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EM 2021: Achtelfinale! Kann Jogi Löw sein Zitter-Team aufrichten?


Meinung
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Tagesanbruch
Puh.

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 24.06.2021Lesedauer: 6 Min.
Bundestrainer Jogi Löw ist gestern Abend mit einem blauen Auge davongekommen.Vergrößern des Bildes
Bundestrainer Jogi Löw ist gestern Abend mit einem blauen Auge davongekommen. (Quelle: Federico Gambarini/dpa)
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Guten oder nein eher halbguten beziehungsweise ziemlich durchwachsenen oder sein wir ehrlich eigentlich nur mittelmäßigen Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

also ehrlich: Puh. Das war nix. Oder glauben Jogis Jungs wirklich, mit dieser Leistung Chancen auf den EM-Titel zu haben, geschweige denn eine Nation von Millionen Fußballfans begeistern zu können? Ein herbeigezittertes 2:2 gegen… hallo: Ungarn? Nee, Leute, das reicht nicht.

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Ja klar, ein dickes Dankeschön an Leon Goretzka. 26 Jahre jung, 1,89 Meter groß, viele Muckis, in Bochum geboren, Sohn eines Opel-Arbeiters, ursprünglicher Berufswunsch Anwalt, zum Glück dann doch Fußballprofi geworden, einer von drei deutschen defensiven Mittelfeldspielern in der offiziellen Kategorie Weltklasse: Zack-bumm, pfefferte er in der 84. Minute die Pille volley in den ungarischen Kasten. Das sind ja diese unberechenbaren Schüsse, die man entweder als Bogenlampe ins All jagt oder geradewegs ins Netz haut, es kommt so oder so, man hat das als Schütze nicht in der Hand beziehungsweise auf dem Fuß. Aber wenn sie drin sind, zuckt der Triumph wie ein Blitz durch den Körper, gefolgt vom wohligen Schauer der Erleichterung: Jaaaaa! Ich hab das Team gerettet! Wir haben’s geschafft!

Ja, sie haben’s geschafft, die Jungs vom Jogi, aber es war knapp, denkbar knapp. Haarscharf ist die deutsche Nationalelf an einem Debakel wie bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland vorbeigeschrammt. Rettung in letzter Minute nach einem durchwachsenen Kick gegen eine überraschend kompakte ungarische Mannschaft, die das deutsche Team von Anfang an mächtig unter Druck setzte (hier ist der Spielbericht meines Kollegen Andreas Becker, hier sind die Reaktionen aus der Sportwelt).

Jetzt hat die deutsche Mannschaft ein paar Tage Ruhe bitter nötig. Durchatmen. Die Schwächen im Spielaufbau und in der Abwehr analysieren. Und dann hart trainieren. Thomas Müller kurieren, damit er wieder von Anfang an mitkicken kann. Noch mal die drei Gruppenspiele der deutschen Nationalelf bei der Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko angucken: Auch da gab’s in der Vorrunde eine durchwachsene Leistung, auch da nur ein Unentschieden, einen Sieg und eine Niederlage (1:1 gegen Uruguay, 2:1 gegen Schottland, 0:2 gegen Dänemark) – aber am Ende führte der Weg ins Finale. Das DFB-Team ist traditionell eine Turniermannschaft, es lernt von Spiel zu Spiel, es kann sich steigern. Das ist jetzt die Hoffnung. Das ist allerdings auch dringend nötig. Am Dienstag geht‘s im Achtelfinale gegen England. London. Wembley-Stadion. Menetekel von 1966, Triumph von 1996, dort ist alles möglich. Die britische Boulevardpresse läuft sich schon mal heiß: "Her mit den Deutschen!", titelt der "Telegraph" heute Morgen, "Trainiert Elfmeter, Jungs!", trommelt die "Sun".

Auch unsere Jungs brauchen Anfeuerung: Konzentriert euch! Übt Eckstöße, schnelles Umschalten und Pressing! Trainiert hart und stellt euch darauf ein, alles zu geben! Sonst folgt auf das Puh ein Buh.


Haltung hilft

Meinungen kann man viele haben: Man kann Merkels Flüchtlingspolitik gut oder schlecht finden, man kann im Klimaschutz eine wichtige Aufgabe oder einen Hype sehen, man kann das Offensivspiel der deutschen Fußballnationalmannschaft bewundern oder es als hölzernes Rumgebolze verschmähen. Je nachdem, welche Meinung ich vertrete, können Sie diese gut finden oder nicht, und umgekehrt ist es natürlich ebenso. Einer Meinung zu sein kann den Zusammenhalt steigern, aber es wird auch schnell langweilig. Andere Meinungen anzuhören schärft den Geist und belebt Debatten. Das ist im Wohnzimmer nicht anders als im Büro, im Parlament oder in den Medien. Allerdings gibt es auch Orte, an denen Meinungen zu politischen und gesellschaftlichen Fragen fehl am Platz sind.

Zum Beispiel in einem Fußballstadion. Wenn sich Zehntausende Menschen versammeln und viele weitere Millionen vor den Fernsehern hinzukommen, ist es keine gute Idee, wenn der Moderator Angela Merkel in den höchsten Tönen preist oder wenn ein Werbebanner die Migrationspolitik der EU verteufelt. Der Sport soll möglichst viele Menschen verbinden, da müssen manche Themen außen vor bleiben. Deshalb achten Sportverbände wie die Uefa penibel darauf, dass ihre Veranstaltungen nicht für politische Zwecke instrumentalisiert werden. Das ist in Ordnung.

Ein Problem entsteht jedoch, wenn Sportfunktionäre den Unterschied zwischen Meinungen und Haltung nicht kennen. Die Haltung ist die grundsätzliche Sicht auf die Welt, sie ist die innere Einstellung, die jemandes Denken und Handeln prägt, und bildet zugleich die Wertebasis, die eine Gesellschaft trägt. Die Staaten der Europäischen Union haben diese Werte in ihrer Grundrechtecharta klar definiert: Neben der Menschenwürde, der Freiheit, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Solidarität zählen auch die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen dazu – sowie ausdrücklich auch der Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung. Schränkt ein Mitgliedstaat diese Rechte ein, verletzt er nicht nur europäisches Recht, sondern untergräbt auch die Grundwerte unseres freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens. Genau das tut die ungarische Regierung mit ihrem neuen Gesetz, das sich gegen die Repräsentanz von Homosexuellen in der Öffentlichkeit richtet (meine Kollegin Annika Leister hat die Hintergründe hier erklärt).

Daher ist es keine bloße Meinung, wenn man die Politik von Ministerpräsident Victor Orbán anprangert. Es ist eine Frage der Haltung. Und die hat nicht nur im Wohnzimmer, im Büro oder im Parlament etwas zu suchen, sondern auch in einem Fußballstadion. Deshalb ist es ein Unding, dass die Uefa der Stadt München verboten hat, das Olympiastadion während des gestrigen EM-Spiels der deutschen Nationalelf gegen Ungarn in den Regenbogenfarben der Toleranz zu illuminieren. Erst recht, da die Uefa ansonsten keine Bauchschmerzen hat, mit Bannerwerbung für Firmen aus den Diktaturen China und Katar viel Geld zu scheffeln.

Haltung hat man oder man hat sie nicht. Das gilt nicht nur für die Uefa, sondern auch für Firmen wie Mercedes und BMW, die gestern begeistert in den Chor der regenbogenbeseelten Toleranzapostel einstimmten – zugleich aber vor autoritären Regimen kuschen, die Homosexuelle unterdrücken. Scheinheiligkeit ist das richtige Wort dafür. Von der Meinung bis zur Haltung ist es eben ein langer Weg.

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Machtkampf bei der Bahn

Drohen ausgerechnet zum Ferienbeginn Warnstreiks bei der Bahn? Ob es wirklich soweit kommt, will Claus Weselsky, Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) heute Vormittag erklären. Im Interview mit meinen Kollegen Nele Behrens und Florian Schmidt gibt er sich kampfeslustig: "Diese Streiks werden härter und länger sein als in der Vergangenheit", verkündet er. Angelehnt an den Tarifabschluss des öffentlichen Dienstes fordert die GDL 1,4 Prozent mehr Lohn und eine Corona-Prämie in diesem Jahr sowie weitere 1,8 Prozent im kommenden Jahr. Nach Lesart des von der Pandemie gebeutelten Staatskonzerns summieren sich die gesamten Forderungen der Lokführer allerdings auf etwa das Dreifache davon. Wie immer bei der GDL geht es im Hintergrund auch um ihr Konkurrenzverhältnis zur größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die Herr Weselsky gern als "Einkommens-Verringerungs-Gewerkschaft" verspottet und die bereits im vergangenen Herbst einen Abschluss erzielt hat: Demnach erhalten die Beschäftigten ab Anfang 2022 1,5 Prozent mehr Geld, dafür sind bis Ende 2023 betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen. Die GDL aber will unbedingt mehr herausholen. Na dann.


Merkels letzte Regierungserklärung

"Ihre vermutlich letzte…": Diese Formulierung wird im Zusammenhang mit Angela Merkel nun häufiger auftauchen. Heute Morgen hält die Kanzlerin im Bundestag die vermutlich letzte Regierungserklärung ihrer fast 16-jährigen Amtszeit. Vor dem am Nachmittag in Brüssel beginnenden EU-Gipfel will sie die Abgeordneten über ihren Kurs unterrichten. Auf der Agenda stehen unter anderem die festgefahrene Migrationspolitik der Staatengemeinschaft und das Verhältnis zur Türkei und zu Russland. Eine Premiere nach langer Abstinenz wird der Bundestag aber heute auch noch erleben: In der Aussprache zur Regierungserklärung will Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet seine erste Rede im Parlament seit, Moment, ich sehe noch mal nach, ah ja: 23 Jahren halten. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident wird für die Union als Bundesratsmitglied das Wort ergreifen. Ob er auch was zu sagen hat?


Was lesen?


Warum versagt die Europäische Union dabei, Ungarns Regierungschef Viktor Orbán zur Einhaltung europäischer Werte und Normen anzuhalten? Meine Kollegen Johannes Bebermeier, Marc von Lüpke und Jonas Mueller-Töwe sind der Frage nachgegangen.


Bei der Bundestagswahl geht es um eine entscheidende Frage: Soll der Staat die Wirtschaft noch stärker regulieren oder braucht es mehr Freiheit für den Aufschwung? Unsere Kolumnistin Ursula Weidenfeld gibt Ihnen Orientierung.


Am Dienstag meldete unser Rechercheur Jonas Mueller-Töwe exklusiv: Berliner Staatsanwälte prüfen in der AfD-Spendenaffäre Ermittlungen gegen den Parteivorsitzenden Jörg Meuthen. Einen Tag später hat der "Spiegel" nachgelegt: Offenbar steht Meuthen die Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität bevor. Das macht den Weg für Ermittlungen frei.


Was amüsiert mich?

Jedem seine Meinung!

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Morgen schreibt Camilla Kohrs den Tagesanbruch, von Marc Krüger und mir hören Sie am Samstag wieder.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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