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Olaf Scholz: Ukraine-Krise oder Corona – der Geheimcode des Kanzlers


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Tagesanbruch
Der Geheimcode des Kanzlers

MeinungVon Sven Böll

Aktualisiert am 14.02.2022Lesedauer: 9 Min.
Er hat mehr Humor, als die meisten vermuten: Olaf Scholz amüsiert sich ganz gern.Vergrößern des Bildes
Er hat mehr Humor, als die meisten vermuten: Olaf Scholz amüsiert sich ganz gern. (Quelle: imago images)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

als Kanzler werden einem immer und überall Fragen gestellt: Was sagen Sie dazu? Welchen Plan verfolgen Sie hierbei? Wieso geht es dort nicht voran?

Zu allem sprechfähig zu sein, ist nicht leicht. Wenn Angela Merkel auf einem Flug nach Irgendwo in mehr als zehn Kilometern Höhe mit Details aus den Niederungen der deutschen Politik konfrontiert wurde, konnte sie allerdings sofort erklären, warum etwas ihrer Meinung nach ist, wie es nun mal ist. Und ja, auch da ist Olaf Scholz ihr ähnlich. Er ist mit den Themen genauso vertraut wie seine Vorgängerin. Das wird er auch heute und morgen beweisen, wenn ihn seine Krisendiplomatie nach Kiew und Moskau führt.

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Als Berliner Journalist habe ich das Privileg, sogenannte Hintergrundgespräche mitzuerleben, in denen Politiker auch mal sagen, was sie wirklich denken. Eine Regel lautet aber, dass die Inhalte unter den Beteiligten bleiben. Was sich ganz allgemein sagen lässt: Auch Merkel war bei diesen Gelegenheiten offener als im Lichte der Öffentlichkeit. Und der Olaf Scholz, den Journalisten erleben, unterscheidet sich ebenfalls von jenem Herrn Bundeskanzler, den die Bürger zu Gesicht bekommen. Damit ist nicht gemeint, dass er auf Flügen gern Pullis trägt.

Merkel und Scholz wissen insgeheim eigentlich alles, sagen aber in der Öffentlichkeit fast nichts – das ist, wenn man so will, die eigentliche Kontinuität im Kanzleramt.

Sowohl Merkel als auch Scholz haben dafür gute Gründe. Denn in der politischen Kommunikation gibt es ein Problem: Die Bürger (und ja: auch die Journalisten) sehnen sich nach Politikern, die sagen, was sie denken. Oft aber kann ein Kanzler nicht offen reden, weil seine Worte drastische Folgen haben können. Dieser Text mag ein paar Menschen aufregen, andere vielleicht anregen, aber er wird weder Börsenkurse beeinflussen noch das Klima der internationalen Beziehungen verschlechtern. Bei einem klaren Kanzler-Wort kann das aber passieren.

Und selbst wenn es nicht um Krieg oder Frieden geht, wird ein Politiker seinen Klartext oft nicht mehr los. Der Satz, an den sich wohl die meisten bei Merkel erinnern? "Wir schaffen das." Drei einprägsame Worte für 16 Jahre Kanzlerschaft. Angesichts dieser Beschwörungsformel entstand bei vielen der Eindruck, die Kanzlerin unterschätze auf naive Weise die Probleme ihrer Flüchtlingspolitik des Herbstes 2015. Nur: Sie sagte den Satz am 31. August 2015, also bevor sie sich entschloss, die Grenzen nicht zu schließen.

Dieser zeitliche Kontext ging rasch verloren. Und der inhaltliche auch. Denn die Aussage war eigentlich banal: "Ich sage ganz einfach: Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das!" Was hätte sie sagen sollen? Etwa: Wir schaffen das nicht?

Wenn man die Kontrolle über deutliche Worte so leicht verliert, kann es eine schlaue Strategie sein, öffentlich möglichst wenig zu sagen, das hängen bleibt. So wie die Kanzlerin es meistens praktizierte. Scholz wirkt zuweilen allerdings, als wolle er die Methode Merkel auf die Spitze treiben. Wer ihm zuhört, könnte gelegentlich auf die Idee kommen, einer Aufführung von "50 Shades of Nichtssagen" beizuwohnen.

Wer versucht, diesen Kanzler-Geheimcode ein wenig zu entschlüsseln, entdeckt ein paar Regeln, nach denen Scholz kommuniziert. Was an der Volkshochschule Ihres Vertrauens unter "Schnellkurs Scholzisch" firmieren könnte, basiert auf Beobachtungen von Terminen der vergangenen Wochen, ist entsprechend vorläufig, aber zum Teil eben auch überraschend.

Die wichtigste Scholz-Regel lautet: Beherrschung. Selbst wenn er der Meinung ist, dass sein Gesprächspartner intellektuell zu ressourcenschonend unterwegs ist, selbst wenn er sich angesichts der Bedrohungen durch Wladimir Putin große Sorgen macht, selbst wenn er sich über den Aktionismus des Gesundheitsministers ärgert: Scholz zeigt es in der Regel nicht.

Vielmehr bemüht er sich um demonstrative Unaufgeregtheit. Er sitzt ruhig da, richtet sich nur ab und zu auf, bewegt hin und wieder die Hände. Die sachliche Kühle, die seine komplizierten Satzkonstruktionen ausstrahlen, und seine monotone Stimme überdecken zuweilen, dass da ein fast durchgehend verbindlich-freundlicher Mensch mit Empathie spricht. Politiker sind tendenziell aufs Senden ausgerichtet, viele sogar ausschließlich – und entsprechend schlecht im Zuhören. Doch Scholz streut auffällig oft "Wie Sie selbst gerade gesagt haben" in seine Antworten.

Allerdings heißt sein Zuhören nicht, dass er Fragen auch beantwortet. Scholz betrachtet sie häufig eher als Stichworte für allgemeine Erläuterungen ("Prüfungsentscheidungen sind Prüfungsentscheidungen, in denen sorgfältig die verschiedenen Fragen abgewogen werden.") oder als Ausgangspunkt für umfangreiche Erklärungen: "Vielleicht noch einmal ein kurzer Hinweis auf das, was wir unternehmen ..." (Es folgen 297 Wörter.)

Schon gar nicht lässt Scholz sich von Fragen beeindrucken, die sich knapp beantworten ließen.

Kommt ein Impfregister? "Es ist klar, dass wir Digitalisierung brauchen. Darüber, wie das konkret gemacht wird, wird jetzt mit vielen Expertinnen und Experten gesprochen."

Haben Sie Karl Lauterbach gegen die Kritik der Ministerpräsidenten verteidigt? "Es gab eine sehr solidarische Diskussion, in der sich alle vor allem nach vorne gerichtet unterhalten haben."

Warum sprechen Sie das Wort "Nord Stream 2" nicht aus? "Wir werden bei den Sanktionen komplett einvernehmlich agieren."

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Viel reden, wenig sagen – das ist auch anstrengend. Scholz weiß ja viel mehr, als er preisgeben will. Beim Konzentrieren aufs Nichtverplappern verliert selbst er sich zuweilen in seinen Satzkonstruktionen – und gerät ins Stocken: "Aber wir tun alles dafür, dass es diejenige ist, die (Pause), die (kurze Pause) weniger herausfordernde (Pause) Situationen mit sich bringt."

Immerhin gibt es sie, jene Momente, in denen er doch so etwas wie Scholz'schen Klartext spricht. Und das sogar in Sätzen, die nicht vor lauter Substantiven den Abschaltmodus beim Zuhörer aktivieren. Er nennt dann den Impffortschritt "nicht gut genug" und das Impftempo nicht das, "das notwendig wäre". Oder betitelt verfrühte Diskussionen über Corona-Lockerungen als "eigenwillig" und erklärt: "Deshalb ist das jetzt nicht der Moment, an dem man 'Na ja' sagt, sondern das ist der Moment, an dem man Kurs hält."

Noch deutlicher wird Scholz, wenn er ein wenig austeilen kann. Die kleinen Klatschen kommen ebenfalls recht leise daher, und beginnen gern mit einem harmlosen "im Übrigen". Fragt also jemand, was die Motive von Putin sind und es schießt womöglich "Was für eine blöde Frage!" durch Scholz' Kopf, sagt er: "Im Übrigen macht es aus meiner Sicht in der echten Politik nicht allzu viel Sinn, darüber zu spekulieren, was die Motive hinter den erklärten Zielen politischer Gesprächspartner sind."

Will eine Journalistin wissen, ob seine Regierung Estland erlauben werde, Waffen aus Beständen der DDR-Armee an die Ukraine zu verkaufen, macht Scholz auch eine spitze Bemerkung zur Medienbranche insgesamt: "Da waren einige dicht dran an einem Entscheidungsprozess, der noch nicht einmal begonnen hatte, und haben schon über ihn berichtet. Das ist natürlich interessant, vielleicht auch für die Selbstbeobachtung."

Ab und zu huscht dabei ein Grinsen über sein Gesicht, das als "schlumpfig" Schlagzeilen machte. Zugegeben: Ein rhetorischer Konfettiregen ist das alles nicht – und maximal so ausgelassen wie hanseatischer Karneval. Doch Scholz lässt damit immerhin durchblicken, dass er auch anders kann.

Und womöglich auch tatsächlich anders ist? Dafür gibt es durchaus öffentliche Hinweise. Etwa, dass er seit gestern ("Hallo, Twitter!") den ersten Kanzler-Account beim Kurznachrichtendienst hat. Oder bei seiner USA-Reise etwas machte, das ebenfalls ein Novum für deutsche Regierungschefs ist: Er sprach Englisch, wo Englisch gesprochen wird. Und das sogar in einem Interview mit CNN.

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Wer nicht längere Zeit im Ausland gelebt hat, verfügt bei einer Fremdsprache über einen geringeren Wortschatz, benutzt einfachere Sätze, sucht manchmal nach Worten, versucht diese Defizite durch eine ausgeprägtere Mimik und Gestik zu kompensieren. Da geht es einem Kanzler nicht anders als den Regierten.

Die Folge: Scholz sprach bei CNN viel klarer, weniger verschachtelt, mehr auf den Punkt – und war viel lebendiger.

In der Ukraine heißt es, Deutschland werde in Osteuropa zunehmend mehr als Partner Russlands als des Westens gesehen. Was sagen Sie dazu? "That's absolutely nonsense." (Das ist kompletter Unsinn.)

Der ukrainische Präsident ist so sauer, dass er Annalena Baerbock bei ihrem Besuch in Kiew nicht einmal empfangen will? "I do not know whether this is the truth. She is there. I sent her there." (Ich weiß nicht, ob das stimmt. Sie ist da. Ich habe sie dahin geschickt.)

Es gab Berichte, Großbritannien habe Deutschland nicht um Erlaubnis gefragt, den deutschen Luftraum für Waffenlieferungen an die Ukraine zu nutzen – aus Angst vor einer Absage. Würden Sie den Überflug verweigern? "Never. And all know (...) I don't know why they just used the Baltic Sea and not Germany for going with their airplanes." (Niemals. Und alle wissen das (...) Ich weiß nicht, warum sie über die Ostsee geflogen sind und nicht über Deutschland.)

Wenn der Kanzler Scholzish spricht, also die englische Version von Scholzisch, ist er besser zu verstehen als in seiner Muttersprache. Die Zeit für eine weitere Amtssprache in Deutschland scheint gekommen.

The Final Countdown?

Bereits am Mittwoch könnte es zu einem russischen Angriff auf die Ukraine kommen – dieses Szenario skizzierte der US-Geheimdienst CIA. Ob ein Krieg unmittelbar bevorsteht, weiß vielleicht nicht einmal Wladimir Putin. Und der Westen kann sich nicht sicher sein, ob am Ende wirklich nur der russische Präsident darüber entscheidet.

Klar ist allerdings, dass die Krisendiplomatie weitergeht. Olaf Scholz fliegt heute nach Kiew, wo er Präsident Wolodymyr Selenskyj trifft. Dann geht es zurück nach Berlin – und morgen wieder gen Osten, allerdings zu einer deutlich komplizierteren Reise. Ob er und Putin in Moskau eine halbwegs konstruktive Basis finden, wird sich zeigen. Wie sich eine Begegnung mit dem russischen Präsidenten anfühlt, zeigte der Besuch des französischen Präsidenten in der vergangenen Woche eindrücklich.

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Five more years

Der alte ist auch der neue Bundespräsident: Die Bundesversammlung wählte Frank-Walter Steinmeier mit mehr als 70 Prozent im ersten Wahlgang erneut zum Staatsoberhaupt. Anschließend hielt er eine bemerkenswert deutliche Rede: "Wer für die Demokratie streitet, der hat mich an seiner Seite. Wer sie angreift, wird mich als Gegner haben!"

Aber welchen weiteren Schwerpunkt soll Steinmeier in seiner zweiten Amtszeit setzen? Meine Kollegin Miriam Hollstein hat sich umgehört.

Wie unbequem darf ein Bundespräsident eigentlich sein? Die Antwort kennt mein Kollege Marc von Lüpke. Er hat Knut Bergmann interviewt, der früher im Präsidialamt arbeitete.

Und wer war nach Meinung der Bürger das bislang beste Staatsoberhaupt der Bundesrepublik? Das Ergebnis ist deutlich.


Let it snow! Let it snow! Let it snow!

Erst gab es nur Kunstschnee, dann wirbelte am Wochenende (echter) Schneefall den Zeitplan durcheinander. Doch das sind vermutlich nicht die größten Probleme dieser Olympischen Spiele.

Meine Kollegen vom Sport versorgen Sie natürlich auch heute bei den spannenden Entscheidungen mit allen wichtigen Informationen und Analysen. Bitte hier entlang.


And the winner is ...

Falls Sie für 6,5 Millionen Dollar noch eine Verwendung brauchen, hätte es in der vergangenen Nacht immerhin eine gegeben: Dafür hätten sie 30 Sekunden Werbezeit beim Super Bowl kaufen können. Aber es geht bei diesem Milliardenspektakel natürlich auch noch um Sport. In der Nacht spielten die Cincinnati Bengals gegen die Los Angeles Rams. Das Team aus Kalifornien ist erst das zweite, dem ein Triumph im heimischen Stadion gelang.


Hello again

So richtig glücklich, sorry: happy sind die meisten Zeitungsverleger mit ihrem Präsidenten nicht mehr. Bereits im vergangenen Jahr gab es Kritik an Mathias Döpfner, weil er Deutschland in einer Textnachricht als "neuen DDR-Obrigkeitsstaat" bezeichnet haben soll. Nun gibt es durch einen Bericht der "Financial Times" neue Vorwürfe: Unter Döpfners Führung soll der Springer-Verlag gegen Kritiker des früheren "Bild"-Chefs Julian Reichelt mit einer Art "Feindesliste" ermittelt haben.

Wenn sich die Delegierten des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) am Montag zu einer außerordentlichen Sitzung treffen, wird die Personalie des Präsidenten erneut Thema sein. Formal abwählen kann die Versammlung Döpfner zwar nicht, aber entsprechende Schritte einleiten.


Das historische Bild

Wie der unglückselige Kaiser Wilhelm II. begeisterte sich auch Adolf Hitler für gewaltige Kriegsschiffe. Dieses 1939 getaufte Schlachtschiff sollte später zum Grab für Tausende Matrosen werden. Welches es war, lesen Sie hier.


Was mich amüsiert

Ah Moment, da ist ja noch dieses andere Thema: Co-ro-na. Und weil Sie die Treffen vielleicht schon vermisst haben: Am Mittwoch ist endlich wieder Ministerpräsidentenkonferenz – oder wie wir inzwischen alle sagen: MPK.

So oder so: Bleiben Sie locker! Morgen schreibt den Tagesanbruch wieder Florian Harms für Sie.

Ihr

Sven Böll
Managing Editor t-online
Twitter: @SvenBoell

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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