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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Drei Erkenntnisse aus Sachsen-Anhalt Schlechte Nachrichten für Annalena Baerbock
Reiner Haseloff triumphiert und kann weiterregieren. Für die Grünen hält der Abend bittere Wahrheiten bereit – nicht nur, weil sie im Land schwächer sind als erwartet. Drei Erkenntnisse aus der Wahl in Sachsen-Anhalt.
1. Die Revolution fällt aus – wie so oft
Reiner Haseloff folgt in Sachsen-Anhalt auf Reiner Haseloff. Das ist schon nach den ersten Hochrechnungen klar. Für den Ministerpräsidenten, der mit rund 37 Prozent klar bestätigt wurde, geht es nur noch darum, welche Koalition er schmieden wird: Kenia (CDU, SPD, Grüne), Deutschlandkoalition (CDU, SPD, FDP) und Jamaika (CDU, Grüne, FDP) sind auf jeden Fall möglich. Auch CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet darf sich nun endlich ein bisschen Rückenwind erhoffen.
Mit dem Sieg des Amtsinhabers reiht sich Sachsen-Anhalt nicht nur in die übrigen Landtagswahlen dieses Jahr in Baden-Württemberg (Kretschmann folgt auf Kretschmann) und Rheinland-Pfalz (Dreyer folgt auf Dreyer) ein. Das Ergebnis bestätigt einmal mehr einen Langzeittrend: Die Deutschen wählen traditionell das, was sie kennen – entweder den Amtsinhaber oder aber zumindest die Partei des Amtsinhabers.
Abseits von Daniel Günther (CDU), der 2017 Torsten Albig (SPD) in Schleswig-Holstein ablöste, und Armin Laschet (CDU), der im selben Jahr Hannelore Kraft (SPD) besiegte, sind die Parteizugehörigkeiten der Ministerpräsidenten in den Ländern überraschend konstant. 2014 besiegte Bodo Ramelow (Linke) in Thüringen Christine Lieberknecht (CDU), 2013 Stephan Weil (SPD) in Niedersachsen David McAllister (CDU). Die weiter zurückliegenden Beispiele stammen schon aus 2011, als Olaf Scholz (SPD) und Winfried Kretschmann (Grüne) jeweils CDU-Vorgänger ablösten.
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Viel häufiger kommt es vor, dass das Amt des Länderchefs innerhalb einer Partei erfolgreich weitergereicht wird. Markus Söder erbte in Bayern von Horst Seehofer, Michael Müller in Berlin von Klaus Wowereit, Volker Bouffier in Hessen von Roland Koch, Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz von Kurt Beck, Michael Kretschmer in Sachsen von Stanislaw Tillich. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Auch die Geschichte der deutschen Kanzlerschaften ist eher keine Geschichte des wilden Wandels. Mit Blick auf die Bundestagswahl sind das alles gute Nachrichten für Armin Laschets CDU – und schlechte für Annalena Baerbocks Grüne.
2. Die Schwäche im Osten wird gefährlich für die Grünen
Die nächste schlechte Nachricht für Annalena Baerbock hält das Ergebnis ihrer Partei selbst bereit. Die Grünen können ihr schwaches Resultat der vergangenen Wahl (5,2 Prozent) zwar offenbar verbessern. Aber vom zumindest inoffiziellen Ziel der Zweistelligkeit sind sie doch weit entfernt.
Damit sind die Grünen auch mal wieder weit entfernt von den Umfragen, die sie zum Teil bei 12 Prozent gesehen hatten, zumindest aber meist bei um die 10 Prozent. Das ist in der Vergangenheit nicht nur regelmäßig auf Bundesebene so gewesen, es war auch dieses Jahr schon in Rheinland-Pfalz zu beobachten, wenn auch nicht ganz so deutlich.
Vor allem aber ist es eine unangenehme Erinnerung an Thüringen 2019. Damals legten die Umfragen ebenfalls nahe, dass die Grünen immerhin an der Zweistelligkeit kratzen könnten. Letztlich schafften sie es gerade mal so über die Fünfprozenthürde.
Auch in Sachsen sahen alle Umfragen die Grünen im selben Jahr über 10 Prozent, am Ende wurden es doch nur 8,6 Prozent. In Brandenburg, ebenfalls 2019, kreisten die Grünen in den Umfragen sogar um die 15 Prozent, nur um am Wahltag bei 10,8 Prozent herauszukommen. Und in Mecklenburg-Vorpommern sind die Grünen 2016 sogar aus dem Landtag geflogen.
Nun kämpften sie in all diesen Ländern nicht in einem Duell um Platz eins, so wie es sich bei der Bundestagswahl abzeichnet. In Baden-Württemberg hat Winfried Kretschmann dieses Jahr gezeigt, dass es auch anders geht für die Grünen. Nur war er dort eben der beliebte Amtsinhaber.
Vermutlich noch wichtiger mit Blick auf den Herbst ist: Das Ergebnis in Sachsen-Anhalt verdeutlicht, dass die Grünen ihre Schwäche im Osten Deutschlands noch längst nicht überwunden haben. Bei der Bundestagswahl 2017 erreichten die Grünen in den neuen Bundesländern jeweils maximal fünf Prozent – und meistens weniger. Mit Werten von nun höchstens 10 Prozent bei den Landtagswahlen haben sie im Herbst wahrscheinlich noch immer einen erheblichen Nachteil gegenüber der CDU.
Ohne bessere Ergebnisse im Osten wird es für die Grünen jedenfalls sehr schwierig, die CDU zu überholen.
3. Die AfD ist längst keine Protestpartei mehr
In Sachsen-Anhalt bestätigt sich, was Forscher schon seit Längerem sagen und was sich auch bei vergangenen Wahlen gezeigt hat: Wer die AfD wählt, tut das in der Regel nicht (mehr) aus Protest, sondern weil er so etwas wie ein Stammwähler ist und sich mit ihren extrem rechten Inhalten identifiziert.
Diese Stammwähler schreckt deshalb einerseits auch nicht ab, wenn die AfD wie in Sachsen-Anhalt selbst für AfD-Verhältnisse sehr weit rechts steht. Und wenn sie erst im Frühjahr vom Landesverfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft worden ist.
Andererseits hat der Corona-Frust der AfD in Teilen der Bevölkerung offensichtlich keine Zuwächse beschert – im Gegenteil. Bisher sitzt sie mit 24,3 Prozent im Landtag. Das ist durchaus bemerkenswert, besonders weil die Pandemie monatelang die öffentliche Debatte bestimmte. Damit hat sich auch Reiner Haseloffs heftige Kritik, die Bundesnotbremse habe der AfD einen Schub gebracht, als falsch erwiesen.
Dass die AfD in Sachsen-Anhalt trotzdem immer noch mehr als 20 Prozent erreicht, zeigt jedoch auch, dass es den anderen Parteien nicht gelungen ist, sie zurückzudrängen. Die AfD kann ihre Anhänger offenbar noch immer ziemlich gut motivieren, ihre Stimme abzugeben. Das liegt vermutlich nicht zuletzt daran, dass Teile der CDU immer wieder die Hand ausgestreckt haben – und damit eine Wie-auch-immer-Regierungsbeteiligung der AfD haben möglich erscheinen lassen.
- Eigene Recherchen und Beobachtungen
- Ergebnisse und Umfragen via Wahlrecht.de
- Bundestagswahlergebnis nach Bundesländern