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Bilanz der ersten 100 Tage: Joe Biden krempelt die US-Politik um


Tagesanbruch
Biden krempelt Amerikas Politik um

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 26.04.2021Lesedauer: 8 Min.
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Joe Biden will Amerika wieder Autorität verleihen.Vergrößern des Bildes
Joe Biden will Amerika wieder Autorität verleihen. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

in angespannten Zeiten tut Abwechslung gut. Spannung, Rührung, Unterhaltung: Nichts kann Kino besser. Obwohl die meisten Lichtspielhäuser seit Monaten geschlossen sind, hat die Filmbranche wieder herausragende Werke gedreht. Auf der Oscar-Gala in der vergangenen Nacht wurden die besten Filme und Künstler ausgezeichnet, unser Unterhaltungsressort zeigt Ihnen hier alle Sieger. Und wir bleiben gleich in den USA:

Der Partner ist zurück

Die Erwartungen waren groß. Nach vier quälenden Trump-Jahren versprach Joe Biden einen Neuanfang der amerikanischen Politik: Jetzt geht es los! Er hat Wort gehalten. Wenn der Demokrat in dieser Woche seine ersten 100 Tage im Amt hinter sich bringt, hat er nicht nur mehr geleistet als sein Vorgänger in derselben Zeit, sondern auch als dessen Vorgänger Obama. Er hat das Corona-Missmanagement in eine Impf-Erfolgsstory verwandelt. Den Klimaschutz aus der Versenkung geholt und ganz vorn auf der Agenda platziert. Die Diplomatie wiederbelebt. Den Kriegstreibern in Saudi-Arabien und den Putschgenerälen in Myanmar rote Linien gezogen. Und, vielleicht am wichtigsten, die gespaltenen Staaten von Amerika beruhigt und vielen Bürgern das Vertrauen zurückgegeben, dass die Regierung Probleme lösen kann, statt sie zu vergrößern. Mit einem Zwei-Billionen-Dollar-Programm will er nun die maroden Straßen, Brücken, Schulen und Behörden seines Landes reparieren – vielleicht werden ihm die Republikaner im Senat ein paar Nullen wegstreichen.

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Wichtiger für uns in Deutschland: Ist Joe Biden wirklich ein besserer Partner, als Donald Trump es war? Das wollten mein Kollege Patrick Diekmann und ich wissen, also haben wir denjenigen gefragt, der es am besten wissen muss. Exklusiv für den Tagesanbruch beantwortet Außenminister Heiko Maas (SPD) unsere Fragen:

Herr Maas, unser letztes Interview hatten wir am Ende von Donald Trumps Amtszeit geführt, damals erhofften Sie sich von einem neuen US-Präsidenten Joe Biden eine Normalisierung der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Sind die Beziehungen jetzt normal?

Heiko Maas: Nein, sie sind hervorragend. Joe Biden hat Wort gehalten: "America is back". Das ist mehr als nur ein Slogan, wir erleben das jeden Tag ganz konkret in der Außenpolitik. Bei allen großen politischen Linien sprechen wir wieder mit einer Stimme – von der Reaktion auf russische Provokationen über das Einstehen für Menschenrechte weltweit bis hin zum globalen Kampf gegen den Klimawandel. Mit Tony Blinken, dem neuen Außenminister, habe ich gefühlt schon mehr gesprochen als mit seinem Vorgänger während seiner ganzen Amtszeit. Und es sind aufrichtige und konstruktive Gespräche – auch dann, wenn wir mal nicht einer Meinung sind.

Was war aus deutscher Sicht die wichtigste Entscheidung in den ersten 100 Tagen von Bidens Präsidentschaft?

Die Rückkehr der USA in das Pariser Klimaabkommen. Wir haben jetzt endlich wieder eine US-Regierung, die im Kampf gegen den Klimawandel vorangeht. Mit John Kerry wurde eine weltweit respektierte Persönlichkeit zum Klima-Sonderbotschafter ernannt. Und der virtuelle Klimagipfel, den die USA gerade ausgerichtet haben, hat schon erste konkrete Ergebnisse eingebracht: Mehrere Staaten haben sich ambitioniertere Emissionsziele gesetzt – auch wir als EU.

Unter Präsident Biden hat sich der diplomatische Ton verbessert. Aber mal abgesehen von der Klimapolitik, wo sehen Sie echte inhaltliche Unterschiede zur Trump-Administration?

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll: Ganz aktuell führen wir intensivste Verhandlungen über eine Rückkehr der USA in das Atomabkommen mit dem Iran. Aber die Rückbesinnung der USA auf den Multilateralismus, auf Allianzen und Partner, zieht sich quer durch alle außenpolitischen Bereiche: Der Beitritt der USA zur internationalen Impfallianz COVAX, die Verlängerung des New Start-Abrüstungsvertrages mit Russland – das alles sind handfeste Schritte, die auch im deutschen und europäischen Interesse sind.

Viele in Deutschland haben sich von Herrn Biden ein Ende der Trumpschen "America-First"-Politik erhofft. De facto verhält sich die neue US-Regierung ebenfalls protektionistisch und liefert zum Beispiel keine Corona-Impfstoffe nach Europa. Haben wir Deutschen von der neuen US-Regierung zu viel erwartet?

Das glaube ich nicht. Dass unsere Interessen auch jetzt nicht immer völlig deckungsgleich sind, ist doch klar. Aber der Zungenschlag ist ein völlig anderer als "America First". Das gilt auch bei den Impfstoffen. Die Kooperation zwischen Biontech und dem US-Partner Pfizer ist eine absolute Erfolgsgeschichte. Und es ist zwar richtig, dass Europa viele Impfdosen exportiert, die USA hingegen nicht. Aber die USA liefern wichtige Vorprodukte in die EU. Und noch mal: Die Biden-Regierung ist auch der Impfplattform COVAX beigetreten, die bereits fast 120 ärmere Länder mit Impfstoffen beliefert hat. Die USA sind dort jetzt der größte Geber. Deutschland ist jetzt auf Platz 2.

Unter Joe Biden nehmen die USA wieder eine globale ordnungspolitische Rolle ein, was die Konflikte mit Russland und China verschärft. Erwartet die US-Regierung, dass Deutschland nun im außenpolitischen Fahrwasser der USA mitschwimmt und seine Vermittlerposition zwischen den Großmächten aufgibt?

China ist und bleibt die absolute Priorität der amerikanischen Außenpolitik. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die Partner. Aber die Biden-Regierung setzt dabei nicht auf Erpressung, sondern auf Kooperation. Die Sichtweise auf China hat sich ohnehin angenähert. Die Biden-Regierung hat eine Beschreibung übernommen, die wir in der EU schon länger verwenden: China ist gleichzeitig Partner, Wettbewerber und Systemrivale.

Was heißt das konkret?

Wir brauchen einerseits Zusammenarbeit bei Themen wie Klima oder der Pandemiebekämpfung, für die es nur globale Lösungen geben kann. Gleichzeitig müssen wir China gemeinsam die Stirn bieten, wenn es um schwere Menschenrechtsverletzungen wie in Xinjiang und die Entwicklungen in Hongkong geht. Und das tun wir auch, wie zuletzt im März mit unseren koordinierten Sanktionen gegen chinesische Offizielle in Xinjiang.

Wie Trump droht auch Biden Deutschland wegen Nord Stream 2 mit Sanktionen. Wieso beschädigt die Bundesregierung mit ihrem Festhalten an der Ostseepipeline den Aussöhnungsprozess mit den USA, obwohl das Projekt für die deutsche Gasversorgung gar nicht notwendig ist?

Unsere Einschätzung ist weiterhin, dass Nord Stream 2 energiepolitisch sinnvoll ist. Natürlich kann man das Projekt nicht unabhängig vom Verhalten Russlands betrachten. Nur wird Nord Stream 2 immer mehr zu einem Allheilmittel verklärt, mit dem man Russland zur Räson bringen könnte. Das geht an der Realität vorbei, vor allem, wenn gleichzeitig Europa weiterhin russisches Gas über die Ukraine und die Türkei bezieht und die USA im großen Stil Öl aus Russland kaufen.

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Die USA und die Nato haben das Ende des Afghanistan-Einsatzes eingeläutet, die Bundeswehr will ebenfalls abziehen. Wann wird der letzte deutsche Soldat Afghanistan verlassen haben?

In der NATO haben wir uns gemeinsam auf einen geordneten Abzug bis September geeinigt. Dieser Beschluss ist die Grundlage für die Planungen der Bundeswehr. An welchem Tag genau der Abzug abgeschlossen sein wird, hängt von vielen Faktoren ab. Dazu steht die Bundeswehr in engem Kontakt zu unseren NATO-Partnern und natürlich der afghanischen Regierung und Armee. Unsere oberste Priorität ist es, zu jedem Zeitpunkt die Sicherheit aller Soldatinnen und Soldaten sowie des zivilen Personals zu gewährleisten. Daran richtet die Bundeswehr ihre Planungen aus.

Die Taliban werden vermutlich in das Machtvakuum nach dem westlichen Abzug vorstoßen. Nimmt Deutschland in Kauf, dass nach fast 20 Jahren Aufbauarbeit die Islamisten wieder erstarken und Frauen, Säkulare, Minderheiten diskriminieren?

Diese Gefahr will ich nicht kleinreden. Aber der militärische Abzug bedeutet natürlich nicht das Ende unseres Engagements insgesamt. Deutschland ist nicht nur zweitgrößter Truppensteller, sondern auch zweitgrößter ziviler Geber. Wir wollen Afghanistan weiter mit Entwicklungszusammenarbeit helfen. Und wir werden den innerafghanischen Friedensprozess weiter durch unsere diplomatischen Bemühungen unterstützen. Natürlich sind diese Verhandlungen nach Jahrzehnten des Konflikts langwierig und schmerzhaft. Da gibt es keine Abkürzungen.

Und wann besuchen Sie Ihren Kollegen Antony Blinken in Washington?

Sobald es die Umstände erlauben. Wir sind in regem Kontakt und haben uns kürzlich erst in Brüssel getroffen. In nicht allzu ferner Zukunft steht dann sicher auch ein Besuch in Washington auf dem Programm.


Wer wann eine Spritze kriegt

Ein Glück nur, dass es zwischen den Ex-Kanzlerkandidaten-Konkurrenten Markus Söder und Armin Laschet "keinen persönlichen Bruch" gibt, wie Bayerns Ministerpräsident im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" beteuert. Denn heute müssen die Kontrahenten beim virtuellen Impfgipfel von Bund und Ländern wieder zusammenarbeiten. In alter Gipfeltradition ist Herr Söder bereits mit Forderungen vorgeprescht: Die "starre Priorisierung" beim Impfen sei nun "schneller aufzulösen, am besten noch im Mai", fordert er. Damit schlägt der CSU-Chef ein höheres Tempo vor als Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der eine Impfung aller Bürger "im Juni" in Aussicht stellt und vor überzogenen Erwartungen warnt. Neben der strittigen Priorisierung geht es um weitere Fragen: Inwieweit sollen die Regeln der Bundesnotbremse auch für Menschen mit Impfschutz gelten, und sind Geimpfte mit negativ Getesteten und Genesenen gleichzusetzen? Hierzu hat sich wiederum Herr Laschet zu Wort gemeldet und eine Gleichstellung der Geimpften "rechtlich geboten" genannt. Die Profilierungsrituale im Vorfeld der Bund-Länder-Gipfel scheinen auch nach längerer Pause wieder einwandfrei zu funktionieren.


Spätfolgen des GAUs

Es war ein globaler Schock: Als am 26. April 1986 der Reaktor 4 des sowjetischen Kernkraftwerks Tschernobyl explodierte, zog eine radioaktive Wolke über weite Teile Europas. Wenn sich die größte Katastrophe der zivilen Kernkraftnutzung heute zum 35. Mal jährt, sind pandemiebedingt keine größeren Gedenkveranstaltungen geplant; ohnehin ist eine Abkehr von der Atomenergie weder in der Ukraine noch in Russland je ein größeres Thema gewesen. Wie einschneidend der GAU aber damals wirkte, lässt sich daran ermessen, dass sich die Situation damals ähnlich anfühlte wie der Beginn der Corona-Pandemie: geprägt von Schockstarre, Unwissen, widersprüchlichen Verhaltensregeln, dem Lernen neuer Fachbegriffe und Grenzwerte. Dürfen Kinder noch in Sandkästen spielen? Ist es gefährlich, bei Regen vor die Tür zu gehen? Solche Fragen prägten plötzlich den Alltag. Alte Geschichten? Keineswegs: Bis heute müssen in einigen Regionen Bayerns radioaktiv belastete Wildschweine entsorgt werden. Globale Krisen haben Jahrzehntelang Nachwirkungen. Mit Corona dürfte es kaum anders sein.


Steinmeier im Élysée-Palast

Wenn Frank-Walter Steinmeier heute in Paris Emmanuel Macron trifft, steht der Austausch "mit Vertretern der französischen Zivilgesellschaft" auf dem Programm, wie es in feinstem Diplomatendeutsch heißt. Vor allem aber dürfte der Bundespräsident seinem Amtskollegen Beistand bei der Bewältigung des jüngsten islamistischen Terrorakts leisten: Nach dem tödlichen Messerangriff eines illegal eingewanderten Islamisten auf eine Polizeibeamtin in Rambouillet herrschen in Frankreich einmal mehr Trauer und Entsetzen.


Was lesen?

Auslandsurlaub ist tabu, Hotels sind geschlossen, Ferienparks dito: In diesen Zeiten ist es gar nicht so leicht, schöne Urlaubsorte zu finden. Es gibt sie aber, und sie liegen wortwörtlich vor unserer Haustür. Entdeckt habe ich sie in dem großartigen neuen Buch "Auszeit Deutschland", in dem die Autorin Alexandra Schlüter 60 Touren beschreibt – von den Nordseeinseln bis zu den Alpen, von der Mosel bis zur Oberlausitz. Schon beim Durchblättern habe ich Reiselust bekommen.


Hinter der Klimakrise verbirgt sich mehr, als die meisten Menschen wahrhaben wollen: Meine Kollegin Sonja Eichert zeigt Ihnen, welche 16 Kipppunkte das Leben auf unserer Erde radikal verändern könnten.


Wie stark und wie schnell könnte sich die Corona-Notbremse auf die Infektionszahlen auswirken? Der Mobilitätsforscher Dirk Brockmann hat es meinen Kollegen Sandra Sperling, Axel Krüger und Arno Wölk erklärt.


Was amüsiert mich?

Der Tagesanbruch vom Samstag zur deutschen Debattenkultur hat viele Leser-Zuschriften hervorgerufen, wofür ich herzlich danke. Der liebe Mario Lars bringt das Problem auf den Punkt:

Bleiben Sie bitte entspannt und tolerant. Ich wünsche Ihnen einen friedlichen Tag und empfehle Ihnen morgen den Tagesanbruch meines Kollegen Sven Böll. Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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