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Bundestagswahl 2021: Eine Sache des Vertrauens?


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Tagesanbruch
Am Montag gibt es ein Erwachen

  • Peter Schink
MeinungVon Peter Schink

Aktualisiert am 23.09.2021Lesedauer: 6 Min.
Die Kandidaten beim dritten und letzten Triell am vergangenen SonntagabendVergrößern des Bildes
Die Kandidaten beim dritten und letzten Triell am vergangenen Sonntagabend (Quelle: dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

Vertrauen ist ein starkes Wort. Wir vertrauen anderen Menschen, wir vertrauen auf uns selbst. Vertrauen schenkt man, Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit. Man vertraut auf Fähigkeiten, Handlungen und Aussagen. Zuvorderst aber ist Vertrauen ein Gefühl, das sich aufbaut, das aber auch zerstört werden kann.

Am Sonntag ist Bundestagswahl. Und wir alle sind aufgefordert, einer oder mehreren Parteien, Kandidatinnen und Kandidaten unser Vertrauen zu schenken. Wir wählen in der Erwartung, dass unser in die Gewählten gesetztes Vertrauen nicht enttäuscht wird.

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Schließlich sollen sie uns die nächsten vier Jahre vertreten. Eine lange Zeit. Da braucht es viel Vertrauen, um am Wahlsonntag guten Gewissens die Kreuze auf den Wahlzetteln machen zu können.

Die vergangenen Wochen und Monate haben die Parteien und ihre Kandidaten viel Zeit und Geld verwendet, um unser Vertrauen zu erlangen. Wahlprogramme wurden geschrieben, Sofortprogramme obendrauf gesetzt. Es gab drei Wahl-Trielle, ungezählte Kandidatenauftritte, tonnenweise Plakate, Internet-Werbung, TV-Werbespots.

Und nach wie vor wissen 40 Prozent der Deutschen nicht, wen sie wählen wollen.

Die Zahl erschreckt mich. Die Wahl am Sonntag ist das wichtigste Element unserer Demokratie. Sie konstituiert unseren Staat alle vier Jahre wieder aufs Neue.

Doch auch nach einem langen Wahlkampf bleibt ein erklecklicher Anteil der Menschen verunsichert zurück. Warum ist das so? 63 Prozent der Deutschen finden, dass die Spitzenkandidaten nicht überzeugend seien. 56 Prozent sagen, die Parteien gäben einfach kein gutes Bild ab.

Was schafft Vertrauen für unsere Wahlentscheidung? Sind es die Kandidaten? Parteiprogramme? Wahlplakate? Auftritte im Fernsehen? Kommentare eines Chefredakteurs?

Ich hatte neulich geschrieben, mir persönlich wäre wohler, die drei Kanzlerkandidaten würden eine nicht ganz so medial exponierte Rolle spielen. Sie waren auf der Mattscheibe so omnipräsent, dass der Eindruck entstehen konnte, sie alleine würden bestimmen, wofür ihre Parteien stehen. Dabei ist Politik eine Teamleistung, und ein Koalitionsvertrag bestimmt letztlich die politische Richtung der kommenden vier Jahre.

Demnach müssten wir unser Vertrauen nicht in einzelne Kandidaten setzen. Sondern in Kandidatenteams, womöglich sogar in Koalitionen. Im Wahlkampf versuchen sich die Parteien gegeneinander abzugrenzen, doch hinterher werden sie miteinander regieren. Vertrauen Sie also auf eine Ampelkoalition? Oder doch lieber Jamaika? Oder Rot-Grün-Rot? Rein psychologisch gesehen fällt uns Vertrauen schwerer, je abstrakter und weniger assoziativ etwas ist.

Der nächste Punkt: Wir vertrauen am Wahlsonntag darauf, dass die handelnden Personen Wahlprogramme und Wahlversprechen umsetzen. Doch nach der Wahl müssen Kompromisse gefunden werden. Politik beruht auf gesellschaftlichem Ausgleich. Im Wahlkampf hoffen wir auf zwölf Euro Mindestlohn oder maximal 700 Euro Pflegezuzahlung. Nach der Wahl ist dann die Enttäuschung schnell groß, wenn es nicht kommt wie versprochen. Wer Realist ist, weiß natürlich um die politischen Mechanismen. Aber worauf sollen wir denn vertrauen, wenn nicht auf Wahlversprechen?

In den vergangenen Wahlkämpfen rückt deshalb mehr und mehr die Redlichkeit der Kandidaten in den Fokus. Wer empathisch und ehrlich wirkt, von dem erwarten wir nach der Wahl auch ein entsprechend verantwortungsvolles Verhalten. Dann lacht Armin Laschet an der falschen Stelle, Annalena Baerbock gibt ihr Weihnachtsgeld beim Bundestag nicht an und Olaf Scholz kann nicht ausräumen, dass Durchsuchungen in seinem Ministerium nicht doch etwas mit seiner Verantwortung zu tun haben. Da fällt es schwer, zu vertrauen.

Was bleibt?

Wählen Sie also am Sonntag gerne mit Restzweifeln im Hinterkopf. Vertrauen Sie darauf, dass die Wahl nicht am Sonntag um 18 Uhr endet. Der Wahltag ist eine wichtige Zäsur in der bundesdeutschen Politik, aber zugleich auch nur der Beginn eines Prozesses. Es ist wichtig, das richtige politische Personal zu wählen, aber getragen werden politische Entscheidungen jeden Tag von uns allen.

Um ein Beispiel zu nennen: Der Atomausstieg stand bei der CDU nicht im Wahlprogramm von 2009. Er wurde von Angela Merkel angesichts der Katastrophe von Fukushima entschieden – nicht, weil die Kanzlerin für ihre radikale Entschlussfreudigkeit bekannt ist, sondern weil die gesellschaftliche Stimmung damals die Entscheidung ermöglichte. Auch 2015 konnte Merkel die vielen Flüchtlinge nur willkommen heißen, weil eine Mehrheit der Menschen damals diese Entscheidung guthieß. In Berlin können "die da oben" nicht vier Jahre lang tun, was sie wollen. Sie sind immer auf unser Wohlwollen angewiesen.

Wir entlassen Politikerinnen und Politiker am Wahlsonntag keineswegs in die nächsten vier Jahre. Wir müssen sie regelmäßig an ihre Verantwortung und das in sie gesetzte Vertrauen erinnern. Wir sind ein Volk von 83 Millionen Menschen, und jeder prägt diese Republik mit. Jeden Tag, egal ob im Supermarkt oder in den Vorstandsetagen der Konzerne. Wir müssen auf uns selbst vertrauen.


Wir müssen wachsam sein

Der Mord von Idar-Oberstein ist mit menschlichem Verstand nicht zu fassen. Ein Mann weigert sich, in einer Tankstelle eine Maske zu tragen. Kommt wenig später zurück und erschießt den Angestellten der Tankstelle. Es ist die Tat eines Einzeltäters, doch getragen wird sie von der aufgeheizten Stimmung unter Corona-Leugnern. Nur zwei Tage später folgte schon der nächste Übergriff. Im Innenministerium hieß es gestern, man stelle fest, dass ein radikaler Kern der "Querdenker"-Szene sich weiter radikalisiere. Vor der Gewaltbereitschaft von Teilen dieses politischen Spektrums warnen Experten schon länger.

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Was folgt daraus? Zunächst gilt mein Mitgefühl den Angehörigen und Freunden des Opfers. Jeder, der schon einmal einen wichtigen Menschen verloren hat, weiß, wie schlimm das ist.

Darüber hinaus: Wenn sich Teile der Gesellschaft radikalisieren, müssen alle beisammenstehen und wachsam sein. Solche Taten müssen hart bestraft werden, möglichen Sympathisanten muss konsequent begegnet werden. Zudem: Eine Minderheit darf niemals radikal ihre Meinung der Mehrheit oktroyieren. Zugleich muss die gesellschaftliche Mehrheit verstehen, empathisch mit Kritik umzugehen. Unsere Gesellschaft muss immer dialogfähig bleiben. Das gilt für alle Seiten. Alles andere ist nicht tolerierbar.


14 Jahre ist es her, da bemühte sich die EU-Kommission schon einmal um einheitliche Ladebuchsen für Handys. Damals war das Chaos deutlich größer als heute, es gab etwa 30 verschiedene Anschluss-Typen. Übrig geblieben sind drei Formate: Lightning, USB-C und Micro-USB.

Heute soll das Nebeneinander ein endgültiges Ende finden. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton präsentiert in Brüssel einen 18-seitigen Vorschlag. Seine Lösung ist eine simple Idee: Die Hersteller sollen verpflichtet werden, dass alle Handys kabellos geladen werden können. Die EU-Kommission rechnet damit, dass allein dadurch jährlich 980 Tonnen weniger Elektroschrott anfallen werden. Eine unfassbare Zahl, wiegt doch ein Handy-Ladekabel nur wenige Gramm.


Was lesen?

Die Freiheit vermissen wir erst, wenn wir sie nicht mehr besitzen. Hans-Jürgen Papier, Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hat ein Plädoyer zum Schutz unserer Freiheitsrechte veröffentlicht. Einen Auszug lesen Sie hier.


Noch immer gibt es keine Antwort darauf, wie die Corona-Pandemie entstanden ist. Eine Untersuchung legt jetzt nahe: Die Pandemie könnte sogar mehrere tierische Ursprünge haben. Meine Kollegin Melanie Rannow hat sich die Ergebnisse angesehen.


Seit anderthalb Jahren wird an Impfstoffen geforscht, um das Coronavirus zu bekämpfen. Ein Forschungsteam der Universität Kassel hat jetzt einen ganz anderen Ansatz verfolgt: Mit niedriger elektrischer Spannung soll das Virus unschädlich gemacht werden. Meine Kollegin Sandra Simonsen und unsere Grafikerin Heike Aßmann erklären, wie das funktionieren soll.


Wenn es jemals eines singulären Ereignisses bedurft hätte, um zu zeigen, dass der Brexit für Großbritannien hoch riskant ist, so tritt es in diesen Tagen ein. Das Land erlebt eine gefährliche Energiekrise, verursacht durch den Austritt aus der EU. Die Kollegen von "Zeit Online" haben die Geschichte wunderbar pointiert zusammengefasst.


Was machen Sie, wenn Sie sauer sind? Ich gestehe, als Kind habe ich manchmal Dinge durch die Gegend geworfen. Jetzt weiß ich: Ich bin nicht allein. Forscher haben ein ähnliches Verhalten bei Oktopussen feststellen können.


Was mich amüsiert

Zum Schluss noch eine gute Nachricht. Die CDU Mecklenburg-Vorpommern veranstaltet im Wahlkampf keine Abschlusskundgebung. Das Format werde "als nicht effizient" angesehen, sagte ein Sprecher gestern. Kann man mal machen.

Ich wünsche einen spätsommerlichen Donnerstag. Morgen schreibt mein geschätzter Kollege Steven Sowa an dieser Stelle.

Ihr

Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de

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