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Wladimir Putin: Angst vor "trojanischem Pferd in Europa" wächst


Eskalation im Kosovo?
"Putins trojanisches Pferd in Europa"


Aktualisiert am 02.08.2022Lesedauer: 5 Min.
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Der russische Präsident Putin (Archivbild): Er geht davon aus, dass sein Krieg gegen die Ukraine noch lange dauert.Vergrößern des Bildes
Der russische Präsident Putin: Mit einer "Entnafizierung" hatte Putin auch den Angriff auf die Ukraine gerechtfertigt. (Quelle: IMAGO/Mikhail Klimentyev)

Im überwiegend von Serben bevölkerten Norden des Kosovos ist es zu Protesten gekommen. Viele ziehen Vergleiche zur Situation der Ukraine – zu Recht?

Die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Serbien und dem Kosovo haben international Besorgnis hervorgerufen: Militante Aktivisten hatten am Sonntag im überwiegend von Serben bewohnten Norden des Kosovos die Straßen zu den Grenzübergängen Jarinje und Brnjak mit schweren Baumaschinen verbarrikadiert. Unbekannte hätten zudem Schüsse in Richtung kosovarischer Polizisten abgegeben, sagte die Polizei in Pristina, verletzt worden sei dabei niemand.

Unterstützung erhielten die Kosovo-Serben von der Führung in Belgrad. Die Atmosphäre sei "am Siedepunkt", sagte Serbiens Staatspräsident. Wenngleich er zu Zurückhaltung aufrief, hatte Aleksandar Vučić in einer Fernsehansprache am Sonntagvormittag – also noch vor Errichtung der Barrikaden – betont: "Es wird keine Kapitulation geben, und Serbien wird gewinnen, wenn sie es wagen, Serben zu verfolgen, Serben zu töten." Hinweise dafür, dass die kosovarischen Behörden ethnische Serben physisch attackieren wollten, lagen zu dem Zeitpunkt nicht vor.

Ein Mitglied der regierenden Serbischen Fortschrittspartei, Vladimir Djukanoviv, schrieb wenige Stunden vor den Grenzblockaden auf Twitter, dass Serbien wohl gezwungen sein werde, die "Entnazifizierung des Balkans" zu beginnen. Unter dem Vorwand der "Entnazifizierung" hatte der russische Präsident Wladimir Putin im Februar den Krieg gegen die Ukraine begonnen.

Serbien sieht den Kosovo als abtrünnige Provinz

Einige Politiker und Kommentatoren zogen angesichts der jüngsten Eskalation Parallelen zu Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine. Droht eine militärische Eskalation durch Serbien, das die Unabhängigkeit des Kosovos nach wie vor nicht anerkennt – aber als enger Partner Russlands gilt? Der Kosovo hatte sich 2008 für unabhängig von Serbien erklärt, 100 Staaten erkennen das Land inzwischen an. Doch die Regierung in Belgrad hält den Kosovo weiter für eine abtrünnige Provinz. Die serbische Bevölkerung im Norden des Kosovos ist dabei großteils loyal zur Regierung in Belgrad, von der sie großzügig finanziell unterstützt wird.

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Auch deshalb werden die Vergleiche zur Situation der Ukraine gezogen: Der ukrainische Abgeordnete Oleksiy Goncharenko schrieb, dass Serbien versuche, einen aggressiven Krieg anzufangen. "Genau nach Putins Methode", heißt es in einem seiner Beiträge auf Twitter. "Serbien ist Putins trojanisches Pferd in Europa." Auch die stellvertretende Premierministerin des Kosovos, Donika Gërvalla-Schwarz, stellt die beiden Konflikte auf dieselbe Stufe. Auf Twitter schreibt sie: "Russland gegen die Ukraine, Serbien gegen den Kosovo. Das ist barbarisch, purer Faschismus."

Serbische "Schaukelpolitik"

Experten sehen allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass Serbien tatsächlich versuchen will, sich den Kosovo einzuverleiben. Sie rufen im Gegenteil dazu auf, solche Vergleiche zu unterlassen. Der Balkan-Experte vom Think-Tank Atlantic Council, Dimitar Bechev, schreibt auf Twitter: "Serbien ist nicht Russland, Kosovo ist nicht die Ukraine".

Bereits zu Beginn des Ukraine-Kriegs erläuterte Bechev das in einem Meinungsstück in der Fachzeitschrift "War on the rocks": Wenn man Vučić als "Putins Speichellecker" sehe, bereit auf dessen Befehl einen Krieg vom Zaun zu brechen, werde das Risiko überbetont, welches der Region tatsächlich drohe. Denn: Wenn es zu Serbiens Vorteil sei, sei Vučić zwar glücklich, mit Russland Geschäfte zu machen – doch wolle er es sich gleichzeitig nicht mit der Europäischen Union verscherzen.

Das wird gemeinhin als Serbiens "Schaukelpolitik" bezeichnet – das Balkanland verhandelt seit 2014 über einen Beitritt zur EU und will bei der nächsten Erweiterungsrunde berücksichtigt werden. Zugleich unterhält es freundschaftliche Beziehungen zu Russland, von dem Serbien relativ günstiges Gas erhält. Nach wie vor macht Serbien bei den EU-Sanktionen gegen Russland nicht mit.

Experte: "Das ist ein bilaterales Thema"

Auch der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung im Kosovo, Daniel Braun, warnt davor, die jüngste Eskalation vor Ort in einen Zusammenhang mit dem russischen Vorgehen in der Ukraine zu bringen. "Das ist ein bilaterales Thema", sagt er im Gespräch mit t-online, also eines zwischen Serbien und dem Kosovo. Die Öffentlichkeit dürfe nicht den Fehler machen, diesen Konflikt in einen größeren Zusammenhang zu stellen, den es gar nicht gebe.

Die Verordnung des kosovarischen Präsidenten Albin Kurti, die Auslöser für die Straßenblockaden war, "ist etwas, was Kurti schon im vergangenen Jahr angekündigt hat, und ist also nicht im Rahmen des Ukraine-Kriegs zu sehen", so Braun.

Diese Verordnung hätte am Montag in Kraft treten sollen, wurde nun aber auf Drängen des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell um einen Monat verschoben. Nach dieser neuen Regelung müssten sich Personen, die sich an der Grenze mit serbischen Personaldokumenten ausweisen, eine zusätzliche Bescheinigung der kosovarischen Grenzpolizei ausstellen lassen. Auch serbische Kfz-Kennzeichen sollten nicht mehr anerkannt werden.

"Der Kosovo versteht dies lediglich als Gegenmaßnahme", so der Experte von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Denn Serbien erkennt kosovarische Dokumente bereits seit mehreren Jahren nicht an. Kosovarische Staatsbürger erhalten bei der Einreise ein ähnliches Dokument, wie es der Kosovo nun für Reisende mit serbischen Dokumenten einführen wollte.

Außerdem gehe es dem Kosovo darum zu betonen, dass man auch über mehrheitlich von Serben bewohnte Gebiete Hoheitsrechte erlangen wolle. In den Orten, in denen es am Wochenende zu Protesten kam, habe der kosovarische Staat de facto keine Kontrolle, so Braun.

Der Kosovo aus dem Blick durch Krieg in der Ukraine?

Eine kleine Verbindung zum Ukraine-Krieg sieht der Experte aber doch: Im Kosovo existiere ein Gefühl der Frustration gegenüber der Europäischen Union und dem Westen, etwa durch die noch immer nicht gewährten Visa-Erleichterungen. Durch den Fokus auf den Krieg in der Ukraine sehe sich das Land zusätzlich aus dem Blickfeld verdrängt, so Braun.

Es sei also möglich, dass sich der Kosovo durch die Vergleiche mit dem Krieg wieder mehr in den Blick der EU rücken wolle – sodass der seit über zwanzig Jahren dauernde Schwebezustand endlich ende. "Viele Kosovaren glauben, dass man wieder mehr ins internationale Blickfeld rücken könne, wenn durch Eskalation der lokalen Situation die Aufmerksamkeit für die final ungelöste Lage zwischen dem Kosovo und Serbien steigt", sagt Braun.

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Fakt ist: Die Lage zwischen dem Kosovo und Serbien ist anhaltend von Spannungen geprägt – in den vergangenen Jahren habe es mehrmals ähnliche Straßenblockaden gegeben, schrieb etwa die Journalistin Una Hajdari auf Twitter. Diese führten jedoch nur selten zu bewaffneter Eskalation.

Auch die scharfen Worte, die von beiden Seiten zu hören sind, seien kein Anzeichen dafür, dass tatsächlich eine Eskalation drohe, sagen viele Experten. Sie überschritten auch in diesem Fall nicht das, was in der Auseinandersetzung zwischen den beiden Ländern bekannt sei. "Dieser Militarismuskult ist eine symbolische Strategie, die auf die Wähler abzielt, und nicht notwendigerweise ein Vorspiel zu einem Showdown", schrieb Experte Bechev bereits im März in seinem Beitrag.

Nato-Schutztruppe würde eingreifen

Ein weiterer wichtiger Faktor, der gegen eine militärische Eskalation spricht – und die Situation grundlegend von der Ukraine unterscheidet: Die Nato ist im Kosovo engagiert. Die von dem Verteidigungsbündnis geführte KFOR-Schutztruppe hatte am Sonntag deutlich gemacht, dass sie "eingreifen" würde, falls im Kosovo "die Stabilität aufs Spiel gesetzt wird". Serbien würde sich also mit Nato-Soldaten anlegen – ein sehr unwahrscheinliches Szenario, sind sich Experten einig.

Trotzdem solle der Westen die Lage vor Ort nicht abtun oder kleinreden, auch das betonen die Experten. Das ist auch die Linie von Bundesregierung und EU. "Das war eine sehr ernstzunehmende Zuspitzung der Lage gestern im Norden des Kosovos", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am Montag in Berlin in der Bundespressekonferenz.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bemüht sich laut Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner in Kontakten mit den Regierungschefs beider Länder darum, "dass der Konflikt deeskaliert wird und dass dort ein gutes Miteinander ermöglicht wird". Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) erklärte: "Es ist gut, dass die kosovarische Regierung jetzt zunächst besonnen reagiert hat und so zur Entspannung beiträgt." Die EU hat nach der erneuten Eskalation der Spannungen die beiden Konfliktparteien zu einem Krisentreffen eingeladen.

Verwendete Quellen
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