Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Auf dem Weg in die Idiokratie?
Guten Tag liebe Leserinnen und Leser,
Ich hoffe, Sie hatten angenehme freie Tage und starten beschwingt in die neue Woche. Heute präsentiere ich Ihnen in Vertretung von Florian Harms die kommentierten Themen des Tages. Und beginnen möchte ich mit einem Hollywood-Film.
WAS WAR?
Ein Mann und eine Frau werden im Rahmen eines Experiments in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt. Anders als geplant, wachen sie erst nach 500 Jahren wieder auf. Was sie vorfinden, sind nicht mehr die USA, die sie kannten. Die Amerikaner sind ein debiles Volk geworden, das kaum noch dazu in der Lage ist, die eigene Existenz zu sichern. Joe (gespielt von Luke Wilson) und Rita (gespielt von Maya Rudolph), ein durchschnittlicher Soldat und eine Prostituierte, sind nach ihrem Erwachen die klügsten Menschen und müssen das Land vor dem drohenden Untergang retten.
Die Science-Fiction-Komödie "Idiocracy" ist kein guter Film. Der Plot ist simpel, die Umsetzung wirkt billig und der Humor ist platt. Der Grund, weshalb ich ihn mir nun noch einmal ansah, war eine Kolumne des konservativen Autors Max Boot in der "Washington Post". Darin sieht Boot Parallelen zwischen der Hollywood-Dystopie aus dem Jahr 2006 und den USA im Corona-Jahr 2020. Sicher, "Idiocracy" ist Satire. Die Personen und das Geschehen sind grenzenlos überzeichnet. Satire bedeutet aber auch, dass darin ein wahrer Kern steckt.
Im Film wird das Land von Missernten bedroht, weil die Felder statt mit Wasser mit einem Energy Drink bewässert werden. In der heutigen Realität scheitern die USA anders als die meisten anderen westlichen Staaten an der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie. Im Film ist ein Ex-Wrestler Präsident und setzt auf Showeffekte statt auf ernste Politik. In der heutigen Realität verweigert ein zum Präsidenten erhobener Hotelier und Ex-TV-Moderator in einer der größten Krisen des Landes jede Führung.
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Für Boot ist die Sache klar: Schuld an allem ist nicht Donald Trump. Schuld sind die Millionen Amerikaner, die ihn 2016 wählten und ihm bis heute die Treue halten. Und nicht nur ihm, sondern auch den vielen kleinen realitätsverweigernden Trumps in den Gouverneurspalästen vor allem im Süden und in den Abgeordnetenbüros. "Jede Nation bekommt die Regierung, die sie verdient", zitiert Boot den französischen Philosophen Joseph de Maistre (1753-1821). Und tatsächlich sind die heutigen Probleme tief verwurzelt in Teilen der amerikanischen Gesellschaft.
Wenn ein gefährliches Virus trotz Tausender Toter nicht ernst genommen wird. Wenn das Tragen von Masken unter religiösen Menschen im wahrsten Sinne des Wortes verteufelt wird. Wenn wissenschaftliche Empfehlungen bei jungen Leuten als spießig und uncool gelten. Wenn sie wie gewohnt Party machen, in vollem Bewusstsein damit das Virus weiter zu verbreiten, dann sitzen die Probleme tiefer als in kurzfristigen Wahlentscheidungen. Sie haben mit fehlender Bildung und falscher Gläubigkeit zu tun, mit mangelndem Verantwortungsbewusstsein über sich selbst hinaus, mit falschen Vorbildern und mit grotesker Auslegung angeblicher Rechte als Amerikaner.
Wie gut, dass wir in Deutschland leben. Oder? In der Coronakrise haben wir vieles richtig gemacht. Die Regierungen von Bund und Ländern ergriffen notwendige, oft drastische Maßnahmen. Und sie erinnerten regelmäßig an den Ernst der Lage. Wir haben unser Leben in der Pandemie an wissenschaftlichen Ratschlägen ausgerichtet und Einschränkungen akzeptiert, um das Virus unter Kontrolle zu behalten.
Das war im Frühjahr. Geht man heute durch die Innenstädte, fährt man mit Bahnen oder besucht Einkaufszentren, man könnte glauben, Corona gäbe es nicht mehr. Menschen treffen sich und feiern fast wie eh und je. Abstandhalten war einmal. Wer zur Begrüßung nicht umarmt oder zumindest Hände schüttelt, gilt als unhöflich. Und der Mundschutz hängt in der Bahn lässig unterm Kinn, falls doch mal jemand kommt und mahnt.
Es ist, als wäre alles halb so wild gewesen. Das Homeoffice, die Schulschließungen, die geschlossenen Läden und Restaurants. Es ist als hätten wir die Tragödien vergessen, die es in Krankenhäusern und Pflegeheimen gab. Als wäre es egal, dass die Wirtschaft in eine historische Krise rutschte und nur dank aberwitziger Summen vom Staat das Schlimmste verhindert werden konnte. Als wäre all das so unbedeutend, dass man nicht einmal einfachste Vorsichtsmaßnahmen ergreifen müsste, um eine zweite Corona-Welle zu verhindern.
Unvernünftige Amerikaner, clevere Deutsche? Diesen Beweis sind wir der Welt noch schuldig. Im Moment sieht es nicht danach aus, als könnten wir ihn erbringen.
WAS STEHT AN?
Nach dem Rücktritt der französischen Regierung wird am Montag voraussichtlich das Kabinett des neuen Premierministers Jean Castex bekanntgegeben werden. Nach dem Triumph der Grünen bei den Kommunalwahlen vor einer Woche hatte Präsident Emmanuel Macron angekündigt, bis zur Präsidentschaftswahl 2022 mit einem "neuen Team" einen "neuen Weg" einzuschlagen. Dazu sollen etwa Zugeständnisse in der Klimapolitik gehören.
In London beginnt am Montag eine weitere Gesprächsrunde über ein Abkommen zwischen der EU und Großbritannien nach dem Brexit. Die erste dieser Verhandlungsrunden in kleinem Kreis war vergangenen Donnerstag ergebnislos beendet worden. Die Chancen, dass es diesmal echte Fortschritte geben könnte, stehen schlecht.
Tausende Experten und Interessierte diskutieren ab Montag bei der Welt-Aids-Konferenz über Wege und Strategien im Kampf gegen die Epidemie. Wegen der Corona-Pandemie findet die Konferenz in diesem Jahr im Internet statt. Bis zum 10. Juli gibt es online unter anderem Ansprachen, Diskussions- und Fragerunden.
Werder Bremen droht im Rückspiel der Relegation am Montagabend (ab 20.30 Uhr im Liveticker auf t-online.de) der erste Abstieg aus der Fußball-Bundesliga seit 40 Jahren. Nach dem 0:0 im ersten Duell mit dem Zweitliga-Dritten 1. FC Heidenheim darf Werder sich in der entscheidenden Partie keine Niederlage erlauben.
WAS LESEN ODER ANSEHEN?
Es läuft gerade nicht gut für Armin Laschet: Seine Beliebtheitswerte sinken, er, der oberste Lockerer, musste in seinem Bundesland für zwei Landkreise einen Lockdown verhängen und sich überdies gegen Rassismus-Vorwürfe verteidigen. Seit dem 25. Februar, als Laschet verkündete, für den CDU-Vorsitz zu kandieren, wird jede Äußerung von ihm wie unter dem Brennglas betrachtet. Nun steht die Frage im Raum: Soll der Mann wirklich CDU-Chef und vielleicht auch deutscher Kanzler werden? Die Zweifel daran wachsen. Doch als meine Kollegen Peter Schink und Tim Kummert Armin Laschet interviewten, trafen sie auf einen Mann im Angriffsmodus, der sich gute Chancen ausrechnet und sich von seinem großen Konkurrenten Friedrich Merz absetzen will.
Donald Trump hat den amerikanischen Nationalfeiertag dafür genutzt, die Demonstranten, die das Erbe von Rassismus und Sklaverei aufarbeiten wollen, als Feinde Amerikas zu brandmarken. Es ist Trumps neuester Versuch eines Befreiungsschlages aus der Krise. Vier Monate vor der Wahl schwinden laut Umfragen seine Chancen auf die Wiederwahl. Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold sieht Trump tatsächlich am Tiefpunkt seiner Präsidentschaft, doch noch längst nicht am Ende.
Einige lokale Corona-Ausbrüche in Deutschland sind auf Gottesdienste zurückzuführen. Das scheint naheliegend, schließlich wird in Kirchen, Moscheen oder Synagogen gemeinsam gesungen, Menschen sitzen eng nebeneinander, teilweise gibt es Riten mit Körperkontakt. Meine Kollegin Sandra Simonsen hat bei den größten Glaubensgemeinschaften nachgefragt, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf ihre Gemeinden hatte und Antworten von Katholiken, Protestanten, Muslimen und Juden bekommen.
Die Corona-Krise bringt Fußballklubs in finanzielle Probleme. Der FC Schalke 04 etwa kann dabei auf Unterstützung der Politik setzen – andere Traditionsvereine nicht, prangert der Vorstand von Rot-Weiss Essen, Marcus Uhlig, im Gespräch mit meinem Kollegen Dominik Sliskovic an: "Wenn wir nur darauf warten würden, dass die Politik uns hilft, könnten wir den Laden direkt zumachen."
Es ist bis heute ein Rätsel, was in den 1930er Jahren auf der Galapagos-Insel Floreana geschah. Fest steht, mehrere Gruppen deutscher Auswanderer ließen sich damals dort nieder, um in dem Inselparadies ein neues Leben ohne Konventionen zu beginnen. Es kam zu Spannungen und möglicherweise auch zu Morden. Eine ZDF-Dokumentation trägt zusammen, was über den fast vergessenen Kriminalfall am Ende der Welt bekannt ist.
WAS AMÜSIERT MICH?
Alles wie immer.
Morgen präsentiert Ihnen mein Kollege Daniel Fersch die Themen des Tages. Ich wünsche Ihnen einen wundervollen Montag!
Ihr
Carsten Werner
Chef vom Dienst t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Twitter: @Carsten_Werner
Mit Material von dpa.
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