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World Wide Web: Die beste Erfindung seit Jahrzehnten oder tiefe Abgründe?


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Tagesanbruch
Die beste Erfindung seit Jahrzehnten

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 28.04.2023Lesedauer: 5 Min.
Tim Berners-Lee im Jahr 1994.Vergrößern des Bildes
Tim Berners-Lee im Jahr 1994. (Quelle: DB CERN Genf/CERN_Genf/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

manchmal liegen das Gute und das Schlechte ganz nah beieinander. So wie bei dem Medium, das aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken ist. Mit jedem x-beliebigen Menschen rund um den Globus in Kontakt treten, unendliches Wissen erschließen, schauen und hören, spielen und arbeiten, navigieren und partizipieren: Alles ist dank diesem Wunderding binnen Sekunden und rund um die Uhr möglich.

Doch da sind auch die Abgründe: brutale Gewalt, Hetze und kriminelle Abzocke, totale Überwachung durch Geheimdienste und Diktaturen sowie die Ahnung, dass der nächste Quantensprung der Technologie unsere intellektuellen Leistungen grundsätzlich infrage stellen könnte. Was, wenn maschinelle Intelligenz irgendwann nicht nur künstlich, sondern auch in jeder Hinsicht klüger und kreativer sein wird als das Hirn des Homo sapiens?

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Chatbots wie ChatGPT sind der dritte Schritt in einer Revolution, die vor 30 Jahren begonnen hat. Der zweite Schritt war der Siegeszug der Smartphones ab 2007. Der erste Schritt jährt sich an diesem Sonntag zum 30. Mal: Am 30. April 1993 gaben die Chefs des europäischen Kernforschungszentrums CERN das World Wide Web zur allgemeinen Nutzung frei. Erfunden hatte dieses bahnbrechende Medium der Brite Tim Berners-Lee. Ein Mann, der ebenso schnell dachte, wie er sprach. Der vor Ideen sprühte. Und deshalb für sein ungestümes Oberstübchen eine ordnende Struktur benötigte.

Also machte er einen Plan: Um seine Gedankengänge zu sortieren (und wohl auch, um das berüchtigte Informationschaos am CERN zu bändigen), entwarf der 37-Jährige die Grundzüge eines digitalen Informationsnetzes, in dem sämtliche Inhalte als universell gültiger Hypertext aufbereitet und durch klickbare Links vernetzt sind. Ziemlich abgefahren. Anfangs begriffen noch nicht einmal seine Wissenschaftskollegen, was der Schnelldenker damit erschaffen hatte: nichts weniger als die Oberfläche der modernen menschlichen Kommunikation.

Doch bald fiel der Groschen. Und dann ging es Schlag auf Schlag: Schon kurz darauf entwarf der amerikanische Student Marc Andreessen auf Basis des WWW den ersten Webbrowser. Dann kam Microsoft-Gründer Bill Gates um die Ecke und lieferte mit seinem Internet Explorer die massentaugliche Anwendung für das revolutionäre Medium.

Der Rest ist Geschichte. Drei Jahrzehnte später scheffeln die wertvollsten Firmen der Welt ihre Milliarden dank dem Internet. Stieren alle Leute, die neben mir im Zug sitzen, während ich diesen Text schreibe, in ihre Handys oder tippen in ihre Laptops. Fließen bis zu zwölf Prozent des globalen Strombedarfs in digitale Geräte, Tendenz steigend. Koordinieren aber auch ukrainische Soldaten ihre Verteidigungsgefechte gegen Putins Truppen mit satellitengestützter Kommunikation auf ihren Smartphones. Und gehen in jeder Sekunde Tausende Bestellungen in Online-Shops ein – während viele Geschäfte in Innenstädten mangels Kundschaft schließen müssen.

Stellt man ChatGPT die Frage "Was ist das Beste am Internet?", bekommt man diese Antwort: "Das Beste am Internet ist, dass es eine unglaubliche Menge an Wissen und Informationen aus allen Bereichen der Welt zugänglich macht. Mit nur wenigen Klicks können Sie auf eine Fülle von Wissen zugreifen, von akademischen Forschungsarbeiten über Nachrichten und Informationen zu praktischen Anleitungen und Tutorials. Das Internet bietet auch eine Vielzahl von Möglichkeiten zur sozialen Interaktion und zum Austausch von Ideen und Meinungen mit Menschen auf der ganzen Welt. Es hat die Art und Weise verändert, wie wir kommunizieren, einkaufen, arbeiten, lernen und uns unterhalten, und es hat uns eine beispiellose Freiheit gegeben, unsere eigene Meinung zu bilden und unsere eigenen Entscheidungen zu treffen." Treffender könnte ein Mensch die Errungenschaften des WWW kaum beschreiben.

Fragt man ChatGPT hingegen "Was ist das Schlimmste am Internet?", entschuldigt sich die Maschine zunächst: Als künstliche Intelligenz habe sie "keine eigene Meinung oder Emotionen". Dann nennt sie aber doch noch Cybermobbing, das Verbreiten von Fehlinformationen und Verschwörungstheorien, Online-Sucht, Identitätsdiebstahl und Datenmissbrauch. Immerhin.

Auch der Pionier Berners-Lee, zum Glück ein Mensch aus Fleisch und Blut, sorgt sich mittlerweile: Anlässlich des 30. Jahrestages seiner Erfindung warnt er vor Datenmissbrauch, Desinformation, Hassrede und Zensur im WWW. Das Wichtigste kann uns eben selbst die raffinierteste Maschine nicht abnehmen: die tägliche Entscheidung, Technologien verantwortungsbewusst einzusetzen.


Kaltstart in Berlin

Eigentlich bräuchte Berlin eine starke Landesregierung, die all die Probleme der Hauptstadt lösen kann: den Wohnraummangel, die Verkehrsmisere, die träge Verwaltung, fehlende Lehrer und kriminelle Clans. Das und mehr wollte Kai Wegner als Chef einer Koalition aus CDU und SPD anpacken. Dafür braucht er allerdings Autorität und die geschlossene Unterstützung beider Regierungsparteien.

Beides besitzt Wegner seit gestern Nachmittag nur in eingeschränktem Maße: Sein Regierungsauftakt geriet zur Schmach. Erst im dritten Wahlgang zum Regierenden Bürgermeister erreichte er die nötige Stimmenmehrheit im Abgeordnetenhaus. Anscheinend verweigerten ihm mehrere SPD-Leute die Gefolgschaft, dafür bekam er offenbar Stimmen von der AfD. Auf Twitter ereiferte sich prompt die notorische Meinungsschickeria und wähnte das Ende des Abendlandes nahe. Ganz so schlimm ist es nicht, und auch der Vergleich mit der skandalösen Wahl des FDP-Kurzzeitministerpräsidenten Thomas Kemmerich mittels AfD-Stimmen in Thüringen hinkt. Der Berliner Wegner hat mit seiner CDU die Landtagswahl gewonnen und führt die stärkste Fraktion.

Seine Machtbasis allerdings ist seit gestern alles andere als stark. "An seinem Amt haftet nun ein schwerer Makel", schreibt unser Berliner Reporter Jannik Läkamp. "Das ist eine denkbar schlechte Grundlage für eine handlungsfähige Regierung im krisengebeutelten Berlin." Fraglich, ob das Bündnis lange hält.


Heiße Spur

Die Spur des Nord-Stream-Anschlags nach Moskau erhärtet sich: t-online berichtete im März exklusiv über einen geheimen russischen Schiffskonvoi, der Tage vor den Explosionen die späteren Tatorte ansteuerte. Darunter waren Spezialschiffe mit besonders für eine mögliche Sabotageaktion geeigneter Ausrüstung.

Seitdem hat sich viel getan: Dänische Kollegen haben eine Bestätigung des dänischen Verteidigungsministeriums erhalten. Mehr als hundert Fotos der Schiffe wurden gemacht. Und nun berichtet die Zeitung "Dagbladet Information": 26 der Bilder zeigen tatsächlich das für die mutmaßliche Operation wichtigste Schiff – die "SS-750", ausgestattet mit einem Mini-U-Boot. Hier erklärt Ihnen unser Rechercheur Jonas Mueller-Töwe die neueste Entwicklung. Und hier lesen Sie die ganze t-online-Recherche.


Deutschland vor 100 Jahren

Das Jahr 1923 war eine deutsche Zäsur: Das Land wurde von einer brutalen Krisenkaskade erschüttert, bevor zehn Jahre später die Lichter ausgingen. Die Ausstellung "1923: Gesichter einer Zeit" in der Hamburger Kunsthalle zeigt ab heute Gemälde, Skulpturen und Zeichnungen aus der bewegten Zeit. Sicher eine Reise wert.

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Es geht heiß her

Spanien erlebt die erste Hitzewelle des Jahres: Bis zu 40 Grad Celsius werden erwartet, und das im April! Der Klimawandel schreitet schneller voran als befürchtet. Noch stärker leiden unter der Hitze die arabischen Länder. Zugleich haben die Menschen dort eigene Techniken im Umgang mit den Extremtemperaturen entwickelt. Die Ausstellung "Hot Cities: Lessons from Arab Architecture" im Vitra Design Museum in Weil am Rhein widmet sich diesen Praktiken und fragt: Was können wir für unseren Städtebau lernen?


Ohrenschmaus


Lesetipps

Während in der Ukraine der Krieg tobt, scheint Afghanistan vom Westen vergessen. Das könnte sich noch rächen, erklärt der Taliban-Kenner Ahmad Massoud im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke.


Kurz vor dem Wahltermin in der Türkei sorgt der Gesundheitszustand von Amtsinhaber Erdoğan für heftige Spekulationen. Meine Kollegin Liesa Wölm hat den Experten Kristian Brakel gefragt, was dahintersteckt.


Das Oberste Gericht im Iran hat das Todesurteil gegen den Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd bestätigt. Gegenüber meinen Kolleginnen Marianne Max und Charlotta Sieve macht seine Tochter die Bundesregierung dafür mitverantwortlich.


Er trifft und trifft und trifft: So wie Erling Haaland hat in der englischen Premier League noch kein anderer Stürmer aufgetrumpft. Die Rekorde purzeln im Wochenrhythmus, sogar Ronaldos Bestmarke wackelt. Mein Kollege Alexander Kohne analysiert die Torjagd des Ausnahmetalents.


Zum Schluss

Dit is Berlin!

Da hilft wohl nur noch: Locker bleiben!

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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