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RW-Essen-Vorstand Uhlig: "Dann könnten wir den Laden direkt zumachen"


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Hilfeschrei aus Essen
"Dann könnten wir den Laden direkt zumachen"

  • Dominik Sliskovic
InterviewVon Dominik Sliskovic

Aktualisiert am 03.07.2020Lesedauer: 6 Min.
Marcus Uhlig (li.): Der Vorstand von Rot-Weiß Essen mahnt, dass nicht nur Schalke 04 mit Sportvorstand Jochen Schneider (re.) Hilfe benötigt.Vergrößern des Bildes
Marcus Uhlig (li.): Der Vorstand von Rot-Weiß Essen mahnt, dass nicht nur Schalke 04 mit Sportvorstand Jochen Schneider (re.) Hilfe benötigt. (Quelle: Collage; Revierfoto, RHR-Foto, Noah Wedel)
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Die Corona-Krise bringt Fußballklubs in finanzielle Probleme. Schalke etwa kann dabei auf Unterstützung der Politik setzen – andere Traditionsvereine nicht, prangert RW-Essen-Vorstand Marcus Uhlig an.

"Existenzbedrohend", sei die Corona-Krise für den Klub, sagte Schalke-Vorstand Alexander Jobst bereits vor Monaten. Nun bürgt das Land Nordrhein-Westfalen mit einem Millionenbetrag für den Gelsenkirchener Traditionsklub, sieht ihn nicht nur als wichtigen Arbeitgeber in der strukturschwachen Stadt, sondern als wichtiges Kulturgut der Region an. Andere Vereine mit nicht minder glorreicher Vergangenheit können nicht auf einen solchen Rückhalt setzen wie die Königsblauen. So etwa Rot-Weiss Essen.

Der Klub, der die Jahrhunderstürmer Helmut Rahn und Horst Hrubesch formte, der Deutsche Meister von 1955 und DFB-Pokalsieger 1953, befindet sich in einer misslichen Lage. Laut einem Bericht von "Reviersport" droht dem Verein von der Hafenstraße durch die Corona-Krise ein Verlust von 2,5 Millionen Euro. Ein Betrag, mit dem Schalke ab sofort seine Großverdiener gedeckelt entlohnen möchte. Ein Betrag, der beim Ruhrpott-Nachbar aus der Regionalliga jedoch bereits dafür sorgen könnte, dass die Lichter ausgehen.

Marcus Uhlig stellt sich mit aller Kraft gegen dieses Schreckenszenario. Seit 2017 ist der 49-Jährige Vorstand bei RWE. Im Gespräch mit t-online.de erklärt er, wie der Verein sich aus der Corona-Schlinge retten will und warum er das Handeln der Politik als "Armutszeugnis" sieht.

t-online.de: Herr Uhlig, Wie fühlen Sie sich, die Bundesliga im TV zu verfolgen, jedoch zu wissen, dass im Stadion Essen und in der Regionalliga der Ball ruhen musste?

Marcus Uhlig: Die DFL hat ein erstklassiges Krisenmanagement betrieben. Ihr ist es gelungen, den Spielbetrieb bestmöglich wieder aufzunehmen und aufrecht zu erhalten. Das sage ich aber nicht als Fußballfan – denn als Fußballfan habe ich so meine Probleme damit, mir solche Geisterspiele anzugucken –, sondern aus der Sicht eines Vereinsmanagers. Der DFL ging es nämlich in erster Linie darum, die Auswirkungen der Corona-Krise auf ihre Klubs so klein wie möglich zu halten, und ihr Geschäft zu sichern. Das ist ihr mit Christian Seifert an der Spitze hervorragend gelungen.

Wie sicher gestaltet sich Ihr Geschäft in der Regionalliga West?

Im Kontext der Corona-Krise waren wir als Rot-Weiss Essen medial sehr präsent, um die Sicht der Vereine aufzuzeigen, die nicht in den ersten drei Profiligen Deutschlands spielen. Die Klubs der Regionalliga und der darunter liegenden Spielklassen sind extrem abhängig von Zuschauereinnahmen. Unsere absolute Geschäftsgrundlage in Essen ist das Heimspiel: Möglichst viele Heimspiele in einer Saison vor möglichst vielen Zuschauern, die möglichst viel konsumieren – Bier, Bratwurst, Fanutensilien. Und sicherlich mindestens 80 Prozent unserer Sponsoren engagieren sich deshalb bei uns, weil sie genau das gut finden: Dass sie sich in diesem Heimspiel-Umfeld werblich präsentieren können.

Woran liegt es, dass ein Traditionsklub wie Rot-Weiss Essen so abhängig ist von den Spieltagseinnahmen?

Die Bundesliga ist extrem fokussiert auf Media-Einnahmen, sprich TV-Gelder. Sponsoren- und Ticketing-Einnahmen hingegen spielen dort eine wesentlich geringere Rolle als bei uns. Wir haben in der vergangenen Saison 3.000 Euro Fernsehgelder bekommen. Ich wiederhole noch einmal: 3.000 Euro. Für die gesamte Spielzeit.

Unglaublich.

Wir brauchen zwischen sechs und sieben Millionen Euro Umsatz pro Saison, um über die Runden zu kommen. Da kommen wir mit den Fernsehgeldern keinen Schritt voran. Rund die Hälfte unserer Einnahmen machen wir mit Sponsoring und im Hospitality-Bereich, weitere 30 Prozent speisen wir aus dem Ticketing. Den Rest steuern die Bereiche Merchandise und Public Catering, also Spieltagsbewirtung, bei. Deshalb betone ich noch einmal: An dem Erlebnis Spieltag mit möglichst vielen konsumierenden Fans hängt die komplette Existenz des Vereins. Ohne Spiele vor Publikum bricht uns somit unsere Geschäftsgrundlage weg.

Sie haben das Wegbrechen der Geschäftsgrundlage versucht aufzufangen, indem Sie Geisterspieltickets, Mundnasenschutz und Sondertrikots verkauft haben. Wie haben Sie diese Hilfsaktionen ausgewählt?

Was Rot-Weiss Essen wirklich ausmacht, ist eine fast schon irrationale Liebe, die die Fans dem Verein entgegenbringen. Der Solidargedanke, dass die Fans dem Klub in dieser Krise helfen, war ganz schnell da. Viele unserer Partner und Fans haben verstanden, dass wir maximal zusammenhalten müssen, wenn wir durch diese unverschuldete Krise kommen wollen.

Da waren wir sicherlich sehr kreativ, was die Möglichkeiten angeht, diese Unterstützung zu monetarisieren. Aber man muss auch ganz klar sagen: Du verkaufst im Prinzip nur heiße Luft. Du verkaufst den Fans ihre eigene Liebe, ihre eigene Leidenschaft, du verkaufst ihnen ihre eigene Solidarität mit dem Klub. Dieses Verkaufen einer besonderen Bindung hat sehr gut funktioniert. Wir haben mit den Hilfsmaßnahmen einen hohen sechsstelligen Erlös erzielt, den wir in Zeiten der Pandemie ansonsten sicherlich nicht erzielt hätten. Das alles hat uns extrem geholfen, einen noch größeren Schaden abzuwenden.

Wie sieht die Lage bei Rückzahlungsforderungen aus?

Wir sind sehr froh darüber, dass wir nur einen wirklich sehr niedrigen einstelligen Prozentsatz an Rückzahlungsforderungen hatten von den Leuten, die uns im Voraus bereits das ganze Geld für die komplette Saison gegeben haben: Dauerkarteninhaber und Sponsoren. Und das, obwohl ein Drittel der Saison gar nicht ausgetragen wurde.

Wurde die Bindung zu den Fans durch die Corona-Krise gestärkt?

Definitiv. Die vielen kleinen, persönlichen Geschichten, die diese Zeit geschrieben hat, waren überragend. Das würde hier völlig den Rahmen sprengen, wenn ich von ihnen zu erzählen beginnen würde. Wir als Verein haben von den Fans viel mehr Hilfe erhalten als wir erwartet haben und durften. Das hat mir endgültig gezeigt, dass die "RWE-Familie" nicht nur eine leere Vokabel ist.

Wie ist die Stimmung aktuell im und um den Verein?

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich heute strahlend in meinem Büro sitze. Was ich aber ganz klar wahrnehme ist, dass sich eine "Jetzt erst recht"-Stimmung im Umfeld des Vereins verbreitet. Das kann uns extrem bei den kommenden Aufgaben helfen. Denn niemand weiß, wie es weitergehen wird, wann wir wieder im Stadion zusammenkommen können. Trotz aller Widrigkeiten wollen wir maximal ambitioniert in die neue Saison gehen.

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Dennoch gibt es Berichte, in denen es heißt, die finanzielle Situation von Rot-Weiss Essen sähe trotz der Hilfsaktionen kritisch aus. Der Klub steht damit nicht allein dar, selbst in der Bundesliga soll Vereinen aufgrund der Corona-Krise die Zahlungsunfähigkeit drohen. Das bekannteste Beispiel ist der FC Schalke 04, der nun wohl mit einer Gehaltsobergrenze und einer Bürgschaft des Landes Nordrhein-Westfalen versuchen wird, entgegenzusteuern. Aus Ihrer Sicht: Sind Traditionsklubs wie Schalke und Rot-Weiss Essen schützenswerte Güter, die durch öffentliche Gelder unterstützt werden sollten?

Was ich vermisse ist eine signifikante, handfeste Unterstützung der Fußballverbände. Zwar hat die DFL für die Bundesliga hervorragend reagiert, in der 3. Liga gaben die Verbände jedoch ein verheerendes Bild ab. Auch wenn wir als Viertligist offiziell als Amateurverein gelten, betreiben wir hier einen professionellen Fußballbetrieb. Das sieht man bereits an den Umsätzen. Mit unserem Zuschauerschnitt von 11.000 bewegen wir uns seit Jahren auf Zweitliganiveau und beweisen, was für eine Strahlkraft dieser Verein für die Stadt Essen und die gesamte Region hat. Und dennoch reicht uns, abgesehen von der Stadt Essen, niemand eine helfende Hand.

Weder Bundes- noch Landespolitik und auch keiner der Verbände hat uns bis zum heutigen Tage ein Zeichen gegeben, dass man sich um Vereine wie uns, Rot-Weiß Oberhausen und Alemannia Aachen kümmern möchte. Vereine, die ich als absolut systemrelevant erachte in ihren lokalen Regionen. Es ist zwar von einem Konjunkturpaket über 200 Millionen Euro die Rede, aber dieses Geld wird wieder nur 1. und 2. Bundesliga sowie die Drittligisten erreichen. Wenn das für uns Viertligisten so weitergeht, dass wir in Ungewissheit leben, ob und wann wir wieder mit unserem Geschäftsmodell planen können, wird das verheerende Auswirkungen für den deutschen Fußball haben.

Ich höre viel Unverständnis heraus.

Es wird schlichtweg nicht präzise genug gearbeitet in der Politik und den Verbänden. Je höher ich spiele, desto mehr Rettungsfallschirme habe ich bereits, Stichwort TV-Gelder. Für uns Viertligisten ist bisher absolut gar nichts gemacht worden. Wir sind aber auch der Arbeitgeber von über 100 Menschen, die wir jeden Monat bezahlen müssen. Dass wir bis zum heutigen Tag keine Unterstützung erhalten haben, ist ein absolutes Armutszeugnis für die Politik.

Die "Bild" berichtet, ein vom Gesundheitsministerium abgesegnetes Konzept für einen Bundesliga-Start mit Fans stehe bereit. Inwiefern gibt es solche Konzepte auch für die Regionalliga West?

Wir sind gerade mit unserem Stadionbetreiber dabei, ein eigenes Öffnungskonzept zu erstellen, das zum Saisonstart Anfang September eine signifikante Zuschauer-Anzahl ermöglichen soll. So versuchen wir, im engen Austausch mit den Behörden der Stadt Essen, uns selbst weiter aus der Krise zu helfen. Denn: Wenn wir nur darauf warten würden, dass die Politik uns hilft, könnten wir den Laden direkt zumachen.

Verwendete Quellen
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