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Die neuen Klimaschutzziele verändern unser Leben: Jetzt wird's richtig teuer


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Tagesanbruch
Jetzt wird's richtig teuer

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 23.04.2021Lesedauer: 7 Min.
Mahnwache von Klimaaktivisten auf der Kölner Domplatte.Vergrößern des Bildes
Mahnwache von Klimaaktivisten auf der Kölner Domplatte. (Quelle: imago images)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

herzlich willkommen im Tagesanbruch, heute geht es um eine gravierende Veränderung unseres Lebens, einen Skandal und ein Kreuzverhör. Ach ja, und um eine bemerkenswerte Aktion deutscher Schauspieler gegen die Corona-Maßnahmen:

Unser neues Leben

Ein bisschen erinnerte die Szene an den Jedi-Rat. Falls Sie futuristische Filme mögen, wissen Sie, was ich meine: Im Weltraum-Epos "Star Wars" gibt es die Versammlung großer Geister, die im Dienst des Friedens und der Gerechtigkeit die Geschicke der Galaxie lenkt. Wie sie da gestern vor den Videokameras saßen, wirkten Joe Biden, Wladimir Putin, Angela Merkel, Xi Jinping und mehr als 30 weitere Staatenlenker tatsächlich ein wenig wie ein Gremium weiser Köpfe, die gemeinsam eine existenzielle Gefahr abwenden. Während bei jeder anderen internationalen Konferenz schon nach fünf Minuten die erste Zankerei beginnt, hinterließ der vom US-Präsidenten einberufene Klimagipfel einen fast schon verdächtig harmonischen Eindruck.

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Normalerweise ist Eintracht in der Diplomatie ein untrügliches Zeichen dafür, dass entweder das Thema irrelevant ist oder die wahren Schlachten hinter den Kulissen geschlagen werden. Beides war gestern nicht der Fall, und es dürfte auch heute, am zweiten Tag des virtuellen Gipfels, ausbleiben. Nach dem vierjährigen Trump-Theater ist Washington zu einem vernünftigen Arbeitsrhythmus zurückgekehrt, und direkt nach der Corona-Bekämpfung hat Herr Biden den Klimaschutz zu seiner zweitwichtigsten Aufgabe auserkoren. Das ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil ein effektiver Umweltschutz ohne die zweitgrößte Verschmutzer-Nation der Erde illusorisch wäre. Sondern auch, weil das Weiße Haus seine Klimaziele hochgeschraubt und weitere Länder ebenfalls dazu bewegt hat. Bis 2030 wollen die USA ihren Ausstoß von Treibhausgasen im Vergleich zu 2005 um bis zu 52 Prozent senken. Die EU will ihren CO2-Ausstoß im selben Zeitraum um mindestens 55 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 drosseln.

Zahlen sind ja immer relativ: In den Ohren des einen klingen sie groß, dem anderen erscheinen sie klein. Das gilt erst recht auf dem Klimaschutzbasar, auf dem seit Jahren um Bezugsgrößen, Nachkommastellen und Verrechnungswerte gefeilscht wird. Dementsprechend hört man nun von Regierungsvertretern großes Lob ("gewaltige Anstrengung", "großer Schritt") und von Fridays-for-future-Aktivisten herbe Kritik ("zu wenig", "zu langsam").

Wer hat recht? Man muss sich nicht allzu tief in die Thematik vertiefen, um zu erkennen, dass die Klimakrise die größte Herausforderung unserer Zeit ist. Wenn wir auch in Zukunft auf diesem Planeten einigermaßen unbeschadet leben wollen und wenn wir auch unseren Kindern und Enkeln dieses Recht zugestehen, gibt es keinen anderen Ausweg als einen entschlossenen Klimaschutz: durch neue Technologien, durch Umorganisation von Wirtschaftsbranchen, Verkehr und Wohnungsbau, aber eben auch durch Verzicht. Das ist der Punkt, an dem es brenzlig wird. Verzichten können wir nicht gut, wir Menschen, es liegt nicht in unserer Natur. Wir müssen es lernen, und am schwersten ist es, den Verzicht nicht nur von anderen einzufordern, sondern auch von sich selbst. Das beginnt bei der Frage, ob man sich den Flug nach Malle gönnt, und reicht bis zum Streit zwischen Regierungschefs, welches Land wie viele Kohlekraftwerke schließen muss.

Jahrelang fristete die Klimadebatte ein politisches Nischendasein. Das änderte sich grundlegend mit dem Aufkommen der klimabewegten Jugendproteste vor zweieinhalb Jahren. Die jungen Leute legten ihre Finger in die Wunde unseres Überflusslebens. Die Politik reagierte hilf- und ambitionslos und erntete dafür harsche Kritik, auch hier auf t-online. Aber weil der öffentliche Druck nicht nachließ, weil immer mehr Unternehmen auf nachhaltige Produktion umstellen, und weil natürlich auch Politiker lernfähig sind, begannen sie nachzubessern. Am Beispiel Deutschlands lässt sich das treffend zeigen: Erst ließ sich Frau Merkels große Koalition im Bundesrat von den Grünen einen höheren CO2-Preis abringen, dann beugte sie sich dem "Green Deal" der neuen EU-Kommission, und nun kommt Herr Biden um die Ecke und verlangt noch mehr Tempo beim Klimaschutz.

Und Deutschland zieht mit. Selbst wenn man die allzu vagen Details der europäischen Klimaschutzpläne kritisieren mag – die neuen Ziele sind bahnbrechend. In den 30 Jahren zwischen 1990 und 2020 haben die EU-Länder 25 Prozent ihrer Treibhausgase reduziert – nun wollen sie weitere 30 Prozent in gerade einmal 9 Jahren einsparen. Und unser Land, die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, ist vorne dabei. "Für Deutschland ist das eine gewaltige Aufgabe", sagt Ottmar Edenhofer, der Präsident des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Um die Versprechen zu erfüllen, die Frau Merkel und die anderen EU-Chefs in diesen Tagen der Weltgemeinschaft geben, werden wir alle unser Leben umkrempeln müssen. Wir werden künftig anders reisen, anders pendeln, anders wohnen, anders einkaufen und anders arbeiten müssen – aber die wenigsten von uns dürften heute schon begreifen, was das wirklich bedeutet.

Ich möchte Ihnen keine Angst machen, aber stellen Sie sich bitte auf Veränderungen ein. Spätestens auf der Glasgower UN-Klimakonferenz im November werden die Versprechungen der Regierungschefs überprüft und konkretisiert – auch die der Chinesen, auch die des brasilianischen Urwald-Roders Jair Bolsonaro. Schon vorher, bis Juni, wollen die EU-Mitgliedstaaten und die Brüsseler Kommission konkrete Gesetze und Verordnungen vorschlagen, wie die ambitionierten Klimaziele zu erreichen sind. Wichtige Hebel wären ein hoher europäischer, später globaler CO2-Mindestpreis und ein internationaler Fonds, um auch Staaten wie Südafrika und Indonesien den Kohleausstieg zu ermöglichen. Fossile Brennstoffe dürften nirgendwo mehr subventioniert werden, weder Kohle noch Benzin noch Öl – was nur gelingt, wenn ärmere Länder Unterstützung erhalten. Flugreisen müssten kostspieliger werden, der Warentransport per Schiffscontainer zwischen Asien, Europa und Amerika ebenfalls. Das Ergebnis werden wir an den Ladenkassen sehen, ob wir nun Turnschuhe oder Smartphones kaufen. Bisher wird im weltweiten Durchschnitt jede Tonne CO2 mit 150 Dollar bezuschusst, Klimaverschmutzung wird also auch noch belohnt.

Das und noch viel mehr muss sich ändern, und das wird richtig teuer. Falls Sie nun einwenden: Moment, wie finanzieren wir denn dann den Abbau der Corona-Schulden, die Digitalisierung der Schulen und der Verwaltung, den sozialen Wohnungsbau und all die anderen unheimlich wichtigen Projekte, dann sind Sie schon mitten drin in dem Dilemma, das die künftigen Jahre prägen wird: Wir werden uns als Gesellschaft genau überlegen müssen, was uns wie viel wert ist, wofür Steuermilliarden ausgegeben werden sollen und wofür nicht. Uns stehen harte politische Verteilungskämpfe und hitzige gesellschaftliche Debatten bevor.

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Doch da müssen wir durch, alle miteinander – egal, ob nun Herr Laschet im Kanzleramt sitzt oder Frau Baerbock oder Herr Scholz oder doch noch Herr Schäuble. Der Gestaltungsspielraum der Politik wird kleiner, und wir werden die gesamte Innovationskraft unserer Gesellschaft brauchen, um die größte Herausforderung unserer Zeit zu meistern. "Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Transformation unserer ganzen Lebens- und Wirtschaftsweise", hat Frau Merkel gestern gesagt. Lesen Sie den Satz ruhig noch einmal, seine Bedeutung lässt sich gar nicht überschätzen. Aber wer einmal im Zeitraffer gesehen hat, wie sich unser Planet seit 1984 verändert hat, der kann eigentlich gar nicht anders, als entschlossen mitzumachen. Also packen wir's an!


Merkel im Kreuzverhör

Natürlich ist die Angelegenheit für Angela Merkel nicht so brisant wie für ihren Vize Olaf Scholz, der gestern dran war. Sie will ja nicht mehr Kanzlerin werden. Trotzdem dürfte es auch für die bald scheidende Regierungschefin kein Spaßtermin sein, sich heute vom Untersuchungsausschuss über ihre Rolle im Wirecard-Bilanzskandal befragen zu lassen.
Insbesondere der Umstand, dass Frau Merkel bei einer Chinareise im September 2019 für den dortigen Markteintritt von Wirecard geworben hat – auf Bitte ihres Ex-Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg, der als Berater der Betrugsfirma arbeitete – ist rückblickend doch ziemlich peinlich. Den Eindruck, dass hier ein Konzern politisch gehätschelt wurde, obwohl längst Betrugsvorwürfe kursierten, wird nicht einmal die routinierte Kanzlerin so leicht vom Tisch wischen können. "Es geht um nicht weniger als die Mitverantwortung am größten deutschen Finanzskandal", schreibt mein Kollege Mauritius Kloft in seinem Hintergrundartikel.


Wenn nicht, dann nicht

Wird es im Juni Fußball-EM-Spiele in München geben? Diese Frage will die Uefa heute beantworten. Der Europäische Fußballverband hatte die Entscheidung bis zuletzt an eine Garantie der Stadt geknüpft, dass die Partien vor Zuschauern stattfinden dürfen – und damit bei Oberbürgermeister Dieter Reiter verständlicherweise auf Granit gebissen. Entweder akzeptiert das Exekutivkomitee also doch noch, dass derzeit niemand vorhersagen kann, wie es mit Corona weitergeht – oder die deutsche Mannschaft muss von ihrem Quartier in Herzogenaurach eben öfter in den Flieger steigen. Ach ja, oder man lasst das Rumfliegen sein und verlegt die EM in die nächste Winterpause. Wäre eh am vernünftigsten.


Was lesen?

Armin Laschet, Annalena Baerbock oder Olaf Scholz: Wer soll im Herbst der nächste Kanzler werden? Wofür die Kandidaten stehen, was sie können und was nicht: Unsere Politikreporter Johannes Bebermeier und Tim Kummert geben Ihnen den Überblick.


Täglich werden Tausende Menschen gegen Covid-19 geimpft. Doch wovor schützt die Impfung tatsächlich – und sind Geimpfte wirklich weniger infektiös? Meine Kollegin Melanie Weiner hat Antworten.


Auf Facebook, Twitter und Co. sind Hass und Häme gegen Frauen an der Tagesordnung. Für die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock dürfte der Wahlkampf besonders herausfordernd werden, schreibt unsere Kolumnistin Nicole Diekmann.


Was amüsiert mich?

Seit gestern Abend scheint das halbe Internet über die Aktion #allesdichtmachen zu quasseln, in der sich deutsche Schauspieler über die Corona-Maßnahmen lustig machen. Zum Teil ist das ziemlich witzig, auch wenn sich die zartbesaitete Twitter-Schickeria mal wieder inbrünstig empört. Wie sagte Joachim Ringelnatz? "Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt." Hier können Sie Ausschnitte sehen und dann selbst entscheiden, ob sie lachen oder schimpfen wollen.

Ich für meinen Teil behalte meine gute Laune und wünsche Ihnen einen fröhlichen Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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