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Kriminalitätsstatistik: Wie aussagekräftig sind die Zahlen?


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Polizeiliche Kriminalstatistik: Wie aussagekräftig sind die Zahlen?


Aktualisiert am 09.04.2024Lesedauer: 4 Min.
Polizistin im Einsatz (Symbolbild): Jedes Jahr wird die Polizeiliche Kriminalstatistik vorgestellt.Vergrößern des Bildes
Polizistin im Einsatz (Symbolbild): Jedes Jahr wird die Polizeiliche Kriminalstatistik vorgestellt. (Quelle: Noah Wedel/imago-images-bilder)

Wie gefährlich oder sicher lebt es sich in Deutschland? Seit 1953 gibt es die "Polizeiliche Kriminalstatistik" als Indikator. Doch die Verlässlichkeit der erhobenen Zahlen ist unterschiedlich hoch.

Viele Menschen in Deutschland interessiert die Sicherheitslage im Land. Nehmen Straftaten ab oder zu? Welche Tätergruppen fallen auf? Und welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Zahlen erscheinen vielen als eine solide Grundlage, doch auch diese müssen erst erhoben und analysiert werden. Eine Möglichkeit ist wissenschaftliche Forschung, doch die braucht auch entsprechende finanzielle Mittel, Mitarbeiter und Zeit.

Deshalb werden auch schneller verfügbare Zahlen aus der Praxis für die Einschätzung verwendet. Seit 1953 gibt es etwa die "Polizeiliche Kriminalstatistik", die das Bundesinnenministerium und das Bundeskriminalamt am Dienstag wieder vorstellen.

Die wichtigsten Informationen dazu im Überblick:

Wie entsteht die "Polizeiliche Kriminalstatistik" (PKS)?

Die Daten werden direkt von den Ermittlungsbeamten der Polizei entweder durch ein Datenblatt oder elektronisch an die Landeskriminalämter gemeldet. Die Landeskriminalämter werten die Meldungen als Tabellen aus. Diese Tabellen führt das Bundeskriminalamt zusammen und veröffentlicht daraus die bundesweite "Polizeiliche Kriminalstatistik" – kurz PKS.

Was liefert die "Polizeiliche Kriminalstatistik" (PKS)?

Die PKS liefert Zahlen über Straftaten, die die Polizei bearbeitet hat. Dazu gehören Daten über Tathergänge, Tatumstände, Tatverdächtige, Opfer und Schäden. Die Fälle werden erfasst, nachdem die Polizei ihre Ermittlungen beendet hat, aber bevor die Akten an die Staatsanwaltschaften übergeben werden.

Nicht erfasst wird also, wie die Fälle im Gericht verhandelt werden, welche weiteren Aspekte und Motivationen sich in Prozessen ergeben und ob die Tatverdächtigen tatsächlich verurteilt werden. Diese Daten werden auch nach Beendigung der Prozesse offiziell nicht miteinbezogen. Das heißt, die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik sind die einzig verfügbaren aktuellen Daten. Das macht sie so beliebt, aber auch schwer vergleichbar.

Wo liefert die PKS verlässliche Zahlen?

Relativ verlässlich ist die PKS bei den Fallzahlen, den Opferzahlen, den Tathergängen und den Schäden. Allerdings ist auch hier zu bedenken, dass nur die Fälle aufgeführt werden können, die bei der Polizei angezeigt werden – das sogenannte Hellfeld. Zu vielen Themenfeldern, etwa im Bereich rassistischer oder sexueller Gewalt, gibt es auch ein Dunkelfeld von Taten. Diese werden nicht bei der Polizei angezeigt und können dementsprechend auch nicht erfasst werden.

Die PKS kann also keine zuverlässigen Aussagen machen, wie viele Straftaten es in Deutschland gab. Sie gibt lediglich Aufschluss darüber, wie viele davon angezeigt wurden. Ob ein Anstieg der Zahlen immer auch ein Indikator für einen Anstieg der jeweiligen Straftaten ist, bleibt also fraglich. Ein Anstieg könnte auch bedeuten, dass Menschen lediglich mehr Fälle angezeigt haben. Die Interpretation ist deshalb nicht eindeutig möglich.

Was liefert die "Polizeiliche Kriminalstatistik" (PKS) nicht?

Die Frage der Tatmotivation wird zwar von der Polizei eingeschätzt, aber oft erst vor Gericht abschließend geklärt. Auch die Frage, ob ein Tatverdächtiger denn auch der Tat überführt werden kann, klärt erst das Gericht. Relevant wird dies etwa für Aussagen zur Nationalität von Tatverdächtigen. Die PKS gibt nur Auskunft über Tatverdächtige – nicht über Täter. Wenn es also besonders hohe Zahlen von Tatverdächtigen ohne deutschen Pass gibt, kann dies bedeuten, dass es viele nicht-deutsche Straftäter in Deutschland gibt – oder dass viele Nicht-Deutsche verdächtigt worden sind, Straftäter zu sein.

Deutsche mit Migrationsgeschichte und deutschem Pass werden in der Statistik gar nicht gesondert erfasst. Straffällige Touristen oder für Verbrechen einreisende Banden fallen dagegen unter die sogenannte "Ausländerkriminalität". Dieser Begriff sagt also nichts darüber aus, ob in Deutschland lebende Menschen mit Migrationsgeschichte mehr Straftaten begehen als Deutsche ohne Migrationsgeschichte. Deshalb sind Bezüge zur Zahl der in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationsgeschichte irreführend – es sind andere Zahlengrundlagen.

"Ausländerkriminalität" als Angstwort

Die "Ausländerkriminalität" als Begriff wird inzwischen vor allem als Angstwort verwendet. Denn wissenschaftlich belegt ist ein Zusammenhang zwischen Herkunft und Wahrscheinlichkeit der Straffälligkeit nicht. Allerdings ist belegt, dass Lebensverhältnisse wie Armut und Bildungszugang, Alter, Geschlecht und das Leben in größeren Städten Einfluss auf diese Wahrscheinlichkeit haben.

Der Kriminologe Tobias Singelnstein warnt etwa in der "Zeit": "Die Zahlen der PKS sagen kaum etwas über die tatsächliche Kriminalitätsentwicklung in Deutschland aus. Es ist bizarr, wie sie Jahr für Jahr in der öffentlichen Debatte überinterpretiert wird." Sie seien mehr ein Tätigkeitsbericht der Polizei.

Ebenso sieht es Professor Henning Müller, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Regensburg, im Interview mit "regensburg-digital.de": "Die Statistik zeigt vor allem die unterschiedliche Belastung der Polizei mit ihrer Aufgabe der Strafverfolgung." So sage etwa die Gesamtzahl der Delikte nichts darüber aus, wie viel "schlimmer" ein Jahr gegenüber dem anderen sei.

100 Taschendiebstähle in Jahr 1 würden wohl inhaltlich weniger gravierend bewertet als 90 Morde in Jahr 2, trotzdem würde nach der Interpretation der reinen Zahlenwerte die Lage im zweiten Jahr als besser angesehen, da es zehn Prozent weniger Delikte gegeben habe.

Gibt es Alternativen?

Die "Polizeiliche Kriminalstatistik" bietet die einzigen aktuellen Zahlen. Eine Alternative stellt nur langfristige Forschung dar, die aber themen- und fokusbezogen arbeitet. Deshalb werden die PKS-Zahlen trotzdem jedes Jahr betrachtet und politisch interpretiert.

Die offiziellen Zahlen für das zurückliegende Jahr 2023 werden am Dienstag von Bundesinnenministerin Nancy Faeser in Berlin vorgestellt und dabei aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden und des Innenministeriums kommentiert.

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