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CDU und CSU müssen sich neu erfinden: Hält die Harmonie zwischen Merz und Söder wirklich?


Tagesanbruch
Am Tisch der Mächtigen

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 04.01.2022Lesedauer: 5 Min.
Das "Spiegel"-Haus in der Hamburger Hafencity ist ein publizistisches Machtsymbol.Vergrößern des Bildes
Das "Spiegel"-Haus in der Hamburger Hafencity ist ein publizistisches Machtsymbol. (Quelle: Florian Harms/leer)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

mit 75 Jahren darf man die Dinge gelassener betrachten. Man hat die Stürme der Jugend, die Mühsal der Mitteljahre und den Schritt in die Reife hinter sich und muss nicht mehr jedes Bohei mitmachen. Entspannt sitzt man in seinem Lieblingssessel und kommentiert das Geschehen mit der Würde des Erfahrenen. Zwicken die Knochen nicht zu sehr und bleibt die Lage überschaubar, kann das ein sehr schöner Zustand sein.

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Nicht nur Menschen können derart reifen, auch Unternehmen kommen so in die Jahre und natürlich auch Medien. So wie "Der Spiegel", der heute seinen 75. Geburtstag feiert. Damals, am 4. Januar 1947, hätte sich die vierköpfige Redaktion um ihren Gründer Rudolf Augstein wohl nicht ausmalen können, welche Erfolgsgeschichte dem Blatt bevorstehen würde. Das erste deutsche Nachrichtenmagazin machte schnell Schlagzeilen mit Neuigkeiten aus Politik, Gesellschaft und Kultur, vor allem aber mit einer neuen journalistischen Form: der erzählten Berichterstattung. Die Leser sollten das Gefühl haben, selbst am Tisch der Mächtigen zu sitzen und hautnah zu erfahren, wie Weltpolitik gemacht wurde (wobei die Redakteure pikante Details ausdrücklich nicht verschwiegen).

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Der sprachliche Stil des Blattes änderte sich mit den Jahrzehnten, die mitunter ausschweifenden Schilderungen der Zeitläufte wichen einem blumigen Sprachfeuerwerk, das sich in glänzenden Momenten so mitreißend las wie ein Krimi. In weniger gelungenen Momenten wirkte es eher wie eine Selbstverwirklichung unterbeschäftigter, aber umso eitlerer Journalisten. So erlebte der "Spiegel" viele Höhe- und manche Tiefpunkte, und die Leserschaft konnte dank der großzügig besetzten Dokumentationsabteilung fast immer davon ausgehen: Was im "Spiegel" steht, stimmt.

Dieses eherne Gesetz, auf das die Mitarbeiter berechtigterweise stolz sein konnten, hielt bis zum Relotius-Skandal vor drei Jahren. Da kam heraus, dass der umjubelte Reporter in dem Blatt jahrelang Lügengeschichten verbreitet hatte, ohne dass seine Ressortleiter, die Faktenprüfer oder die Chefredaktion eingeschritten waren. Der Fall hat dem Renommee des "Spiegel" geschadet, aber zerstört hat er es nicht. Der Grund dafür dürfte nicht allein in der transparenten Aufarbeitung des Skandals liegen – sondern auch in der Tatsache, dass das Medienhaus in Gestalt von "Spiegel Online" früh eine starke Digitalmannschaft aufgebaut hatte. Die wusste, wie riskant der Verlust von Glaubwürdigkeit in der sprunghaften Onlinenutzerschaft ist, und wie wichtig es ist, jeden Tag aufs Neue um die Gunst der Leser zu werben. Sich auf den eigenen Meriten oder gar dem Ruhm der Vergangenheit auszuruhen: Das ist Onlineredakteuren ebenso fremd wie eine ausgedruckte Korrekturfahne. Sie berichten nicht nur in Echtzeit über das Geschehen in Deutschland und der Welt, sie verarbeiten auch fortlaufend die Rückmeldungen auf ihre Arbeit. Sie verstehen Leser nicht bloß als Konsumenten, sondern als Partner. Darin war die Redaktion von "Spiegel Online", die nach jahrelangen Grabenkriegen Ende 2019 endlich den Printredakteuren gleichgestellt wurde, meistens ziemlich gut.

Dem digitalen Erfolg und dessen Machern verdankt der "Spiegel", dass er auch heute noch eine Zukunft hat, statt wie seine Rivalen "Stern" und "Focus" in die publizistische Bedeutungslosigkeit zu gleiten. Die Auflage des "Spiegel"-Heftes ist in den vergangenen gut 20 Jahren um mehr als ein Drittel gesunken, beträgt dank der digitalen Ausgabe aber immer noch rund 695.000 Exemplare. Zugleich hat die Fusion der Print- und der Onlineredaktion dazu geführt, dass sich die Website des "Spiegel" von einem Nachrichtenportal zu einem Internetmagazin entwickelt hat. So stehen auf spiegel.de heute weniger Nachrichten und deren schnelle Einordnung im Vordergrund als eher aufwendige Reportagen, Porträts und Rekonstruktionen, die mit einem digitalen Vorhängeschloss gesichert sind.

Ob das der richtige Weg in eine erfolgreiche Zukunft ist, dieser Beweis steht noch aus. Neue journalistische Konkurrenten und vor allem die amerikanischen Digitalkonzerne Google und Facebook fordern die traditionellen Medienhäuser heraus. Da muss man flexibel, schnell und schlagfertig bleiben – und permanent auf Augenhöhe mit den Lesern. Allzu gelassen kann man die Dinge also auch mit 75 Jahren nicht angehen. Trotzdem: Herzlichen Glückwunsch, liebe "Spiegel"-Leute!


Europa schaltet sich ein

Als der amerikanische und der russische Präsident im Dezember gleich zweimal zum Ukraine-Konflikt telefonierten, blieb die EU außen vor: Deren Außenbeauftragter Josep Borrell war bei den Gesprächen nicht erwünscht. Während diese Missachtung durch Wladimir Putin keine Überraschung darstellt (schließlich geht es ihm um die Zurschaustellung seines weltpolitischen Gewichts), mussten sich die Europäer von ihrem US-Verbündeten Joe Biden durchaus brüskiert fühlen. "Wir wollen und dürfen keine unbeteiligten Zuschauer sein, über deren Köpfe hinweg entschieden wird", klagte Herr Borrell. Heute versucht der spanische Sozialdemokrat, das Heft des Handelns zurückzugewinnen, und reist für zwei Tage in die Ukraine – wobei er auch die "Demarkationslinie" im Osten des Landes besuchen will.

Ob's was bringt? Die diplomatischen Bemühungen laufen jedenfalls weiter auf Hochtouren: Vertreter Russlands und der USA wollen sich am 9. und 10. Januar in Genf treffen, die Nato plant für den 12. Januar ein Palaver mit den Russen. Und am Tag danach will sich die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit dem Konflikt befassen. Allein schon die Betriebsamkeit angesichts seines Militäraufmarsches dürfte dem Taktiker im Kreml gut gefallen, wie Stefan Kornelius in der "Süddeutschen Zeitung" treffend erklärt.


Hoffnung in der Wirtschaft

Unsicherheit wegen Omikron, aber auch keimende Hoffnung: So lässt sich die Stimmungslage vor der heutigen Verkündung zweier wichtiger wirtschaftlicher Gradmesser zusammenfassen. Wenn die Bundesagentur für Arbeit ihre Dezember-Statistik für den deutschen Arbeitsmarkt vorlegt, dürfte sich der Erholungskurs der vergangenen Monate bestätigen und die Zahl der Erwerbslosen um mehrere Hunderttausend unter dem Stand des Vorjahres liegen. Mit einem Umsatzplus trotz Pandemie wird auch gerechnet, wenn das Statistische Bundesamt heute eine erste Schätzung veröffentlicht, wie sich die Einzelhandelserlöse in Deutschland 2021 entwickelt haben. Trotz zeitweiligen Lockdowns, Lieferengpässen in der Weltwirtschaft und eines Weihnachtsgeschäfts unter 2G-Auflagen geht die Branche von besseren Zahlen als im Vorjahr aus – vor allem dank des boomenden Onlinehandels. Das ist doch was.

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CDU und CSU müssen sich in der Opposition neu finden. Sie brauchen neue Ideen, neue Botschaften, neue Gesichter. All das zu organisieren, kann nur gelingen, wenn die beiden Parteispitzen ausnahmsweise miteinander statt gegeneinander arbeiten. In diesem Sinne darf man die fotografische Inszenierung verstehen, die Friedrich Merz und Markus Söder bei ihrem Spaziergang am winterlichen Kirchsee südlich von München darboten. Wie lange die Harmonie hält, darüber würde ich allerdings lieber keine Wette abschließen. Wie verstört die CDU in Wahrheit ist, zeigt dieser Kurzfilm der Kollegen vom ZDF.


Was lesen?

Welche Politiker werden wichtig im neuen Jahr? Unser Kolumnist Gerhard Spörl erklärt es Ihnen.


Die EU-Kommission will Erdgas und Atomkraft als nachhaltige Energieformen einstufen. Das grenzt an Wahnsinn, kommentiert meine Kollegin Theresa Crysmann.


Anders blickt der "Spiegel"-Kolumnist Nikolaus Blome auf das Thema: Was die Grünen beim Atomausstieg antreibe, sei nur noch Rechthaberei.


Flott sieht es aus, dieses Geschoss der Straße. Seinem Besitzer wurde der Geschwindigkeitsrausch allerdings zum Verhängnis, wie Sie auf unserem heutigen Historischen Bild lesen.


Was amüsiert mich?

Bei diesen ständig wechselnden Corona-Regeln kommt man ja durcheinander.

Ich wünsche Ihnen einen geordneten Tag. Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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