"Racheakt an der Gesellschaft" Amokfahrt von Trier: 52-Jähriger zu lebenslanger Haft verurteilt
Im Dezember 2020 raste ein Amokfahrer durch die Trierer Innenstadt. Jetzt wurde der 52-Jährige zu lebenslanger Haft verurteilt.
Im Prozess um die tödliche Amokfahrt in Trier ist das Urteil gefallen: Der 52-jährige Angeklagte wurde vom Landgericht Trier zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Die Richter stellten zudem die besondere Schwere der Schuld fest und ordneten die Unterbringung des Mannes in einem geschlossenen psychiatrischen Krankenhaus an. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 52-Jährige am 1. Dezember 2020 mit seinem Geländewagen durch die Fußgängerzone raste, um möglichst viele Menschen zu töten oder zu verletzen.
Bei der Tat starben fünf Menschen: ein neun Wochen altes Baby, dessen Vater (45) und drei Frauen im Alter von 73, 52 und 25 Jahren. Zudem gab es zahlreiche Verletzte und 300 traumatisierte Augenzeugen. Die Staatsanwaltschaft warf dem Deutschen fünffachen Mord und versuchten Mord in 18 weiteren Fällen sowie schwere Körperverletzung vor. Ein sechstes Opfer, welches bei der Tat schwer verletzt worden war, starb im Oktober 2021.
Mit der Amokfahrt habe er "unvorstellbares Leid über eine Vielzahl von Familien" gebracht, sagte die Vorsitzende Richterin Petra Schmitz in ihrer Urteilsbegründung. Die begangenen Taten seien so schwer, dass eine Aussetzung des Vollzugs nach 15 Jahren auch bei günstiger Prognose nicht denkbar sei. "Er wird den Vollzug nicht mehr verlassen", sagte Oberstaatsanwalt Eric Samel nach dem Urteil.
"Gezielte Jagd auf unschuldige Passanten"
Der 52-Jährige habe sein Auto als Waffe eingesetzt, um "gezielt Jagd auf unschuldige Passanten" zu machen, hatte Samel in seinem Plädoyer gesagt. Ziel des Amokfahrers sei "maximale Zerstörung" gewesen. Die Opfer, gegen die er teils mit bis zu Tempo 75 gerast sei, hätten nicht "den Hauch einer Chance" gehabt.
Der Verurteilte, in Jeans und weißem Hemd bekleidet, nahm den Richterspruch äußerlich regungslos zur Kenntnis. Wie auch an den gut 40 Verhandlungstagen zuvor in dem ziemlich genau einjährigen Prozess saß der Deutsche schweigend hinter mobilen Panzerglasscheiben und machte sich gelegentlich Notizen.
Rechtsanwalt des Täters prüft Revision
Ein Großteil der Opferanwälte hatte ebenfalls eine lebenslange Freiheitsstrafe und die Unterbringung in der Psychiatrie gefordert. Die Verteidigung wollte den Angeklagten in einer psychiatrischen Klinik unterbringen, forderte aber keine lebenslange Haft und keine besondere Schwere der Schuld.
Rechtsanwalt Frank K. Peter sagte, die Verteidigung werde nun prüfen, ob sie Revision einlege. "Ich gehe davon aus, dass ja. Und zwar im Hinblick auf die zu diskutierende besondere Schwere der Schuld."
Richterin: Täter ist gemeingefährlich
Nach dem Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen leidet der Mann an einer paranoiden Schizophrenie mit bizarren Wahnvorstellungen und ist vermindert schuldfähig. Laut Verteidigung kann er sich an den Tatzeitraum nicht erinnern. Der gelernte Elektroinstallateur hat den ganzen Prozess über – hinter mobilem Panzerglas sitzend – zu den Vorwürfen geschwiegen. Laut Anklage war er zur Tatzeit alleinstehend, arbeitslos, ohne festen Wohnsitz und durch seine persönlichen Lebensumstände frustriert.
Laut Richterin Schmitz ist der 52-Jährige gemeingefährlich. Er sehe sich als Opfer eines "großangelegten Komplotts" des Staates gegen ihn, fühle sich verfolgt und beobachtet. So habe er sich früher alle Zähne ziehen lassen, weil er Überwachungssensoren darin wähnte. Oder für 500.000 Euro gekämpft, die ihm angeblich aus einer Versuchsreihe mit radioaktiven Substanzen zustünden.
In den vergangenen Jahren habe er einen Gesellschaftshass entwickelt, sagte Schmitz. "Er sucht die Schuld immer bei anderen." Die Amokfahrt sei für ihn ein "Racheakt an der Gesellschaft" gewesen, bei dem er Opfer willkürlich ausgesucht habe. Ziel sei es gewesen, möglichst viele Menschen zu töten oder zu verletzten.
Die Tat, bei der er das Auto als Waffe eingesetzt habe, sei heimtückisch gewesen: Er habe die Arg- und Wehrlosigkeit ausgenutzt und die meisten Opfer am Rücken erwischt. "Es war kein Entkommen möglich", sagte Schmitz. Und er habe die Amokfahrt geplant: Er hatte sie vorher bei Bekannten angekündigt.
Prozess als "Meilenstein"
Die Hinterbliebenen und Betroffenen seien erleichtert, dass der Prozess nach einem Jahr Dauer zu Ende gehe, sagte Bernd Steinmetz für die Stiftung Katastrophen-Nachsorge der Deutschen Presse-Agentur vor dem Urteil. "Es war schon eine Belastung jetzt über die lange Zeit." Die Opfer hofften nun auf ein Urteil, das ihrer Ansicht nach gerecht sei. "Viele hatten gesagt: 'Wir haben auf jeden Fall lebenslänglich.' Und wir erwarten, dass der Angeklagte nicht weniger hat.'"
Die schreckliche Tat werde immer Teil ihres Lebens bleiben, sagte Steinmetz weiter, der über die Stiftung in die Betreuung der Opfer und Hinterbliebenen eingebunden ist. Der Prozess sei "ein Meilenstein für die Verarbeitung" gewesen – aber die Aufarbeitung verlaufe individuell sehr verschieden. "Es gibt wirklich einige Opfer und Betroffene, wo man weiter wahrnehmen muss, dass nach mehr als einem Jahr Prozess die eigene Lebensperspektive noch infrage gestellt ist."
Dienst für die Opfer
Im Prozess seien etliche Familienangehörige als Nebenkläger dabei gewesen, auch wenn das "eine Riesenbelastung" gewesen sei. Sie hätten das auch als Dienst für die Opfer gesehen. Ende August sei ein Treffen der Stiftung angesetzt, da es nach dem Urteil sicherlich Redebedarf geben werde, sagte Steinmetz. Die Treffen seien offen. "Wir gehen davon aus, dass nach dem Prozess eine neue Phase beginnt."
In den gut 40 Verhandlungstagen seit dem 19. August 2021 sind Dutzende Zeugen gehört worden, die von traumatischen Erlebnissen erzählten. Viele hatten geschildert, wie der Mann gezielt auf seine Opfer zufuhr, Menschen traf, verletzte und tötete. Zudem berichteten sie, wie schwer das Erlebte sie bis heute belaste: Die Bilder kämen immer wieder zurück, sie erinnerten sich an die Schreie von damals.
Wenn das Urteil rechtskräftig wird, wird laut Staatsanwaltschaft zunächst die Maßregel der Unterbringung in der Psychiatrie vollstreckt. Sie gilt unbefristet. Sollte ein Sachverständiger irgendwann nach 5 oder 25 Jahren zum Ergebnis kommen, dass der Mann geheilt ist, schließe sich dann der normale Strafvollzug an.
Bei lebenslang werde nach 15 Jahren erstmals durch die Strafvollstreckungskammer geprüft, ob überhaupt eine Außervollzugsetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe vertretbar sei, erklärte Oberstaatsanwalt Samel. In den meisten Fällen sei dies jedoch nicht der Fall.
- Nachrichtenagentur dpa