Was heute wichtig ist Lachen verboten
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Liebe Leserin, lieber Leser,
herzlich willkommen zum Tagesanbruch. Mein Name ist Steven Sowa und ich bin Redakteur im Unterhaltungsressort von t-online. Entsprechend möchte ich heute mit einem klassischen Unterhaltungsthema beginnen: dem Humor.
"Im Himmel wird nicht gelacht", stellte einst der amerikanische Erzähler und Humorist Mark Twain fest. Was auf den ersten Blick befremdlich wirken mag, folgt einer einfachen Logik: Das Elend der Welt wäre ohne Lachen nicht auszuhalten. Im Himmel hingegen herrscht Friede, Freude, Eierkuchen, da braucht kein Mensch das Lachen.
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Das Lachen, dieses befreiende, oft erlösende Ventil, das den Druck des Alltags, die Sorgen der Welt, all den Ballast des Menschseins für einen Moment entweichen lässt, ist schwer geworden. Mir ist nicht bekannt, dass Deutschland inzwischen der Himmel auf Erden ist, und dennoch: Jedes Lachen steht gegenwärtig unter besonderer Beobachtung. Jede Lachmuskel-Entgleisung sollte wohlüberlegt sein. Es herrscht Humorstarre. Spätestens seit Beginn der Pandemie verharrt unsere Gesellschaft in unterschiedlichen, voneinander getrennten Humorlagern. Das lähmt. Es sorgt dafür, dass sich einzelne Gruppierungen immer tiefer in ihren Gräben verschanzen und das gegnerische Lager argwöhnisch beäugen.
An den Frontlinien gerät auch der Humor immer mehr unter Beschuss. Die Devise lautet leider oft: "Ein falscher Witz, und ich stelle dich öffentlich an den Pranger!" Die "Alles dicht machen"-Aktion von rund 50 Schauspielerinnen und Schauspielern hat das soeben erst bewiesen. Ich persönlich halte nichts von dieser Kampagne, mehr noch: Teile davon stoßen mich regelrecht ab. Wenn der "Tatort"-Schauspieler Richy Müller durch Atmen in Tüten Menschen verhöhnt, die an Beatmungsgeräten um ihr Leben kämpfen, ist für mich die Grenze des guten Geschmacks weit überschritten.
Dennoch habe ich Herrn Müller weder Corona an den Hals noch ein Berufsverbot gewünscht. Ich habe mich wahnsinnig geärgert, aber meinen Ärger nicht in die Welt geschrien, sondern erst einmal recherchiert. Ich wollte verstehen, welche Motivation hinter der Aktion steckte und welches Ziel sie verfolgte. Denn das war ja nicht klar zu erkennen: Der Kern der Kritik blieb diffus. Missbilligen der Corona-Politik? Aufmerksamkeit für die Nöte von freischaffenden Künstlern in der Pandemie? Medienkritik? Irgendwie von allem ein bisschen? Vermutlich war auch diese Unschärfe ein Grund, warum die Schauspielerinnen und Schauspieler schnell in die Ecke der "Querdenker" gestellt wurden, die die Aktion prompt für ihre Zwecke instrumentalisierten.
Womit wir bei dem Punkt wären, der in der Humorarbeit so wichtig ist: dem Ziel. "Alles dicht machen" war kein harmloser Witz, kein Schenkelklopfer, an dem die Geschmäcker auseinandergehen. Es war eine gezielte Aktion, orchestriert und um maximale Wirkung bemüht. Mag sie in den hintersten Winkeln ihrer Inszenierung auch einen wahren Kern gehabt haben, scheiterte sie spätestens dann, als sie eines der Grundgesetze der Humorarbeit missachtete: Tritt immer nach oben, nie nach unten. Richy Müller und auch einige der anderen Schauspieler haben das Leiden infizierter Menschen lächerlich gemacht und dabei ihr Ziel aus den Augen verloren. Das war geschmacklos – und diskreditierte ein Unterfangen, das in anderer Form seine Daseinsberechtigung gehabt hätte.
Inzwischen sind sieben Tage vergangen und ich habe viel über die Aktion, die uns die Spaltung unserer Gesellschaft so anschaulich vor Augen führte, nachgedacht. Zum Beispiel habe ich mir vorgestellt, wie der "Babylon Berlin"-Star Volker Bruch auf einer Bühne steht und seinen "Ohne Angst habe ich Angst"-Beitrag vorträgt. Wie er die Regierung dafür kritisiert, in der Kommunikation und Erklärung ihres Krisenmanagements nicht den richtigen Ton zu treffen. Vielleicht hätte ein guter Regisseur daraus tatsächlich ein wirkungsvolles Theaterstück entwickelt. Schauspieler im Hintergrund wären vielleicht beim "22-Uhr-Glockenschlag" mit "Ausgangssperre"-Plakaten in der Hand ängstlich in ihre Häuserkulissen geflüchtet. Aber all das war nicht zu sehen.
Stattdessen erleben wir derzeit eine kulturelle Dürre und eine digitale Verrohung der Kulturtechniken. Humor hat die Kraft, Menschen miteinander zu verbinden. Das Publikum in einem Theatersaal mag in seinen politischen Ansichten getrennt sein, lacht und applaudiert aber gemeinsam, schüttet Endorphine aus – und erlebt kollektiv einen Moment der Heiterkeit und des Glücks.
In Corona-Zeiten gibt es diese Art von Humor für die Mehrheitsgesellschaft nicht. Es fehlt das unmittelbare Erleben, und es mangelt an offenen Resonanzräumen und Kulturstätten, in denen unsere zivilisierte Gesellschaft gespiegelt und auf den Prüfstand gestellt wird. Selbstverständlich gab es schon immer Komiker, mit denen eher linke Bürger mehr sympathisierten, und es gab Entertainer, die vom eher konservativen Lager verehrt wurden. Doch in den Echokammern digitaler Sphären kommt es zu keiner Vermischung mehr. Seit Monaten findet kein Familien- oder Freunde-Abend mehr statt, an dem über Witze gestritten, über den Tonfall eines Films debattiert oder über die Darbietung auf einer Bühne diskutiert werden kann.
An die Stelle des konstruktiven Austausches tritt ein immer wiederkehrender Shitstorm, der uns aus den "sozialen Medien" entgegenschwappt. Grundiert in schwarz und weiß. Die fehlenden Zwischentöne werden zum Problem. Künstlerinnen und Künstler, die die Bühne brauchen und sie mit YouTube verwechseln, geraten an die Grenzen ihres Könnens. Menschen hocken allein und gereizt zu Hause vor ihrem Computer und tippen Gemeinheiten in die Tasten. Wie kommen wir da wieder raus?
Die Lösung – fernab der Öffnung von Theatern, Kinos und Kunstbühnen – kann nur lauten: Mehr Gedankenexperimente wagen. Jeder von uns steckt in einer Blase, das müssen wir uns eingestehen. Jeder erlebt die Pandemie anders, und jeder geht anders damit um. Aber es geht leichter, wenn wir dabei auf andere Menschen Rücksicht nehmen. Mein Tipp an alle Verdrossenen lautet also: Lassen Sie Ihren Groll verfliegen und blicken Sie über den eigenen Erfahrungs- und Geschmackshorizont hinaus. Wenn Sie merken, dass unter dem Deckmantel vermeintlicher "Kunstfreiheit" nach unten getreten wird und Marginalisierte verspottet, unsere Grundwerte der Menschlichkeit missachtet werden, dann erheben Sie Ihre Stimme. Aber wählen Sie die Sprache der Versöhnung – oder die des Humors. Denn "Humor ist, wenn man trotzdem lacht".
Weil das Thema in Corona-Zeiten aktuell bleibt, habe ich mit einem Mann gesprochen, der sich mit Shitstorms auskennt. Der Satiriker Martin Sonneborn kommt zu überraschend schmerzhaften Erkenntnissen, formuliert diese aber wie gewohnt nicht ohne die nötige Prise Humor: Hier lesen Sie das Interview.
Spahn spricht über die Corona-Lage
Seit vergangenem Freitag gilt die bundeseinheitliche Notbremse. Überschreiten ein Landkreis oder eine kreisfreie Stadt an drei aufeinanderfolgenden Tagen eine Inzidenz von 100, gelten dort ab dem übernächsten Tag zusätzliche, bundeseinheitliche Maßnahmen. Darunter die teils umstrittenen Ausgangsbeschränkungen zwischen 22 und 5 Uhr.
Fragen nach deren Wirksamkeit, dem aktuellen Infektionsgeschehen in der dritten Corona-Welle und der Lage auf den Intensivstationen werden sich Gesundheitsminister Jens Spahn und RKI-Präsident Lothar Wieler heute um 11 Uhr bei ihrer wöchentlichen Pressekonferenz in Berlin stellen müssen. Fest steht bereits vorab: Die Zahlen gehen nur sehr langsam herunter. Schon jetzt lässt sich allerdings absehen, was Jens Spahn diesem Vorwurf argumentativ entgegenhalten wird. Der CDU-Politiker wird betonen, dass die Impfkampagne in Deutschland immer mehr Fahrt aufnimmt. Welche Gründe das hat und dass dabei auch immer wieder fälschlicherweise von "Vordrängeln" die Rede ist, hat meine Kollegin Sandra Simonsen für Sie dokumentiert.
Die Türkei zieht die Notbremse
Infizierten sich bei uns in Deutschland gestern 22.231 Menschen, waren es in der Türkei am selben Tag doppelt so viele. Weil das Land die Pandemie partout nicht in den Griff bekommt, zieht Präsident Recep Tayyip Erdoğan jetzt die Notbremse. Bis zum 17. Mai müssen alle Betriebe schließen, darunter auch Restaurants und Cafés. Bürger dürfen ihre Wohnungen nur noch aus triftigen Gründen verlassen, etwa zum Einkaufen – die Läden schließen vor Ort jedoch bereits überall um 19 Uhr. Reisen zwischen Städten sind ausschließlich mit Genehmigung möglich.
Nur eine Ausnahme gibt es und die ist nicht gerade unerheblich: Der Tourismussektor bleibt geöffnet. Touristen dürfen Museen und archäologische Stätten besuchen, während die Bevölkerung stillhalten muss. "In gewisser Hinsicht ist es in der Türkei von Vorteil, Tourist zu sein", fasste Tourismusminister Mehmet Nuri Ersoy das Maßnahmenpaket treffend zusammen. Über die Gründe hat meine Kollegin Liesa Wölm berichtet.
Metzelder muss auf die Anklagebank
Christoph Metzelder muss sich an diesem Donnerstag in Düsseldorf vor Gericht verantworten. Er ist angeklagt, weil er Kinder- und Jugendpornografie besessen und insgesamt 29 Dateien an drei Frauen weitergeleitet haben soll. Der Fall ist auch deswegen so brisant, weil der Fußball-Vizeweltmeister in der Vergangenheit mit allen Mitteln versucht hat, die Berichterstattung gegen ihn zu verhindern. 2006 gründete Metzelder zudem eine eigene Stiftung für Kinder und engagierte sich für die Bekämpfung von Kindesmissbrauch.
Nach Bekanntwerden der Ermittlungen hatte er Positionen und Ämter ruhen lassen. Sein Verteidiger Ulrich Sommer nahm vor wenigen Tagen erstmals zu dem Fall Stellung und sagte dem Fernsehsender RTL: "Er weiß, was er gemacht hat. Er weiß auch, dass man das als Fehler bezeichnen kann." Ob und wie Christoph Metzelder sich nun selbst zu den Vorwürfen vor Gericht äußert, bleibt abzuwarten.
Was lesen?
Erst ein Impfstoff, nun eine Pille: Der Pharmakonzern Pfizer arbeitet an einem Medikament gegen schwere Covid-19-Verläufe und treibt die Forschung voran. Wie das Mittel funktioniert und wann es erhältlich sein könnte, erklärt meine Kollegin Melanie Weiner.
Deutschland und China wollen ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit vertiefen – trotz erheblicher Meinungsverschiedenheiten beim Thema Menschenrechte. Das betonten Kanzlerin Angela Merkel und der chinesische Premierminister Li Keqiang gestern bei ihrem Videogipfel. Welche Fallstricke dennoch in den diplomatischen Beziehungen mit Peking lauern, zeigt Ihnen mein Kollege Maximilian Kalkhof in einem lesenswerten Hintergrundtext auf.
Wird die Bundesliga durch den Wechsel von Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann zum FC Bayern noch langweiliger? Im Gegenteil meint t-online-Kolumnist Stefan Effenberg. Dass Hansi Flick und Nachfolger Nagelsmann auf den ersten Blick nicht für den exakt gleichen Fußball stehen, aber auf sehr ähnliche Prinzipien achten, erklärt hingegen t-online-Taktikexperte Constantin Eckner.
Was amüsiert mich?
Ach, diese "Querdenker": Nie eine Maske auf, aber an der Ampel brav strammstehen.
Morgen begrüßt Sie an dieser Stelle wieder t-online-Chefredakteur Florian Harms. Ich wünsche Ihnen einen vergnüglichen Donnerstag und mindestens einen herzhaften Lacher.
Ihr
Steven Sowa
Redakteur Unterhaltung
Twitter @StevenSovani
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Mit Material von dpa.
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