Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Was heute wichtig ist Hier entscheidet sich die Bundestagswahl
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages, heute stellvertretend für Florian Harms. Heute geht es um gute Wahlkampfcharaktere, die feinen Töne und die richtigen Inhalte.
WAS WAR?
Es ist ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik. Noch nie ist ein amtierender Bundeskanzler nicht wieder zur Wahl angetreten. Immer hatte der (oder die) Regierende einen Amtsbonus, dem der Herausforderer erst einmal zu begegnen hatte.
Was dadurch anders ist? Das erleben wir dieser Tage deutlich. Alle müssen sich gleichermaßen bewähren, müssen zeigen, dass sie auch Kanzler können.
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Und jetzt das. Was für ein Chaos. Die Corona-Zahlen steigen, gleichzeitig planen die Deutschen ihren Osterurlaub auf Mallorca, Landkreise weigern sich, die Corona-Notbremse zu ziehen, Impfungen mit dem Astrazeneca-Impfstoff sind vorerst ausgesetzt.
Ein Grauen. Wir wünschen uns sehnlichst, dass diese Pandemie endlich ein Ende findet – oder deren Bekämpfung zumindest in geordneten Bahnen verläuft. So haben sich viele von Ihnen geäußert, als wir Sie Anfang dieser Woche befragt haben. Unsere Leser-Redakteurin Charlotte Janus hat das gestern beeindruckend zusammengesammelt.
Parallel startet die Republik also in ein Wahljahr ohne Amtsträgerbonus. In dieser Woche war das zum ersten Mal mehr als sichtbar. CDU-Chef Armin Laschet pöbelte am Montag gegen SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, er solle nicht öffentlich über die verfügbare Menge der Corona-Impfstoffe schwadronieren, sondern "seinen Job machen". Der konterte gestern, die Nervosität bei Laschet sei vermutlich hoch. Ganz nebenbei bezeichnete unvermittelt der nordrhein-westfälische SPD-Chef Thomas Kutschaty Gesundheitsminister Spahn als "untragbar" und forderte, er solle zurücktreten. Beide Seiten munitionieren sich.
Doch gewinnt man so Wahlen? Wohl eher nicht. Woran entscheidet sich also die Wahl? Es geht letztlich um zweierlei.
Wir wollen Menschen wählen, denen wir vertrauen. Denen wir zutrauen, dass sie das in sie gesetzte Vertrauen am Wahltag später zum Wohle aller einsetzen. Wir wollen: eine Mischung aus Demut vor uns Wählern und dem Amt auf der einen Seite, eine klare Fähigkeit zur Führung auf der anderen Seite. Die Kandidaten müssen also unter Beweis stellen, dass sie uns nicht nach dem Mund reden. Dass sie nicht nur das Amt wollen, sondern es auch ausfüllen können.
Diesem Anspruch gerecht zu werden, ist nicht einfach. Zumal Politiker nie sicher sein können, wie ein und dasselbe Thema bei unterschiedlichen Wählern ankommt. Ein Beispiel: FDP-Chef Christian Lindner hat am Montag völlig zu Recht Fragen nach möglichen Koalitionen nach der Bundestagswahl zurückgewiesen (wie übrigens auch die Grünen). Er tat das mit den Worten: "Wir haben 2017 auch gezeigt, dass wenn wir keine Akzente setzen können, wir die Kraft und den Mut haben, auch Nein zu sagen."
Klingt nach Stärke und Haltung, wie wir sie von Politikern wünschen. Und einige von uns werden dem FDP-Chef da zustimmen. Grünen-Chef Robert Habeck formulierte hingegen, die Debatte über eine Ampelkoalition nach der Bundestagswahl komme "absurd zu früh". Klingt plausibel und zugleich weit weniger arrogant. Der Satz ist weniger überbetont als der Lindners.
Solche feinen Töne sind am Ende entscheidend, wenn wir uns ein Bild machen über diejenigen, die uns regieren wollen. Manchmal kommen sie gesteuert aus den Mündern der Wahlkämpfenden, manchmal ungesteuert. Dann erscheinen sie umso entlarvender.
Und dann sind da noch die viel beschworenen Inhalte.
Weil wir wissen, dass vor Wahlen viel versprochen wird, glauben wir den Parteien vor allem die Inhalte, für die sie glaubhaft stehen. Soziale Gerechtigkeit, Klima, Wirtschaft, Rente, Migration, Digitalisierung.
So ist zum Beispiel nicht die Höhe des versprochenen Mindestlohns entscheidend, sondern die Glaubhaftigkeit, mit der das Thema im Wahlkampf von einer Partei vertreten wird. Die Linke hat es hier leicht, die SPD wird kämpfen müssen (obwohl sie es war, die den Mindestlohn in der Regierung Merkel durchgesetzt hat).
Problem: Heute sind die großen Konfliktlinien verschwommen. Digitalisierung? Welcher Partei wir das zutrauen, ist nicht ganz entschieden. Klima? Gehört den Grünen, aber alle Parteien ziehen nach. Soziale Gerechtigkeit? Hängt zwischen Linken und SPD. Wirtschaft? Gehört Union und FDP, aber die Kretschmänner holen auf. Corona? Derzeit ein Verliererthema. Alles nicht so einfach.
Ziel aller Wahlkämpfenden ist am Ende, mit aktivierenden Themen das eigene Potenzial am Wahltag auszuschöpfen. Es sollen die Menschen motiviert werden, zur Wahl zu gehen, die bis zuletzt nicht festgelegt waren. Die mit einer Partei sympathisieren, aber auch andere wählen oder zu Hause bleiben könnten. Aufbruchsstimmung zu erzeugen wird wohl wichtig nach dieser Pandemie.
Vor etlichen Jahren liefen Wahlkämpfe nach einem einfachen Schema. Im Bundestag saßen große und kleine Parteien. Die Großen, SPD und Union, konnten ihre thematischen Konfliktlinien pflegen (Keine Experimente!) und Spitzenkandidaten gewannen, wenn sie in polarisierten Wahlkämpfen ihre Positionen glaubhaft vertreten hatten. Kleine Parteien gewannen dazu, wenn die Großen entweder personelle oder programmatische Schwächen gezeigt hatten. (Ausnahme: Die FDP gewann sogar, wenn die Union ihr in einer Zweitstimmenkampagne ein paar Wählerstimmen übrig gelassen hatte.)
So einfach sind Wahlkämpfe für die Parteien schon lange nicht mehr.
Noch ist es zu früh, zu sagen, welches die emotionalen, bestimmenden Themen dieses Wahlkampfes sind. Klar, Klima und Corona haben gute Chancen, die Hitliste anzuführen. Beide haben das Potential, unser Wahlverhalten zu prägen. Doch Wahlentscheidungen fallen zunehmend kurzfristig. Die letzten Wochen vor der Wahl können alles entscheiden.
Diese Gemengelage erzeugt Spannung. Und die merkt man zu Beginn dieses Superwahljahres den handelnden Akteuren deutlich an. Bereits ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl. Es ist ein lebendiges Stück Demokratie, das da auf uns zukommt. Es ist gut, dass noch völlig offen ist, wer in sechs Monaten das Kanzleramt für sich beanspruchen kann.
WAS STEHT AN?
Dass Deutschland ein Amt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe unterhält, hat man in den vergangenen zwölf Monaten nicht bemerkt. Dabei hätte das BBK in der Pandemiebewältigung eine führende Rolle spielen können. Doch Innenminister Horst Seehofer will die Chance der Pandemie nutzen, die lange vernachlässigte Behörde neu aufzustellen. Er plant ein Kompetenzzentrum, das künftig alle Aktivitäten bündeln soll. Details will er am Mittag gemeinsam mit BBK-Chef Armin Schuster vorstellen.
Es wird Fußball gespielt in der Champions League. Doch einer könnte dem FC Bayern gegen Lazio Rom heute fehlen: Ob Manuel Neuer beim Achtelfinal-Rückspiel im Tor stehen kann, ist noch völlig offen. Er wurde im Training am Dienstag wegen einer Erkältung geschont. Sollte er ausfallen, könnte Alexander Nübel zum dritten Mal für die Bayern auflaufen.
Die haben das Hinspiel sowieso 4:1 gewonnen. Schiefgehen kann also nicht mehr viel. Statistisch gesehen zumindest: Seit Hansi Flick beim FC Bayern Trainer ist, haben die Münchner alle sechs CL-Heimspiele mit insgesamt 18:3 Toren gewonnen.
Facebook muss sich heute einem Verfahren vor einem Gericht in Flensburg stellen. Der irakischstämmige Blogger und Aktivist Amed Sherwan hat den Konzern auf Unterlassung verklagt.
Der Hintergrund ist prekär: Mit 15 Jahren wandte sich Sherwan im irakischen Erbil öffentlich vom Islam ab, muss nach Gefängnis und Folter fliehen. Seit 2014 lebt er in Flensburg, setzt sich für die Rechte von Schwulen und Lesben ein, erhält aber auch hierzulande Morddrohungen.
Als er auf Facebook eine Fotomontage von zwei küssenden Männern vor der Kaaba in Mekka postet, wird sein Account vorübergehend gesperrt. Meinungsfreiheit kennt auf Facebook offenbar andere Grenzen als vor dem Gesetz. Amed Sherwan will mit seiner Klage auf Unterlassung erreichen, dass ihm das nicht noch einmal passiert.
Am morgigen Donnerstag will der Kölner Kardinal Rainer Woelki nun doch ein unabhängiges Gutachten zum sexuellen Missbrauch im größten deutschen Bistum veröffentlichen lassen. Endlich. Anschließend will Woelki das Ergebnis fünf Tage lang beraten und am 23. März dann personelle Konsequenzen ziehen.
Was bereits bekannt ist: Der Gutachter nennt rund 200 Beschuldigte, Priester und Laien. Das sind mehr als doppelt so viele wie bisher angenommen. Das Gutachten hat die Kraft eines Tsunami. Zur Disposition stehen aber nicht nur Personen, sondern eine mehr als 2.000 Jahre alte Organisation.
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ist bei seiner "digitalen Deutschlandtour" heute Abend in Sachsen-Anhalt zugeschaltet. Er will mit Bürgerinnen und Bürgern über die Wahlkampfthemen der SPD sprechen. Vermutlich wird er sich dann auch fragen lassen müssen, ob nach der Wahl nun eine Ampelkoalition oder Grün-Rot-Rot seine Lieblingskoalition ist. Fest steht allerdings auch: In beiden Dreierkonstellationen würde die SPD den Umfragen zufolge nicht den Kanzler stellen. Olaf Scholz muss also auf einen milden Sommer hoffen, sonst spült die Klimakatastrophe die Grünen ins Kanzleramt.
WAS LESEN?
Sollten Sie auch ein Fan des Mars sein, sollten Sie das hier lesen. Wissenschaftler haben gestern im Forschungsmagazin Science eine aufsehenerregende Studie veröffentlicht. Demnach können die früheren Wasservorräte des Planeten nicht ins All verschwunden sein. Vielmehr vermuten die Astronomen, dass bis zu 99 Prozent noch erhalten sind. Raten Sie, wo.
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Deutschland setzt die Corona-Impfungen mit dem Präparat von Astrazeneca vorerst aus. Wie wirkt sich der Stopp auf die Impfkampagne aus? Und was sollten bereits Geimpfte nun beachten? Erhalten sie möglicherweise die zweite Dosis von einem anderen Hersteller? Die wichtigsten Fragen und Antworten hat meine Kollegin Melanie Weiner zusammengefasst.
Der Impfstopp wurde mit Einzelfällen von Thrombosen der Hirnvenen begründet. Es handelt sich bei den sehr seltenen Hirnvenenthrombosen oder Sinusvenenthrombosen um Blutgerinnsel im Gehirn. Meine Kollegin Sandra Simonsen gibt einen Überblick über die Erkrankung.
WAS AMÜSIERT MICH?
Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny meldete sich gestern aus einem Straflager östlich von Moskau. Ein kurzes Lebenszeichen, mehr nicht. Doch er gab seinen Anhängern einen Satz mit, der für alle dunklen Tage im Leben gelten kann: "Wenn man es mit Humor nimmt, ist es möglich, zu leben."
In diesem Sinne, ein neues Stück von unserem Karikaturisten Mario Lars.
Ich wünsche Ihnen einen gesunden Start in den Tag. Morgen schreibt wie gewohnt Florian Harms an dieser Stelle.
Ihr
Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
Twitter: @peterschink
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
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