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Markus Söder zur Corona-Impfpflicht: Das ist eine Ungeheuerlichkeit


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Eine Ungeheuerlichkeit

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 12.02.2022Lesedauer: 4 Min.
Markus Söder wollte sich über geltendes Recht hinwegsetzen.Vergrößern des Bildes
Markus Söder wollte sich über geltendes Recht hinwegsetzen. (Quelle: Sven Hoppe/dpa)
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Drei Politiker stehen dieser Tage im Fokus der deutschen Politik. Ihre Nachnamen beginnen alle mit S, aber ihre Haltung könnte kaum unterschiedlicher sein. Da ist zunächst Olaf Scholz, der Kanzler. Er ist noch dabei, sich auf der Weltbühne zurechtzufinden. Sein Selbstvertrauen würde vermutlich reichen, um als US-Präsident, Papst und Batman zugleich zu amtieren, wenn er denn viel von Amerika und von Religion hielte. Fürs Erste muss die deutsche Regierungszentrale genügen, da gibt es genug zu tun. Der Wind bläst ihm ins Gesicht: Impfdebatte, Putin, einbrechende Umfragewerte, ein Spaß ist der Job nicht.

Doch Scholz bleibt cool. Sein Live-Interview im Fernsehsender CNN in Washington, bei dem er in geschliffenem Englisch heikle Fragen parierte, hat ihm Anerkennung verschafft. Mit Ausnahme des polyglotten Willy Brandt hätte das so wohl keiner seiner Vorgänger gekonnt. Doch nun muss er eine Herausforderung bewältigen, die das Leben von Millionen Menschen betrifft. Darum geht es in unserem heutigen Podcast mit Johannes Bebermeier und Sebastian Späth, den Moritz Bailly produziert hat. Hören Sie bitte:

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Zweitens ist da Markus Söder. Der Mann, der gern Kanzler geworden wäre, aber an Schäuble und Laschet scheiterte und deshalb in München bleiben musste. Corona hat ihn stark gemacht, aber Corona macht ihn auch wieder klein. Sein jüngstes Manöver zeigt: Söder hat ein taktisches Verhältnis zum Rechtsstaat. Bei der von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Impfpflicht in Kliniken und Pflegeheimen wolle er "großzügigste Übergangsregelungen" gelten lassen, was bedeute, dass es in Bayern "de facto zunächst einmal auf ein Aussetzen des Vollzugs hinausläuft", verkündete er.

Ein Ministerpräsident, der ein geltendes Gesetz ignoriert: Das ist eine Ungeheuerlichkeit – selbst wenn das Gesetz zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht nicht ohne Grund als schlampig kritisiert wird. Zu Recht brandete Söder ein Proteststurm entgegen, sogar die konservative "Frankfurter Allgemeine Zeitung", sonst nicht für Krittelei an CDU und CSU bekannt, stellte ihn in den Senkel. Zerknirscht ruderten seine Leute zurück. Wo kämen wir denn hin, wenn deutsche Amtsinhaber Gesetze nur noch nach Gutdünken anwenden? Viele Bürger dürften erleichtert sein, dass es dieser Mann nicht ins Kanzleramt geschafft hat.

Womit wir drittens bei Frank-Walter Steinmeier sind. Der saß früher im Kanzleramt, als er die Regierungszentrale für Gerhard Schröder managte. Mittlerweile sitzt er seit fünf Jahren im Schloss Bellevue; am Sonntag will er sich für eine zweite Amtszeit als Bundespräsident wiederwählen lassen. Das dürfte nicht nur deshalb glatt über die Bühne gehen, weil Steinmeier neben den Stimmen der Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP auch die Zustimmung von CDU und CSU hat. Er hat sich obendrein im höchsten Staatsamt bundesweit Respekt erworben: Fast 70 Prozent der Bevölkerung sind laut dem ARD-Deutschlandtrend zufrieden oder sogar sehr zufrieden mit seiner Arbeit.

Unter den restlichen 30 Prozent halten ihm manche Journalisten vor, er sei kein mitreißender Redner. Wer ihm wirklich zuhört, kommt zu einem anderen Urteil: Steinmeier hat in den vergangenen fünf Jahren wohl mehr bedeutende Reden gehalten als der Rest der deutschen Spitzenpolitiker zusammen – sei es zur Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit oder zu Corona. Seine Ansprachen im Ausland helfen Deutschlands Stellung in der Welt mehr als viele diplomatische Missionen – etwa die Rede zu Beginn seiner Amtszeit in Estland oder die Rede in einem Dorf in der Toskana, in dem SS-Soldaten ein Massaker verübten, für die er wochenlang Italienisch übte.

Dieser Bundespräsident weiß sich in einem historischen Kontext zu bewegen, und er verkörpert die Verlässlichkeit des deutschen Staates. Jüngst bat er den Bundestag, das Gesetz zur Wiederaufnahme von Mordverfahren erneut zu prüfen, weil er Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit hegt. Unvorstellbar, dass er so wurstig Gesetze ignoriert, wie Markus Söder es tut. "Der Bundespräsident soll eine Persönlichkeit sein, zu der die Bürger aufsehen können, die ihnen moralische Orientierung gibt", sagt der Staatsrechtler Knut Bergmann im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke. "Die Bundespräsidenten sind oftmals Seismografen für gesellschaftliche Veränderungen."

Als so ein Seismograf könnte der Bundespräsident zu Beginn seiner zweiten Amtszeit den Bürgern nicht nur den Weg aus der Pandemie weisen. Er könnte diese Zäsur auch für einen Appell nutzen. Deutschland muss sich in vielen Bereichen erneuern, um auch in Zukunft ein Land zu bleiben, in dem die Mehrheit zufrieden, sicher und im Einklang mit ihren Nachbarn und der Natur lebt. Dafür müssen alle über ihren Schatten springen.

Lassen wir also die ewige Bedenkenträgerei hinter uns. Hören wir doch auf mit dem dauernden Wenn und Aber. Versagen wir uns die Miesepetrigkeit. Den Neid auf das Glück anderer und das Herumgiften im Internet. Es liegt an uns, wie wir aus der Pandemie herauskommen: zermürbt oder zupackend, mutlos oder kraftvoll. Wir haben es in der Hand, in unserem schönen Land einen Aufbruch zu organisieren wie in den Fünfzigerjahren, als unsere Eltern und Großeltern das Fundament für unseren Wohlstand legten. Jetzt geht es darum, nicht nur zu reden, sondern zu machen. Eine gerechtere Gesellschaft und eine nachhaltige, florierende Wirtschaft: Das passt zusammen, wenn alle mithelfen.

Wir wollen ein Volk von Möglichmachern sein! Das könnte ein Satz sein, der ebenso ins kollektive Gedächtnis übergeht wie einst Roman Herzogs Ruck-Rede.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein dynamisches Wochenende. Passend dazu kommt der heutige Musiktipp von einer ausgesprochen kraftvollen Band. Am Montag schreibt Sven Böll den Tagesanbruch, von mir lesen Sie am Dienstag wieder.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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