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Wahl des Bundespräsidenten: "Steinmeier ist ein Risiko eingegangen"


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Wahl am Sonntag
"Der Bundespräsident sollte keinen parteipolitischen Streit anzetteln"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 12.02.2022Lesedauer: 7 Min.
Frank-Walter Steinmeier: Der Bundespräsident stellt sich zur Wiederwahl.Vergrößern des Bildes
Frank-Walter Steinmeier: Der Bundespräsident stellt sich zur Wiederwahl. (Quelle: Britta Pedersen/dpa)

Der alte Bundespräsident wird auch der neue sein. Doch was ist das Wichtigste in diesem Amt? Und wie unbequem darf das Staatsoberhaupt sein? Experte Knut Bergmann kennt die Antworten.

t-online: Herr Bergmann, am 13. Februar wird die Bundesversammlung Frank-Walter Steinmeier mit großer Wahrscheinlichkeit als Bundespräsidenten bestätigen. Welche Aufgaben hat das Staatsoberhaupt eigentlich?

Knut Bergmann: Das Schöne am Amt des Bundespräsidenten liege darin, dass man nur gelegentlich Beamte ernennen und Gesetze unterschreiben müsse – so hat es der frühere Bundespräsident Roman Herzog angeblich einmal gesagt. Ansonsten sei man ziemlich frei, was man als Bundespräsident so tue. Das war natürlich mit einem Augenzwinkern zu verstehen.

Das Grundgesetz räumt dem Staatsoberhaupt tatsächlich nur wenige Kompetenzen ein.

Der Bundespräsident sollte möglichst wenig Macht haben. Genau so haben es die vielen Väter und wenigen Mütter des Grundgesetzes 1949 beabsichtigt. Vor dem historischen Hintergrund der Weimarer Republik, in der der mit zahlreichen Kompetenzen ausgestattete Reichspräsident Paul von Hindenburg erheblich zum Untergang der ersten deutschen Demokratie beigetragen hat, ist das verständlich.

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Wie lässt sich die Bedeutung des Bundespräsidenten in wenigen Worten beschreiben?

Der Bundespräsident ist die personifizierte Staatsrepräsentation der Bundesrepublik Deutschland. Im Äußeren wie im Inneren. Staatsrepräsentation erscheint heute als ein etwas antiquierter Begriff, aber sie ist wichtig. Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, ist ein gutes Beispiel dafür.

Der Liberale wurde oft auch als "Papa Heuss" bezeichnet.

Genau. Der Bundespräsident soll eine Persönlichkeit sein, zu der die Bürger aufsehen können, die ihnen moralische Orientierung gibt. Wobei es Autoritäten qua Amt früher einfacher hatten als heute. Und das Staatsoberhaupt darf und soll auch bisweilen unbequeme Wahrheiten aussprechen.

Knut Bergmann, Jahrgang 1972, studierte Politische Wissenschaften, Psychologie und Öffentliches Recht, 2002 wurde er mit einer Gesamtdarstellung des Bundestagswahlkampfes 1998 promoviert. Anschließend war Bergmann unter anderem Grundsatzreferent im Bundespräsidialamt und Redenschreiber des Bundestagspräsidenten. Seit 2012 arbeitet der Politologe für das Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Zudem lehrt er Politikwissenschaft an der Universität Bonn. 2018 erschien Bergmanns Standardwerk "Mit Wein Staat machen. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland", 2021 folgte das Buch "Walter Scheel. Unerhörte Reden".

Warum einfacher?

Generell waren in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Autoritäten im weitesten Sinne unantastbarer – Professoren, Ärzte, Polizisten. Und bei Politikern ließ sich die öffentliche und private Person besser trennen. Theodor Heuss, spätabends mit Gästen beim Wein in der Villa Hammerschmidt zusammensitzend und von seinem persönlichen Referenten zum Aufbruch gedrängt, hat entgegnet: "Der Bundespräsident geht jetzt, aber der Heuss bleibt hocke." Diese Anekdote hat gewissermaßen einen staatsrechtlichen Kern.

Wie unbequem dürfen die Wahrheiten sein, die der Bundespräsident anspricht? Immerhin hat er eine staatstragende Rolle – und keineswegs die der politischen Opposition.

Der Bundespräsident sollte keinen parteipolitischen Streit anzetteln. Aber selbstverständlich kann und soll er Missstände und Fehlentwicklungen ansprechen, die er bemerkt. Beispielsweise Roman Herzog hat das 1997 in seiner berühmten Rede im Berliner "Hotel Adlon" getan. Sein Satz "Durch Deutschland muss ein Ruck gehen" ist ins rhetorische Gedächtnis der Republik eingegangen. Weniger erinnern sich die Menschen daran, dass Herzog nicht nur die Politik angesprochen hat, sondern auch an die Eigenverantwortung der Bürger appelliert hat.

Allerdings ist dieser "Ruck" nicht einmal bei den Politikern in der von Herzog gewünschten Form angekommen.

Weil er über so wenig tatsächliche Macht verfügt, muss der Bundespräsident über Symbolik wirken. Sein wichtigstes Instrument ist die politische Rede. Ob und wie sich seine Fragen, Hinweise oder auch Mahnungen in realer Politik niederschlagen, ist dann eine andere Sache. An der "Ruck-Rede" lässt sich aber hervorragend eine andere Eigenschaft des Bundespräsidenten ablesen.

Welche ist das?

Die Bundespräsidenten sind oftmals Seismografen für gesellschaftliche Veränderungen. Der "Ruck“ kam 2003 mit der "Agenda 2010". Andererseits testieren sie mit ihren Reden gesellschaftliche Entwicklungen: So dauerte es vom ersten Anwerbeabkommen für Gastarbeiter über 20 Jahre, bis diese Menschen Gegenstand einer Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten wurden. 1976 war das bei Walter Scheel – übrigens ein immer noch aktueller Text, wenn man über manche Begrifflichkeit, "Gastarbeiter" etwa, hinwegsieht.

Bis Christian Wulff dann 2010 feststellte, dass der "Islam zu Deutschland gehöre" war es dann noch einmal ein paar Jahrzehnte hin.

Bis gesellschaftliche Realitäten ihre symbolische Anerkennung durch den Bundespräsidenten erfahren, dauert es. Und Christian Wulff ist als Staatsoberhaupt bis heute vielen Muslimen in Deutschland für seine damaligen Worte in bester Erinnerung und wird hoch respektiert.

Wulff war beim Amtsantritt nicht nur der jüngste Bundespräsident, sondern mit seinem Rücktritt 2012 auch derjenige mit der kürzesten Amtszeit. Zuvor hatte sich bereits Horst Köhler vorzeitig aus dem Amt zurückgezogen. Wie wirkten sich diese Rücktritte auf das Ansehen des höchsten Staatsamtes aus?

Dem Amt des Bundespräsidenten konnte das nicht guttun. Insgesamt sind die moralischen Ansprüche der Menschen an Politiker höher geworden. Zudem gibt es mehr Transparenz als früher und die Medien sind kritischer. Bisweilen war ihr Umgang mit den Bundespräsidenten auch nicht immer fair.

Ob fair oder unfair, zwei Bundespräsidenten waren in direkter Folge zurückgetreten.

So bekam dann Joachim Gauck eine zweite Chance ...

… als erstes parteiloses Staatsoberhaupt in der Geschichte der Bundesrepublik.

Richtig. Gauck brachte die nötige moralische Autorität unter anderem aufgrund seiner früheren Position als erster Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen mit. Und er hat die Deutschen dann auch tatsächlich mit dem Amt des Bundespräsidenten versöhnen können.

Theodor Heuss war eine Art Vaterfigur für die Deutschen, Christian Wulff baute eine Brücke für die muslimischen Mitbürger. Was bleibt vom parteilosen Gauck?

2014 plädierte Gauck auf der Münchner Sicherheitskonferenz für ein stärkeres deutsches Selbstbewusstsein und forderte vor allem ein vermehrtes Engagement Deutschlands in der Außenpolitik. Aus heutiger Sicht war das beinahe prophetisch. Andererseits wussten viele in Berlin, dass seine Forderung berechtigt war. Um sie auszusprechen und damit Gehör zu finden, muss man aber dem politischen Tagesgeschäft etwas enthoben sein.

Was ist aber, wenn die Rede eines Bundespräsidenten "unerhört" bleibt von Bürgern und Politik? Sie haben etwa über Walter Scheel ein Buch mit Reden veröffentlicht, die zu wenig beachtet worden sind.

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Walter Scheel war ein ausgezeichneter Redner, politisch etwa durch das vorher ausgeübte Amt des Außenministers auch sehr erfahren. 1975 verwendete Scheel dann in einer Rede anlässlich des Endes des Zweiten Weltkriegs als erster Bundespräsident das Wort von der "Befreiung" vom Nationalsozialismus.

Und damit früher, als es Richard von Weizsäcker 1985 in seiner Rede tun sollte.

Scheels Rede ist nahezu vergessen, von Weizsäckers Rede ist hingegen im wahrsten Sinne des Wortes historisch geworden. Auf den richtigen Zeitpunkt ist selbst ein Bundespräsident angewiesen. Beide Reden hat übrigens derselbe Redenschreiber verfasst.

Kommen wir mit Frank-Walter Steinmeier auf den jetzigen Bundespräsidenten zu sprechen, der sich für eine zweite Amtszeit bewirbt. Vor nicht allzu langer Zeit hätte dem Sozialdemokraten niemand große Chancen eingeräumt, noch einmal fünf Jahre im Schloss Bellevue zu bleiben.

Das ist richtig, Frank-Walter Steinmeier ist ein Risiko eingegangen. Denn die Verkündung einer Kandidatur, die chancenlos bleibt, beinhaltet die Gefahr, dass die Person wie auch das Amt Kratzer bekommen könnten. Angesichts der Umfragen und der Perspektive, dass die Sozialdemokraten nach der Bundestagswahl 2021 aus der Regierung ausscheiden würden, war das schon überraschend.

Steinmeier hat es trotzdem gewagt. Warum?

Es ging nur in dem Moment. Bei besseren Aussichten für eine SPD-geführte Bundesregierung hätte sich das von Sozialdemokraten 2009 bei der zweiten Kandidatur von Gesine Schwan gegen Horst Köhler vertretene Argument, dass jetzt endlich die Zeit für eine Frau an der Staatspitze gekommen sei, gegen ihn gewendet. Insofern: politisches Gespür, insbesondere für sozialdemokratische Strategie.

Steinmeier hat also wie Olaf Scholz unerschütterlich an einen Wahlerfolg der Sozialdemokraten geglaubt.

Er muss einen solchen Ausgang der Bundestagswahl zumindest für möglich gehalten haben.

Um das Amt des Bundespräsidenten wird seit jeher von den Parteien gerungen. Wäre es für das Ansehen des Amtes besser, wenn eher parteilose Kandidaten nominiert würden, wie es mit Joachim Gauck der Fall gewesen ist?

Einerseits wäre es begrüßenswert, wenn das höchste Staatsamt politischen Streitigkeiten etwas entzogen wäre. Aber andererseits ist es genau das: ein politisches Amt. Und wenn ein Kandidat gewählt ist, hat seine Fürsorge allen Bürgerinnen und Bürgern zu gelten. Ob sie nun dem gleichen politischen Lager anhängen wie er selbst oder eben auch nicht.

Wie bewerten Sie denn Steinmeiers erste Amtszeit?

Die Umstände waren alles andere als einfach. Die Corona-Pandemie ist die Zeit der Exekutive, der Regierung. Dazu kommt, dass ein Bundespräsident vor allem durch öffentliche Reden und Auftritte wirkt – all dies wurde durch das Coronavirus zumindest stark erschwert. Allerdings hat Steinmeier ein weiteres seiner repräsentativen Instrumente sehr klug eingesetzt.

Welches meinen Sie?

Der Bundespräsident kann Menschen ehren, mit Orden oder auch Einladungen. Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an die Biontech-Gründer Özlem Türeci und Uğur Şahin für die Entwicklung des Corona-Impfstoffs ist ein Beispiel für eine gelungene staatsrepräsentative Geste. Genauso die Einladung an den in der Pandemie auf Twitter auch musikalisch aktiven Pianisten Igor Levit zu einem Livestream-Konzert aus Schloss Bellevue.

Nun zeigt insbesondere die Corona-Krise, dass die deutsche Gesellschaft gespalten ist – etwa in Impfbefürworter und -gegner. Von der Etablierung einer rechtspopulistischen Partei wie der AfD auf Bundesebene ganz zu schweigen.

Die Aufgabe des Bundespräsidenten besteht darin, seine "Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen". So steht es im Grundgesetz. Die Impfung gegen das Coronavirus zu verweigern, mag uns wenig vernünftig erscheinen. Aber das ist das gute Recht eines jeden Bürgers. Entsprechend hatte Bundespräsident Steinmeier zu einer Diskussion auch Impfkritiker eingeladen.

Wie angemessen ist die Einschränkung auf das "deutsche Volk" noch?

Die Aufgabe des Bundespräsidenten besteht darin, alle Menschen in Deutschland zu repräsentieren. Ob sie die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder hier "nur" längere Zeit leben.

Zwölf Männer hatten bislang das Amt des Bundespräsidenten inne: Wäre es nicht einmal an der Zeit für eine Frau?

1994 wäre es fast dazu gekommen. Die SPD war damals bereit gewesen, ihren Kandidaten Johannes Rau zugunsten der Liberalen Hildegard Hamm-Brücher zurückzuziehen. Aus machtpolitischen Gründen hat die FDP das nicht mitgemacht, sie wollte nicht den Koalitionsbruch mit der Union riskieren. Auch hier zeigt sich, wie mit dem Amt des Bundespräsidenten Politik gemacht wird, das Angebot der SPD war vergiftet.

Nun sind seit 1994 fast 30 Jahre ins Land gegangen. Wann besteht denn erneut Hoffnung, dass Deutschland ein weibliches Staatsoberhaupt bekommt?

Wenn ich wetten müsste, würde ich darauf setzen, dass der Nachfolger des jetzigen Bundespräsidenten eine Frau sein wird.

Herr Bergmann, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Knut Bergmann
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