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Proteste in Russland: EU-Außenbeauftragter verurteilt Vorgehen gegen Nawalny-Proteste


Massenproteste gegen Putin
EU-Außenbeauftragter verurteilt Vorgehen gegen Nawalny-Proteste

Von afp, pdi, dru, lw

Aktualisiert am 23.01.2021Lesedauer: 5 Min.
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Video-Aufnahmen zeigen Festnamen der Polizei: Unterstützer des Kreml-Kritikers Nawalny demonstrieren für dessen Freilassung – mit Folgen. (Quelle: reuters)

Bei historischen Protesten erlebt Russland einen Aufstand gegen das System von Kremlchef Wladimir Putin. Dabei geht es nicht nur um die Inhaftierung des Oppositionellen und gegen Korruption im Machtapparat.

Bei Demonstrationen für die Freilassung des Kremlkritikers Alexej Nawalny mit Zehntausenden Teilnehmern hat die Polizei am Samstag in Russland mehr 3.500 Menschen festgenommen. Auch die Ehefrau von Nawalny, Julia Nawaljana, ist dabei zeitweise verhaftet worden. "Bitte entschuldigt die schlechte Bildqualität", schrieb Julia Nawalnaja am Samstag zu einem von ihr veröffentlichten Foto im Onlinedienst Instagram. Es zeigt sie in einem Gefangenentransporter der Polizei in der russischen Hauptstadt.

Wenige Stunden später wurde sie nach Medienberichten wieder freigelassen. Nawalnys Team veröffentlichte auch ein Foto von Nawalnys Mutter, die ebenfalls zur Demo gekommen war.

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In Moskau sollen bei den Protesten viele Demonstranten und auch mehr als 40 Sicherheitskräfte verletzt worden sein. Wie die Staatsagentur Tass am Samstag meldete, handelt es sich dabei hauptsächlich um leichtere Verletzungen. Demonstranten bewarfen etwa die Einsatzkräfte mit Schneebällen. Die Staatsagentur Ria Nowosti meldete, dass drei Polizisten mit weißer Farbe übergossen worden seien.

Die überwiegende Mehrheit der Menschen demonstrierte friedlich gegen das Vorgehen der russischen Behörden gegen Nawalny, der in einem Moskauer Gefängnis sitzt. Immer wieder kam es zu brutalen Festnahmen von Demonstranten, wie Reporter der Deutschen Presse-Agentur vor Ort berichteten. Fernseh-Bilder zeigten, wie vermummte Sicherheitskräfte auf wehrlose Demonstranten einschlugen. In St. Petersburg trat ein Polizist einer 54-Jährigen Frau so massiv in die Magengrube, dass sie mit dem Kopf auf dem Asphalt aufschlug. Sie hatte gefragt, warum die Uniformierten einen Demonstranten abführen. Sie kam mit einer Gehirnerschütterung bewusstlos ins Krankenhaus.

EU-Außenbeauftragter verurteilt Vorgehen der Polizei

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kritisierte das Vorgehen der russischen Behörden gegen die Demonstrationen scharf. Er bedauere die zahlreichen Festnahmen, den unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt und die Einschränkung von Internet- und Telefonverbindungen, teilte Borrell am Samstagnachmittag mit. Er sei besorgt und werde am Montag mit den Außenministern der EU-Staaten bei einem Treffen in Brüssel über die nächsten Schritte der EU beraten.

Bereits Mitte der Woche hatten Vertreter von Mitgliedstaaten neue EU-Sanktionen wegen der Inhaftierung Nawalnys als realistische Option bezeichnet. Eine Entscheidung wird es aber vermutlich erst geben, wenn Nawalny längerfristig in Haft gehalten werden sollte.

Proteste in Dutzenden Städten landesweit

Mehr als 2.600 Menschen waren bei den Protesten in Russland bis Samstagabend festgenommen worden. Das berichtete das Portal Owd-Info, das die Zahl der Festgenommenen landesweit dokumentierte. Demnach gab es die meisten Festnahmen in Moskau mit zunächst rund 800. In St. Petersburg waren es mehr als 300.

Russische Menschenrechtler listeten insgesamt rund 100 Städte auf, in denen Demonstranten in Polizeigewahrsam kamen – in den meisten blieb es bei einzelnen Festnahmen. Beobachter sprachen landesweit von Zehntausenden Teilnehmern bei den Protesten. Die Opposition kündigte für das kommende Wochenende neue Proteste an.

Gestörtes Mobilfunknetz

Am Abend wurde mit weiteren Festnahmen gerechnet. Allein in Moskau waren nach Einbruch der Dunkelheit noch Hunderte Menschen im Stadtzentrum unterwegs. Die Polizei rief sie dazu auf, nach Hause zu gehen. Straßen waren gesperrt. Die russischen Behörden drohen mit hohen Strafen für die Teilnahme an den nicht genehmigten Kundgebungen.

In den vergangenen Tagen waren bereits zahlreiche Mitstreiter des Oppositionspolitikers festgenommen worden. Nach Angaben der Beobachtungswebsite "Downdetector.ru" waren Mobilfunk und Internetzugänge teilweise gestört.

Videoaufnahmen aus Wladiwostok an Russlands Pazifikküste zeigen Polizisten, die eine Gruppe von Demonstranten durch die Straßen jagten. In der Stadt Chabarowsk nahe der Grenze zu China versammelten sich Protestierende bei Temperaturen deutlich unter dem Gefrierpunkt. Sie riefen "Schande!" und "Banditen!".

Im sibirischen Jakutsk, wo am Samstag minus 52 Grad herrschten, wurde Videoaufnahmen zufolge ein Demonstrant an Armen und Beinen gepackt und in einen Lieferwagen gezerrt. In Moskau, wo für 12 Uhr mitteleuropäischer Zeit eine Demonstration angekündigt war, wurden nach Angaben eines Reuters-Reporters mindestens 100 Menschen festgenommen. Am Puschkin-Platz im Stadtzentrum errichtete die Polizei Barrieren.

Auch in Deutschlands Hauptstadt Berlin versammelten sich am Samstagvormittag rund 1.000 Menschen vor dem Kanzleramt, um für Nawalnys Freilassung zu protestieren. Viele trugen Transparente mit Parolen wie "Freiheit für Nawalny", "Freiheit für politische Gefangene" oder "Habt keine Angst", berichtet t-online-Reporter David Ruch. Einige hielten demnach Klobürsten in die Höhe aus Protest gegen den Prunk-Palast, den sich Kreml-Chef Putin nach Berichten des Nawalny-Teams am Schwarzen Meer errichten ließ – zur Einrichtung sollen vergoldete Klobürsten gehören. Kurz nach 14 Uhr setzte sich nach Angaben des Reporters die Menge in Bewegung. Ihr Ziel war die russische Botschaft.

Moskau verbittet sich Einmischung

Russland hat sich wegen der Proteste eine Einmischung aus dem Ausland verbeten. Das russische Außenministerium kritisierte in einer Mitteilung die US-Botschaft in Moskau, die geplante Demonstrationen mit genauen Treffpunkten und Uhrzeiten aufgelistet hatte. Unter dem Deckmantel der Sorge um die Sicherheit von US-Bürgern im Ausland wolle Washington die Proteste in Russland anheizen, kritisierte Moskau.

Nawalny war am vergangenen Sonntag direkt nach seiner Rückkehr aus Deutschland in Moskau festgenommen worden. Ihm drohen mehrere Strafverfahren und viele Jahre Gefängnis. In Haft sitzt der 44-jährige Oppositionspolitiker aktuell zunächst für 30 Tage, weil er gegen Meldeauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen haben soll – während er sich in Deutschland von einem Giftanschlag mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok erholte.

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Laut Laborergebnissen in Deutschland, Frankreich und Schweden, welche die Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) bestätigte, wurde Nawalny mit einem chemischen Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe vergiftet. Nawalny wirft dem russischen Geheimdienst FSB vor, hinter seiner Vergiftung zu stecken und beschuldigt den russischen Staatschef Wladimir Putin, den Mordanschlag in Auftrag gegeben zu haben. Die russische Regierung bestreitet jede Beteiligung an der Attacke auf Nawalny.

Hartes Vorgehen gegen Demonstranten

Die Wut der Demonstranten richtet sich auch gezielt gegen Wladimir Putin, dem Kritiker einen zunehmend autoritären Führungsstil und Korruption vorwerfen. Ein kürzlich veröffentlichtes Enthüllungsvideo von Nawalnys Team soll beweisen, dass der Präsident sich aus Schmiergeldern ein "Zarenreich" am Schwarzen Meer bauen ließ. Der Kreml bezeichnet die Vorwürfe in dem mehr als 68 Millionen Mal angeklickten Film als "Unsinn" und "Lüge".

Die Polizei kündigte bereits im Voraus ein hartes Vorgehen gegen die Protest-Teilnehmer an. Bereits im Vorfeld hatte es in Nawalnys Umfeld mehrere Festnahmen gegeben. Das russische Investigativkomitee teilte am Freitag mit, es habe Ermittlungen wegen des Aufrufs zu nicht genehmigten Protesten aufgenommen.

Nawalnys enger Verbündeter Leonid Wolkow sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", Straßenproteste seien "in Russland das einzige Mittel, jemanden aus dem Gefängnis herauszubekommen". Es sei zudem schon vorgekommen, dass russische Oppositionelle zweimal hintereinander vergiftet worden seien. Deshalb sei "der einzige Schutz" für Nawalny "maximale Sichtbarkeit und Unterstützung in der Bevölkerung."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen dpa und afp
  • Eigene Recherche
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