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Yuval Noah Harari: Viele Menschen werden "wirtschaftlichen Wert" verlieren


Interview
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Yuval Noah Harari
"Hunderte Millionen Menschen werden zu 'nutzloser Klasse'"

InterviewEin Interview von Marc von Lüpke

Aktualisiert am 05.09.2020Lesedauer: 13 Min.
Yuval Noah Harari: Der israelische Historiker warnt vor den Gefahren der Künstlichen Intelligenz und Biotechnologie.Vergrößern des Bildes
Yuval Noah Harari: Der israelische Historiker warnt vor den Gefahren der Künstlichen Intelligenz und Biotechnologie. (Quelle: VCG/imago-images-bilder)
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Geht die Menschheit durch Atomkrieg und Klimawandel zugrunde – oder entwickeln wir uns zu Halbgöttern? Historiker Yuval Harari erklärt im t-online.de-Interview, wie unsere Zukunft aussieht, wenn bald Mischwesen aus Menschen und Algorithmen die Erde bevölkern.

Eigentlich ist Yuval Noah Harari Historiker. Weltweit ist er aber vor allem für seine Prognosen zur Zukunft der Menschheit bekannt. Seine Bücher wurden in Dutzende Sprachen übersetzt, Politiker und Unternehmer suchen seinen Rat. Im Interview mit t-online.de erklärt er, welche Gefahren uns bedrohen. Und wie die Menschheit ihren Untergang abwenden und statt dessen eine bessere Welt erschaffen kann.

t-online.de: Professor Harari, intelligente Maschinen erledigen die Arbeit, während die Menschheit selbst immer mehr in digitalen Sphären lebt. Ist das die Welt der Zukunft?

Yuval Noah Harari: Niemand weiß exakt, wie die Zukunft aussehen wird. Wir können aber Szenarios skizzieren. Die schlimmste denkbare Möglichkeit ist, dass sich die Menschheit in unterschiedliche biologische Kasten aufspalten wird. Die breite Anwendung der Künstlichen Intelligenz wird Hunderte Millionen Menschen aus dem Arbeitsmarkt hinaus in eine neue "nutzlose Klasse" treiben. Viele Menschen werden ihren "wirtschaftlichen Wert" und ihre politische Macht verlieren. Gleichzeitig wird die Biotechnologie die Erschaffung einer kleinen Elite von Supermenschen ermöglichen.

Und diese mit Biotechnologie ausgestatteten "Supermenschen" werden die "normalen" Menschen beherrschen?

Widerstand und Revolte werden in diesem Szenario fast unmöglich sein: Ein totales Überwachungsregime kontrolliert nicht nur, was jeder Einzelne sagt und tut, sondern auch, was jeder fühlt und denkt. Die Vereinigung von Bio- und Informationstechnologie in Form von biometrischen Sensoren bewirkt, dass die Regierung sozusagen den Verstand und die Gefühle eines jeden Menschen direkt überwachen kann.

Glücklicherweise muss es nicht so kommen.

Das beste denkbare Zukunftsszenario sieht anders aus: Mithilfe der neuen Technologien werden alle Menschen von harter Arbeit befreit. Die Biotechnologie wird vornehmlich dazu genutzt, die Menschheit von Krankheiten und Gebrechen zu heilen, anstatt nur eine kleine Elite biotechnisch aufzurüsten. In der Tat wird die Künstliche Intelligenz viele Arbeitsplätze kosten, aber die daraus resultierenden Gewinne werden genutzt, um jedem Menschen eine kostenlose Grundversorgung zu bieten. So erhält jeder Mensch die Möglichkeit, sein wahres Potenzial zu entwickeln und seine Träume zu verwirklichen.

Yuval Noah Harari, geboren 1976, lehrt Geschichte an der Hebrew University in Jerusalem mit dem Schwerpunkt Weltgeschichte. Seine Werke "Eine kurze Geschichte der Menschheit" und "Homo Deus" sind internationale Bestseller. Sein neuestes Buch "21 Lektionen für das 21. Jahrhundert" ist gerade bei C.H. Beck auf Deutsch erschienen.Hier finden Sie eine Leseprobe.

Eine weitaus angenehmere Zukunft.

Welches dieser Szenarien wird aber zur Realität werden? Das liegt an uns.

Was halten Sie persönlich für die größte Bedrohung unserer Zeit?

Drei existentielle Gefahren bedrohen die Menschheit: Atomkrieg, Klimawandel und der technologische Umbruch. Aber selbst wenn es uns gelingt, einen Atomkrieg zu verhindern und den Klimawandel einzudämmen, werden die sich rasch weiter entwickelnde Künstliche Intelligenz sowie die Biotechnologie unausweichlich den Arbeitsmarkt, die globale Ordnung und sogar unsere eigenen Körper und Köpfe vollkommen umgestalten.

Aber wie können wir diese Bedrohungen eindämmen oder kontrollieren?

Diese Probleme sind globaler Natur und können nicht von einer einzelnen Nation gelöst werden. Es wird nicht reichen, wenn die Europäische Union die Entwicklung genetisch konstruierter Supermenschen verbietet, solange China dies zulässt.

Es ist ein denkbar schlechter Zeitpunkt, internationale Lösungen für globale Bedrohungen zu suchen: Nationalismus und Isolationismus sind weltweit auf dem Vormarsch.

Richtig. Was bedeutet, dass zu wenig gegen diese Bedrohungen unternommen wird. Sowohl Politiker als auch die Bürger konzentrieren sich zurzeit auf die ganz falschen Themen. Nehmen Sie den Brexit. An sich ist das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU nicht zwangsläufig eine schlechte Idee. Aber sollte sich Großbritannien als eine der führenden Nationen ausgerechnet jetzt damit befassen? Hilft der Brexit etwa, einen Atomkrieg zu verhindern? Hilft der Brexit, mit den Chancen und Gefahren von Künstlicher Intelligenz und Biotechnologie umzugehen? Im Gegenteil, er ist eine Ablenkung.

In vielen westlichen Ländern wählen die Menschen mittlerweile verstärkt Nationalisten und Populisten. Erleben wir gerade das Ende von Demokratie und Liberalismus?

Wenn Sie glauben, der Liberalismus befinde sich jetzt in einer Krise, erinnern Sie sich, wie es in den Jahren 1918, 1938 oder 1968 aussah. Es besteht eine gute Chance, dass der Liberalismus ein Comeback feiert, wenn er sich neu erfindet. Natürlich hat die moderne liberale Demokratie viele Mängel und bedarf einer grundlegenden Reform. Aber sie ist immer noch das beste politische System der Welt, in der die Bürger so gut leben können wie niemals zuvor in der Vergangenheit. Leider kennen viele Menschen die Geschichte aber nicht sehr gut. Das macht sie anfällig für nostalgische Fantasien über frühere Zeiten. Darüber hinaus fürchten die meisten Menschen radikale Veränderungen genauso wie das Unbekannte. Nationalismus und Religion symbolisieren in einer stürmischen Welt einen vermeintlichen Anker der Sicherheit.

Der Rückbezug auf Nation und Religion ist ein immer wieder zu beobachtender Reflex in unsicheren Zeiten.

Das alles sind aber nur Fantasien. Menschliche Wesen existieren seit mehr als zwei Millionen Jahren, während alle Nationen und Religionen, die wir heute kennen, das Produkt der letzten 3.000 Jahre sind. So sind auch sämtliche "alten Traditionen" eigentlich ziemlich neu. Vor allem ist keine nostalgische oder religiöse Fantasie in der Lage, die großen Probleme des 21. Jahrhunderts zu lösen. Diese Lösungen werden wir nicht in der Bibel finden, weil ihre Verfasser verständlicherweise wenig über die globale Erwärmung wussten und noch weniger über Genetik und Computer.

Besteht das grundsätzliche Problem nicht darin, dass bislang niemand eine funktionierende Lösung für die existenziellen Probleme unserer Zeit anbietet?

Aus diesem Grund erleben wir zurzeit eine Nostalgiewelle von politischen Visionen, die eher in die Vergangenheit als in die Zukunft gerichtet sind. Politiker in Ländern wie den USA, Großbritannien, Russland, Indien, Brasilien aber auch Polen wenden sich traditionellen nationalen und religiösen Geschichten zu. Und versprechen eine Rückkehr zu einer "goldenen Vergangenheit". Nirgends sind diese Phantasien extremer ausgeprägt als im Nahen Osten, wo Islamisten das System kopieren wollen, das der Prophet Mohammed vor rund 1.400 Jahren in der Stadt Medina etabliert hatte. Noch übertroffen werden sie in meinem Heimatland Israel von fundamentalistischen Juden, die davon träumen, wie in biblischen Zeiten vor 2.500 Jahren zu leben. Die israelische Regierung wiederum stützt sich auf die Bibel, um die Besetzung der Westbank und die Misshandlung von Millionen Palästinensern zu rechtfertigen.

Sie fordern globale Lösungen für globale Probleme. Sind Politiker und Bürger vielleicht damit überfordert, über den nationalen Tellerrand zu schauen?

Entgegen der landläufigen Meinung gibt es nichts Natürliches am Nationalismus. Er ist nicht einmal in der menschlichen Biologie oder Psychologie verwurzelt. Der Homo sapiens und seine Vorgänger lebten seit Millionen von Jahren in kleinen Gemeinschaften, die nicht mehr als ein paar Dutzend Mitglieder zählten. Menschen entwickeln daher leicht Loyalität gegenüber ihren Familien, Dörfern oder Stämmen: Eben Gemeinschaften, in denen jeder jeden kennt. Aber es ist kaum natürlich, im Sinne eines Nationalismus Millionen von Fremden gegenüber loyal zu sein, die nur im gleichen Land leben, wie man selbst. Derartige Massenloyalitäten sind erst in den letzten paar tausend Jahren aufgetaucht und entwickelten sich, um mit großen Problemen fertig zu werden, die kleine Stämme nicht allein lösen konnten. Jetzt sind wir mit globalen Problemen konfrontiert, die selbst große Nationen nicht alleine lösen können. Deshalb ist es doch sinnvoll, zumindest einige unserer persönlichen Loyalitäten auch auf die Menschheit an sich zu übertragen.

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Haben Sie Verständnis für Menschen, die sich vor der Zukunft fürchten?

Natürlich. Die Realität des 21. Jahrhunderts ist beängstigend, daher verstehe ich, warum Menschen sich davon abwenden wollen. Aber wir haben keine Wahl. Wir müssen die Wirklichkeit so sehen, wie sie ist. Und wir müssen neue politische Modelle entwickeln, die mit den beispiellosen Problemen dieses Jahrhunderts umgehen können.

Könnte uns eine Art Weltregierung retten?

Eine globale Identität zu entwickeln, erfordert nicht die Etablierung einer Weltregierung oder die Abschaffung aller kulturellen, religiösen und nationalen Unterschiede. Ich kann gleichzeitig mehreren Identitäten treu sein: meiner Familie, meinem Dorf, meinem Beruf, meinem Land und auch meinem Planeten und der ganzen menschlichen Spezies. Das ist nicht immer einfach. Aber wer hat gesagt, dass das Leben einfach sei?

Sie schreiben in Ihrem neuen Buch, dass die Welt zu kompliziert geworden ist: Selbst Eliten aus Politik und Wirtschaft würden die Zusammenhänge nicht mehr richtig verstehen. Wie können wir wieder handlungsfähig werden?

Wir brauchen schlicht und einfach eine effektive globale Zusammenarbeit. Dazu müssen wir ein stärkeres Vertrauen zwischen den Nationen aufbauen. Und jeder von uns muss sich stärker als verantwortlicher Teil der Menschheit insgesamt empfinden. Wenn heute Amerikaner und Chinesen einen Vertrag unterschreiben, der die Entwicklung von Killerrobotern verbietet, wird das Abkommen wahrscheinlich scheitern, da keine Seite der anderen wirklich vertraut. Wenn Deutschland hingegen Frankreich versichert, dass es keine Killerroboter kreiert, werden die Franzosen den Deutschen sicherlich glauben. Beide Länder haben trotz der schrecklichen Ereignisse in ihrer gemeinsamen Vergangenheit ausreichend Vertrauen in den letzten Jahrzehnten zu einander gewonnen. Ein derartiges Vertrauen zwischen Staaten muss auch global aufgebaut werden. Um dies zu erreichen, sollte die nationale und sogar die kommunale Politik globalen Problemen größeres Gewicht verleihen. Bei der Wahl einer Regierung oder sogar eines Bürgermeisters müssen wir auch die Einstellung dieser Politiker zu Fragen von globaler Bedeutung hinterfragen.

Welche Anforderungen stellen Sie an die führenden Politiker und Wirtschaftslenker der Welt?

Politiker und Unternehmenschefs müssen drei wichtige Fähigkeiten kultivieren. Erstens müssen sie sich ein grundlegendes Verständnis von Wissenschaft und Technologie aneignen. Die wichtigste Ursache für die Veränderungen in der Welt ist heute die Wissenschaft. Und Sie können keine Entscheidungen von globaler Tragweite fällen, wenn Sie keine Kenntnisse über Klimawandel, Atomenergie, Künstliche Intelligenz und Biotechnologie besitzen.

Und die zweite Fähigkeit?

Die Entscheider sollten Demut und ein gewisses Mitgefühl entwickeln. Biotechnologie und Künstliche Intelligenz verleihen uns die göttlichen Kräfte von Schöpfung und Zerstörung. Ich meine das wortwörtlich: Wir erwerben gerade Fähigkeiten, von denen man bislang glaubte, dass sie traditionell den Göttern vorbehalten sind. Insbesondere die Fähigkeit, Leben zu manipulieren und zu erschaffen. So wie Gott in der Bibel die Schöpfung nach seinen Wünschen gestaltet hat, werden wir im 21. Jahrhundert wahrscheinlich erlernen, Pflanzen, Tiere und sogar Menschen ganz nach unseren Wünschen zu entwerfen und herzustellen. Wir werden die Gentechnik einsetzen, um neue Arten organischer Wesen zu kreieren. Wir werden Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer nutzen, um Cyborgs zu erschaffen. Es könnte uns sogar gelingen, vollkommen anorganische Wesen zu kreieren. Es ist aber nicht leicht, die Rolle eines Gottes zu spielen. Wenn diejenigen, die entscheiden, was mit den Kräften der Biotechnologie und der Künstlichen Intelligenz geschehen soll, weder die entsprechende Demut und noch das Bewusstsein für ihre Verantwortung haben, werden sie extrem pflichtvergessene Götter sein.

Was ist Ihr dritter Punkt?

Ich hoffe, dass die Mächtigen dieser Welt mehr Zeit und Energie darauf verwenden, sich selbst besser kennenzulernen. Und insbesondere ihre eigenen Schwächen zu ergründen, um nicht anfällig für Manipulationen zu werden.

Halten Sie es für realistisch, dass ihre Ratschläge beherzigt werden?

Es erscheint mir derzeit als sehr unwahrscheinlich. Aber wenn die Verantwortlichen es nicht tun, ist es fraglich, in welchem Ausmaß sie diese extrem kompliziert gewordene Welt regieren können.

Fake News erschweren es Politikern und auch normalen Bürgern zunehmend, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden.

Die aktuelle Epidemie von Fake News resultiert aus dem Modell, das mehr und mehr den Nachrichtenmarkt im Internet dominiert. "Aufregende Nachrichten, die Sie nichts kosten – im Austausch für Ihre Aufmerksamkeit", so lässt es sich zusammenfassen. Es funktioniert folgendermaßen: Eine sensationelle Schlagzeile nimmt die Aufmerksamkeit der Leser gefangen, die dann entsprechend an Werbetreibende und Politiker verkauft wird. In einem solchen Kampf um Aufmerksamkeit gibt es wenige Anreize, die Wahrheit zu wahren. Es ist scheinbar ein gutes Geschäft: Die Menschen müssen nichts bezahlen und werden trotzdem mit interessanten Geschichten unterhalten.

So einfach ist es aber nicht.

Richtig. Der Leser ist gar nicht der Kunde, er ist das Produkt. Weil er gewissermaßen verkauft wird. Der Leser stellt sein wertvollstes Gut – seine Zeit und seine Aufmerksamkeit – zur Verfügung und erlaubt damit mächtigen Konzernen und Politikern, ihn einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Das ist verrückt.

Was kann man dagegen tun?

Es gibt ein viel besseres Modell für den Nachrichtenmarkt. "Qualitativ hochwertige Nachrichten, die Sie eine Menge Geld kosten, aber Ihre Aufmerksamkeit nicht missbrauchen", nenne ich es. Wenn die Leser bereit sind, viel Geld für hochwertige Lebensmittel, Kleidung und Autos zu zahlen: Warum sind Sie nicht bereit, auch in hochwertige Informationen zu investieren?

Kommen wir noch mal auf den technologischen Umbruch zu sprechen: Sie sagen, dass unsere heutigen Entscheidungen zur Anwendung von Künstlicher Intelligenz und Biotechnologie die Welt von morgen prägen werden. Bitte erklären Sie das näher.

Wie wir diese Technologien weise nutzen können, ist in der Tat die wichtigste Frage, die sich der Menschheit heute stellt. Nicht nur die Zukunft der Menschheit, sondern wahrscheinlich die Zukunft des Lebens an sich hängt davon ab. Deshalb ist diese Frage sogar noch wichtiger als die Weltwirtschaftskrise, die Kriege im Nahen Osten oder die Flüchtlingskrise in Europa.

Die zukünftige Anwendung einer neuen Technologie soll wichtiger sein als die großen Krisen unserer Zeit?

Überlegen Sie, was die Biotechnologie beispielsweise für unseren Umgang mit Nutztieren bedeuten könnte. Einerseits können wir die Biotechnologie nutzen, um Kühe, Schweine und Hühner zu entwickeln, die schneller wachsen und mehr Fleisch produzieren. Auch ohne an das Leid zu denken, das wir diesen Tieren zufügen. Anderseits könnte mittels Biotechnologie künstliches Fleisch hergestellt werden: Fleisch, das in Laboratorien aus Tierzellen gezüchtet wird. Wenn Sie ein Steak wollen, können Sie einfach ein entsprechendes Stück Fleisch wachsen lassen, anstatt eine ganze Kuh aufzuziehen und zu schlachten. Das ist keine Science-Fiction. Der erste derart erzeugte Hamburger wurde im Jahr 2013 produziert. Damals kostete das 330.000 Dollar, heute sind es nur noch 11 Dollar. Innerhalb von ein paar Jahren wird ein künstlicher Hamburger wahrscheinlich weniger kosten als ein "normales" Stück Hackfleisch. Mit der entsprechenden Forschung und weiteren Investitionen könnten wir in ein oder zwei Jahrzehnten künstliches Fleisch im industriellen Maßstab produzieren. Was viel billiger, wesentlich ökologischer und nicht zuletzt ethisch unbedenklicher ist.

Vor allem wäre es ein Mittel, den Klimawandel zu bekämpfen und die Ernährung der Weltbevölkerung sicher zu stellen.

Richtig. Mithilfe der Technologie können wir entweder das Paradies oder die Hölle auf Erden schaffen. Wenn wir die Biotechnologie oder auch die Künstliche Intelligenz weise nutzen, werden die Vorteile für die Menschheit unermesslich sein. Der Preis für unkluge Entscheidungen könnte hingegen im Untergang der Menschheit bestehen.

Stichwort Intelligenz: Wann wird die Menschheit der Künstlichen Intelligenz endgültig unterlegen sein?

Die Künstliche Intelligenz hat uns Menschen in einigen Bereichen bereits überholt. Etwa beim Schachspielen. In anderen Bereichen wird sie unsere Fähigkeiten vielleicht nie erreichen. Zum Beispiel gibt es bisher keinen Hinweis darauf, dass die Künstliche Intelligenz jemals irgendeine Form von Bewusstsein entwickeln wird. Science-Fiction-Filme neigen immer wieder dazu, Intelligenz mit Bewusstsein zu verwechseln. Deshalb wird oft angenommen, dass Computer ein Bewusstsein entwickeln müssten, um menschliche Intelligenz erreichen zu können. Aber in Wirklichkeit können Computer uns Menschen in vielen Bereichen überflügeln, ohne jemals ein Bewusstsein erlangt zu haben. Intelligenz und Bewusstsein sind zwei sehr unterschiedliche Dinge.

Selbst ohne irgendeine Form von Bewusstsein wird die Künstliche Intelligenz unser Leben massiv verändern. Worin sehen Sie die größten Probleme?

Der Arbeitsmarkt des Jahres 2050 wird sich stark von dem heutigen unterscheiden. Künstliche Intelligenz und Robotik werden fast jeden Beruf verändern. Viele, wenn nicht sogar die meisten der Tätigkeiten, die Menschen heute ausüben, könnten bis 2050 verschwinden: Hemden nähen, Taxis fahren, Versicherungen verkaufen, selbst die Diagnose von Krankheiten oder das Lehren von Naturwissenschaften.

Die Furcht vor Maschinen, die uns Menschen arbeitslos machen, herrscht seit langer Zeit.

In der Vergangenheit hat sich diese Furcht auch als unbegründet erwiesen. Aber die Künstliche Intelligenz unterscheidet sich grundlegend von den alten Maschinen. Bislang rivalisierten Mensch und Maschine hauptsächlich im Bereich der manuellen Fähigkeiten. Jetzt konkurrieren die Maschinen mit uns auf der kognitiven Ebene. Das ist eine ganz neue Qualität.

Was soll aus den Menschen werden, die diese händischen Arbeiten heute noch ausführen?

Wenn alte Arbeitsplätze verschwinden, werden auch neue entstehen. Wir wissen jedoch nicht, ob ausreichend davon geschaffen werden. Darüber hinaus werden die meisten neuen Arbeitsplätze aller Wahrscheinlichkeit nach ein hohes Maß an Fachwissen und Kreativität erfordern. Und kommen damit nicht für ungelernte Arbeiter in Frage. Als die Automatisierung in der Vergangenheit den Arbeitsmarkt veränderte, konnten die Menschen problemlos von einem Job mit geringer Qualifikation zu einem anderen Job mit geringer Qualifikation wechseln. Solche beruflichen Veränderungen waren durchführbar, weil der Arbeitsplatzwechsel nur eine begrenzte Umschulung erforderte. Aber im Jahr 2040 wird ein Kassierer oder Lkw-Fahrer, der seine Arbeit an eine Künstliche Intelligenz verliert, kaum in der Lage sein, als Yogalehrer oder Softwareingenieur zu arbeiten. Sie werden nicht über die notwendigen Fähigkeiten verfügen.

Sie beschreiben nicht unbedingt eine rosige Zukunft.

Es kommt noch schlimmer. Selbst wenn sich diese Menschen anpassen, um den Anforderungen ihrer neuen Jobs gerecht zu werden, wird es keine langfristige Lösung sein. Angesichts der Revolution, die die Automatisierung bedeutet, wird sich der Arbeitsmarkt nicht mehr stabilisieren. Er wird von immer größeren Störungen erschüttert werden.

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen Sie an, Sie wären ein 40-jähriger Lkw-Fahrer. Im Jahr 2040 verlieren Sie Ihren Job an einen Lastkraftwagen, der von selbst fährt. Anschließend verbringen Sie zwei Jahre damit, die Grundlagen des Yoga zu erlernen und sich als Yogalehrer neu zu etablieren. Aber zehn Jahre später werden auch Yogalehrer überflüssig. Ganz einfach, weil Computer, die mit biometrischen Sensoren ausgestattet sind, Yoga mittlerweile besser als jeder Mensch lehren können. Sie müssten sich erneut umschulen lassen, etwa um ein Virtual-Reality-Designer zu werden. Aber auch dieser Job wird ein oder zwei Jahrzehnte später verschwinden.

Sie beschreiben den sozialen Zusammenbruch. Aufstände und Revolutionen könnten die Folge sein. Das kann keine Regierung dieser Welt zulassen.

Richtig. Die Regierungen werden wahrscheinlich eingreifen und den Menschen in den schwierigen Übergangszeiten helfen müssen. Sowohl durch eine großzügige Arbeitslosenunterstützung als auch durch die Finanzierung der notwendigen Umschulungsmaßnahmen.

Die Frage ist doch eher, ob die Menschen immer und immer wieder einen neuen Beruf erlernen wollen. Und vor allem können.

Das größte Problem könnte in der Tat psychologischer Natur sein. Selbst wenn Sie die notwendige finanzielle Unterstützung erhalten, um sich mit 40 Jahren beruflich neu zu orientieren: Besitzen Sie auch die erforderliche psychische Belastbarkeit? Werden Sie dazu auch noch im Alter von 50 Jahren im Stande sein? Und noch einmal mit 60 Jahren? Bedenken Sie, dass angesichts der steigenden Lebenserwartung das Rentenalter auf 70, 80 oder sogar 90 Jahre steigen könnte.

Welchen Rat würden Sie heute angesichts dieser Zukunftsvision einem jungen Schüler geben?

Mit ziemlicher Sicherheit wird vieles, was junge Menschen zurzeit in der Schule lernen, irrelevant sein, wenn sie vierzig Jahre alt sein werden. Worauf sollten sie sich also konzentrieren? Mein bester Rat ist es, die eigene persönliche Belastbarkeit und emotionale Intelligenz zu trainieren. Weil die jungen Schüler von heute später die Fähigkeit benötigen werden, immer wieder zu lernen und sich selbst stets aufs Neue zu erfinden.

Professor Harari, wir danken für das Gespräch.

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