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Polen hetzt gegen Deutschland: Die antideutsche Stimmung wird zum Problem


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Tagesanbruch
Die antideutsche Stimmung wächst

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 30.08.2023Lesedauer: 6 Min.
Jaroslaw Kaczynski schürt die antideutsche Stimmung.Vergrößern des Bildes
Jaroslaw Kaczynski schürt die antideutsche Stimmung. (Quelle: Kacper Pempel/REUTERS)
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Guten Morgen liebe Leserin, lieber Leser,

seine Verwandten kann man sich nicht aussuchen, und seine Nachbarn auch nicht. Manchmal versteht man sich prächtig mit den Hausbewohnern nebenan, manchmal pflegt man auch nur eine freundliche Neutralität. Und manchmal gibt es Zoff, und zwar nicht zu knapp. Das Verhältnis zu Nachbarn kann ein großes Spektrum von Zu- bis Abneigung abdecken, das ist normal. Eines aber kommt seltener vor: dass man sich um das Wohlergehen der Menschen nebenan wirklich ernste Sorgen macht.

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Auch Staaten haben Nachbarn. Bei uns zum Beispiel floriert direkt hinter der östlichen Grenze eine große Nation. Die Wirtschaft wächst rasant, man kann es gar nicht übersehen: Überall wird gehämmert und gebaut, werden Häuser hochgezogen, manche Städte wirken wie eine einzige Baustelle – es geht mächtig voran. In der Rangliste der größten Volkswirtschaften der EU belegen die zupackenden Leute jenseits der Grenze schon Platz sechs, Tendenz steigend. Bei der Bevölkerungszahl liegt das Land auf Platz fünf. Ganz schön viel Power also, was Anlass zu ebenso viel guter Laune sein könnte. Stattdessen müssen wir uns gewaltige Sorgen machen.

Die kraftvolle Nachbarnation heißt Polen. Wenn Sie jetzt wissen wollen, warum es einem angst und bange werden kann, während das Land sich augenscheinlich bester Gesundheit erfreut, muss ich Ihnen zunächst ein paar Fragen stellen.

Bevor sich jetzt jemand beschwert, das sei ja ganz schön tendenziös formuliert: Ich gebe es ja zu. "Tausende" klingt nach einem Ansturm, obwohl es – gemessen an der Größe einer Nation – eine verschwindend geringe Anzahl wäre. "Illegal" tönt ebenfalls gefährlich – ob die Menschen aus gutem Grund geflohen sind, interessiert dagegen nicht die Bohne. Und die mühsam ausgehandelten Kompromisse, die gemeinsame Entscheidung der EU-Mitgliedsstaaten? "Von der europäischen Bürokratie auferlegt." Ach so, na dann. Natürlich kann man kontrovers darüber diskutieren, wie man mit der Migration umgehen soll. Aber über die Frage, die ich Ihnen eben gestellt habe, kann man eines sicher sagen: Neutral gestellt ist sie nicht.

Apropos Suggestivfragen, ich hätte da noch eine: "Unterstützen Sie den Verkauf von Staatsvermögen an ausländische Unternehmen, der zum Verlust der Kontrolle von Bürgerinnen und Bürgern über strategische Wirtschaftsbereiche führt?" Nein, das finden Sie gar nicht gut? Das habe ich mir gedacht. Kein Wunder, wenn man so fragt. Dann verteufeln Sie also Investitionen aus Partnerländern in der EU oder den USA bei zukünftigen Privatisierungs- und Reformvorhaben. Ach, doch nicht? Sie sehen: So formuliert sieht die Sache gleich ganz anders aus.

Die Fragen mit dem Spin habe ich mir nicht selbst ausgedacht. Das hat die polnische PiS-Partei erledigt. Im Parlament hat die Regierungskoalition mit ihrer Mehrheit durchgedrückt, dass ihre populistischen Positionen – in Frageform gegossen – den Bürgern als Begleitprogramm zu den Parlamentswahlen im Oktober vorgelegt werden. Und zwar tatsächlich so formuliert wie oben: ungebremst tendenziös und die rhetorischen Manöver wiederholend, mit denen die PiS ihren schärfsten Konkurrenten im Wahlkampf attackiert. Das ist nämlich der europafreundliche Ex-Premier und Ex-EU-Ratspräsident Donald Tusk.

Im Rahmen eines Referendums sollen die Polen Antworten auf die manipulativen Fragen geben. Das Ergebnis hat zwar auf bereits getroffene Beschlüsse wie den EU-Asylkompromiss keinerlei Auswirkung, aber die Fragerei hilft, das Wahlvolk aufzuhetzen, bevor es unmittelbar danach auf dem nächsten Zettel das Kreuzchen für die künftige Regierungspartei macht. Wahlkampf in der Wahlkabine also – und nur zugunsten einer Seite. Mit solchem Schwung werden in Polen die Prinzipien einer fairen Abstimmung über Bord geworfen, dass man das erst mal einen Moment sacken lassen muss.

Nun ist es nicht das erste Mal, dass die PiS an den demokratischen Grundfesten herumhantiert, um ihre Macht zu sichern. Die Unabhängigkeit der Justiz zu untergraben und den obersten Gerichtshof mit den eigenen Leuten auszustaffieren, gehört genauso zu ihrer Strategie wie Attacken auf unabhängige Medien. Mit der EU hat Polens Regierung deshalb Dauerzoff. Bremsende Wirkung entfalten die Sanktionen aus Brüssel aber nicht.

Unbeirrt schieben die PiS und ihr Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski, von dem die Idee des Referendums stammt, die Grenzen des Akzeptablen immer weiter hinaus. Nach seiner Lesart sind die eigentlich Bösen in der ganzen Geschichte natürlich andere: nämlich wir. Es ist Ihnen vielleicht neu (ich war auch ganz baff), aber die willfährige Marionette Deutschlands, also Oppositionsführer Tusk, würde im Fall seines Wahlsieges den Ausverkauf Polens an die Deutschland GmbH organisieren. Sagt jedenfalls Herr Kaczynski. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, ebenfalls von der PiS, legt prompt nach und schmäht seinen Konkurrenten als größte Gefahr für die Sicherheit Polens. Sie haben richtig gehört: Das sei nicht Putin, sondern Herr Tusk.

Nun mag man solche abstrusen Behauptungen als Wahlkampfgetöse abtun. Aber irgendwas bleibt immer hängen. Die antideutsche Propaganda der PiS hat nämlich Tradition. Sie vergiftet das Verhältnis eines erheblichen Teils der polnischen Bevölkerung zum Nachbarn im Westen, während im Innern die demokratischen Grundmauern des Staates abgetragen werden. Deutschland wolle die EU in ein "Viertes Deutsches Reich" verwandeln, behauptete Herr Kaczynski mal.

Es ist zum Haareraufen: Polen könnte eine strahlende Erfolgsgeschichte und eine Bereicherung für die Gemeinschaft in Europa sein. Stattdessen bringt der aktuelle Kurs das enorme Potenzial des Landes in Gefahr. Bei der Parlamentswahl am 15. Oktober wird darüber entschieden, ob unser wichtiger, oft auch unterschätzter und zu wenig wahrgenommener Nachbar aus dem undemokratischen Sumpf wieder herausfindet – oder ob er noch tiefer darin versinkt.

Die PiS liegt in den Umfragen übrigens vorn. Optimismus ist ja immer gut. Aber dass wir uns um unseren Nachbarn echte Sorgen machen, ist diesmal leider angebracht.

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Bambule in Bayern

Drei Stunden tagte gestern in München der Koalitionsausschuss zum Fall Hubert Aiwanger. Offenbar nicht lange genug, um die Rolle des Freie-Wähler-Chefs in der Affäre um das antisemitische Flugblatt aus den 1980er-Jahren vollumfänglich zu klären. Sein Stellvertreter solle nun einen Katalog von 25 Fragen schriftlich beantworten, verlangte Ministerpräsident Markus Söder, ohne dafür einen Zeitrahmen zu nennen. Grundsätzlich wolle er die Zusammenarbeit mit den Freien Wählern fortsetzen, sagte der CSU-Chef in seiner Presse-Stellungnahme – und baute zwei subtile Drohungen an seinen Vize ein: Es dürfe nun "nichts mehr dazukommen", außerdem hingen Koalitionen nicht an Einzelpersonen. In einer Bierzeltrede machte sich Söder über Aiwanger lustig. "Gerissen und geschichtsvergessen" nennt mein Kollege Tim Kummert sein Verhalten.

Auch die Kollegen der "Süddeutsche Zeitung" haben etwas hinzuzufügen: Aiwanger, der das Blatt zunächst zu diversen Punkten angelogen hatte, war wohl schon früher besorgt, dass das Pamphlet bekannt werden könnte. So soll er bereits im Jahr 2008 – nach seinem ersten Einzug in den Landtag – eine Parteikollegin zu einem früheren Lehrer geschickt haben, um zu erfragen, ob ihm von diesem "Gefahr" drohe. Als die "SZ" Aiwanger nun mit den Vorwürfen zur Hetzschrift konfrontierte, habe die Parteifreundin erneut den Lehrer kontaktiert.

Ziemlich dünnes Eis, auf dem der Staatsminister sich da bewegt. Und ziemlich sicher, dass sich die Affäre auf die Landtagswahl am 8. Oktober auswirkt.


Lesetipps

Als das antisemitische Flugblatt verfasst wurde, lebte der Schüler Hubert Aiwanger in einem niederbayerischen Örtchen. Erinnern sich die Menschen dort heute an den Fall? Allerdings, berichtet unsere Reporterin Carla Gospodarek.


Geflüchtete Kinder leben in Deutschland oft jahrelang in Sammelunterkünften. Dabei bleiben einigen elementare Rechte verwehrt, berichtet meine Kollegin Marianne Max.


Die ukrainische Armee steht vor dem Durchbruch der ersten russischen Verteidigungslinie. Was das für den Krieg bedeutet, erklärt Ihnen mein Kollege Patrick Diekmann.


Die Staatsanwaltschaft Berlin stellt ihre Ermittlungen gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann ein. Ein Beweis für seine Unschuld ist das jedoch nicht, schreibt mein Kollege Steven Sowa.


Ohrenschmaus

Ich bin immer noch auf dem Italien-Trip. Zuckersüß.


Zum Schluss

Die Methode Aiwanger:

Ich wünsche Ihnen einen aufrichtigen Tag.

Herzliche Grüße

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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