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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Davidsterne an Häusern Deutsche Behörden schweigen zur russischen Spur
Gesprühte Davidsterne in Paris lösen offenen Streit zwischen Frankreich und Russland aus. In Deutschland lassen sich die Sicherheitsbehörden nicht in die Karten schauen.
Deutsche Sicherheitskräfte hüllen sich in Schweigen, ob sie hinter an Hauswände und Türen gemalten und gesprühten Davidsternen möglicherweise eine russische Einflusskampagne vermuten. Die französische Staatsanwaltschaft hat entsprechende Hinweise nach vergleichbaren Sprayereien, der Fall hat inzwischen zu weiterem Ärger zwischen Frankreich und Russland geführt.
Frankreichs Behörden sehen eine klare Einbindung in russische Desinformationskampagnen und halten bei Beschuldigten weitere Aktionen auch im Ausland für plausibel. Sie haben ihre Erkenntnisse nach t-online-Informationen in den vergangenen Tagen an deutsche Stellen weitergegeben. In deutschen Sicherheitskreisen wird nach t-online-Informationen eine Verbindung nicht ausgeschlossen, es gibt aber offenbar bisher keine konkreten Anzeichen.
Vor allem aus Berlin und Dortmund hatten Fälle Schlagzeilen gemacht, es waren auch die ersten bekannt gewordenen Vorfälle in Deutschland. Jetzt sagt die Polizei Dortmund zumindest: Nachdem sich Berlins und Dortmunds Staatsschutz ausgetauscht hätten, hätten sich "Bezüge zu den Taten in Berlin (...) nicht ergeben".
Berlin erlebte Serie von Anti-Ukraine-Graffiti
In Dortmund waren spätestens am 12. Oktober nachmittags Sterne auf Häuser einer früheren Zechensiedlung gesprüht worden, am Nachmittag des 12. Oktobers wurde in Berlin ebenfalls gesprüht. Eine jüdische Bewohnerin des Prenzlauer Bergs entdeckte dort abends an ihrer Haustür einen Davidstern, das von ihr gemachte Foto schlug schnell Wellen. Die Polizei Berlin erklärte t-online nun: Um das laufende Ermittlungsverfahren nicht zu gefährden, würden keine Angaben zu den Erkenntnissen gemacht.
Der Berliner Staatsschutz sagt auch nichts dazu, ob ein Zusammenhang mit einer anderen Graffitiserie besteht oder geprüft wird: Über Wochen war an vielen Orten in Berlin der Schriftzug "Das ist nicht unser Krieg" aufgetaucht, der sich offenbar gegen deutsche Unterstützung für die Ukraine richtete.
Am Fall in Dortmund ist laut dortiger Polizei auffällig: "Von den hier angesprochenen Schmierereien sind anders als in anderen Städten nach derzeitigem Erkenntnisstand keine jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger betroffen." Offenkundig waren wahllos Häuser besprüht worden. Die Auswahl erfolgt anscheinend ähnlich beliebig wie Ende Oktober in Frankreich. Dort wurde bei den Farbarbeiten allerdings eine Schablone und blaue Farbe genutzt. Die französischen Behörden sind im Vorteil, weil sie Täter auf frischer Tat ertappen konnten, während in Deutschland noch keine Beschuldigten bekannt sind. In Paris wurde ein Paar aus Moldau festgenommen, das offenbar im Auftrag eines Geschäftsmanns in Chișinău gehandelt hatte.
Das hat inzwischen auch ihr Hintermann eingeräumt, der pro-russische Moldauer Anatolii P. Dem Sender BFMTV erklärte er, zwei Moldauern eine geringe Summe gezahlt zu haben. Frankreichs Behörden gehen von vier Beteiligten aus – dem festgenommenen Paar und einem weiteren Paar, das im selben Hotel untergebracht war und Frankreich bereits verlassen hat. Der Geschäftsmann – vor allem im Direktmarketing aktiv – gab im Sender an, auf Wunsch eines ungenannten Kunden den Auftrag vergeben zu haben. In der Vergangenheit war in Moldau gegen ihn als örtlichen Vertreter eines aus Russland gesteuerten Pyramidensystems ermittelt worden, bei dem einige wenige Teilnehmer Gewinn und viele Verluste machen.
Zu seiner aktuellen Aktion sagte er, sie sei zur Unterstützung der Juden erfolgt und das zusammen mit einer bisher nicht bekannten Organisation "Schild des David". Frankreichs Behörden glauben, dass Russland damit Unruhe in Frankreich stiften will. Das Außenministerium verurteilte in einer offiziellen Erklärung "entschieden die Beteiligung des russischen Netzwerks Recent Reliable News (RRN/Doppelgänger) an der künstlichen Verstärkung und Erstverbreitung von Fotos". Aufnahmen der Davidstern-Sprühereien seien von mehr als 1.000 Bots auf der in X umbenannten Plattform Twitter geteilt worden, die ersten am 30. Oktober abends.
Russlands Botschafter in Paris, Alexej Meschkow, zeigte sich "empört" über die Anschuldigungen. Sie zielten darauf ab, die ohnehin schwierigen Beziehungen weiter zu belasten. Er beklagte, dass die französischen Behörden weder vor noch nach der Veröffentlichung der Vorwürfe offizielle Anfragen an die russische Botschaft gerichtet hätten.
Auch Bots mit deutschem Text beteiligt
Die Bots werden zu dem russischen Desinformationsnetzwerk mit ständig neuen Fake-Accounts gerechnet, die Links zu gefälschten nachgemachten Seiten renommierter Medien verbreiten. Wegen dieser optisch professionellen Nachahmungen heißt das Netzwerk auch "Doppelgänger". Seit dem Frühjahr 2022 verbreitet es permanent Inhalte, die im Westen Stimmung gegen die Ukraine und westliche Regierungen machen sollen.
Die Social-Media-Konten, die Davidstern-Bilder gepostet hatten, hatten auch Links zu Webseiten aus dem Desinformationssumpf geteilt. Frankreichs Außenministerium fasste zusammen: "Diese neue Operation russischer digitaler Einmischung gegen Frankreich zeugt von der Beharrlichkeit einer (...) Strategie, die darauf abzielt, internationale Krisen auszunutzen, um Verwirrung zu stiften und Spannungen in der öffentlichen Debatte in Frankreich und Europa zu erzeugen."
KGB ließ in Köln Nazis Hakenkreuze sprühen
Sprayereien oder Malereien als Einflussaktionen sind kein neues Phänomen, wie der Politikwissenschaftler Thomas Rid in seinem Buch "Active Meaures" schreibt. So lösten an Heiligabend 1959 gemalte Hakenkreuze und "Juden raus"-Schmierereien an der kurz zuvor eröffneten neuen Synagoge in Köln weltweit Empörung, aber auch eine Welle ähnlicher Vorfälle aus. Der britische Geheimdienst veröffentlichte später einen abgefangenen Funkspruch aus Moskau an Ostberlin von Anfang Dezember, man könne leicht mit Nazigruppen den Klassenfeind diskreditieren. Narrativ war, dass Westdeutschland weiterhin von Nazis regiert werde. Als Täter des Kölner Angriffs wurden zwei Neonazis festgenommen, die 1959 zweimal nach Ostberlin gereist waren und Kontakt mit dem Personal eines sowjetischen Militärstützpunkts gehabt hatten.
Einige der Bots posteten auch mit deutschem Text Fotos der Davidsterne in Frankreich. Im Rahmen der Kampagne insgesamt war Deutschland der Schwerpunkt, was das Nachbauen von Seiten angeht. "Bild", "Süddeutsche", "Welt", "FAZ" und auch t-online waren unter anderem betroffen.
Aktuell werden weiterhin Fotos von Graffiti von Fake-Accounts verbreitet, auch mit Fotos aus Deutschland und vereinzelt mit deutschem Text. Ein seit Mittwoch verbreitetes Bild zeigt eine Mauer vor einer Hochhaussiedlung, auf die mit einer Schablone ein Ofen mit einem Davidstern darin gesprüht ist. Darüber steht "Ofen".
Als in Deutschland die ersten Davidsterne gesprüht wurden, noch vor denen in Frankreich, fiel kein auffälliger Bot-Einsatz auf. Das kann aber daran liegen, dass sich Bilder hierzulande auch ohne künstliche Verstärkung rasend schnell verbreitet hatten. Empörte Nutzer teilten das von der betroffenen Jüdin in Berlin am 13. Oktober aufgenommene Foto ihrer Haustür. Die Fälle landeten international in den Schlagzeilen: als Beleg, dass wie in der NS-Zeit wieder Wohnungen von Juden markiert würden.
Die Polizei Berlin hat im Zusammenhang mit angebrachten Davidsternen seit dem 7. Oktober 30 mögliche Straftaten aufgenommen. In Berlin gab es allerdings eine Reihe von Davidsternen, die auch als Zeichen der Solidarität verstanden werden könnten. So wurde etwa zum Zeitraum der Bemalung bei der Berliner Jüdin auch in der Nähe eine Baustellenabsperrung mit Davidsternen sowie dem Text "Glory to Israel" versehen.
Auftraggeber: Franzosen leicht zu erschrecken
"Im unmittelbaren Wohnumfeld angebrachte Markierungen können das eigene Sicherheitsgefühl grundlegend erschüttern", sagt Julia Kopp, Projektreferentin der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS Berlin). Aber: "Ein Davidstern ist zunächst kein antisemitisches Symbol, sondern ein jüdisches. Der Kontext ist bei der Bewertung wichtig."
Darauf beruft sich nun auch Sprayerei-Auftraggeber Anatolii P. aus Chișinău, der pro-russische Inhalte postet und Mitgründer einer pro-russischen Partei in Moldau war. Er will nach seiner Darstellung "schockiert" gewesen sein, dass nach der von seinen Mitarbeitern ausgelösten Davidstern-Flut "Politiker und Medien in Frankreich dies als antisemitischen Akt interpretierten". P. behauptet sogar: "Ich hätte nicht gedacht, dass ich die Franzosen mit diesen einfachen Symbolen erschrecken könnte." Die Hinterleute der Bot-Armee dachten das offenbar schon.
- Eigene Recherchen
- Anfragen an Verfassungsschutz, Polizei Dortmund, Polizei Berlin
- Thomas Rid, "Active Measures – The Secret History of Disinformation & Political Warfare"