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Historische Entscheidung: Das Klimaschutz-Urteil wird Deutschland verändern


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Tagesanbruch
Historische Entscheidung für Deutschland

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 30.04.2021Lesedauer: 6 Min.
Sonnenaufgang am Waldsee Lauer in Markkleeberg bei Leipzig: Der Umwelt- und Klimaschutz bekommt Auftrieb.Vergrößern des Bildes
Sonnenaufgang am Waldsee Lauer in Markkleeberg bei Leipzig: Der Umwelt- und Klimaschutz bekommt Auftrieb. (Quelle: imago-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

das Klimaschutz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird Deutschland verändern. Darum geht es heute im Tagesanbruch ebenso wie um einen schwarzen Rächer und roten Filz:

Politik mit Plan

Der gestrige Tag war historisch. Gut möglich, dass der 29. April 2021 dereinst in den Geschichtsbüchern stehen wird. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur den trägen Klimaschutzplan der schwarz-roten Bundesregierung als ungenügend entlarvt. Die Richter verlangen von der deutschen Politik nichts Geringeres als eine administrative Revolution. Seit Jahrzehnten treffen Regierungsverantwortliche hierzulande kurz- bis mittelfristige Entscheidungen: Meistens liegt ihr Fokus auf der aktuellen, allenfalls noch den nächsten beiden Legislaturperioden. Was danach kommt, spielt keine Rolle. Selbst wenn Abgeordnete, Minister und die Kanzlerin in Sonntagsreden wortreich die "Zukunft" beschwören, lautet ihr Motto insgeheim: Nach uns die Sintflut. So ist es beim Rentensystem, so ist es bei der Umweltpolitik, so ist es beim Klimaschutz. Durch diese Kurzsichtigkeit werden die enormen Kosten und Risiken des demografischen Wandels, des Artensterbens und der Erderhitzung allein den jungen Bürgern und künftigen Generationen aufgebürdet: Sie sollen ausbaden, was wir anrichten.

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Zumindest beim Klimaschutz ist damit seit gestern Schluss. In ihrem epochalen Urteil haben die Richter das Klimaschutzgesetz der schwarz-roten Koalition in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Es verletzt die Freiheitsrechte junger Generationen, weil es nicht konkret regelt, wie nach 2030 der Treibhausgasausstoß gedrosselt wird. Der zentrale Satz lautet: "Der Gesetzgeber hätte zur Wahrung grundrechtlich gesicherter Freiheit Vorkehrungen treffen müssen, um diese hohen Lasten abzumildern." Die Folgen der politischen Unverbindlichkeit – massive Umweltschäden, schwindende Lebensqualität, eingeschränkte Gestaltungsfreiheit – verletzen die Grundrechte der Jungen.

In Zahlen sieht das so aus: Bisher definiert das Gesetz zwar Obergrenzen für Energie, Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft. Dadurch sollen die Emissionen bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Doch was danach kommt, bleibt unklar. Dem vagen Ziel des Pariser Abkommens, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen und die Erderwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen, fehlt die Untermauerung durch Verordnungen und Gesetze. Doch die Zeit wohlfeiler Wünsche und folgenloser Appelle ist nun vorbei.

Als führendes Industrieland braucht Deutschland einen langfristigen Plan, um die Welt gedeihlich zu erhalten: Das ist die zentrale Botschaft der Richter, und sie reicht weit über die deutschen Grenzen hinaus. In mehr als 40 weiteren Staaten sind gegenwärtig ähnliche Klagen anhängig, dort wird man sich das deutsche Vorbild genau ansehen. So könnte nach all den Gipfeltreffen von Kyoto über Kopenhagen bis Paris nun ausgerechnet aus Karlsruhe der entscheidende Impuls kommen, um dem globalen Klimaschutz seine angemessene Stellung zu verschaffen: als wichtigste Aufgabe unserer Zeit.

Im deutschen Politikbetrieb beginnt man das langsam zu begreifen, dort löst das Urteil Unruhe aus. Auf der einen Seite versuchen Regierungsverantwortliche wie SPD-Umweltministerin Svenja Schulze und CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier ihr bisheriges Versagen hinter Worthülsen zu verbergen. Auf der anderen Seite trompeten Oppositionsvertreter wie Annalena Baerbock und Michael Kellner von den Grünen ihre Genugtuung in die Welt. Zwischen den Stühlen sitzen Unionspolitiker wie Norbert Röttgen und Markus Söder, die auch nach der Bundestagswahl oben mitmischen wollen und ihre Lernfähigkeit (oder Wendehalsigkeit?) unter Beweis zu stellen versuchen, indem sie den Grünen das Klimathema abluchsen.

Die Spitzen von CDU und CSU wären gut beraten, das Urteil genau zu studieren. Es ist nicht nur eine Rüge für die lasche Klimapolitik der Merkel-Regierung. Es ist auch eine Warnung für den Kanzlerkandidaten Armin Laschet, der den Kohleausstieg erklärtermaßen hinauszögern will. Die Richter haben die Defizite der CDU entlarvt: Die Partei hat keinen Plan für Deutschlands Zukunft und keine Vorstellung davon, wie künftige Generationen in Sicherheit und Wohlstand leben können. Laschets Beschwörung eines "Modernisierungsjahrzehnts" ist bisher nur ein Luftballon: Pikt man hinein, entweicht heiße Luft. Seine miesen Umfragewerte lassen vermuten, dass viele Bürger dies durchschauen, vor allem jüngere.

Ihnen hat die CDU, die sich so schwer mit ihrer Neuaufstellung tut, bislang keine glaubwürdige Zukunftsperspektive zu bieten. Bleibt das so, können die Grünen im Herbst mit Rückenwind rechnen und haben tatsächlich die Chance, erstmals die Führung der Regierung zu übernehmen. Will sie das Kanzleramt verteidigen, braucht die Union schleunigst ein glaubwürdiges Konzept für eine nachhaltige Klima- und Umweltpolitik. Viel Zeit bleibt ihr nicht mehr.


Schwarzer Rächer

Er war Verfassungsschutzchef, bezweifelte nach den rassistischen Krawallen in Chemnitz 2018, dass es Hetzjagden auf Migranten gegeben habe, und wähnte in der SPD "linksradikale Kräfte": Nach beinahe koalitionssprengenden Querelen wurde Hans-Georg Maaßen Ende 2018 in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Seither betätigt er sich auf Twitter als Rächer enttäuschter CDU-Anhänger. Und nun will er den Bundestagswahlkreis 196 in Südthüringen erobern, der frei geworden ist, weil der Raffzahn, Pardon, Abgeordnete Mark Hauptmann wegen Corona-Maskendeals und Lobbyismus für Aserbaidschans Diktator zurücktreten musste.

Wenn heute die Delegierten der Kreisverbände Suhl, Schmalkalden-Meiningen, Hildburghausen und Sonneberg über ihren Kandidaten entscheiden, ist der gebürtige Mönchengladbacher Maaßen zwar nicht der einzige Anwärter. Auch Hardy Herbert aus Bad Salzungen und Hans-Arno Simon aus Erfurt hätten das Pöstchen gern. Die Chancen des Rächers aus dem Westen gelten aber als gut: Ausgerechnet dem Mann, der von einem "Riesenerfolg" sprach, als der Thüringer FDP-Vorsitzende Thomas Kemmerich vor einem Jahr mit Stimmen der AfD zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten gewählt wurde, traut man zu, den Rechtsextremen ein paar Stimmen abzujagen. Politik schlägt manchmal verrückte Volten.


Roter Filz

Wer ist noch gleich Kanzlerkandidat der SPD? Ah ja, Olaf Scholz. Im Duell zwischen Union und Grünen spielt er bisher nur die Statistenrolle. Für unbequeme Fragen ist er aber zu haben. Soeben erst dem Wirecard-Verhör entronnen, muss sich der Finanzminister, der von 2011 bis 2018 Erster Bürgermeister Hamburgs war, heute schon wieder einem Untersuchungsausschuss stellen. Warum hat die Hansestadt der Privatbank Warburg vor fünf Jahren eine mutmaßliche Steuerschuld von 47 Millionen Euro mal eben erlassen? Wieso musste die Stadt ein Jahr später erst vom Bundesfinanzministerium aufgefordert werden, weitere 43 Millionen Euro zurückzuverlangen, ehe auch dieser Anspruch verjährte? Und weshalb konnte sich Herr Scholz erst dann an Treffen mit dem Banker Christian Olearius erinnern, als dessen Tagebuchnotizen ans Licht kamen?

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Um derlei pikante Fragen wird es heute im Cum-Ex-Untersuchungsausschuss in der Hamburgischen Bürgerschaft gehen. Wenn es für Herrn Scholz irgendetwas Positives daran gibt, dann eigentlich nur, dass der heutige Termin weit vor der Bundestagswahl liegt – und die zweite Befragung erst im Dezember, also deutlich danach. Diesen bemerkenswerten Zeitplan hat die rot-grüne Mehrheit seines Nachfolgers Peter Tschentscher beschlossen. Der war übrigens damals Finanzsenator. Noch Fragen?


Katastrophe in Israel

Im Norden Israels sind bei den Feierlichkeiten zum jüdischen Feuerfest Lag Baomer in der Nacht mindestens 38 Menschen bei einer Massenpanik gestorben, mehr als 100 weitere wurden verletzt. In sozialen Netzwerken war noch vor dem Unglück in Videos zu sehen, wie die Pilger in dem Ort Meron dicht gedrängt und ausgelassen sangen, tanzten und hüpften. Rettungskräfte vor Ort sprachen nach dem Vorfall von einer "unfassbaren Katastrophe".


Was lesen?

Was bedeutet das Klimaschutzurteil für Verbraucher, welche Folgen kann es für Strom-, Heizöl- und Benzinpreise haben? Meine Kolleginnen Theresa Crysmann und Annika Leister klären Sie auf.


Es war nur eine Holztür, aber sie hat Schlimmes verhindert: Am 9. Oktober 2019 hielt sie einen Bewaffneten davon ab, die Synagoge in Halle an der Saale zu stürmen und ein Massaker anzurichten. Der Täter war ein bekennender Antisemit. Judenfeindschaft äußert sich aber nicht nur in extremen Gewalttaten, sie ist bis heute in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Woher stammt der Hass auf Juden? Das haben mein Kollege Marc von Lüpke und ich den Historiker Peter Longerich gefragt. Einige seiner Antworten sind bestürzend.


Er wurde mit Deutschland Vizeweltmeister – und in Cottbus mit Bananen beworfen. Er lief mehr als 270 Mal für den FC Schalke 04 auf – und wurde von einem Gegenspieler als "schwarzes Schwein" beschimpft. Gerald Asamoah hat erlebt, dass jeder Schwarze in Deutschland zum Opfer rassistischer Gewalt werden kann. Was hat das mit ihm gemacht, und was sagt es über unsere Gesellschaft aus? Meinem Kollegen Dominik Sliskovic hat Herr Asamoah seine Sicht geschildert.


Fünf Monate vor der Bundestagswahl ist der Schauspieler Armin Rohde auf der Zinne: Während der Corona-Pandemie fehlt ihm in der Politik die Glaubwürdigkeit. Schnellschüsse und Kommunikationsfehler der Regierenden nähren den Boden für Extremisten, kritisiert er im Interview mit meiner Kollegin Janna Halbroth.


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Was amüsiert mich?

Er ist fort, nicht mehr da, hat uns verlassen. Das ist eine traurige Nachricht für uns Sterbliche. Aber eine tolle News für den lieben Gott, der sich nun rund um die Uhr aufheitern lassen kann. Hienieden bleibt uns zum Glück Juans köstliches Kichern.

Ich wünsche Ihnen einen kreuzfidelen Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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