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Offener Hass: Muslimischer Antisemitismus muss benannt werden


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Tagesanbruch
Muslimischer Antisemitismus muss benannt werden

MeinungVon Camilla Kohrs

Aktualisiert am 18.05.2021Lesedauer: 5 Min.
Eine propalästinensische Demo in Berlin: Die Polizei hatte größte Mühe, die Menge unter Kontrolle zu bringen.Vergrößern des Bildes
Eine propalästinensische Demo in Berlin: Die Polizei hatte größte Mühe, die Menge unter Kontrolle zu bringen. (Quelle: Christian Mang/reuters)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Tagesüberblick, heute geht es um einen Wettbewerb mit Fanatikern:

Ein lang bekanntes Problem

"Beschießt Tel Aviv", "Wir brauchen keine friedliche Lösung", "Kindermörder Israel": Das ist nur eine kleine Auswahl des Hasses und der Gewaltfantasien, die am Wochenende auf Demonstrationen in deutschen Städten verbreitet wurden. Was als propalästinensischer Protest gegen die Politik Israels angekündigt war, zeigte sich vielerorts als offener Antisemitismus. Besonders in Berlin eskalierte die Lage. Die Polizei löste einen Protestzug auf und wurde daraufhin attackiert. Eine israelische Journalistin wurde aus der Menge mit einem Böller angegriffen, eine homosexuelle Person geschlagen. Die Bilanz: 93 verletzte Beamte, 59 Festnahmen, 150 Anzeigen.

Wer waren die Menschen, die dort antisemitische Hetze verbreiteten? Das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) berichtet, dass vor allem radikale Islamisten, Anhänger der Terrororganisation Hamas und Mitglieder der rechtsextremen türkischen Vereinigung "Graue Wölfe" die Sprechchöre in Berlin initiierten. Begleitet – und zumindest toleriert – wurden sie aber von Familien und Jugendlichen, oft mit Migrationshintergrund. Auch Linksradikale liefen mit.

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Nicht überraschend, dass sich viele Politiker gestern schockiert äußerten. Neben den – natürlich wichtigen, aber schon oft gehörten – Formulierungen "inakzeptabel", "hat keinen Platz in Deutschland" und "empörend" fanden einige sehr klare Worte: Jeder deutsche Bürger, "ob er eingewandert ist, hier geboren oder eingebürgert wurde", sei der historischen Verantwortung Deutschlands für Israel verpflichtet, sagte etwa CDU-Chef Armin Laschet. Auch die Bundesregierung setzte ein Zeichen: "In diesen Tagen wird uns erneut klar: Es gibt auch muslimische Antisemiten", sagte deren Sprecher Steffen Seibert. "Solch eine Einstellung ist in Deutschland inakzeptabel. Das muss jeder wissen, und das muss jedem mit den Mitteln des Rechtsstaates klargemacht werden."

Das ist ein heikles Thema, spielt es doch allzu oft politischen Scharfmachern in die Hände, die jede Gelegenheit nutzen, um gegen Muslime zu wettern. Den Antisemitismus unter Muslimen aber auch klar als solchen zu benennen, ist wichtig. Denn er zeigt sich in diesen Tagen nicht nur bei den Kundgebungen. Schon in der vergangenen Woche wurden Israel-Flaggen verbrannt oder abgerissen und Synagogen angegriffen. Viele jüdische Bürger berichten von Anfeindungen auf der Straße, Hassnachrichten im Internet – und einer zunehmenden Angst. Und auch die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus RIAS verzeichnet zahlreiche Übergriffe. Hier sehen Sie eine Auswahl.

Statistiken der Polizei zeigen zwar: Der überwältigende Teil judenfeindlicher Straftaten kommt von rechts, im vergangenen Jahr waren es weit über 90 Prozent. In Situationen wie der gegenwärtigen, in der im Nahen Osten der Konflikt eskaliert, zeigt sich jedoch, wie schnell sich der Hass auch von anderer Seite entladen kann.

Allerdings lädt diese Feststellung zu vorschnellen Fehlschlüssen ein. Einige Politiker fordern nun etwa Abschiebungen oder eine striktere Einwanderungspolitik. Das packt das Problem nicht an der Wurzel. Viele der Menschen, die mitdemonstriert und mitskandiert haben, sind Deutsche, sie sind hierzulande aufgewachsen und zur Schule gegangen.

Wie also dem Hass begegnen? Natürlich braucht es eine klare Antwort des Rechtsstaates auf Straftaten, wie meine Kollegin Josephin Hartwig und mein Kollege Lars Wienand hier darlegen. Das allein reicht aber nicht.

Das Problem ist eigentlich schon länger bekannt. Es zeigte sich bereits in den Jahren 2009 und 2014, auch damals eskalierte der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Und der Grünen-Politiker Cem Özdemir warnte ebenfalls 2009 bereits davor, wie verbreitet antisemitische Stereotype und Verschwörungstheorien unter jungen Muslimen in Deutschland seien.

Das hat er nun wiederholt: In der Tagesschau forderte Özdemir ein klareres Eintreten gegen Antisemitismus in den Schulen und in den Moscheen. Außerdem brauche es mehr Medienangebote, etwa auf Türkisch oder Arabisch. "Wir sind in einem Wettbewerb mit Fanatikern, mit Radikalen, die das Gift über die Wohnzimmer in die Familien hineintragen", meint Herr Özdemir. Auch der Psychologe und Autor Ahmad Mansour hat im Interview mit t-online mehr Aufklärung gefordert, etwa in Schulen, sozialen Medien und Integrationskursen. Und die Grünen-Politikerin Marina Weisband spricht in einem gemeinsamen Interview mit der Holocaust-Überlebenden Charlotte Knobloch im "Spiegel" einen weiteren wichtigen Punkt an: Dialog auf Augenhöhe. Das sehr lesenswerte Interview der Kollegen finden Sie hier (kostenpflichtig).

Gerade deswegen ist es wichtig, dass nun ein weiterer Fehler nicht begangen wird: den Antisemitismus als etwas abzutun, das hauptsächlich unter Muslimen besteht. Denn antisemitische Denkmuster existieren in weiten Teilen der Gesellschaft – und die Angriffe im Internet und auf den Straßen nehmen zu. Bevor nun also wieder eine Debatte besteht, wer wie wo und warum zu Deutschland gehört, sollten wir akzeptieren, dass Antisemitismus hierzulande leider vielerorts verbreitet ist – um dann alles daran zu setzen, das zu ändern.


Diplomatie im Bombenhagel

Während Deutschland einen Umgang mit dem Antisemitismus sucht, setzen die Hamas und Israel ihren Konflikt fort. Die Terrororganisation hat seit Anfang vergangener Woche mehr als 3.000 Raketen auf Israel abgefeuert, Israels Militär beschießt und bombardiert zahlreiche Ziele im Gazastreifen. Die EU-Außenminister wollen heute auf einer Krisensitzung darüber sprechen, wie "die EU am besten zu einem Ende der derzeitigen Gewalt beitragen" kann. Das dürften keine leichten Beratungen werden, denn die Lage in Nahost ist kompliziert, und die Fronten sind verhärtet. Wie sehr, beschreibt unser Kolumnist Gerhard Spörl.


Die Impfpriorisierung endet bald

Jens Spahn und die Gesundheitsminister der Länder haben sich entschieden: Die Impfpriorisierung endet am 7. Juni. Ab dann kann sich jeder in den Arztpraxen und in den Impfzentren einen Termin geben lassen. Vielleicht denken Sie jetzt: "Moment mal, die Priorisierung gilt überhaupt noch?" Dann wohnen Sie wahrscheinlich in Baden-Württemberg oder Berlin. Dort ist sie zumindest für die Hausarztpraxen bereits aufgehoben. In Bayern gilt das ab Donnerstag, und auch Thüringen will bald folgen. Ach ja, und Astrazeneca darf auch schon außerhalb der Reihe verimpft werden. Wer weiß, vielleicht ist die Priorisierung ja eh schon überall aufgehoben, bevor sie auch formal bundesweit fällt. Würde mich nicht wundern.


Ausgekickt

Es war abzusehen: Fritz Keller, der sich bislang Präsident des Deutschen Fußball-Bundes nennen durfte, ist zurückgetreten. Und das so, wie er zuvor im Amt gewirkt hatte: mit Getöse. In einem Abschiedsbrief holte er noch mal kräftig aus: Er sei "in jeder Phase" der Umsetzung seiner Grundsätze "innerhalb des DFB auf Widerstände und Mauern" gestoßen, polterte er. Dass er nun aber noch eine Debatte angestoßen habe, mache ihm Hoffnung. "Der DFB muss sich verändern", meint er. Ohne ihn dürfte das leichter gehen als mit ihm.

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Was lesen?

Der HSV hat es schon wieder vermasselt: Auch im dritten Jahr der Zweitklassigkeit verpasst der einstige Bundesliga-Dino die Rückkehr ins Oberhaus. Dabei lässt sich ein wiederkehrendes Muster erkennen. Mein Kollege Noah Platschko hat sich das abermalige Scheitern der Hamburger genauer angeschaut.


Im Internet wird ein Thesenpapier heftig diskutiert: Zehn Wissenschaftler behaupten, die Angst vor überlasteten Intensivstationen sei in der gesamten Pandemie unbegründet gewesen. Was ist dran? Meine Kollegin Sandra Simonsen erklärt es Ihnen.


Eine Infektion mit dem Coronavirus hat viele Gesichter. Die häufigsten Symptome – Husten, Fieber, Müdigkeit und Magen-Darm-Probleme – sind allseits bekannt. Doch ein Teil der Betroffenen entwickelt auch Hautveränderungen, wie neue Analysen zeigen. Meine Kollegin Melanie Weiner weiß mehr.


Was amüsiert mich?

Endlich ein guter Grund, mal wieder Sport zu machen.

Ich wünsche Ihnen und mir, dass uns das Aprilwetter bald verlässt. Bis dahin machen Sie's gut! Morgen lesen Sie an dieser Stelle wieder von meinem Kollegen Florian Harms.

Herzliche Grüße, Ihre

Camilla Kohrs
Redakteurin Politik/Panorama
Twitter: @cckohrs

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Mit Material von dpa.

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