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Geflüchtete in Deutschland: Die falsche Angst vor der Migration


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Tagesanbruch
Was machen eigentlich die Neuankömmlinge von 2015?

MeinungVon Camilla Kohrs

Aktualisiert am 15.09.2021Lesedauer: 5 Min.
Angela Merkel lässt sich im September 2015 mit Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak fotografieren: Wie steht es um die Integration der Menschen, die damals nach Deutschland kamen?Vergrößern des Bildes
Angela Merkel lässt sich im September 2015 mit Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak fotografieren: Wie steht es um die Integration der Menschen, die damals nach Deutschland kamen? (Quelle: Fabrizio Bensch/reuters)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

es ist einer der berühmtesten Sätze der scheidenden Kanzlerin. "Wir schaffen das", sagte Angela Merkel vor ziemlich genau sechs Jahren – und meinte damit die enormen Herausforderungen, die damit einhergingen, dass in den Jahren 2015 und 2016 mehr als eine Million Geflüchtete nach Deutschland kamen.

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Die Debatte um dieses Schaffen – ob, wie genau und wann es gelingt – war eine der größten der vergangenen Jahre. Wird heute der Vergleich zu 2015 bemüht, ist er jedoch vor allem negativ. "2015 darf sich nicht wiederholen", war einer der ersten Sätze, die fielen, als Kabul von den Taliban eingenommen und uns in Deutschland die Afghanistan-Krise so richtig bewusst wurde.

Doch wie steht es wirklich um die Integration der Geflüchteten? Um einen nüchternen Blick bemüht sich der neue Migrationsbericht der Malteser und des sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Walter Eucken Institut e.V. Anhand verschiedener Statistiken und Befragungen aus den vergangenen Jahren beleuchtet er die Integration der Geflüchteten. Der Auftrag des gestern veröffentlichten Berichts steht auf dem Titelblatt: "Fakten statt Stimmungslage".

Und diese Fakten sehen so aus: Waren 2016 nur zehn Prozent der "Asyl8"-Flüchtlinge sozialversicherungspflichtig oder geringfügig beschäftigt, so waren es im Februar 2021 immerhin 37 Prozent. ("Asyl8" bedeutet: Menschen aus Staaten wie Syrien, Afghanistan und dem Irak, aus denen in den vergangenen sechs Jahren ein Großteil der Geflüchteten kam). Sechs von zehn aller erwerbstätigen Geflüchteten arbeiten in einem systemrelevanten Beruf. Knapp ein Viertel gab 2019 in einer Befragung an, einer Schulausbildung, einem Studium oder einer Berufsausbildung nachzugehen. Immer mehr beherrschen Deutsch, knapp die Hälfte schätzte ihre Kenntnisse 2019 als gut oder sehr gut ein (bei den Frauen sind die Sprachkenntnisse allerdings schlechter als bei den Männern). Die Kriminalitätsrate ist stärker rückläufig als im gesamtdeutschen Schnitt – zumindest bei denen, die eine gesicherte Bleibeperspektive haben. Die Gruppe mit schlechter Bleibeperspektive ist in der Statistik überrepräsentiert. Geflüchtete selbst werden hingegen immer häufiger Opfer von Straftaten, vor allem von Körperverletzungen. Den vollständigen Bericht finden Sie hier.

Der Bericht sieht auch viele Baustellen: Gerade den Frauen muss ein besonderes Augenmerk gelten, weil sie bisher schlechter integriert sind als die Männer. Viele Geflüchtete sind unter prekären Arbeitsbedingungen beschäftigt, arbeiten als Aushilfen oder Leiharbeiter und haben häufig nur befristete Verträge. Während der Corona-Lockdowns verloren überdurchschnittlich viele ihre Stellen – und auch die Sprachkenntnisse verschlechterten sich während der Pandemie. Auch die Kinder litten ungleich mehr unter der Krise. Eine Malteser-Mitarbeiterin berichtete auf der Pressekonferenz von Familien, die heute noch in Gemeinschaftsunterkünften leben – und in denen sich vier Kinder ein Handy teilten, um die Hausaufgaben zu erledigen.

Insgesamt ziehen die Forscher aber ein positives Resümee: Die Integration habe in den vergangenen fünf Jahren große Fortschritte gemacht, sagt Karl zu Löwenstein von den Maltesern und richtet einen Appell an die Politik: "Temporär initiierte Programme laufen aus, ohne durch dauerhafte Maßnahmen ersetzt zu werden", warnt er und mahnt: "Das ist bedenklich, denn die im Bericht dargestellten Fakten liefern für dieses Nachlassen keine Grundlage."

Ähnlich argumentiert Lars Feld, Professor für Wirtschaftspolitik und ehemaliger Vorsitzender der Wirtschaftsweisen: Angesichts der Tatsache, dass die meisten Schutzsuchenden kaum formale Qualifikationen mitgebracht hätten, sei die Integration bisher ein Erfolg. Zugleich begründet er, warum es dringend weitere Bemühungen braucht: Eine Arbeit zu haben ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Integration in die Gesellschaft gelingt. Auch für Deutschland ist das wichtig: Der Fachkräftemangel zeigt sich auf dem Arbeitsmarkt immer stärker, dagegen kann die Migration eine wichtige Rolle spielen. Wie Migration konkret dem deutschen Arbeitsmarkt helfen kann und was es dafür braucht, beschreibt unsere Kolumnistin Ursula Weidenfeld in diesem Text.

Flüchtlingspolitik kann selbstverständlich keine Einwanderungspolitik ersetzen. Asyl zu gewähren heißt nicht, nur Facharbeiter ins Land zu lassen. Es ist ein grundlegendes Menschenrecht, das dann in Kraft tritt, wenn Menschen um ihr Leben fürchten müssen. Wer vor Krieg oder Verfolgung flüchtet, lernt meistens vorher nicht erst die Sprache des Landes, in dem er später landet, oder bemüht sich im Vorhinein darum, dass seine Ausbildung anerkannt wird. Ein weiterer Unterschied ist, dass das Asylrecht auch an die Begebenheiten in dem Herkunftsland gebunden ist. Sobald es dort wieder sicher ist, können die deutschen Behörden auf eine Rückreise drängen. Nur ist das beispielsweise für Syrien und Afghanistan noch nicht absehbar. Erst kürzlich berichtete Amnesty International, dass der syrische Geheimdienst freiwillige Rückkehrer brutal folterte.

Der Aufwand, geflüchtete Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen, ist natürlich größer – und in den ersten Jahren auch kostspieliger. Auf längere Sicht aber birgt er die Chance, dass nicht nur die Integration gelingt, sondern der Arbeitsmarkt auch abseits des Niedriglohnsektors davon profitiert. Deswegen sollte die Politik genau hier den Aufwand nicht scheuen.

Der Bericht zeigt dreierlei: Die Integration von so vielen Menschen auf einmal ist keine einfache Aufgabe, die sich innerhalb weniger Jahre erledigt – und kann in Krisen, wie wir sie mit der Corona-Pandemie erlebt haben, Rückschritte erleiden. Er zeigt aber eben auch: Die Integration ist bisher besser gelungen, als viele es sich zu Beginn der Flüchtlingskrise ausgemalt haben. Vor allem aber zeigt er, welche Politik es braucht, um weitere Fortschritte zu erzielen. Es braucht Pragmatismus und Lösungsorientierung statt Ideologie und Emotionen.


Kein EU-Geld für deutsche Flutgebiete?

Von der Lage der Integration zur Lage der Union: Falls Sie jetzt denken, bitte nicht schon wieder ein Kommentar zum Wahlkampf, kann ich Sie beruhigen: Es geht um die Europäische Union. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hält heute ihre Rede zur Lage der Staatengemeinschaft. Jedes Jahr im September wird einmal Resümee gezogen und ein Ausblick gegeben. Die Herausforderungen sind enorm: Pandemie, Klimakrise, antidemokratische Tendenzen in mehreren Mitgliedsländern.

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Eine konkrete Aufgabe zeigte sich bereits gestern: Nach der Flutkatastrophe hatte die Kommission Deutschland und anderen Ländern zügige Millionenhilfe versprochen. Doch offenbar wird die erst einmal nicht kommen. Die in diesem Jahr verfügbaren Gelder seien bereits fast vollständig für Hilfen nach anderen Naturkatastrophen vergeben, heißt es in einem Schreiben von Frau von der Leyen an den Grünen-Europaabgeordneten Rasmus Andresen, aus dem die Zeitungen der Funke Mediengruppe zitieren. Einen "unhaltbaren Zustand" nennt Herr Andresen das. Recht hat er.


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Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag. Morgen lesen Sie an dieser Stelle wieder von Florian Harms.

Ihre

Camilla Kohrs
Redakteurin Politik/Panorama
Twitter: @cckohrs

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Mit Material von dpa.

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