Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Er hat alles richtig gemacht
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
heute schreibe ich für Sie den kommentierten Überblick über die Themen des Tages.
Die Erfolgsformel des Armin L.
Hätte die AfD bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt vor der CDU gelegen, müsste Armin Laschet nun wahrscheinlich erneut um die Kanzlerkandidatur kämpfen.
Wären auf dem Höhepunkt des unionsinternen Machtkampfs zwischen ihm und Markus Söder im April ein paar Ministerpräsidenten mehr umgefallen, könnte Laschet froh sein, wenn er jetzt noch als Regierungschef von Nordrhein-Westfalen arbeiten dürfte.
Embed
Und ja: Hätte Friedrich Merz beim CDU-Parteitag im Januar eine bessere Rede gehalten, würde Laschet wohl nicht den Titel "CDU-Chef" tragen.
Doch entscheidend ist nicht der Konjunktiv, sondern der Indikativ. Und der geht eben so: Armin Laschet ist CDU-Chef, NRW-Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der Union.
Er steht nicht wirklich glanzvoll da, aber er steht allen Widrigkeiten zum Trotz noch immer. Das ist in der Politik entscheidend. Alles andere ist schnell vergessen. Deshalb ist es für Laschet auch zweitrangig, dass er in den nächsten Monaten allen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit nach nicht von einer Welle der Euphorie durch den Bundestagswahlkampf getragen wird. Bilder von Zehntausenden Menschen, die auf den Marktplätzen der Republik "Armin for Kanzler" skandieren, sind nicht nur wegen Corona unrealistisch. Aber auch das ist nur halb so wild.
Entscheidend für Laschet ist, dass die CDU in Sachsen-Anhalt die Wahl so deutlich gewonnen hat, wie sie es sich vorher nicht einmal mit einem Kanzlerkandidaten Markus Söder erträumt hätte. Und dass sich die Union in den bundesweiten Umfragen ebenfalls berappelt hat.
Im Moment spricht einiges dafür, dass sie auch im nächsten Bundestag die stärkste Fraktion sein wird. Passieren kann noch viel. Aber die Union wird ein Wahlprogramm vorlegen, das zwar irgendwie zum von Laschet ausgerufenen Modernisierungsjahrzehnt passt, es wird aber nicht die Härten enthalten, die sich hinter einigen Plänen der Grünen verbergen. Wie so häufig werden CDU und CSU das geringste Risiko für die Wähler bedeuten: Zukunft ja, aber nicht so viel auf einmal.
Um die stärkste Fraktion im Bundestag zu werden, braucht es dieses Mal wahrscheinlich im historischen Vergleich geradezu läppische 25 Prozent. Und ein paar mehr Prozentpunkte dürften es am Ende für Laschet schon werden. Es ist ja durchaus auch vorteilhaft, wenn die Leute in einem erst gar nicht den Zauberer sehen. Dann ist auch wenig Spielraum für Entzauberung.
Einen Menschen auf wenige Eigenschaften zu reduzieren, wird niemandem gerecht. Und es gibt natürlich auch kein umfassendes Bild seines Wesens, sich nur auf die positiven Züge zu konzentrieren. Deshalb ist natürlich auch Armin Laschet nicht der gute Mensch von Aachen.
Aber es ist dann doch interessant, sich seine Erfolgsformel etwas genauer anzugucken. Zumal fast jeder von ihm etwas lernen kann.
Laschet scheint vor allem drei Lebensweisheiten zu verfolgen:
Gönn auch mal anderen den Erfolg.
Nimm nicht immer alles persönlich.
Lass dich nicht gleich entmutigen.
Bei allem Machiavellismus, den es in der Politik braucht: Das sind durchaus bemerkenswerte Eigenschaften.
Wenn es richtig ernst wird, geraten viele Menschen in Panik. Politiker verfallen dann oft in Aktionismus und hoffen, dass die Sache schon irgendwie gut gehen wird. Der Kanzlerkandidat der Union hingegen handelt in brenzligen Situationen nicht nach dem Prinzip "Augen zu und durch". Nein, die Laschet-Methode lautet: "Augen auf und durch". Sonst verpasst man ja womöglich noch etwas.
Laschet hat den Machtkampf gegen Söder auch deshalb gewonnen, weil er einfach weitergemacht hat. So wie 2010, als er die Abstimmung über den CDU-Chef in NRW verlor. Oder 2017, als er es im Landtagswahlkampf mit einer haushoch favorisierten Amtsinhaberin zu tun hatte. Am Ende war Laschet immer der, der noch da war, während andere auf der Strecke geblieben waren.
Dabei kommt ihm sein buddhahaftes Einfachgeschehenlassen zugute, das auch Angela Merkel auszeichnet. Wie die Kanzlerin kann er Attacken, scharfe Kritik, selbst Häme über sich ergehen lassen – ob sie nun aus der eigenen Partei, der CSU oder vom eigentlichen politischen Gegner kommt. Laschet nimmt nicht gleich alles persönlich. Er kann die Dinge für sich sortieren, weiß, dass es als Spitzenpolitiker dazugehört, auch Zielscheibe zu sein. In den seltensten Fällen ist dabei die Person gemeint, meistens das Amt.
Vielen Politikern fällt diese Trennung schwer. Das hat auch damit zu tun, dass dieses Geschäft Menschen anzieht, die sich nicht selten für den Mittelpunkt der Welt halten. Wer derart von sich überzeugt ist, fühlt sich besonders rasch angegriffen. Und empfindet jegliche Kritik als unberechtigt.
Wie empfindlich die Menschen hinter der harten Politikerfassade sind, zeigt sich auch daran, dass manch ein Minister oder Parteichef buchstäblich jeden Satz liest, der über ihn veröffentlicht wird. Irgendwann bekommt der Autor eines Artikels dann den Hinweis aufgetischt: "Das haben Sie schon damals über mich geschrieben. War da übrigens schon falsch."
Wer zur Egomanie neigt, ist meistens auch kein besonders guter Teamplayer. Und manchmal ein richtig schlechter. Laschet dagegen hat kein Problem damit, auch mal anderen den Vortritt zu lassen. Er fühlt sich deshalb nicht gleich als Zukurzgekommener.
Anderen wirklich zu vertrauen, schafft Loyalitäten, die tatsächlich belastbar sind. Dass der Wirling Laschet sich am Ende gegen den Ichling Söder durchgesetzt hat, dürfte auch damit zu tun haben, dass der eine oder andere im CDU-Präsidium sich dachte, es sei dann doch angenehmer, mit ein wenig Glanz neben einem Kanzler Laschet zu stehen, als unter einem Regierungschef Söder nicht einmal aufs Bild zu dürfen.
Der Vollständigkeit halber sei angemerkt: Einen auf Laschet zu machen ist keine Garantie für Erfolg. Man braucht, wie so oft, auch Glück. Aber es scheint, als könne man damit durchaus erfolgreich sein. Das ist in einer Gesellschaft, die zusehends narzisstische Züge aufweist, nicht die allerschlechteste Nachricht.
Das abgesagte Beben von Magdeburg
Die CDU deutlich vor der AfD – und eben kein enges Rennen zwischen den beiden Parteien. Das ist das wichtigste Ergebnis der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Enttäuschend war der Wahlabend vor allem für die Grünen, die erneut hinter ihren eigenen Erwartungen zurückblieben. Welche Lehren sich aus der Wahl sonst noch ziehen lassen, hat mein Kollege Johannes Bebermeier analysiert. Meine Kollegin Annika Leister hat zudem vor Ort nach Antworten auf die Frage gesucht, warum im Vergleich zu anderen Ländern dann doch so viele Menschen AfD wählen.
Am Vormittag treffen sich die Parteien in Berlin, um das Wahlergebnis zu analysieren. Es wird wohl so sein, wie es sich häufig darstellt: Irgendwie gibt es vor allem Gewinner.
Der Anfang vom Ende der Knappheit
Für Kinder und Jugendliche unter 12 Jahren gibt es in Deutschland noch keinen zugelassenen Corona-Impfstoff. Alle anderen Einwohner können sich ab heute einen Termin besorgen. Denn nun ist in allen Bundesländern die Impfpriorisierung aufgehoben. Alles, was Sie dazu wissen müssen, hat meine Kollegin Sandra Simonsen zusammengefasst.
Natürlich werden nicht alle sofort einen Termin bekommen, es wird viel Chaos geben. Aber das dürfte sich rasch legen. In der nächsten Zeit kommt so viel Impfstoff, dass es bereits in wenigen Wochen nicht mehr darum gehen wird, wie man Impfwillige am besten vertröstet, sondern wie man überhaupt noch welche findet. Das zeigt die Prognose des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung.
Die ungewisse Zukunft Lateinamerikas
Zu den Regionen der Welt, die bei uns nicht übermäßig Beachtung finden, gehört der Teil des amerikanischen Kontinents, der südlich der USA beginnt. Dabei leben zwischen Mexiko und Argentinien weit mehr als eine halbe Milliarde Menschen. Die Ergebnisse der Parlamentswahlen in Mexiko und der Präsidentschaftswahlen in Peru, die beide am Sonntag stattfanden, werden zeigen, wohin sich Mittel- und Südamerika bewegen.
In Mexiko hofft die Regierungskoalition des linksgerichteten Präsidenten López Obrador, ihre Zweidrittelmehrheit im Unterhaus verteidigen zu können. In Peru trafen in der Stichwahl ums Präsidentenamt der Sozialist Pedro Castillo und die Rechtspopulistin Keiko Fujimori aufeinander.
Die USA interessieren sich deutlich mehr für den Rest des Kontinents als wir. Entsprechend führt die erste Auslandsreise von Vizepräsidentin Kamala Harris heute nach Guatemala.
Das wird eine vollgepackte Woche
Das Ziel der ersten Auslandsreise von Harris' Chef heißt Europa: Joe Biden hält sich ab Donnerstag fast eine Woche hier auf. Unter anderem wird er dabei sein, wenn sich erstmals seit zwei Jahren von Freitag bis Sonntag die Staats- und Regierungschefs der G7 im britischen Cornwall treffen. Im Anschluss geht es für ihn unter anderem nach Brüssel. Danach gipfelt er mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Genf. Den schwierigsten Teil seiner Reise hat sich Biden also für den Schluss aufgespart.
Bereits am Donnerstag kommen die 16 Regierungschefs der Länder mit Angela Merkel zusammen. Zwar handelt es sich um eine turnusmäßige Ministerpräsidentenkonferenz mit Kanzlerin, wie sie in normalen Zeiten zweimal jährlich stattfindet. Aber Corona wird wohl trotzdem Thema sein. Und wer weiß, ob es nicht das letzte Treffen dieser Art für Angela Merkel ist.
Die Grünen veranstalten von Freitag bis Sonntag einen weitgehend digitalen Parteitag. Die Partei will ihr Wahlprogramm für die Bundestagswahl verabschieden und Annalena Baerbock offiziell als Kanzlerkandidatin aufstellen. Auch wenn es nur ein virtuelles Stimmungsbarometer gibt, wird es aufschlussreich sein.
Und, das überrascht Sie vielleicht, am Freitag startet die Fußball-Europameisterschaft. Als weitere Vorbereitung trifft Deutschland heute Abend in einem Länderspiel auf Lettland. Morgen bezieht die Nationalmannschaft dann ihr Turnierquartier in Herzogenaurach. Mal gucken, wie lange sie es braucht.
Was noch lesen?
Seit Beginn der Pandemie haben Mediziner beobachtet, dass mit Corona infizierte Männer im Durchschnitt schwerer erkranken als Frauen. Auch das Sterberisiko fällt bei ihnen höher aus. Welche Theorien Forscher dafür haben, erklärt Ihnen meine Kollegin Melanie Weiner.
Überfüllte Ställe, abgebissene Schwänze, Geschwüre an Rücken und Beinen – und sogar tote Tiere: Tierschützer haben in einem der größten Schweinemastbetriebe in Niedersachsen verstörende Szenen festgehalten. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den verantwortlichen Landwirt Georg Weglage – einen einflussreichen CDU-Lokalpolitiker. Meine Kollegen Sandra Sperling und Nicolas Lindken zeigen in ihrer Video-Recherche, wie sich der Tierschutzskandal zugespitzt hat.
Was mich amüsiert
Es soll ja Leute geben, die sich vor einem Meeting Lobeshymnen bei Kollegen organisieren. Das ist natürlich legitim. Aber passen Sie bloß auf, dass die von Ihnen Beauftragten es mit ihren spontanen Begeisterungsstürmen nicht übertreiben. Es könnte, nun ja: etwas arg inszeniert wirken. Oder anders gesagt: Machen Sie es besser nicht so wie in Nordkorea.
Klatschen Sie heute doch einfach mal, wenn es wirklich etwas zu beklatschen gibt.
Morgen schreibt an dieser Stelle wieder Florian Harms für Sie.
Ihr
Sven Böll
Managing Editor t-online
Twitter: @SvenBoell
Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.
Mit Material von dpa.
Den täglichen Newsletter von Florian Harms hier abonnieren.