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Ampel-Koalition zerstritten: Jetzt bricht es überall weg


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Tagesanbruch
Jetzt bricht es überall weg

  • Johannes Bebermeier
MeinungVon Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 18.07.2022Lesedauer: 5 Min.
Olaf Scholz: Seine Ampelregierung streitet vor sich hin. Und das in Zeiten der Krise.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz: Seine Ampelregierung streitet vor sich hin. Und das in Zeiten der Krise. (Quelle: Florian Gaertner/photothek.de/imago-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

ich muss Ihnen etwas gestehen: Als Reporter werde ich dafür bezahlt, die Irrungen und Wirrungen der Ampelkoalition zu beobachten. Doch in diesen Wochen komme selbst ich kaum noch mit beim Versuch, alle kleinen und großen Streitereien nachzuvollziehen.

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Bevor ich versuche zu erklären, weshalb das aus meiner Sicht nicht mehr nur das übliche Polittheater ist, sondern ziemlich gefährlich, habe ich uns deshalb ein kleines Best-of-Ampelzoff zusammengestellt. Alles aus den vergangenen drei Tagen. Und ohne Anspruch auf Vollständigkeit, das versteht sich von selbst.

Da war Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD, der sagte, er wolle Hartz IV neu berechnen, damit die Regelsätze deutlich steigen. Die Grünen jubelten, die FDP eher nicht so: Nichts da, hieß es, der Arbeitsminister solle sich mal schön an den Koalitionsvertrag halten.

Da war Gesundheitsminister Karl Lauterbach von der SPD, der auch jüngeren Deutschen empfahl, sich jetzt die vierte Corona-Impfung zu holen. Gute Idee? Lauterbach solle sich mal lieber um eine effiziente Pandemiebekämpfung kümmern, stichelte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai bei t-online.

Da war die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die ihren Bundeskanzler Olaf Scholz in einem Brandbrief dazu aufforderte, in einer "Nationalen Ukraine-Konferenz" endlich die Karten auf den Tisch zu legen. Die Bundesregierung müsse "noch mehr tun", um der Ukraine zu helfen.

Da war die Grünen-Chefin Ricarda Lang, die im Interview mit t-online dem Verkehrsminister Volker Wissing von der FDP ins Hausaufgabenheft schrieb, bei dessen Klimapolitik müsse aber "auf jeden Fall noch mehr kommen".

Da war der FDP-Bundestagsabgeordnete, der Ricarda Langs Forderung nach einem verstärkten Kündigungsschutz für Mieter so kommentierte: "Wie man angesichts dieser wöchentlich taktisch platzierten Schwachsinnsforderungen der Grünen ernsthaft noch von der FDP als Störenfried in der Ampel reden kann, ist mir ein Rätsel." Sein Parteifreund und Justizminister Marco Buschmann drückte das anschließend gewählter aus, findet solche Moratorien aber auch unsinnig.

Und da war natürlich einmal mehr die Atomkraftdebatte, deren Laufzeit jedenfalls schon bis auf unbestimmte Zeit verlängert ist. Er "rate dringend dazu", die Atomkraftwerke befristet weiterlaufen zu lassen, sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr. Und schrieb mit seinen Länderkollegen sogar eine gemeinsame Erklärung.

Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck warf ihm und allen anderen Befürwortern mangelnde Objektivität vor. Parteichefin Ricarda Lang witterte gar eine strategische Debatte, "um das Blamegame für den Herbst und Winter vorzubereiten". Dann werde es heißen: "Ihr seid schuld, dass die Energie nicht reicht." Wohlgemerkt: Nicht nur der Union warf sie das vor, sondern auch dem eigenen Koalitionspartner FDP.

Und wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, nach so viel Gift und Galle jetzt erst einmal einen großen Schluck Kaffee brauchen, dann kann ich das gut verstehen. Klar, in der Politik geht es oft ruppig zu, zwischen dem Streit um Inhalte und dem Streit als Inhalt sind die Grenzen manchmal fließend.

Für die Ampelkoalition aber sind diese Tage des Zoffs besonders gefährlich. Das liegt natürlich auch am Offensichtlichen: Sie ist mit dem russischen Krieg in der Ukraine, der Inflation inklusive drohender Wirtschaftskrise, der Corona-Pandemie und der Klimakrise so sehr gefordert wie kaum eine Bundesregierung vor ihr. Streit frisst Nerven, die sie eigentlich für ihre Problemberge brauchen.

Doch vor allem lässt der Streit das Fundament der Ampel langsam wegbröckeln. Denn dass die Koalition nicht auf gemeinsamen Inhalten gebaut ist, das war allen Beteiligten nach der Bundestagswahl schnell klar. Zu verschieden sind die politischen Vorstellungen von SPD, Grünen und FDP. Das Versprechen der Ampel an die Deutschen und an sich selbst lautete deshalb: Wir wissen das, aber wir haben einen umfassenden Koalitionsvertrag geschrieben – und genug Vertrauen aufgebaut, um auch schwierige Situationen zu überstehen.

Klingt gut, hätte vielleicht sogar funktionieren können. Aber dummerweise kam die Wirklichkeit dazwischen.

Der Koalitionsvertrag ist spätestens mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine zu einem Dokument geworden, das die Ampel eher spaltet als eint. Er ist für eine alte Welt geschrieben worden, eine Welt vor der Zeitenwende. Zur neuen Welt hat er nur noch wenig zu sagen. Trotzdem berufen sich alle Seiten immer noch munter auf ihn, wenn es gerade opportun ist. Obwohl natürlich alle wissen, dass das Geld hinten und vorne nicht reicht, wenn man ihn jetzt noch wortwörtlich auslegt.

Beliebt ist deshalb, sich einfach auf den "Geist des Koalitionsvertrags" zu berufen. Also zu sagen: Dieses und jenes steht zwar nicht explizit drin, aber wir wollten die Welt doch gemeinsam besser machen, deshalb entspricht es dem Geschriebenen. Das ist recht bequem, weil man den Geist immer so spuken lassen kann, wie man sich das gerade wünscht. Aber Streit über die richtige Auslegung der quasi-heiligen Schrift ist so eben auch programmiert.

Das wäre vielleicht gar nicht so schlimm, wenn das zweite Versprechen der Ampel halten würde: das Vertrauen ineinander. Nur zehrt der ewige Streit mittlerweile auch daran immer stärker. Vor allem, weil es eben nicht nur um unterschiedliche Positionen geht, die man in der Öffentlichkeit ausficht, um sich zu profilieren. Um Streit fürs Schaufenster also.

Nein, es geht auch intern mittlerweile so zur Sache, dass sich einige Grüne fragen, wie eine professionelle Zusammenarbeit eigentlich noch funktionieren soll. Die Grünen machen besonders der FDP inzwischen recht unverhohlen den Vorwurf, schlicht unprofessionell zu arbeiten. Zuletzt war das so bei den Verhandlungen über das Energiepaket, in denen man sich nächtelang verhakt hatte. Die FDP soll dabei, so der Vorwurf, immer wieder eigentlich schon erzielte Kompromisse infrage gestellt haben.

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Mancher in der Ampel hofft jetzt, dass sich alle Beteiligten über die Sommerpause ein bisschen beruhigen. Ob das funktioniert? Das Best-of-Ampelzoff stimmt nicht gerade optimistisch. Nötig wäre es allerdings. Dringend nötig.


Termine des Tages

Deutschland und Ägypten richten ab heute in Berlin den Petersberger Klimadialog aus. Außenministerin Annalena Baerbock eröffnet mit Amtskollege Samih Shoukry. Dann reden Bundeskanzler Olaf Scholz und Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi. Ein Erfolg ist, wie immer beim Klima, überlebenswichtig.

Apropos Überleben: Schon ab 2024 sollen in Deutschland nur noch klimafreundliche Heizungen eingebaut werden dürfen. Heute stellen Wirtschaftsminister Robert Habeck und Bauministerin Klara Geywitz den Wärmewenden-Turbo vor. Mein Kollege Fabian Reinbold kennt die Pläne schon.

Die Außenminister der EU-Staaten sprechen in Brüssel. Das wichtigste Thema, Sie ahnen es: der russische Krieg gegen die Ukraine.

Auch die Landwirtschaftsminister der EU treffen sich in Brüssel zum Gipfel. Die Folgen des Krieges für den Agrarmarkt sind ein Thema. Der Dauerstreit über den Pestizideinsatz in der Landwirtschaft ein anderes.


Was lesen?

Der enge Kontakt zwischen Redakteuren und Lesern ist ein Markenzeichen von t-online. Beim Lesertag im Newsroom in Berlin konnten nun beide Seiten wertvolle Erfahrungen sammeln, wie mein Kollege Mario Thieme berichtet.


Russland behauptet, die Region Luhansk zu kontrollieren. Der Gouverneur widerspricht im Interview mit meiner Kollegin Margaryta Biriukova – und berichtet von katastrophalen Zuständen.


In Saudi-Arabien entzaubert sich Joe Biden selbst. Er hofiert den Kronprinzen, den er eigentlich ächten wollte. Ihm bleibt nichts anderes übrig, wie unser US-Korrespondent Bastian Brauns schreibt.


Russlands Krieg hat dem ukrainischen Fußball-Topklub Schachtjor Donezk fast alles genommen. Mit meinem Kollegen Dominik Sliskovic spricht der Sportdirektor über den Weg zurück in die Normalität und fehlende deutsche Hilfe.


Was amüsiert mich?

Morgen schreibt an dieser Stelle wieder unser Chefredakteur Florian Harms für Sie. Machen Sie es gut.

Ihr

Johannes Bebermeier
Politischer Reporter
Twitter: @jbebermeier

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Mit Material von dpa.

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