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Russland: Attacke auf die Mafia – Gerät Wladimir Putins Macht ins Wanken?


Meinung
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Was heute wichtig ist
Attacke auf die Mafia

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 25.01.2021Lesedauer: 7 Min.
Wladimir Putin während einer Videokonferenz in seiner Residenz nahe Moskau.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin während einer Videokonferenz in seiner Residenz nahe Moskau. (Quelle: imago-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Aus Russland erreichen uns in der Regel jene Nachrichten, die uns erreichen sollen. Die Staatsmedien haben die Berichterstattung fest im Griff und pflegen alles, was dem Herrschaftsapparat nicht passt, rigoros zu unterdrücken. Umso außergewöhnlicher waren die Szenen, die uns am Wochenende erreichten: "Freiheit, Freiheit!" – "Freiheit für Nawalny!" – "Putin ist ein Dieb!" – "Putin, hau ab!", skandierten Zehntausende Menschen in mehr als hundert Städten von Sankt Petersburg bis Wladiwostok. Trotz eisiger Temperaturen wogt die größte Protestwelle seit zehn Jahren durch das Riesenland, und sie donnert frontal auf den Alleinherrscher im Kreml zu. Die Verhaftung des Oppositionellen Alexej Nawalny treibt vor allem junge Menschen auf die Straßen. Aber Nawalnys Enthüllungsvideo über einen Palast am Schwarzen Meer, den Wladimir Putin sich mit Bestechungsgeld ergaunert haben soll, treibt noch viel mehr Menschen die Zornesröte ins Gesicht. Plötzlich steht der Zar in einer Reihe mit anderen Kleptokraten, die ihr Volk ausbeuteten, um sich kitschige Prunkresidenzen bauen zu lassen: dem Ukrainer Viktor Janukowitsch, dem Syrer Baschar al-Assad, dem Iraker Saddam Husein. Und so wie die Diktatoren vor ihm reagiert auch der Autokrat Putin auf Kritik mit Gewalt. In Moskau und St. Petersburg prügelten Uniformierte auf Demonstranten ein;es gab viele Verletzte und mehr als 3.500 Festnahmen.

Gerät Putins Macht ins Wanken? Für Prognosen ist es zu früh, seit 20 Jahren sitzt der Mann ziemlich sicher im Sattel. Doch in jüngster Zeit ist immer öfter die Frage zu hören, wer oder was eigentlich nach ihm kommt. Nach den chaotischen Neunzigerjahren hat Putin den Russen Stabilität beschert, er hat ihnen den Großmachtstolz zurückgegeben und die Gier der Oligarchen eingehegt. Doch deren Banditentum hat er durch eine Geheimdienst-Mafia ersetzt, die Politik und Wirtschaft nun fest im Griff hält. Sie verdient prächtig am Rohstoffexport und finanziert damit nicht nur das Luxusleben ihrer Günstlinge, sondern auch die Kriegszüge in der Ostukraine, in Syrien und Libyen. Dementsprechend weniger Geld bleibt für die Bevölkerung; Millionen Menschen leiden unter niedrigen Renten, baufälligen Wohnungen, dem maroden Gesundheitssystem und schlechten Straßen. Putin ist es immer wieder gelungen, den Unmut der Bürger zu dämpfen – durch die Orwellschen Propagandamedien, das Schüren des großrussischen Nationalismus und Geldgeschenke für Rentner und Soldaten.

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Doch mit den Jahren haben sich seine Tricks abgenutzt, immer mehr Menschen durchschauen Putins Potemkinsche Dörfer. Es sind vor allem die Jüngeren, die das selbstherrliche Lügensystem nicht länger hinnehmen wollen. Statt in den linientreuen Staatsmedien informieren sie sich im Internet, wo Nawalnys Rechercheure akribisch dokumentieren, wie der Selbstbereicherungsapparat von Putin und seinen Komplizen funktioniert. Das Video über die Villa von Ministerpräsident Dmitri Medwedew kostete diesen bereits vor vier Jahren sämtliche Sympathien. Ähnlich könnte es nun Putin mit dem Schwarzmeerpalast ergehen. „Nach 20 Jahren Putinismus geht der Unmut weit über die Mittelschicht in Moskau und Sankt Petersburg hinaus“, beobachtet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. „Anders als im Fall Belarus kann der weitere Verlauf Folgen haben, die weit über Russland hinausgehen – nicht zuletzt in Europa.“

Die Reaktion von dort kommt denn auch prompt: Die EU-Kommission rügt die Brutalität der russischen Polizei, Frankreich und Italien fordern neue Sanktionen. Putin sitzt in der Zwickmühle: Erklärtermaßen wünscht er sich eine „partnerschaftliche Zusammenarbeit“ mit dem neuen Präsidenten in Washington. Die aber würde er riskieren, ließe er seine Milizionäre noch härter gegen die Demonstranten vorgehen. Für das kommende Wochenende hat die Opposition neue Proteste angekündigt. Die Attacke auf die Staatsmafia hat gerade erst begonnen.


WAS STEHT AN?

Die Mutationen des Coronavirus breiten sich in Deutschland aus. In Berlin steht eine ganze Klinik unter Quarantäne, auch andernorts werden immer mehr Fälle registriert. Je mehr die Virologen über den mutierten Erreger herausfinden, desto besorgter sind sie: Uns könnte ein weiterer exponentieller Anstieg der Infiziertenzahlen bevorstehen, Christian Drosten warnt vor 100.000 Fällen täglich. Da sollte man meinen, dass die verantwortlichen Politiker alles tun, um Gefahren von der Bevölkerung abzuwenden. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hingegen erweckt den Eindruck, als sei ihm der Kampf um seinen Ruf wichtiger als der Kampf gegen Corona. Dem „Spiegel“ zufolge hat sein Ministerium zeitweise rund 50 Rechtsanwälte angeheuert, die sich mit Dutzenden von Klagen wegen des Kaufs überteuerter oder fehlerhafter Masken herumschlagen. 30 Millionen Euro Steuergeld hat Herr Spahn für seine Berater bereits ausgegeben, in diesem Jahr sind weitere 33 Millionen eingeplant. Den Überblick über die Corona-Infektionsherde scheint er unterdessen zu verlieren. Eine Freiwilligen-Initiative versucht, die Informationslücken zu schließen. Daraus ergibt sich ein zwar unvollständiges, aber beunruhigendes Bild, berichtet meine Kollegin Laura Stresing: Die Virusmutationen sind hierzulande vermutlich schon viel weiter verbreitet, als wir ahnen.


Dem Herrn im Bild oben soll es nun an den Kragen gehen: Heute will das US-Repräsentantenhaus die Anklage im Amtsenthebungsverfahren gegen den bisherigen Präsidenten an den Senat übermitteln. Dort soll das Verfahren ab Mitte Februar entschieden werden. Um das Impeachment durchzusetzen, müssten auch mindestens 17 Republikaner zustimmen. Dass es dazu kommt, ist unwahrscheinlich, aber nicht undenkbar. Zwar fürchten sich noch immer viele Republikaner vor ihrer eigenen Wählerbasis, andere hingegen erwägen einen endgültigen Bruch mit dem Herrn oben im Bild und wären froh, dürfte er nie wieder kandidieren. Da wären sie nicht allein.


Zu den wenig beachteten Folgen der Pandemie zählt die Verlotterung. Sicher, auf die Etikette kann man auch in einer Videokonferenz achten, ein gebügeltes Hemd, eine gestärkte Bluse oder eine frische Rasur verleihen dem Homeoffice am Küchentisch eine halbwegs zivilisierte Aura. Anders sieht es obenrum aus – allerdings nicht bei allen Leuten, und genau da wird sie sichtbar, die pandemische Zweiklassengesellschaft. Während sich TV-Moderatoren, Fußballkicker und manche Politiker auch nach wochenlangem Lockdown wie aus dem Ei gepellt präsentieren, kriegen wir Normalsterblichen morgens vor dem Spiegel das kalte Grausen. Auch wir bräuchten im Lockdown dringend mal Locke up, Pardon, ab. Ein Kollege hat es kürzlich nicht mehr ausgehalten, mutig zum Rasierer gegriffen und auf Bruce Willis gemacht. Ganz so weit bin ich noch nicht (also obenrum).

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Deshalb ergeht es mir nun wie vielen anderen Herren: Wir sehen aus wie Rübezahl und würden, ebenso wie wohl viele Damen, ein Königreich für einen Friseurtermin hergeben. Doch die sind ja alle zu. Moment, alle? Offiziell schon – inoffiziell bin ich mir da nicht so sicher. Klar, Frau Merkel hat im Kanzleramt eine Frisierdame, das ist verständlich, wenn man morgens mit Herrn Macron und abends mit Herrn Biden videokonferiert. Doch auch manche Minister, Abgeordnete sowie andere Zweit- und Drittreihen-Promis erwecken auf der Mattscheibe den Eindruck, als würden Sie ein Lockdown-Schlupfloch kennen, wo ein heimliches Scherchen den Wildwuchs stutzt. Ich will hier um Himmels willen niemanden grundlos bezichtigen –Aber achten Sie mal darauf, wenn Sie heute Abend die Flimmerkiste anknipsen. Und dann vergleichen Sie das Ergebnis mit Ihrem Spiegelbild im Bad. Eine Tagesanbruch-Leserin schlug vor, dass auch Politiker, Moderatoren und anderes Fernsehvolk aus Solidarität mit uns Normalos ihre Matten sprießen lassen sollten (oder das, was davon noch übrig ist). Ich finde die Idee charmant und würde das Ergebnis bei manchem Herrn nur allzu gerne sehen. Wer hingegen Kraut und Rüben auf dem Haupt gar nicht erträgt, für den gibt’s ja Mützen. So hat der Winter auch sein Gutes.


WAS LESEN?

Die größten Verlierer der Corona-Pandemie sind vor allem die USA und Brasilien – so lautet hierzulande die weitverbreitete Meinung. Doch meine Kollegen Philip Friedrichs und Nicolas Lindken kommen zu einem anderen Ergebnis: Bei einem Vergleich der täglichen Todesfälle und der Einwohnzahlen zeigt sich in Deutschland ein verheerender Trend.


Wer bekommt wann den Schutz gegen Corona? Während Deutschland und andere EU-Länder zuerst alte Menschen impfen, ist es in Indonesien genau umgekehrt. Meine Kollegin Annika Leister erklärt Ihnen, warum.


Stellen Sie sich vor, ein Bundesligaverein würde mehr als 150 Millionen Euro für neue Spieler ausgeben, einen Top-Trainer verpflichten, große Ziele verkünden – und fände sich ein Jahr später im Abstiegskampf wieder. Das wäre ganz schön peinlich, oder? Ist es auch, denn die Geschichte ist nicht ausgedacht. Mein Kollege Benjamin Zurmühl erklärt Ihnen die Gründe für das Rauswurf-Chaos bei der Hertha aus Berlin.


WAS AMÜSIERT MICH?

Wer in der Berliner Schnatteria etwas auf sich hält, treibt sich dieser Tage auf „Clubhouse“ herum. Die neue Social-Media-App bietet allen Journalisten und Politikern, die zu viel Zeit haben, allerhand Möglichkeiten, Belanglosigkeiten zum Besten zu geben. Das ist für alle, die wirklich arbeiten, nicht weiter von Wichtigkeit, bringt aber manches bemerkenswerte Geständnis ans Licht. So plauderte Bodo Ramelow, ohnehin kein Freund von Zurückhaltung, in einer „Clubhouse“-Gesprächsrunde frei von der Leber weg aus seinem Politikeralltag: Während der stundenlangen Ministerpräsidentenkonferenzen mit „dem Merkelchen“ zur Corona-Lage beliebe er sich Handyspielen hinzugeben, „zehn Level Candy Crush schaffe ich." Als ein Journalist über das sonderbare Berufsverständnis des thüringischen Ministerpräsidenten berichtete, geriet dieser in einer weiteren Gesprächsrunde in Rage und verlegte sich aufs Pöbeln. Nun wäre die ganze Farce nicht weiter der Rede wert, würde sie nicht einleuchtend dokumentieren, was das Problem der (a)sozialen Netzwerke ist: Die Leute denken, sie würden sich in einem privaten Raum befinden, und lassen gerne alle Hemmungen fallen – um dann plötzlich festzustellen, dass die halbe Welt zuhört. Falls Sie die Details des Lehrstücks nachlesen wollen, finden Sie sie bei den Kollegen von „Zeit Online“.

Ich wünsche Ihnen einen erkenntnisreichen Tag. Morgen schreibt mein Kollege Peter Schink den Tagesanbruch, von mir lesen Sie am Mittwoch wieder. Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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