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Facharbeiter: Die Wahrheit über Deutschlands Arbeitsmarkt


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Facharbeiter-Bremse
Die Wahrheit über Deutschlands Arbeitsmarkt

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 14.09.2021Lesedauer: 4 Min.
Dachdecker installieren Solarpanele: In Deutschland fehlen Fachkräfte.Vergrößern des Bildes
Dachdecker installieren Solarpanele: In Deutschland fehlen Fachkräfte. (Quelle: imago-images-bilder)
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Deutschlands Unternehmen gehen die Mitarbeiter aus. Das gefährdet die Zukunft unserer Wirtschaft. Gegen die Knappheit helfen höhere Löhne – und mehr Migration.

Es ist ein gewaltiger Umbau: Die deutsche Gesellschaft soll in den kommenden Jahren klimaneutral werden. Mit ihren Alten und den ganz Jungen will sie würdig und fair umgehen. Die Arbeitnehmer sollen einen guten Lohn bekommen, und die Migranten großzügig integriert werden. Am Willen fehlt es nicht. Möglicherweise auch nicht am Geld. Aber: Es fehlt das Personal.

Es ist paradox: Auf der einen Seite fürchten sich Hunderttausende Arbeitnehmer vor der Digitalisierung. Sie haben zu Recht Angst, dass ihre Arbeit künftig schneller und besser von einem Computer oder einem Roboter erledigt werden kann. Auf der anderen Seite suchen einige Branchen verzweifelt nach neuen Arbeitskräften.

Personalmangel bremst das Wachstum

Vor allem in den Bereichen, in die in den kommenden Jahrzehnten am meisten investiert werden soll, gibt es nicht genug Leute. Hier bremst der Mangel an qualifiziertem Personal schon heute das Wachstum: Aufträge werden verzögert bearbeitet und zu spät erledigt, nur mit einem satten Aufpreis akzeptiert, oder gar nicht mehr angenommen.

Wie dramatisch sich das Problem in den kommenden Jahren verschärfen kann, zeigt ein Blick auf die politischen Ziele, die in diesem Wahlkampf formuliert werden.

So sollen schon bald alle Grundschulkinder ein Recht auf Hortbetreuung bekommen. Doch nicht einmal in den Kindergärten gibt es heute ausreichend Personal. Wer also künftig den Schülern nachmittags bei den Hausaufgaben helfen, die Fußballmatches auf den Sportplätzen pfeifen und die Obstteller für den Nachmittagssnack richten soll, ist völlig offen. Das Recht auf den Hortplatz soll vor allem Eltern die Möglichkeit eröffnen, voll berufstätig zu bleiben. Doch die nötigen Vollzeiterzieher dafür gibt es derzeit jedenfalls nicht.

Ratloses Achselzucken

Der Personalmangel bremst auch die Klimapolitik aus. Eine Solardach-Pflicht für jedes Haus schlagen die Grünen vor, damit es demnächst genügend Strom für die klimaneutrale Gesellschaft gibt. Fragt man beim Zentralverband des Deutschen Handwerks nach, ob denn ausreichend Handwerksbetriebe, Dachdeckermeister oder Elektroinstallateurs-Gesellen da sind, um die Solarpanele auch auf die Dächer zu nageln, erntet man bestenfalls ein ratloses Achselzucken, schlimmstenfalls ein mitleidiges Lächeln.

Schon heute geht die Rechnung, dass sich auf dem Arbeitsmarkt am Ende alles ausgleicht, nicht mehr auf: 137.000 Erzieher fehlen in den Kindertagesstätten, sagt die Gewerkschaft Verdi. 100.000 Menschen würden allein die Krankenhäuser, weitere 100.000 die Altenpflegeunternehmen gerne beschäftigen, rechnet der Deutsche Pflegerat vor. Für 85.000 ITler gibt es derzeit offene Stellen, 65.000 Fachleute werden im Handwerk gesucht.

Rentenwelle verschärft das Problem

Die Corona-Krise ist so gut wie verdaut. Bei den Akademikern liegt die Nachfrage der Arbeitgeber bereits über dem Niveau vom Februar 2020, bei den Fachkräften nur knapp darunter. In den nächsten Jahren, wenn immer mehr Ältere in Rente gehen, und immer weniger Junge die Schulen und Universitäten verlassen, wird sich das Problem rasant verschärfen.

Dass gleichzeitig Hunderttausende ihre Arbeitsplätze wegen der Digitalisierung oder wegen des Umbaus zu einer klimaneutralen Wirtschaft verlieren werden, wird die Lage entspannen, aber das Problem nicht lösen. Denn aus einer Facharbeiteranstellung in einem Stahl- oder Autounternehmen beispielsweise in den Bereich Altenpflege zu wechseln, ist ein weiter Weg.

Nicht alle Betroffenen werden dem Arbeitsmarkt weiterhin zur Verfügung stehen, viele werden lieber in den Vorruhestand wechseln. Die Pflege- und Erzieherberufe müssten zudem viel besser bezahlt werden, um den Umstieg attraktiv werden zu lassen. Zusammen mit den Umschulungs- und Weiterbildungszeiten wird es Jahre dauern, bis die ehemaligen Industriefacharbeiter in den Schulen ankommen oder dem Handwerk beim Installieren von Photovoltaik-Technik helfen können.

Migration wird eine Herausforderung – für beide Seiten

Bleibt die Zuwanderung: 400.000 Arbeitnehmer müssten jährlich aus dem Ausland nach Deutschland einwandern, um die Lücke zu schließen, rechnet der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlev Scheele vor. Das ist noch untertrieben: Damit nämlich am Ende 400.000 dauerhaft bleiben, müssen mindestens doppelt so viele Erwerbspersonen die Chance haben auszuprobieren, ob das Leben und Arbeiten in Deutschland etwas für sie ist. Abgesehen davon, dass sie vermutlich zusätzliche Zeit brauchen werden, um Deutsch zu lernen, eine Weiterbildung oder eine Berufsausbildung zu absolvieren.

Denn schon längst kommen die Zuwanderer nicht mehr aus den Nachbarländern der Europäischen Union. Vor allem aus Serbien, Montenegro und Syrien kamen im vergangenen Jahr Arbeitnehmer nach Deutschland, in den nächsten Jahren werden sich vor allem Migranten aus weiter entfernten Kulturkreisen für eine Arbeit in Deutschland interessieren. Das wird für beide Seiten eine Herausforderung – aber eine, der sich auch die Deutschen stellen müssen, die der Migration skeptisch oder ablehnend gegenüberstehen.

Beim berühmten Goldrausch um das Jahr 1900 am Klondike im Norden Kanadas wurden am Ende nicht die Goldsucher, sondern die Verkäufer von Schaufeln und Ausrüstungsgegenständen reich. Irgendwann sattelten viele Goldsucher um und begannen, mit Ausrüstung zu handeln oder Lebensmittel an die Glücksritter zu verkaufen. Am Ende wurde mit solchen Dienstleistungen genauso viel verdient wie mit dem Gold. Damals dauerte dieser Prozess etwa zehn Jahre.

So viel Zeit haben wir diesmal nicht.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Ihr neuer Bestseller heißt: Die Kanzlerin. Porträt einer Epoche. Sie können es jetzt bestellen.

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