationalgalerie in Skopje wird das überdeutlich. Die Vertreter aus Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Albanien, Kosovo-Albanien und Nordmazedonien tragen vor allem ihre nationalen Anliegen vor. Manch einer wird emotional, andere neigen zu ausufernden Monologen.

In der Mitte unter der steinernen Kuppel der Galerie sitzt der SPD-Chef und hört aufmerksam zu. Er scheint es partout vermeiden zu wollen, wie der mächtige Vermittler aus Deutschland zu wirken, der hier erst mal für Ordnung sorgt. Auch darum geht es bei Klingbeils Ostpolitik: Partnerschaften auf Augenhöhe, anstatt wie früher einfach deutsche Interessen durchzupeitschen.

Der Abend gehört der Bundesliga

Klingbeil sagt hinterher, er habe gar nicht glauben können, dass die Parteivertreter noch nicht einmal die Handynummern voneinander hatten. Doch am Ende ist er zufrieden: Die Parteichefs verabreden sich auf ein jährliches Treffen, zu Beginn noch mit deutscher Unterstützung. Der Grundstein ist gelegt.

Als es am Samstagabend mit der Easyjet-Maschine nach Berlin zurückgeht, ist Klingbeil zufrieden. Er hat einiges erreicht. Zwei Tage intensiver Diskussionen liegen hinter ihm. In der VIP-Lounge am Flughafen in Priština kann er kurz durchatmen. Der Abend, das hat er sich vorgenommen, wird dem Ligaspiel Bayern gegen Leverkusen gehören.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen in Nordmazedonien und auf dem Kosovo
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