Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Laschet "Zu Beginn fragte kaum jemand, was für Schäden angerichtet werden"
Armin Laschet bekämpft die Corona-Pandemie als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen und will im Dezember CDU-Chef werden. Ein Gespräch über Folgen von Lockerungen, die Grünen und die Frage, was er im Jahr 2017 gelernt hat.
Als Armin Laschet am 25. Februar 2020 seine Kandidatur für den Parteivorsitz der CDU verkündete, wurde in Deutschland der erste größere Ausbruch des Coronavirus bekannt: Im Kreis Heinsberg, mitten in Nordrhein-Westfalen. Seit diesem Tag sind das Corona-Krisenmanagement von Laschet, dem NRW-Ministerpräsidenten, und seine Chancen für den Parteivorsitz untrennbar miteinander verbunden. Im Interview erzählt Laschet, wie seine Arbeit nun seine Visitenkarte sein wird und welche Fehler in der Pandemie gemacht wurden.
t-online.de: Herr Laschet, über 76 Prozent der Deutschen finden, dass aufgrund Ihres Corona-Krisenmanagements in Nordrhein-Westfalen Ihre Chancen auf den Vorsitz der CDU schwinden. Was läuft schief?
Armin Laschet: Als Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes arbeite ich Tag für Tag mit daran, diese weltweite und vorher nie dagewesene Pandemie einzudämmen und unser Land bestmöglich dadurch zu führen, aber auch für die Zeit danach aufzustellen. Dies ist eine große Aufgabe, für die es keine Blaupause gibt. Darauf liegt mein Fokus.
Alle Verantwortlichen geben ihr Bestes dabei und die positive Entwicklung des Infektionsgeschehens zeigt, das gelingt uns in Nordrhein-Westfalen ganz gut. Umfragen gehen mal einige Prozentpunkte rauf, mal einige Prozentpunkte runter, das ist völlig normal. Das Beste für Nordrhein-Westfalen und die Menschen ist mein Ansporn und mein Ziel.
Sie waren einer der stärksten Befürworter der Lockerungen. Nun mussten Sie — als erster Ministerpräsident in Deutschland — einen regionalen Lockdown in Ihrem eigenen Bundesland erlassen. Wurde Ihnen die eigene Politik zum Verhängnis?
Nein. Die Infektionszahlen sind in Nordrhein-Westfalen seit Beginn der Öffnungen im April um rund 70 Prozent kontinuierlich gesunken. Diese positive Entwicklung und die Zahlen geben unserer Linie Recht. Der Grund für den Lockdown, den wir für Gütersloh und Warendorf verhängen mussten, war der lokale Ausbruch des Virus und der Infektionen beim Fleischproduzenten Tönnies. Niemand behauptet ernsthaft, dass dieses lokale Infektionsgeschehen auf Lockerungen zurückzuführen ist. Wir haben ja nicht die Fleischbetriebe wieder geöffnet, die waren in der Pandemie die ganze Zeit schon deutschlandweit zur Lebensmittelversorgung der Bevölkerung offen.
Wir müssen uns darauf einstellen, dass es immer wieder mal ähnliche lokale Ausbrüche geben wird, bis ein Impfstoff gefunden ist. Diese dämmen wir mit allen gebotenen Maßnahmen und unter Abwägung aller Faktoren verantwortungsvoll und konsequent lokal vor Ort ein. Die Entwicklung, auch in den Kreisen Gütersloh und Warendorf, bestätigen den Kurs.
Für den Ausbruch bei Tönnies machten Sie zunächst "Bulgaren und Rumänen" verantwortlich. Es folgten Rassismus-Vorwürfe gegen Sie, auch die bulgarische Botschafterin übte Kritik. Daraufhin stellten Sie klar, es verbiete sich "Menschen gleich welcher Herkunft irgendeine Schuld am Virus zu geben". Verstehen Sie Menschen, die das als einen Schlingerkurs wahrnehmen?
Nein, wie kommen Sie darauf?
Weil Sie als Ministerpräsident Ihr eigenes Statement im Nachhinein erklären mussten.
Es ist völlig normal und meine Aufgabe, politische Entscheidungen und Hintergründe zu erklären. So funktioniert Politik. Und gerade wenn etwas falsch verstanden wurde, muss es umso mehr erklärt werden, dann müssen die Dinge umso mehr klargestellt werden. Der Ausbruch, das Infektionsgeschehen, der Verlauf, auch die Verantwortung des Unternehmens, werden genau untersucht. Dass Reisebewegungen in der Pandemie ein Risiko sind, darauf habe ich immer hingewiesen. Wir haben – auch aus Vorsicht – schnell den Lockdown eingeleitet.
Da lag der Infektionswert jedoch schon tagelang bei über 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner — das war der Grenzwert, ab dem eigentlich ein Lockdown verhängt werden sollte. Warum haben Sie die Ausgangsbeschränkungen in den beiden Kreisen nicht früher angeordnet?
Wir haben unmittelbar nach Erkenntnis über die Infektionen konsequent und unter Abwägung aller Aspekte angemessen und offenkundig wirksam gehandelt, über 7.000 Menschen in Pre-Test-Quarantäne geschickt, ohne dass sie positiv getestet waren, und die Schulen und Kitas geschlossen. Die Maßnahmen sind massive Einschränkungen für die Menschen vor Ort und das öffentliche Leben, dazu mit enormen wirtschaftlichen Folgen verbunden. So etwas entscheidet man nicht "zwischen Tür und Angel". Der Rat von Experten unterschiedlicher Fachdisziplinen ist wichtig, um dann auf dieser Grundlage die bestmögliche Entscheidung zu treffen, zielgerichtet und verhältnismäßig zugleich.
Welche Rolle spielte die Größe der Landkreise? Zusammengerechnet leben dort über 600.000 Menschen.
Natürlich war das auch wichtig. Bei so vielen Betroffenen, müssen die Folgen besonders differenziert bedacht werden. Ich werbe für einen noch stärker regional differenzierten Ansatz, gleichzeitig haben wir in Gütersloh das vereinbarte Instrumentarium angewandt: Obwohl schon früh erkennbar war, dass die Infektionen sich im Wesentlichen auf die Mitarbeiter und ihr unmittelbares Umfeld beschränken, haben wir eine massive Testung von insgesamt knapp 50.000 Personen eingeleitet und für die Zeit der Testung die zweite Stufe des Lockdowns mit den Kontaktbeschränkungen verfügt – als Vorsichtsmaßnahme. Ich kann nur davor warnen, zu leichtfertig derart weitreichende Entscheidungen zu treffen.
Was meinen Sie konkret?
Wenn Grundrechte derart eingeschränkt werden, muss ständig und gewissenhaft die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit geprüft werden. Was in dieser Krise übergangsweise schon eingeschränkt, auch teilweise abgeschafft wurde, ist beachtlich: Die Reisefreiheit, die Gewerbefreiheit, die Religionsfreiheit, das Recht auf Bildung – und das sind nur einige Aspekte.
Zu Beginn der Pandemie fragte kaum jemand, was eigentlich für Schäden angerichtet werden, wenn Kinder beispielsweise nicht mehr zu Untersuchungen beim Kinderarzt oder nicht mehr in den Unterricht gehen. Ich habe stets darauf hingewiesen, nicht nur die Verbreitungszahl des Virus zu reduzieren, sondern auch die anderen Auswirkungen der Maßnahmen im Blick zu behalten. Wir haben seit dem Beginn der Öffnungen am 20. April einen deutlichen Rückgang der Infektionszahlen um rund 70 Prozent in Nordrhein-Westfalen. Auch das zeigt: Der Weg war richtig.
Welche Fehler wurden in der Bekämpfung der Pandemie gemacht?
Es war falsch, dass sich europaweit der Glaube zu verfestigen schien, man könne ernsthaft das Virus bekämpfen mit einer Schließung der Landesgrenzen. Wie kam denn Covid-19 hauptsächlich nach Deutschland?
Sie meinen die Touristen, die sich im österreichischen Skiort Ischgl infizierten und dann zurückkehrten.
Exakt. Das waren Urlauber, deutsche Staatsbürger, die man bei der Rückkehr nach Hause ja nicht an der Grenze abweisen kann. Das ist auch nicht geschehen und das war richtig so. Dennoch: Die Ländergrenzen müssen künftig offen bleiben, so wie wir es mit Niederlande und Belgien gehalten haben. Gleichzeitig haben die Gesundheitsbehörden grenzüberschreitend zusammengearbeitet. Auch mit offenen Grenzen darf aber die Bekämpfung der Pandemie nicht nachlassen, hier müssen wir zusammenarbeiten, europäisch vorgehen. Das ist eine Aufgabe für die deutsche Ratspräsidentschaft. Und gerade jetzt im Juli müssen wir besonders umsichtig sein.
Weil jetzt die Sommerferien beginnen.
Der jetzt anstehende Sommerurlaub birgt zumindest ein neues Risiko, darauf habe ich ja schon mehrfach hingewiesen: Die Menschen verreisen, fliegen wieder vermehrt mit dem Flugzeug, teilweise in ferne Länder, infizieren sich vielleicht vor Ort, ohne es zu bemerken. Das kann wirklich gefährlich für die Verbreitung des Virus und Ausbreitung der Pandemie werden. Deshalb sollten wir vorsichtig und weiter besonnen und verantwortungsvoll im Umgang miteinander sein.
Welche Rolle wird die Verbreitung und Eindämmung der Pandemie im Sommer für die Wahl zum CDU-Parteichef im Dezember spielen?
Die ganze Kraft aller Verantwortlichen, aller Regierenden der Union, liegt auf dem Umgang mit der Pandemie. Seit den ersten Tagen, als die Pandemie ausbrach, konzentriere auch ich mich ausschließlich auf die Bewältigung und Bekämpfung dieser und damit auf das, was richtig für Nordrhein-Westfalen ist. Es ging und geht mir darum, das Richtige zu tun – auch wenn es schwieriger zu vermitteln ist.
Im Ernst?
Selbstverständlich. Unsere Entscheidungen orientieren sich ausschließlich an der Frage, was für unser Land richtig ist, ob gelegen oder ungelegen.
Die Bekämpfung der Pandemie wird also Ihre Visitenkarte sein, wenn Sie im Dezember vor den Delegierten zur Wahl antreten.
Meine Visitenkarte ist unsere Regierungsarbeit seit drei Jahren für einen klaren Kurs bei der inneren Sicherheit, für einen starken Mittelstand und eine wettbewerbsfähige Wirtschaft und eine gute Bildung. Und natürlich spielt unsere ausgewogene, abwägende Politik zur Bewältigung der Pandemie, die sinkenden Infektionszahlen und der Blick auch auf die sozialen und wirtschaftlichen Schäden des Lockdowns eine Rolle.
Doch mittlerweile kursiert in der CDU ein Szenario, in dem Sie und Jens Spahn die Plätze tauschen: Also dass Spahn für den Parteivorsitz kandidiert und Sie sein Stellvertreter werden. Ist das denkbar?
Jens Spahn und ich haben uns gemeinsam viele Gedanken dazu gemacht, was die Partei braucht, wie man die CDU gut führen und zusammenhalten kann. Und dabei haben wir einen Konsens gefunden, uns gemeinsam entschieden als Team in diesen Wettbewerb zu gehen. Daran hat sich nichts geändert.
Dass Sie zum Stellvertreter und Spahn zum eigentlichen Kandidaten werden, ist also ausgeschlossen?
Jens Spahn und ich bieten für die CDU und den Vorsitz eine Teamlösung an, weil wir von der Konstellation überzeugt sind. Das galt bei der Erklärung der Kandidatur und das gilt auch heute.
Ihr Konkurrent Friedrich Merz betont oft, dass das Potenzial der CDU bei 40 Prozent läge, also bei genau dem Wert, wo die Partei in den Umfragen auch in letzter Zeit stand. Andere Kollegen von Ihnen gehen davon aus, dass diese Zahl sinken wird. Was glauben Sie?
Natürlich sind 40 Prozent möglich, das zeigen ja gerade aktuelle Zustimmungswerte. Es sind vielleicht sogar noch stärkere Ergebnisse möglich für die CDU. Im Moment steuern die Verantwortlichen der Union dieses Land gut und erfolgreich durch die Krise, angefangen von der Kanzlerin über die Minister und Ministerpräsidenten bis hinein in die Bundestagsfraktion. Das zeigen auch die Umfragen. Aber es ist auch die große Koalition insgesamt, die gerade punktet. Das liegt an dem Krisenmanagement und der Qualität ihrer Arbeit, die SPD hat sich da als ein verlässlicher Bündnispartner gezeigt.
Das klingt fast, als könnten Sie sich ab 2021 eine Neuauflage der großen Koalition vorstellen?
Das Zusammenspiel mit der SPD auf Bundesebene läuft derzeit sehr gut. Gleichzeitig arbeite ich mit der FDP in einer sehr erfolgreichen und reibungslos funktionierenden Koalition in Nordrhein-Westfalen zusammen.
Und was ist mit den Grünen?
Auch mit denen hat die Union gut funktionierende Koalitionen, wie man zum Beispiel in Hessen sehen kann.
Könnten Sie sich mit den beiden Parteichefs eine Zusammenarbeit für eine Koalition vorstellen?
Mein Eindruck ist ehrlich gesagt, dass es bei den Grünen zu vielen Themen noch keine konkreten Antworten gibt. Ich kenne beispielsweise die Haltung von Herrn Habeck zu vielen Fragen der Außenpolitik, zur Wirtschaftspolitik oder zur europäischen Zukunft nicht. Vieles mag ja ganz nett klingen, ist aber oft ohne große Substanz. Mir wirkt die Grünen-Spitze manchmal geradezu entpolitisiert. Wichtig ist in der ganzen Debatte über mögliche Koalitionen vor allem eines: Dass wir als CDU stark bleiben und an den Themen festhalten, die wir als wichtig und richtig erkannt haben. Das gilt für mich in Nordrhein-Westfalen genauso wie für die Partei insgesamt.
Sie sehen also keinen Bedarf für eine Kurskorrektur?
Ich habe 2017 folgende Erfahrung gemacht. Sechs Wochen vor der Landtagswahl 2017 in Nordrhein-Westfalen war gerade der Schulz-Hype der SPD eingeschlagen: Mitte März lag die SPD bei 40 Prozent, die CDU 26 Prozent. Wir wurden überschüttet mit Ratschlägen, was wir alles ändern sollten. Ich habe damals klar dafür plädiert, an unseren Werten und den inhaltlichen Schwerpunkten festzuhalten. Wissen Sie, was dann passiert ist?
Worauf wollen Sie hinaus?
Wir hielten Kurs — und dann haben wir die Wahl gewonnen. Nicht Umfragen sind entscheidend. Der Wähler erkennt bei Wahlen einen klaren Kurs an, eine Haltung und eine überzeugende Idee für die Zukunft.
Herr Laschet, wir danken Ihnen für das Gespräch.