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Gottschalks Ohrfeigen: Expertin zu Gewalt gegen Kinder


Nach Ohrfeigen-Kritik an Gottschalk
"Was bleibt, ist dieses Gefühl der Demütigung"

InterviewVon Simone Bischof

20.10.2024 - 09:00 UhrLesedauer: 4 Min.
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Thomas Gottschalk: Der Moderator steht aktuell in der Kritik.Vergrößern des Bildes
Thomas Gottschalk: Der Moderator steht aktuell in der Kritik. (Quelle: Horst Galuschka /imago-images-bilder)

Thomas Gottschalk schrieb vor Jahren, dass er früher seine Kinder mal geohrfeigt hat. Das hat nun erneut eine Debatte ausgelöst. Gewalt gegen Kinder sollte nicht verharmlost werden, warnt Martina Huxoll-von Ahn vom Kinderschutzbund.

Der Moderator Thomas Gottschalk wehrt sich gegen Vorwürfe, seine "Kinder misshandelt" zu haben. Er habe seine Söhne "nie mit Ohrfeigen erzogen". "Das war ein Reflex", sagte der 74-Jährige am Montag bei einer Lesung in Hamburg. Er sei "gegen jede Form von Gewalt".

Gottschalk ging damit auf Kritik ein, die in den vergangenen Tagen an ihm geübt worden war. Hintergrund waren Äußerungen in einem früheren Buch. Darin hatte er beschrieben, wie er seine beiden Söhne einmal geohrfeigt hatte. In den sozialen Medien waren diese Passagen nun anlässlich seines neuen Buches wieder aufgetaucht und lösten eine Debatte über Ohrfeigen als Erziehungsmethode aus. Mehr dazu lesen Sie hier.

Seit 2001 ist im Bürgerlichen Gesetzbuch das Recht von Kindern auf eine gewaltfreie Erziehung festgeschrieben. Warum ein vermeintlich "leichter Klaps" in der Erziehung trotzdem noch weitverbreitet und wie dieser zu bewerten ist, darüber hat t-online mit Martina Huxoll-von Ahn gesprochen, der stellvertretenden Geschäftsführerin des Kinderschutzbunds.

t-online: Frau Huxoll-von Ahn, ist ein Kindesmisshandler, wem einmal die Hand ausgerutscht ist und sein Kind geohrfeigt hat?

Martina Huxoll-von Ahn: Natürlich nicht. Körperliche Gewalt sollte eigentlich nie passieren – eine einmalige Ohrfeige kann in Stresssituationen aber leider vorkommen. Wichtig ist aber, dass dies nicht relativiert wird, sondern dass Eltern dann ihr Fehlverhalten reflektieren, damit es nicht wieder vorkommt. Außerdem sollten sich die Eltern bei ihrem Kind entschuldigen.

Wie schwerwiegend ist die einmal ausgerutschte Hand für ein Kind? Reicht eine Ohrfeige aus, um bei Kindern ein nachhaltiges Trauma auszulösen?

Körperliche Gewalt wie ein Klaps oder die eine Ohrfeige sind nie in Ordnung, auch wenn sie sicherlich nicht unmittelbar ein Trauma auslöst. Wiederholt sich Gewalt, sieht das ganz anders aus. Hier kommt es immer auf das individuelle Kind an, wie solche Erfahrungen verarbeitet werden.

Was macht es mit einem Kind, wenn es von seinen Eltern häufiger geohrfeigt wird oder andere Gewalt erfährt?

Es demütigt das Kind und gibt ihm das Gefühl, der Macht von Erwachsenen ausgeliefert zu sein. Oft bleibt das Gefühl, minderwertig zu sein. Kinder, die regelmäßig Gewalt erfahren, können schlechter Selbstvertrauen entwickeln und haben auch weniger Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Es hängt aber immer auch vom Einzelfall ab: von der körperlichen Verfassung, dem Charakter, aber auch dem Umfeld des Kindes. Generell bleibt jedoch die Erkenntnis, dass das Recht des Stärkeren gilt. Gewalt ist pädagogisch gesehen zudem Unsinn. Es zeigt Kindern nicht, wie man sich richtig verhalten soll. Im schlimmsten Fall wird Gewalt als Konfliktlösungsstrategie übernommen.

Und wie wirkt sich das auf die Beziehung zu den Eltern aus?

Kinder erwarten Schutz von ihren Eltern – durch eine Ohrfeige wird diese Bindung gebrochen. Es bleiben oft nicht die Schläge in Erinnerung, sondern die Demütigung.

Was hilft Kindern beim Umgang mit Gewalt?

Das Umfeld ist wichtig. In einer ansonsten wertschätzenden und liebevollen Familie kann das Kind einen Klaps besser verarbeiten. Auch die Personen in seinem weiteren Umfeld sind wichtig. Das kann die Lehrerin oder die Erzieherin in der Kita sein, aber auch die Oma. Wenn sie dem Kind auf eine unterstützende, liebevolle Weise begegnen, gibt das dem Kind eher wieder die Sicherheit zurück, die es braucht. Sie, aber auch Lehrer, sollten für Kinder als Ansprechpartner offen sein und signalisieren: "Du kannst jederzeit zu mir kommen – und zwar mit allem, was dich bewegt."

Ist seit der Einführung des Rechts auf eine gewaltfreie Erziehung 2001 ein gesellschaftlicher Wandel zu beobachten?

Auf jeden Fall. Die Großelterngeneration ist damit noch ganz anders umgegangen als die heutige Gesellschaft. Früher waren Ohrfeigen akzeptiert. Früher dachten die Leute, dass sie ein Kind ohne Schläge nicht groß bekommen.

Wie verbreitet ist Gewalt in der Erziehung dann heute noch?

Studien zeigen, dass seit 2001 die Gewalt gegen Kinder stark zurückgegangen ist. Allerdings stagnieren die Zahlen seit 2016.

Wie ist das zu erklären?

Das muss noch untersucht werden.

Martina Huxoll-von Ahn
Martina Huxoll-von Ahn (Quelle: DKSB, Bundesverband)

Zur Person

Martina Huxoll-von Ahn ist stellvertretende Geschäftsführerin und fachliche Leitung des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB). Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören Kinderschutz, alle Formen der Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, Prävention und Intervention sowie Präventions- und Schutzkonzepte, insbesondere im Hinblick auf sexualisierte Gewalt.

Hatte die Corona-Pandemie Auswirkungen?

Das ist schwer einzuschätzen, denn Gewalt in der Familie spielt sich meist hinter verschlossenen Türen ab. Es gibt aber Zahlen, die belegen, dass die Gewalt gegen Frauen während der Corona-Lockdowns deutlich zugenommen hat. Es wirkt sich auch auf Kinder aus, wenn sie Zeugen von partnerschaftlicher Elterngewalt werden. Am Ende wachsen sie in einem gewalttätigen Klima auf, das von Unsicherheit geprägt ist, denn sie wissen nicht, was im nächsten Moment passiert. Kinder machen sich dann auch häufig Sorgen um den bedrohten Elternteil.

Kommt Gewalt in der Erziehung in bestimmten Schichten häufiger vor?

Nein. Das kommt in allen Schichten vor.

"20 Jahre gewaltfreie Erziehung im BGB"

Die Studie zeigt, dass Gewalt in der Erziehung nicht erst bei einer Ohrfeige oder dem Klaps auf dem Po beginnt. Auch regelmäßiges Anschreien, Drohungen und Erniedrigungen gehören dazu, ebenso Verwahrlosung oder ständige Isolation. Über allem steht: Gewalt gegen Kinder findet dann statt, wenn ihre engsten Bezugspersonen ein existierendes Machtgefälle ausnutzen.

Und gibt es einen Unterschied zwischen Frauen und Männern?

Männer und ältere Menschen haben häufig eine größere Akzeptanz für körperliche Strafen als Frauen und jüngere Leute. Das Bewusstsein für psychische Gewalt ist zudem aber grundsätzlich schlecht ausgeprägt. Das gilt nicht nur für Familien, sondern auch für Institutionen wie Kindertagesstätten.

Welche Rolle spielt das gesellschaftliche Klima, das viele auch als aggressiver wahrnehmen?

In der Gesellschaft gibt es Verrohungstendenzen. Ob und was das in Zukunft in der Einstellung zur Gewalt gegen Kinder zur Folge hat, lässt sich jetzt noch nicht sagen. Die meisten Eltern wollen ihre Kinder gewaltfrei erziehen. Das Problem ist, dass sich der Alltag der Familien von diesem Ideal unterscheidet. Haben Eltern Stress, machen sie Dinge, die sie eigentlich nicht tun wollen. Dazu gehört leider auch die gelegentliche Ohrfeige. Das ist kein Ausdruck einer generellen Akzeptanz von Gewalt, sondern von Alltagsstress. Viele Eltern bereuen eine Ohrfeige im Affekt.

Wie könnte das vermieden werden?

Wenn Eltern merken, dass sie überfordert sind, sollten sie in sich gehen und überlegen, wie sie ruhig bleiben können, und sich gegebenenfalls auch Hilfe suchen. Verschiedene Institutionen bieten dabei Unterstützung an.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Martina Huxoll-von Ahn (17.10.2024)
  • unicef.de: Studie "20 Jahre gewaltfreie Erziehung im BGB"
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