"Historische Entscheidung" So reagiert die deutsche Politik auf das Klimaurteil
Ein bahnbrechendes Urteil: Das deutsche Klimaschutzgesetz verstößt gegen die Verfassung. Das könnte in Zukunft vieles ändern. Die deutsche Politik findet klare Worte.
Das deutsche Klimaschutzgesetz ist dem Bundesverfassungsgericht zufolge teilweise verfassungswidrig. Der Gesetzgeber müsse bis Ende kommenden Jahres die Minderung der Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 genauer regeln, erklärte das Gericht in Karlsruhe am Donnerstag und gab damit den Verfassungsbeschwerden mehrerer junger Menschen teilweise statt.
Die deutsche Politik reagiert auf das historische Urteil:
"Für den Klimaschutz ist das erst mal ein Ausrufezeichen", sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) kurz nach Bekanntwerden des Urteils. "Jetzt gibt uns das Bundesverfassungsgericht ja im Kern auf, dass wir den Weg zur Klimaneutralität auch nach 2030 nicht nur in einer Strategie beschreiben".
"Die Tendenz, die deutschen Grundrechte auch im Ausland zur Anwendung zu bringen, wie sie der Beschluss mit Blick auf Beschwerdeführer in Nepal und Bangladesch andeutet, halte ich für nicht nachvollziehbar", sagte der Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Thorsten Frei, zu t-online. Im Übrigen müsse man die Entscheidung nun zunächst einmal näher prüfen.
"Neustart beim Klimaschutz" nötig
Grünen-Chefin Annalena Baerbock feierte das Urteil als "historische Entscheidung". "Klimaschutz schützt unsere Freiheit und die Freiheit unserer Kinder und Enkel", erklärte Baerbock. "Deshalb konkreter Auftrag für das Hier und Heute: Klimaschutzgesetz jetzt überarbeiten. Die nächsten Jahre sind entscheidend für konsequentes Handeln." Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner nannte das Urteil ein "vernichtendes Zeugnis für den Klimaschutz der Groko".
Der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte t-online: "Klimaschutz ist Freiheitsschutz." Und kritisierte zugleich die Regierung: "Die Politik des Aussitzens und Abwartens der großen Koalition bedroht die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen." Es brauche endlich "eine Klimaschutzregierung, die das Klimaschutzgesetz nachbessert und grundrechtskonform ausgestaltet", forderte Hofreiter. "Und es braucht Maßnahmen, um Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen, damit die Freiheit zukünftiger Generationen bewahrt werden kann."
Die FDP hält einen "Neustart beim Klimaschutz" für nötig. Die Entscheidung des Gerichts sei ein "Plädoyer für Langfristigkeit und Generationengerechtigkeit in der Politik", schrieb Marco Buschmann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP im Bundestag. Zu einem Neustart gehöre ein klarer CO2-Deckel und Zertifikatehandel. "Das wirkt effektiv, langfristig und generationengerecht", schrieb er.
"Garant von Zukunfts- und Freiheitsschutz"
Der frühere Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) äußerte sich ebenfalls positiv im Gespräch mit t-online: "Das Urteil ist sehr zu begrüßen. Es schlägt ein ganz neues Kapitel im grundrechtlichen Schutz der Bürger gegen freiheitsgefährdende Untätigkeit des Gesetzgebers auf. Das Bundesverfassungsgericht hat sich als Garant von Zukunfts- und Freiheitsschutz betätigt."
"Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bekommt die Bundesregierung nun die Quittung für ihre klimapolitische Konzeptlosigkeit", erklärte der FDP-Fraktionsvize im Bundestag, Frank Sitta. Mit marktwirtschaftlichen Instrumenten wie einem sektorübergreifenden EU-Emissionshandel mit striktem CO2-Limit sei Emissionsreduzierung effektiv und zielgenau möglich. "Zudem brauchen wir mehr Wettbewerb um die besten Klimaschutz-Technologien, damit Kosten und auch Lasten reduziert werde", so Sitta.
Scholz: Altmaier steht auf der Bremse
Wirtschaftsminister Peter Altmaier misst dem Urteil große Bedeutung zu. "Es ist epochal für Klimaschutz und Rechte der jungen Menschen", schrieb der CDU-Politiker. Zugleich sorge das Urteil für Planungssicherheit für die Wirtschaft.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) warf dem CDU-geführten Wirtschaftsministerium vor, an vielen Stellen auf der Bremse zu stehen. Er will schnell handeln. "Die Bundesumweltministerin und ich haben uns vorgenommen, jetzt sehr schnell eine Gesetzesvorlage vorzubereiten für die Beratung der Bundesregierung", sagte Scholz am Donnerstag in Berlin. Damit solle das Klimaschutzgesetz so verändert werden, dass es den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspreche. Er erwarte, dass die Vorlage dann auch die Zustimmung der gesamten Bundesregierung bekomme.
SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch wurde noch deutlicher in seiner Kritik an Altmaier. "Der Wirtschaftsminister kennt seit Monaten unsere Vorschläge zur Erhöhung der Ausbaupfade, zur alternativen Finanzierung der Kosten aus der EEG-Umlage und zu den notwendigen Baurechtsänderungen", sagte Miersch t-online. "Immer wieder hat Altmaiers Haus blockiert."
Mit Blick auf Altmaiers Reaktion auf das Urteil sagte Miersch, der Wirtschaftsminister scheine nun ebenfalls umzudenken." Oder kaschiert Altmaier seine Untätigkeit erneut bloß mit leeren Ankündigungen?" Der Minister könne jedenfalls "immer noch zur Redlichkeit zurückkehren".
"Klatsche für den Bund"
CSU-Chef Markus Söder forderte eine Generalrenovierung des Bundes- und auch des bayerischen Klimaschutzgesetzes – und das schnell. Man müsse jetzt handeln und dürfe das nicht auf die lange Bank schieben, sagte Söder am Donnerstag nach turnusmäßigen gemeinsamen Beratungen der CSU-Spitze mit der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft. Und dabei müssten die Unionsparteien "Schrittmacher" sein und dürften nicht anderen hinterherlaufen.
Schleswig-Holsteins Umweltminister Jan Philipp Albrecht (Grüne) bezeichnete das Urteil als "Klatsche für den Bund". Es sei "ein endgültiger Beleg für das massive Versagen dieser Bundesregierung beim Klimaschutz", sagte Albrecht. "Und es macht unmittelbar deutlich, dass jegliche Freiheitsrechte durch die Klimakrise unmittelbar bedroht sind." Konsequenter Klimaschutz sei aber Gebot der Verfassung.
"Gute Klimapolitik und soziale Gerechtigkeit"
Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow sprach von einem "Mut machenden" Urteil. "Umso wichtiger ist es, das wir jetzt umsteuern", sagte die Parteichefin. Es gehe um "gute Klimapolitik und soziale Gerechtigkeit, damit unsere Gesellschaft fit für die Zukunft wird."
Hennig-Wellsow kritisierte insbesondere CDU und CSU. "Die Union als Chefbremser beim Klimaschutz bürdet den Jungen nicht Lasten auf, sie erdrückt sie", sagte sie. "Parteien, die den nachfolgenden Generationen Zukunft und Freiheit verweigern, weil sie beim Klimaschutz nicht liefern wollen, sind nicht regierungsfähig."
- Nachrichtenagentur dpa
- Eigene Recherche