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Oktoberfest: Gewalt auf Wiesn eskaliert – Reporter erlebt es hautnah


Ermittlungen eingeleitet
Gewalt auf Wiesn eskaliert – Reporter sieht alles


Aktualisiert am 05.10.2024 - 16:14 UhrLesedauer: 5 Min.
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Das Schützenzelt auf dem Münchner Oktoberfest: Der Vorfall ereignete sich am Ausgang des Biergartens vorne links an der Ecke.Vergrößern des Bildes
Das Schützenzelt auf dem Münchner Oktoberfest: Am Biergarten kam es zu einem gewalttätigen Vorfall. (Quelle: Alexander Pohl/imago-images-bilder)

Auf dem weltweit größten Volksfest kommt es immer wieder zu Gewalt. Die Vorwürfe gegen das Sicherheitspersonal häufen sich. Ein t-online-Reporter erlebte einen Fall hautnah.

Einer Schwangeren in den Bauch getreten, einem Mann das Bein gebrochen oder einen Besucher in einer dunklen Ecke verprügelt: Zum Ende der Wiesn häufen sich die Vorwürfe gegen das Sicherheitspersonal auf dem Oktoberfest. Ein Fall ereignete sich direkt vor den Augen eines t-online-Reporters. Mehr zu den anderen Fällen lesen Sie hier und hier.

Ein Sicherheitsmann trat dabei zwei betrunkenen, aber friedlichen Gästen in den Rücken und nahm kurz darauf eine Person in einen Unterarmwürgegriff. Der Vorfall ereignete sich am vorletzten Wiesn-Freitag (27. September) an einem der großen Festzelte.

"Ist mir scheißegal, raus"

Das Bierzelt begann sich langsam zu leeren, zwei offenbar betrunkene Männer torkelten in Richtung des Ausgangs, dem Sicherheitsmann an der Tür waren die beiden jedoch zu langsam. Er öffnete die Tür und trat den beiden ohne Vorwarnung in den Rücken, sodass die beiden aus dem Zelt stolperten. Und das, obwohl durch die beiden Betrunkenen zu diesem Zeitpunkt keinerlei Beeinträchtigung für Dritte entstand.

Ein Mann namens Lennard Müller*, der das Ganze beobachtete, fragte den Ordner, ob er seine letzten Schlücke Bier noch an einem der leeren Biertische austrinken könne, um nicht im Weg zu stehen. Der Sicherheitsmann der Firma Security Event Management Support reagierte aggressiv auf die Frage, packte den Mann am Arm. Er schrie: "Raus!" Dann begann er, ihn durch die Tür zu zerren.

Der Mann monierte, dass er immerhin viel Geld für das Bier gezahlt habe und fragte, warum der Mann grundlos so aggressiv sei. "Ist mir scheißegal, raus", lautete die Antwort. Herr Müller stellte daraufhin sein Glas auf einem Tisch ab und sagte, dass er Journalist sei und sich vorbehalte, über den Vorfall zu berichten. Zudem werde er den Ordner fotografieren, um ihn wegen der Tritte gegen die anderen Gäste anzuzeigen. Er sagte: "Man tritt nicht jemandem in den Rücken und kommt damit davon." Anschließend warf ihn der Ordner aus dem Zelt.

Ordner stürzt auf Mann

Draußen, vor der geschlossenen Zelttür, zückte Müller dann wie angekündigt sein Handy und fotografierte den Sicherheitsmann. Dieser stürzte sich daraufhin auf den Besucher, entriss ihm das Handy und nahm in einen Unterarmwürgegriff. Die Technik findet auch in verschiedenen Bereichen des Kampfsports Anwendung, wie Ju-Jutsu oder MMA. In den USA wird die Technik auch von der Polizei angewendet, wobei es pro Jahr zu mehreren Todesfällen kommt, wie es auf einer Kampfsportwebseite heißt.

In diesem Würgegriff zog er Müller zurück ins Zelt. Dieser wehrte sich nicht, streckte die Hände mit offenen Handflächen von sich und redete augenscheinlich ruhig auf den Sicherheitsmann ein. Ein daneben stehender t-online-Reporter fragte daraufhin, was das gewaltsame Vorgehen solle. Eine Antwort bekam er nicht, dafür verwehrten ihm weitere Ordner den Zutritt zum Zelt. Der Reporter beobachtete die Szene daraufhin durch die Fenster des Biergartens, konnte aber nicht hören, was drinnen gesprochen wurde.

Drinnen hing der Mann weiter im Würgegriff des Ordners. Erst als ein Vorgesetzter des Schützenzelts hinzukam, bei dem es sich dem Anschein nach um den Pressebeauftragten handelte, ließ der Ordner Müller auf dessen Anweisung aus dem Würgegriff. Später gab er, erneut erst nach Anweisung seines Vorgesetzten, dem Wiesngänger sein Handy zurück.

Es gebe jeden Tag solche Situationen

Als Müller wieder herauskam, sagte er zu t-online, der Ordner habe ihn gedrängt, das Foto zu löschen, das er von diesem gemacht hatte. Der Gast gab an, der Forderung nachgekommen zu sein, um angesichts der körperlichen Bedrohung nicht erneut angegriffen zu werden.

Im Gespräch soll der Pressesprecher sich für das Verhalten entschuldigt haben, allerdings erst, nachdem der Besucher mit einer Anzeige gedroht habe. Weiter soll der Sprecher gesagt haben, es sei ganz normal, dass ein Mitarbeiter mal über die Stränge schlage, berichtete der Betroffene.

 
 
 
 
 
 
 

Auf eine mögliche Anzeige angesprochen, soll der Sprecher hämisch reagiert haben. Dem Besucher zufolge gab der Sprecher ihm zu verstehen, dass die Polizei ohnehin auf der Seite der Sicherheitsleute sei und Anzeigen gegen die Ordner nur selten ernst nehme. Es gebe jeden Tag solche Situationen wie diese, sie würden aber nie ein Problem für das Sicherheitspersonal werden, soll der Vorgesetzte zu Müller gesagt haben.

Nach der Situation ging Müller zur Polizeiwache auf der Wiesn, der t-online Reporter begleitete ihn.

Beamte versuchten, Widersprüche zu konstruieren

Die Aussage des Vorgesetzten im Schützenzelt schien sich zu bewahrheiten: Die beiden Polizisten am Schalter der Wiesnwache schienen den Gast von vornherein nicht ernst zu nehmen, als er ihnen von dem Vorfall berichtete. Weder zeichneten sie seine Aussagen auf, noch protokollierten sie seinen Namen oder andere Daten zur Person; sie fragten auch gar nicht erst danach.

Noch bevor Müller zu Ende erzählt hatte, hinterfragten die Beamten seine Aussagen. Sie versuchten Widersprüche in seinen Aussagen zu konstruieren, obwohl er den Sachverhalt nach Einschätzung des t-online-Reporters korrekt wiedergab. Für den Reporter entstand der Eindruck, dass sie den Mann abwimmeln wollten.

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Als der Besucher sich nicht in Widersprüche verwickeln ließ, fragten sie ihn, was er denn mit einer Anzeige gegen Unbekannt überhaupt erreichen wolle. Wenn er unbedingt wolle, könne er warten, bis jemand Zeit für ihn habe. Dann werde jemand die Anzeige aufnehmen, allerdings habe eine Anzeige gegen Unbekannt keine Aussicht auf Erfolg.

"Glauben in den Rechtsstaat stark erschüttert"

Der Mann entgegnete, dass es für die Polizei doch leicht zu ermitteln sein müsse, welcher Ordner zu welcher Zeit an welcher Tür gearbeitet hat. Die Polizistin am Schalter antwortete nur: "Gegen Unbekannt!"

Müller verließ die Wache, ohne Anzeige erstattet zu haben, und die Beamten ließen ihn wortlos gehen. Im Nachgang sagte der Mann zu t-online: "Das Verhalten der Polizisten hat meinen Glauben in den Rechtsstaat stark erschüttert."

Polizei leitet Ermittlungen ein

Auf Anfrage von t-online antwortete Christian Drexler, Sprecher der Polizei München, dass der Fall bisher nicht bekannt sei. Infolge der Anfrage werde nun aber gegen den Ordner wegen des Verdachts der Körperverletzung ermittelt. Außerdem werde ein mögliches Fehlverhalten der Beamten auf der Wiesnwache geprüft. Sollten sich die beiden gar der Strafvereitelung verdächtig gemacht haben, würde die Staatsanwaltschaft ermitteln.

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Bezüglich der Behauptung der zwei Beamten, eine Anzeige gegen Unbekannt habe keine Aussicht auf Erfolg, sagte Drexler: "Es spielt keine Rolle, ob die Identität eines Verdächtigen bekannt ist oder nicht, es ist die Aufgabe der Polizei, ihn zu ermitteln." Zudem gebe es Faktoren, die Ermittlungen auf der Wiesn erleichtern: Alle Sicherheitsmitarbeiter seien registriert und in Dienstpläne eingetragen. Weiterhin seien die Zelte videoüberwacht.

Der Sicherheitsdienst äußerte sich auf Anfrage von t-online nicht zu dem Vorfall. Die Leitung des Schützenzelts teilte mit, dass ihr der Vorfall unbekannt sei, sie ihn aber gemeinsam mit dem Sicherheitsdienst prüfen werde.

*Name geändert, Klarname ist der Redaktion bekannt

Verwendete Quellen
  • Anfrage an die Polizei München
  • Anfrage an das Schützenzelt
  • Anfrage an die Sicherheitsfirma
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