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Tagesanbruch: Deutschland hat eine Schwäche – und die wird immer gefährlicher


Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Was heute wichtig ist
Deutschlands Schwäche wird immer gefährlicher

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 07.08.2020Lesedauer: 6 Min.
UN-Generalsekretär Guterres, Bundeskanzlerin Merkel, Bundesaußenminister Maas.Vergrößern des Bildes
UN-Generalsekretär Guterres, Bundeskanzlerin Merkel, Bundesaußenminister Maas. (Quelle: Archivbild/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

wenn Sie den Tagesanbruch abonnieren möchten, können Sie diesen Link nutzen. Dann bekommen Sie ihn jeden Morgen um 6 Uhr per E-Mail geschickt. Und hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

In der Weltwirtschaft ist Deutschland ein Riese, in der Weltpolitik ist es ein Zwerg. Ob in Nordafrika, Nahost oder Asien: Nirgendwo spielt die Bundesrepublik eine Rolle, die ihrem Potenzial entspricht. Berliner Außenpolitik beschränkt sich aufs Beobachten, Bezahlen und Bedauern. Vorbei die Zeiten, als ein unermüdlicher Chefdiplomat Steinmeier den Ukraine-Konflikt beruhigte, den Atomdeal mit Iran schmiedete und im Nahostkonflikt vermittelte. Heute sieht man staunend zu, wie Herr Xi Chinas Digitaldiktatur ausweitet, Herr Trump internationale Verträge zerlegt und Herr Putin europäische Demokratien unterminiert. Gelegentlich flüstert man aua! oder menno!, dann macht man den Mund wieder zu.

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Die Folgen der schwachen deutschen Außenpolitik treten immer deutlicher zutage. Die EU hat immer noch keine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungsstrategie. In Libyen fachen Russland und die Türkei den Bürgerkrieg an. Am östlichen Mittelmeer zündeln Erdogan, Assad und die iranischen Mullahs. Und nun stürzt auch noch der Libanon ins Chaos. Niemand verlangt von Deutschland, diese Probleme allein zu lösen, aber etwas mehr Einsatz wäre schon ganz gut, wenn man nicht will, dass die Konfliktstaaten ihre Probleme, Gewalt und Flüchtlinge gen Europa exportieren. Im Berliner Regierungsviertel verfolgt man stattdessen die Strategie der drei Ws: wegducken, warten, Wiedervorlage. China unterwirft Hongkong? Lieber nicht zu laut protestieren. Putin und Erdogan ignorieren die Beschlüsse der Berliner Libyen-Friedenskonferenz? Da kann man wohl nichts machen. Der wilde Mann in Washington droht Deutschland mit Zöllen, Truppenabzug, Trampeltier-Botschaftern? Hm, aber wir haben da ja gerade dieses Corona... Die Kanzlerin besitzt immerhin noch die Autorität, mit zwei, drei Telefonaten eine Krise zu entschärfen. Aber der Mann in den Maßanzügen, der sich Außenminister nennt, und all die anderen Herrschaften mit den wohlklingenden Titeln scheinen ihren Dornröschenschlaf ausgiebig zu genießen.

So kann das nicht weitergehen. Mit jedem Tag des Dahindämmerns wird Deutschlands Stellung weiter geschwächt. Es geht nicht darum, andere Länder mit Militäraktionen zu überziehen. Es geht darum, erstens zu definieren, wie Deutschland in der Welt von morgen dastehen soll, zweitens die bestehenden Allianzen neu zu beleben, statt sich auf Sonntagsreden in Paris, Brüssel oder Warschau zu beschränken. Und drittens schnell, entschlossen und nachhaltig einzugreifen, wenn in unserer erweiterten Nachbarschaft eine Krise ausbricht, die auch Europas Stabilität gefährdet.

Es ist ziemlich ernüchternd, mit Diplomaten über die Defizite der Berliner Außenpolitik zu sprechen. Und es ist ziemlich erfrischend, mit jemandem zu diskutieren, der das Problem erkannt und obendrein Ideen hat, wie es zu lösen ist. Friedrich Merz ist so einer. Als ehemaliger Europaparlamentarier, als Transatlantiker und gut vernetzter Wirtschaftsexperte kennt er sich nicht nur beiderseits des großen Teichs aus, sondern verfolgt auch genau, wie China und Russland ihren Einfluss auf Kosten anderer Staaten mehren. Es ist also naheliegend, mit Friedrich Merz über Außenpolitik zu sprechen. Folglich haben wir den Kandidaten für den CDU-Vorsitz in den t-online.de-Newsroom nach Berlin eingeladen, wo unser Politikreporter Tim Kummert und ich mit ihm diskutiert haben. Den ausführlichen Teil unseres Gesprächs zur Corona-Krise servieren wir Ihnen am Montag. Den knapperen Teil zur Außenpolitik bekommen Sie heute. Wenn Sie wissen wollen, was Herr Merz zur Lage im Libanon, zur chinesischen Expansion und zu Trumps Truppenabzug aus Deutschland sagt: Hier erfahren Sie es.


WAS STEHT AN?

Russland will die Präsidentschaftswahlen eines Nachbarlandes manipulieren und hat sogleich ein paar Söldner geschickt, die den Laden im Vorfeld ordentlich aufmischen sollen? Das glaubt man eigentlich sofort. Erst recht, wenn sich der Nachbar in Moskaus unmittelbarer Einflusszone befindet. Wladimir Putin greift in solchen Fällen bevorzugt auf die private "Sicherheitsfirma" Wagner zurück, die für ihn bereits in Libyen, Syrien, der Ukraine, dem Sudan und anderswo die Drecksarbeit erledigt. Überall dort, wo russische Soldaten nicht offiziell in Erscheinung treten sollen, aber ihr Dienstherr trotzdem militärisch auftrumpfen will, packen die Lohnkrieger ihre Geschütze aus. Ein Umsturzversuch im Nachbarstaat Belarus? Passt doch perfekt ins Dienstleistungsportfolio.

Was aber, wenn das angebliche Opfer die Desinformationsspezialisten aus Moskau an Unglaubwürdigkeit noch übertrumpft? Alexander Lukaschenko ist ein Dinosaurier, der nicht aussterben will, ein lebendes Relikt aus jener Zeit, in der ein eiserner Vorhang die Sowjetunion und ihre Teilrepubliken umschloss, in der Dissidenten in psychiatrischen Anstalten verschwanden und ein gefürchteter Geheimdienst dafür sorgte, dass das Wort des Chefs Gesetz war. Die Weißrussische Sozialistische Sowjetrepublik gibt es nicht mehr, aber das Weißrussland Lukaschenkos sieht trotzdem nicht viel anders aus als früher. Seit 26 Jahren lenkt der Diktator die Geschicke seines Volkes mit Weisheit und Fürsorge, so sieht er es jedenfalls.

Doch es rumort wie noch nie. Gleich zwei Oppositionskandidaten hat Lukaschenkos Sicherheitsapparat mundtot gemacht, ein dritter floh aus dem Land – aber kaum ist einer weggesperrt, erscheint schon der nächste. Oder besser die nächste: Zurzeit macht Swetlana Tichanowskaja dem ewigen Obermotz die Hölle heiß. Eigentlich sei sie mit ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter sehr zufrieden gewesen, sagt sie, aber seit ihr Mann seine Präsidentschaftskandidatur mit dem Knast bezahlen muss, hat sie den Staffelstab übernommen. Viele hören ihr zu. Demonstranten wagen sich auf die Straßen von Minsk und trotzen den Greifkommandos der Polizei. Selbst unter den Anhängern des Präsidenten gärt es. Seine bizarre Corona-Politik (er tut die Pandemie als Psychose ab, lässt lieber Massenparaden abhalten und empfiehlt Wodka als Arznei) haben auch seine Unterstützer teuer bezahlen müssen – und sie nehmen es ihm übel.

Welch ein Glück also für Herrn Lukaschenko, dass sein Sicherheitsapparat wenige Tage vor den Wahlen am kommenden Sonntag eine gefährliche Verschwörung aus dem Ausland aufdecken konnte. Die angeblichen konspirativen Umtriebe der Wagner-Söldner, ebenso wie ihre Verhaftung, wirkten allerdings dermaßen inszeniert, dass man diesmal geneigt ist, den Beteuerungen des Kremls zu glauben. Von dort heißt es, die Truppe sei nur auf der Durchreise gewesen. Der bedrängte Präsident aber braucht einen Ausweg aus seiner Popularitätsmisere so sehr, dass er selbst den Eklat mit dem eigentlich freundlich gesinnten russischen Nachbarn nicht scheut: Wer weiß, vielleicht drückt der Mann in Moskau im Stillen ja ein Auge zu. Eine Demokratiebewegung gegen den Herrscher? Das hat Putin schon in der Ukraine auf die Palme gebracht. Jetzt in Minsk? Fehlte gerade noch.

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Also posiert Herr Lukaschenko mit Generälen und Sicherheitskräften, stilisiert sich wie eh und je als Garant der Stabilität. Aber der Druck im Kessel steigt. Die Gefahr von Gewalt auch. Dort, wo die Einflusszonen von Ost und West aufeinanderstoßen, gibt es längst zu viele Pulverfässer. Eine entschlossene europäische Außenpolitik würde deshalb Herrn Lukaschenko isolieren, Einreiseverbote und Sanktionen verhängen und, so schwer es fällt, die Verständigung mit Waldimir Putin zu suchen. Damit Weißrussland nicht bald die nächste Ukraine wird. Und Wagner-Söldner nicht nach Minsk kommen, um zu bleiben.


Apropos Belarus: Der erste Block des umstrittenen Atomkraftwerks Ostrowez an der Grenze zur EU nimmt heute seinen Betrieb auf. Nur wenige Kilometer von Litauen entfernt hat der russische Atomenergiekonzern Rosatom das erste AKW Weißrusslands gebaut. Staatschef Lukaschenko preist das Prestigeprojekt in höchsten Tönen – Kritiker sind entgeistert über die laxen Sicherheits- und Umweltstandards.


In Afghanistan beginnt heute die Große Ratsversammlung Loja Dschirga. Sie soll den Weg für Friedensgespräche zwischen der Regierung und den Taliban ebnen. Neben der künftigen Machtverteilung streiten sie sich über einen Gefangenenaustausch: Die Islamisten fordern die Freilassung von 400 Schwerverbrechern, die Regierung will davon bisher nichts wissen. Ob ein Kompromiss das Land am Ende wirklich stabiler macht, ist zweifelhaft.


WAS LESEN?

Nach dem Bürgerkrieg, nach Attentaten, nach Flüchtlingswellen: Beirut ist immer wieder aufgestanden. Aber kann sich die libanesische Hauptstadt auch von der verheerenden Explosion erholen? Nur dann, wenn sich grundlegend etwas ändert, argumentiert unsere Kolumnistin Lamya Kaddor.


Im Zusammenhang mit der Katastrophe von Beirut entfalten diese Erkenntnisse neue Brisanz: Sicherheitskreise haben unserem Rechercheur Jonas Mueller-Töwe bestätigt, dass die Hisbollah jahrelang ein Lager mit Ammoniumnitrat in Deutschland unterhielt. Offenbar sollten mit der hochexplosiven Chemikalie Anschläge vorbereitet werden. Auch dieser Fall zeigt, wie groß Deutschlands Interesse an stabilen außenpolitischen Verhältnissen ist.


In den ersten Bundesländern beginnt die Schule wieder, doch viele Eltern und Lehrer fühlen sich von den Behörden alleingelassen. Hygienekonzepte sind unausgegoren, die Klassen vielerorts zu groß, die Maskenpflicht schwer einzuhalten – und warum gibt es keinen Betreuungsplan für den Fall von Corona-Infektionen? Meine Kollegin Sandra Simonsen ist den Fragen nachgegangen, und unsere Reporterin Melanie Muschong hat sich an Hamburger Schulen umgehört.


WAS AMÜSIERT MICH?

So ein Corona-Urlaub, der hat seine Tücken.

Ich wünsche Ihnen einen humorvollen Freitag und dann ein schönes Wochenende. Am Montag bin ich wieder für Sie da.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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