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Corona-Krise: "Kollektive Depressionen können ein ganzes Land befallen"


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MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 27.10.2020Lesedauer: 6 Min.
Die Entwicklung von Impfstoffen gegen Corona kommt voran.Vergrößern des Bildes
Die Entwicklung von Impfstoffen gegen Corona kommt voran. (Quelle: Clara Margais/dpa)
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WAS WAR?

Es herrscht Hektik im Politikbetrieb. Termine werden gemacht, abgesagt, neu vereinbart, vorgezogen. Alles muss plötzlich ganz schnell gehen. "Jetzt zählt jeder Tag", schrieb ich gestern früh an dieser Stelle. "Jeder Tag zählt", ließ Kanzlerin Merkel wenige Stunden später verlautbaren. Schon morgen ruft sie die Ministerpräsidenten wieder zusammen und will ihnen noch härtere Beschlüsse gegen die Seuche abtrotzen. Inzwischen müsse doch wirklich jeder verstanden haben, was die Uhr geschlagen hat, ist aus dem Regierungsviertel zu hören, es müsse endlich Schluss sein mit dem Flickenteppich verwirrender Regelungen. In Hamburg wird dies verboten, in München jenes, Köln macht es so, Erfurt ganz anders: Da blicke doch niemand mehr durch.

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Nicht nur rund um Deutschland verschärft sich die Corona-Lage, auch hierzulande scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die ersten Kliniken Alarm schlagen. "Wir merken, dass die Pandemie wieder anzieht, auch unsere Intensivbetten sind schon zur Hälfte mit Covid-Patienten gefüllt", hat mir gestern ein Oberarzt gesagt. Die Deutschlandkarte der betroffenen Landkreise färbt sich rot und röter. Gestern hat das Robert Koch-Institut doppelt so viele Neuinfektionen gemeldet wie am Montag der Vorwoche. Das Wachstum ist exponentiell, die Befürchtung der Kanzlerin scheint sich zu bestätigen. Das erklärt ihre Unruhe. Und ihre Eile. Nachdem sie im Sommer den Länderchefs die Bühne überlassen hatte, nimmt Frau Merkel die Zügel nun wieder selbst in die Hand. Im deutschen Föderalismus sind ihre Möglichkeiten begrenzt, sie kann nicht viel allein entscheiden. Aber sie kann appellieren, mahnen, moderieren, Druck machen. Noch ein Anruf, noch eine SMS, noch weniger Schlaf. "Corona hält uns in Bann. Corona bestimmt unser Leben. Schränkt natürlich unsere Demokratie ein, indem die Exekutive bestimmt und die Legislative meistens nur zuschauen kann", schreibt unser Kolumnist Gerhard Spörl in seinem Resümee der politischen Lage. Immer wieder ist Deutschland im Ausnahmezustand gewesen. Während der Terrorkrise im Herbst 1977. Während der Flüchtlingskrise im Sommer und Herbst 2015. Aber keine Krise traf so viele Bürger wie das Corona-Jahr: erst im Frühjahr, dann im Sommer, nun im Herbst, dazu die Aussicht auf einen heiklen Winter.


Es ist ein Drama, und es gibt immer mehr Menschen, die darauf mit heftigen Emotionen reagieren. Angst. Wut. Zweifel. Trübseligkeit. Verunsicherte Angestellte trauen sich nicht mehr ins Büro. Rabiate Esoteriker beschimpfen Maskenträger. Im Internet kloppen sich die Impfgegner und Impfverteidiger, die Warner und Leugner, die Sensiblen und die Rücksichtslosen. Und manche berichten einfach nur, was ihnen widerfahren ist. "Vor einem Monat Corona-positiv getestet. Heute fühlt sich eine Fahrradfahrt über die Rheinbrücke noch immer an wie ein Sprint, mein Geschmackssinn ist bei maximal 50 Prozent. So sieht mein 'leichter Verlauf' als junger, fitter Mensch aus. Also passt auf euch auf", schreibt die Journalistin Victoria Reith. Viele ältere Menschen gehen kaum noch vor die Tür und vereinsamen zu Hause. Schlagen die Zeitung auf und lesen Corona. Schalten den Fernseher an und sehen Corona. Rufen die Enkel an und hören Corona. Diese Krise erschüttert nicht nur unser Gesundheitssystem und unsere Wirtschaft, sondern auch unsere Gemüter. Nicht auszudenken, wenn das noch wochenlang so weitergeht, die Lage sich verschlimmert. Kollektive Depressionen können ein ganzes Land befallen, gesellschaftliche Gräben vertiefen, soziale Konflikte schüren.

Das kann keiner wollen. Ich denke: Diese Pandemie ist schlimm, keine Frage. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass sie uns entzweit, dass sie uns die Lebensfreude raubt, dass sie unsere Gesellschaft vergiftet. Wer immerzu negative Nachrichten liest, der bekommt ein düsteres Weltbild. Deshalb habe ich Ihnen heute Morgen eine kleine Auswahl positiver Nachrichten herausgesucht:

Die Entwicklung von Impfstoffen gegen Corona kommt schnell voran, und führend sind dabei zwei deutsche Unternehmen: Die Firmen Curevac aus Tübingen und Biontech aus Mainz machen Hoffnung auf ein baldiges Gegenmittel gegen die Seuche. In den kommenden Wochen wollen sie entscheidende Schritte vorankommen.

Wegen Corona reisen weniger Touristen an exotische Orte – davon profitieren Flora und Fauna. Auf den Galapagos-Inseln beispielsweise erholt sich die Pinguin-Population, nun ist sie so groß wie seit 40 Jahren nicht mehr.

Das Great Barrier Reef vor der Küste Australiens ist durch die Klimakrise gefährdet, große Teile sind schon abgestorben. Doch nun haben Forscher dort ein riesiges Korallenriff entdeckt.

Die Chilenen haben sich vom Erbe der Militärdiktatur Pinochets befreit und für eine neue Verfassung gestimmt. Sie soll die soziale Ungleichheit lindern, Millionen Menschen feiern den Aufbruch in eine bessere Zukunft.

Wir sehen in diesen Tagen vor allem die schrillen USA. Aber es gibt auch ein ganz anderes Amerika: ein Land, in dem junge Menschen sich für soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und weltweiten Frieden engagieren.

Die Wasserhyazinthe ist eine tückische Pflanze. In Asien und Afrika wuchert sie schneller als jedes andere Gewächs, raubt Menschen und Äckern das Wasser, verdirbt Fischbestände und verschärft Hungerkrisen. Nun haben bayerische Umweltschützer eine Methode gefunden, die Pflanze sinnvoll zu nutzen: Aus einer Plage wird Bio-Kohle.

Viele Gastwirte müssen wegen Corona schließen, vielerorts ist die Kneipenkultur gefährdet. In einem niedersächsischen Örtchen zeigen die Bürger, was man dagegen tun kann: Sie haben eine Genossenschaft gegründet und so die Dorfschenke gerettet. Ein schönes Vorbild.

Es ist tröstlich, auch mal gute Nachrichten zu lesen (hier gibt es mehr davon). Der Geist bleibt wach, die Stimmung hell. Die kommenden Tage und Wochen werden anstrengend. Umso wichtiger, dass wir uns nicht verdrießen lassen.


WAS STEHT AN?

Heute beginnt die internationale Konferenz zum Schutz der Lebewesen in der Antarktis. Virtuell, na klar. Als wichtigste Entscheidung könnten die Teilnehmerstaaten weitere Teile des Eismeers zum Schutzgebiet erklären. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, im Weddellmeer das größte Meeresschutzgebiet der Welt einzurichten – stößt aber auf harten Widerstand Chinas und Russlands.

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Die AfD-Landtagsfraktion in Brandenburg wählt ihren neuen Vorsitzenden. Nach dem Rückzug des Rechtsextremisten Andreas Kalbitz ist die Fraktionsspitze vakant. Kandidaten sind Christoph Berndt, Birgit Bessin und Dennis Hohloch. Vor dem Landtag in Potsdam wollen der Pianist Igor Levit und weitere Musiker gegen die AfD anspielen.


Der Bund der Steuerzahler präsentiert sein Schwarzbuch 2020/21 und zeigt uns, wo Steuergeld für überflüssige oder überteuerte Projekte verschwendet wurde. Über die Ergebnisse kann man sich jedes Jahr empören – einerseits. Andererseits kann man es gut finden, dass der Staat Rechenschaft darüber ablegen muss, was er mit unserem Geld anstellt. In Russland, China oder der Türkei wäre das undenkbar.


Die Enquete-Kommission zur Untersuchung der Chancen und Risiken künstlicher Intelligenz stellt ihren Abschlussbericht vor. Dazu empfehle ich Ihnen dieses erhellende Interview meines Kollegen Marc von Lüpke.


Das Video des Tages verbirgt sich in einem Tweet:

Am besten klicken Sie es mal geschwind an und schauen selbst hinein: hier. Zwar ist der Wahltag in den USA erst in einer Woche, aber so gewaltige Schlangen vor den Wahllokalen wie hier sind schon jetzt in vielen amerikanischen Städten zu sehen. Diese Aufnahme stammt aus Silver Spring in Maryland, wo vor wenigen Stunden das "Early voting" begonnen hat. In anderen Staaten können Bürger schon länger ihre Stimme abgeben. Mehr als 60 Millionen Amerikaner haben das bereits getan, persönlich oder per Brief. Ein wesentlicher Grund ist natürlich Corona, es könnte sich aber auch generell eine höhere Wahlbeteiligung andeuten. Warum trotzdem viele Amerikaner nicht wählen gehen, erklärt Ihnen mein Kollege Johannes Bebermeier.


WAS LESEN?

Wie viele Corona-Fälle haben wir zu Weihnachten? Wann sind Deutschlands Krankenhäuser voll? Der Forscher Thorsten Lehr hat einen Simulator entwickelt, der solche Fragen beantworten kann. Meiner Kollegin Nicole Sagener hat er ihn erklärt.


Thomas Oppermann war sportlich, energiegeladen und sah jünger aus, als er war. Auch deshalb macht der plötzliche Tod des 66-jährigen SPD-Politikers so betroffen, schreibt Gerhard Spörl in seinem Nachruf: "Die Macht füllte ihn nicht aus."


Fast 40 Jahre nach dem Erscheinen von Roald Dahls Kinderbuchklassiker "Hexen hexen" begeistert die Geschichte immer noch Millionen Menschen. Nun hat Hollywood den Plot neu verfilmt. Oscar-Preisträgerin Anne Hathaway hat meiner Kollegin Janna Halbroth erzählt, warum es ihr besonders viel bedeutet, die Oberschurkin zu spielen.


WAS AMÜSIERT MICH?

In der CDU gibt es nun Gewinner und Verlierer.

Ich wünsche Ihnen einen Tag, an dem Sie zu den Gewinnern gehören.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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