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Friedrich Merz und die CDU: Sie wissen nicht, wer sie sind


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MeinungVon Tim Kummert

Aktualisiert am 02.08.2022Lesedauer: 6 Min.
Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? CDU-Chef Merz beim Bundesverband der Deutschen Industrie.Vergrößern des Bildes
Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? CDU-Chef Merz beim Bundesverband der Deutschen Industrie. (Quelle: IMAGO / IPON)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

nutzen Sie die Fotoplattform Instagram für Ihre politische Bildung? Ich kann das nur empfehlen. Trotz aller Inszenierung bekommt man dort eine Vorstellung davon, was Politikern wichtig ist. Besonders deutlich zeigt sich das beim CDU-Chef Friedrich Merz.

Er postet manchmal Zitate (von sich selbst) in riesigen Lettern. Zur Krisenstrategie Deutschlands: "Keine Denkverbote!" Zur Energieversorgung: "Wir wollen alle Optionen offenhalten!" Präzise politische Ideen gibt es von Merz auf Instagram zwar nicht, dafür aber mal eine Attacke: "Olaf Scholz hält die Flughöhe nicht!" Zack.

Merz selbst hält die Flughöhe, besonders in diesen Tagen. Er jettet durch Europa, präsentiert sich als eine Art besserer Kanzler: Gipfeltreffen in Warschau, Krisensitzung in Litauen. Demonstration von Diplomatie. Und alles wird auf Instagram dokumentiert, die Bilder sollen stimmen.

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Einerseits die rhetorischen Allgemeinplätze ohne klare Vorschläge. Andererseits bunte Fotos, um Eindruck zu machen. Ein wenig zugespitzt kann man sagen: Zwischen diesen Polen zeigt sich der Schlamassel, in dem die CDU gerade steckt.

Manchmal heißt es, die Konservativen in Deutschland seien nicht mutig genug. Die Wahrheit ist schlimmer: Sie wissen nicht, wer sie sind. Und teilweise wissen sie noch nicht einmal, wer sie sein wollen.

Nun werden Sie vielleicht sagen: Aber wieso, die letzten Landtagswahlen liefen doch super für die CDU? Das stimmt, aber das lag auch an den Spitzenkandidaten in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Kaum wackelt der Spitzenkandidat (Grüße ins Saarland), wackelt auch die dortige Christdemokratie. Landtagswahlen funktionieren nach eigenen Gesetzen.

Sie könnten zudem einwenden: Aber die CDU liegt aktuell im Bund in den Umfragen vorn! Auch das stimmt, nur bedeuten gute Umfragewerte noch lange keinen guten Plan. Die CDU und ihr Parteichef leben eher von ihrem alten Image, dass sie ordentlich regieren können. Geht etwas in der Ampel schief, könnte man glauben: Lasst halt die Pragmatiker aus dem Konrad-Adenauer-Haus ran. Die haben doch auch die letzten 16 Jahre ganz anständig getüftelt. Und schon steigen die Werte wieder.

Wofür die Partei steht, ist dabei Nebensache. Oder können Sie drei inhaltliche Positionen der Union aufzählen, die sich nicht auch in der Ampelkoalition finden?

Bis 2024, so hat es Parteivize Carsten Linnemann angekündigt, soll das neue Grundsatzprogramm der Partei fertig sein. Man muss das ausschreiben: Zweitausendvierundzwanzig. In zweieinhalb Jahren will man wieder wissen, wer man ist. Das ist viel zu spät.

Die CDU ist natürlich nicht allein die Bastion der Konservativen in Deutschland. Aber sie spannt für diese Menschen das politische Zelt auf – zumindest in den letzten Jahrzehnten. Wie es um ihren inhaltlichen Zustand bestellt ist, ist deshalb wichtig für die Demokratie, für den Diskurs im Land. Jetzt wackelt dieses politische Zelt. Und der Wind bläst mit Karacho hindurch.

Natürlich hat Angela Merkel die Partei inhaltlich etwas ausgehöhlt, aber das Gejammer darüber bringt die Christdemokraten nicht weiter. Manchmal ist die Rede davon, dass man sich auf die drei Säulen der Partei besinnen wolle: den sozialen, den christlichen und den konservativen Aspekt.

Aber was heißt das konkret? Geht es darum, die Verteilung von Macht und Geld möglichst gut abzusichern, vor Veränderungen zu schützen? Geht es darum, pragmatische politische Lösungen zu finden, frei von Ideologie – egal in welchem Zusammenhang?

Welche Menschen mit welchem Lebensmodell und in welchen Lebenssituationen sind eigentlich die ersten Adressaten der eigenen Politik? Wie wichtig ist Familie, wie wird sie definiert? Welche Rolle spielt Tradition – und warum? All diese Fragen werden nicht beantwortet. Dröhnendes Schweigen.

Stattdessen wird bei der Union mit teilweise abenteuerlichen Ansätzen in der Politik herumgedoktert. In Nordrhein-Westfalen kommt beispielsweise eine grüne Ministerin im Kabinett des dortigen CDU-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst auf die Idee, Bürger sollen einander doch anonym denunzieren, wenn man bei anderen "queerfeindliche und rassistische Vorfälle" beobachte.

Das Problem: Auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze soll das möglich sein, dazu fordert die Landesregierung unter CDU-Führung explizit auf. Also Dinge zu melden, gegen die es gar kein Gesetz gibt. Was wird da eigentlich für ein Staatsverständnis unterstützt?

Im Präsidium der CDU diskutiert man neuerdings über ein Tempolimit (was die Grünen schon lange fordern). Und eine mögliche Frauenquote (was die Grünen ebenfalls schon lange fordern). Wenn das die Pfeiler eines neuen Konservatismus sein sollen, dürfte der politische Gegner keine unruhigen Nächte haben.

Das Problem ist, man muss es so sagen, auch der Chef: Noch im Januar hieß es, Merz könne das alles einrenken. Endlich wieder ein Profil für die CDU! (Und wenn es das Profil von vor drei Jahrzehnten ist? Was soll's, Hauptsache ordentlich kantig!) Nur will es Merz mit den Kanten aber nicht übertreiben, er möchte ja von einer breiten Masse gewählt werden können.

Das treibt ihn aber in ein Dilemma: Er, der Klartext-Rhetoriker, will modern auftreten – und kann es am Ende keinem Lager richtig recht machen. In einer Umfrage des "Spiegel" kommt Merz auf 39 Prozent Zustimmung. Einen Platz vor Nord-Stream-2-Verfechterin Manuela Schwesig. Vor Merz dagegen unter anderem: von der Leyen, Lindner, Lauterbach – und sogar Markus Söder.

Nun kann man sagen: "Na und? Dann war's das eben mit der CDU, das Land wird es schon verkraften. Die Grünen werden halt die neuen Konservativen und die SPD irgendwie auch." Das mag angesichts des aktuellen Regierungshandelns bei manchen Ministern sogar stimmen. Doch in den Parteien ist man noch lange nicht so weit. Ein Blick an die brodelnde Basis bei den Grünen in der Atomkraft-Debatte reicht, um das zu belegen. Und dass sich diejenigen, die Merz so bejubeln, plötzlich als Fans von Robert Habeck begreifen, darf bezweifelt werden.

Das konservative Zelt sollte zumindest wieder grob befestigt werden. Eine schwache CDU ist eine Lücke im politischen Diskurs. Nicht nur deshalb, weil dann ein Antreiber für die Ampel fehlt. Sondern vor allem, weil in solche politischen Lücken die Populisten besonders gern springen. Und die haben in der Regel nicht die besten Absichten für die Demokratie.


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Ich wünsche Ihnen einen sonnigen Tag. Morgen schreibt an dieser Stelle mein Kollege Bastian Brauns für Sie.

Ihr

Tim Kummert
Politischer Reporter im Hauptstadtbüro von t-online
Twitter: @TKummert

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Mit Material von dpa.

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