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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Laschet, Baerbock, Scholz Können sie das wirklich? Kanzler?
Armin Laschet, Annalena Baerbock, Olaf Scholz: Wer soll im Herbst der nächste Kanzler werden? Wofür die Kandidaten stehen, was sie können – und was nicht. Ein Überblick.
252 Tage lang war Olaf Scholz der wohl einsamste Kanzlerkandidat der Welt. Fast acht Monate hat es seit seiner Nominierung im August gedauert, bis ihm die Grünen und die Union jemanden zur Seite gestellt haben, mit dem er sich nun messen kann.
Bei den einen lief die Suche so geräuschlos, dass man sich fragen kann, wie viel von den basisdemokratischen Grünen eigentlich noch übrig ist. Bei den anderen so schmerzhaft laut, dass man Sorgen haben muss, ob sich die Union davon eigentlich noch erholen kann.
Nun stehen sie fest, die drei Kanzlerkandidaten. Doch wofür stehen sie? Was sind ihre Stärken und Schwächen? Ein Überblick:
Armin Laschet: der wahrscheinlichste Kanzler
Stärken: Würde man den Begriff "Kompromiss" Menschengestalt annehmen lassen, er hieße Armin Laschet. Was für viele politisch eher langweilig klingt, weiß mancher in Düsseldorf mittlerweile zu schätzen: Im dortigen Landtag hat Laschet mit seiner schwarz-gelben Koalition nur eine Stimme Mehrheit, trotzdem arbeitet die Landesregierung ohne größeren Zwist.
Das liegt auch daran, dass Laschet nicht zu Extremen tendiert. In seinem Umfeld heißt es: "Er lässt andere glänzen". In seinem Kabinett sitzen konservative Hardliner ebenso wie Vertreter des linken Arbeitnehmer-Flügels der CDU. Laschets Vorstellung von guter Führung ist es, selbst immer in der Mitte zu stehen. In seinem Umfeld gibt es dann die Rechts- und Linksausleger.
Die andere Stärke von Armin Laschet ist — wie man selbst in der CSU bewundernd zugibt — Laschets "Stehvermögen". Egal wie stark der Widerstand gegen ihn ist, Laschet macht einfach immer weiter. Seine Karriere war geprägt von Rückschlägen, doch er gab nie auf. Als Bundeskanzler würde sich das wohl in einem besonderen Beharrungsvermögen äußern, ähnlich wie bei Angela Merkel, die manchen politischen Gegner durch Ausharren besiegte.
Schwächen: Die Reden, bei denen Armin Laschet das Publikum mitreißt, hält er immer nur bei einer Gelegenheit im Jahr: beim Karneval. Ansonsten fällt Laschet durch seine oft dröge Ausdrucksweise auf. Er ist nicht in der Lage, andere für sich zu begeistern. Seine Karriere wirkt bisweilen, als stolpere er nach oben.
Zudem zögert Laschet oft lange, ehe er sich zu etwas durchringen kann. Er hat oft die Sorge, eine falsche Entscheidung zu treffen. Stattdessen wartet er oft ab, wie sich andere positionieren und wählt dann in der Regel den Mittelweg. Doch weil Armin Laschet immer den Kompromiss sucht, ist häufig keine klare Linie erkennbar. Es ist fraglich, ob der Bevölkerung angesichts der großen Herausforderungen der Post-Pandemie-Zeit ein Bundeskanzler reicht, dessen große politische Devise das "Sowohl als auch" ist.
Inhaltlich: Eine mögliche Koalition mit den Grünen hat Laschet mindestens programmatisch schon lange vorbereitet: Er gilt als einer der Vorreiter der sogenannten "Pizza-Connection". In den 90er-Jahren setzte sich Laschet, damals noch als junger CDU-Bundestagsabgeordneter, mit einigen Parteifreunden und Grünen-Abgeordneten zusammen. Im italienischen Restaurant "Sassella" in Bonn malten sich die jungen Parlamentarier ein schwarz-grünes Deutschland in den schillerndsten Farben aus.
Einige Pläne könnten nun, rund 25 Jahre später, umgesetzt werden. Laschet ist für eine Senkung der Unternehmenssteuern, die Wirtschaft zu fördern wäre wohl einer der zentralen Programmpunkte, die er in einer möglichen Regierungskoalition als Kanzler durchsetzen würde.
Hinzu kommt, dass Laschet wohl auch für einen höheren CO2-Preis offen ist, diesen jedoch finanziell auffangen möchte. Wie das im Detail aussehen soll, ist noch offen. Ein weiterer Kernaspekt von Laschets Agenda wird die Digitalisierung des Landes sein, die unterstützt werden könnte durch den Ausbau von schnelleren Leitungen. Besonders in der Corona-Krise, sagt Laschet derzeit häufig, sei dieses Defizit offengelegt worden.
Annalena Baerbock: die Vielleicht-Kanzlerin
Stärken: Annalena Baerbock gilt als akribisch und detailversessen. Ihr Völkerrechts-Masterstudium hat sie an der London School of Economics absolviert, einer Elite-Uni. Mitarbeiter und Abgeordnete erzählen gerne, wie sie zum Teil noch aus der Maske vor einer Talkshow-Aufzeichnung anruft, um sich auch in Details ganz sicher zu sein.
Baerbock ist in ihrer Partei ausgesprochen gut vernetzt – und beliebt. Ihr gut gefülltes Telefonbuch und ihre innerparteiliche Verhandlungserfahrung dürften ihr als Kandidatin (und als mögliche Kanzlerin) noch zugutekommen. Etwa wenn sie den historisch streitlustigen Grünen nötige Kompromisse oder unbeliebte Positionen verkaufen muss. Und Baerbock ist – so einfach kann Politik manchmal sein: eine Frau. Das ist nicht nur in einer feministischen Partei wie den Grünen ein Argument, sondern auch ein strategischer Vorteil im sich abzeichnenden Dreikampf um das Kanzleramt.
Schwächen: Baerbock hat mit ihren 40 Jahren schon eine beachtliche politische Karriere hinter sich. Sie war mit 28 Landeschefin in Brandenburg, mit 32 Bundestagsabgeordnete und mit 37 Bundeschefin der Grünen. Ein Regierungsamt und damit Erfahrung auch mit dem Lenken einer riesigen Verwaltung hat sie bisher nicht.
Baerbock hat versucht, ihre wohl größte Schwäche schon in ihrer Antrittsrede am Montag in eine Stärke umzudeuten. Sie inszenierte sich als diejenige, die für einen Neuanfang steht: "Wenn Regierungserfahrung das einzige Kriterium wäre, könnten wir einfach mit der großen Koalition weitermachen." Letzteres mag ein guter Spruch sein – ein treffendes Argument gegen Regierungserfahrung ist es nicht.
Inhaltlich: Das Hauptargument der Grünen ist, dass sie Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad bringen wollen – mit dem Klimaschutz also Ernst machen. Es ist der eine Programmpunkt, den die Partei nun auch mehrfach als nicht verhandelbar bezeichnet hat. (Etwas stets hilfreichen Verhandlungsspielraum lässt allerdings das Wort "Pfad".) Mögliche Schritte sind etwa ein Verbot der Neuzulassungen von Verbrennern ab 2030 und eine stärkere Erhöhung des CO2-Preises als bislang geplant.
Die Grünen erheben aber den Anspruch, weit mehr als Klimaschutz im Programm zu haben. So soll Hartz IV verschwinden und durch eine "Garantiesicherung" ersetzt werden, in der die Regelsätze deutlich höher liegen und Sanktionen entfallen. Wichtig für mehrere Politikfelder ist zudem ein großes Investitionsprogramm. Die Grünen wollen jedes Jahr 50 Milliarden Euro zusätzlich investieren. Finanzieren wollen sie das unter anderem durch mehr Schulden, den Abbau von Subventionen, eine Vermögensteuer und die Erhöhung des Spitzensteuersatzes.
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Olaf Scholz: der Lachende-Dritte-Kanzler
Stärken: Wer hätte bessere Voraussetzungen, nächster Kanzler zu werden, als der aktuelle Vizekanzler? So lautet eines der Hauptargumente der SPD für Olaf Scholz. Und der Hintergrund ist ja unbestreitbar: Baerbock hat keine Regierungserfahrung, Laschet "nur" im größten Bundesland. Scholz hat als Erster Bürgermeister in Hamburg ein Bundesland geführt und als Arbeitsminister und nun Finanzminister Deutschland regiert. Internationale Verhandlungserfahrung inklusive.
Scholz gilt als fleißig und strategisch geschickt. Nachdem ihn die SPD-Mitglieder nicht zum Vorsitzenden gewählt haben, hat er geduldig auf seine zweite Chance gewartet – und sich von den Chefs Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken zum Kanzlerkandidaten machen lassen. Und Scholz hat in Umfragen gute Bekanntheits- und Kompetenzwerte.
Schwächen: Besonders volkstümlich und nahbar zu sein, das hat Olaf Scholz vermutlich noch niemand vorgeworfen. Wenn ihm jemand Charme attestiert, dann immer in der hanseatischen, kühl-distanzierten Form. Zu einem Scholz-Effekt, gar einem Scholz-Zug (wie die anfängliche Euphorie nach der Nominierung von Martin Schulz vor vier Jahren bezeichnet wurde) hat das bisher in den Umfragen nicht geführt: Die SPD liegt seit Monaten konstant bei rund 15 Prozent. Da hilft es ihr auch nicht, dass sie ihren Kandidaten und ihr Programm wesentlich früher als die anderen Parteien vorgestellt haben.
Scholz ist zudem innerhalb der SPD weiter in der Mitte verortet als seine Vorsitzenden. Entsprechend ist er längst nicht für alle Teile der Partei ein Herzenskandidat – siehe Vorsitzendenwahl. Das könnte noch zu Reibungen führen, auch inhaltlicher Art. So muss er etwa als ein Architekt von Hartz IV in diesem Wahlkampf glaubwürdig die Abschaffung der Reform vertreten.
Inhaltlich: Zukunft, Respekt und Europa sind die drei Begriffe, die Olaf Scholz gerade in jede seiner Reden einbaut. Bedeutet: Die SPD will eine Wirtschaftspolitik, die aktiv gestaltet, besonders wenn es um Klimawandel, Mobilität, Digitalisierung und Gesundheitsversorgung geht. Mehr Respekt soll es etwa durch einen Mindestlohn von mindestens 12 Euro, eine Kindergrundsicherung und ein Bürgergeld geben, das Hartz IV ablösen soll. Die europäische Integration will die SPD vorantreiben, etwa mit einer Arbeitslosenrückversicherung.
Finanziert werden sollen die Sozialpolitik, aber auch die angestrebten Investitionen von 50 Milliarden Euro pro Jahr zum Beispiel mit einer Vermögensteuer, einer Erbschaftsteuer sowie einer Reichensteuer auf sehr hohe Einkommen. Zudem verabschiedet sich Scholz von der schwarzen Null und will die bestehenden Spielräume der Schuldenbremse ausnutzen.
- Eigene Recherche