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Tagesanbruch: Krise in den USA – Donald Trump macht es nur noch schlimmer


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Was heute wichtig ist
Er macht es nur noch schlimmer

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 03.06.2020Lesedauer: 7 Min.
Der Oberbefehlshaber und seine Leibgarde: US-Präsident Trump brauchte bei seinem Auftritt vor einer Kirche in Washington schweren Polizeischutz.Vergrößern des Bildes
Der Oberbefehlshaber und seine Leibgarde: US-Präsident Trump brauchte bei seinem Auftritt vor einer Kirche in Washington schweren Polizeischutz. (Quelle: Patrick Semansky/ap)

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Und hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Die Sonne hat uns verwöhnt, der Sommerbeginn erfreut, die Wurst auf dem Grill, das Bier im Glas oder der Morgenkaffee in der Sonne geschmeckt. Lange Tage, kurze Nächte, die Leichtigkeit des Seins im Garten, im Lokal oder am Strand, so schön ist unser Land. Wer in diesen Tagen vor die Tür tritt, erlebt eine Bevölkerung, die sich ihre Freiheit zurückerobert. Wer die letzten drei Monate in einem Kokon gelebt hätte, fände im Deutschland des anbrechenden Junis 2020 wenig Unterschiede zum Deutschland des Februars 2020. Sicher, da sind die Masken und die Schilder, die uns im Büro, in der Bar oder im Fitnessstudio zum Abstandhalten auffordern. Da sind die Regierenden, die eilig ein Milliardenpaket nach dem anderen schnüren. Sie haben sogar aus früheren Fehlern gelernt und schlagen sich nun nicht mehr die Nächte um die Ohren, um wegweisende Entscheidungen zu treffen, sondern legen eine Pause ein und feilschen ausgeruht am nächsten Tag weiter. Gut so.

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Andernorts sieht es düster aus. Wer sieht, wie unser Nachbarland Frankreich in eine abgrundtiefe Wirtschaftskrise stürzt, wie Großbritannien immer noch verzweifelt eine Gesundheitsstrategie sucht oder wie das Coronavirus im kriegsgeplagten Jemen wütet, wo Erkrankte noch nicht einmal einen Arzt, geschweige denn ein Krankenhaus finden, der kann neben Bestürzung und Mitgefühl doch eigentlich nur große Dankbarkeit empfinden, dass es uns in Deutschland so viel besser ergeht. Sicher, auch hierzulande leiden viele Menschen: unter dem Virus, unter der Kontaktsperre, unter der Einsamkeit, unter der Unfähigkeit vieler Bundesländer, nach zwölf Wochen Ausnahmesituation endlich einen halbwegs funktionierenden Schulbetrieb auf die Beine zu stellen. Das alles und manches mehr ist misslich – aber es erscheint erträglich im Vergleich zu dem Schmerz, Leid und Chaos, die das Virus in anderen Ländern anrichtet. Vielleicht mögen Sie mir heute Morgen bei diesem Gedanken folgen, während Sie Ihren Kaffee trinken. Ich jedenfalls bin dankbar, in einem Land leben zu dürfen, das diese Pandemie so erfolgreich durchgestanden hat, dass wir uns nun schon wieder an den Sommerfreuden ergötzen können.

Gänzlich unbeschwert sollten wir uns jedoch nicht in die heiteren Wochen stürzen. Erstens tun wir gut daran, jene zu unterstützen, die schlimmer dran sind als wir. Zweitens sollten wir uns nichts vormachen: Die Folgen dieser Krise werden trotz all der Hilfsmilliarden viele Firmen, Geschäfte, Lokale und Selbstständige in die Pleite stürzen. Dass viele Bürger nun jeden Euro zweimal umdrehen, macht die Lage nicht besser. Drittens werden wir den Sommer nur dann unbeschwert genießen können, wenn der Leichtsinn nicht über die Vorsicht triumphiert. Bei meinen Kollegen von Statista lerne ich, dass die Bundesbürger schon wieder fast so viel unterwegs sind wie vor der Krise: Das zeigen die anonymisierten Bewegungsdaten der Mobilfunkanbieter. Gut und schön, denke ich da, aber hoffentlich halten sich alle an die Regeln. Wenn ich manche Bilder aus Parks, aus Biergärten und von Stränden ansehe, bekomme ich leise Zweifel. Verspielen wir doch jetzt bitte nicht das Erreichte!


Affektgetrieben, unberechenbar, verantwortungslos, narzisstisch: Man kann viele Adjektive bemühen, um Amerikas 45. Präsidenten zu charakterisieren. Seit Beginn seiner Amtszeit vor gut drei Jahren hält er die Welt mit einem Stakkato aus Überraschungen in Atem. Seien es Raketenangriffe im Nahen Osten, Drohgebärden gegen China, Nordkorea, Deutschland, die Nato, die Weltgesundheitsorganisation oder irgendwelche Fernsehgäste, die ihm missfallen, sei es die x-te Entlassung eines Mitarbeiters, Schimpftiraden gegen Journalisten und politische Gegner oder einer seiner wutschnaubenden Tweets: Dieser Mann stiftet Unruhe, hält sich weder an Regeln noch an Konventionen, aber sich selbst für einen großartigen Staatsmann. In diesen Tagen erleben wir, was geschieht, wenn so ein beratungsresistenter und über Selbstzweifel erhabener Luftikus ein Land durch eine tiefe Krise führen muss. Kein Staat wird heftiger vom Coronavirus gebeutelt als die USA. Die Behörden melden schon mehr als 100.000 Tote, mehr als 40 Millionen Amerikaner haben ihren Job verloren, vielerorts retten nur noch Essensspenden die Leute vor dem Hunger. Gestern Ausgangssperren, heute alles aufgehoben, übermorgen schauen wir mal. Zu wenig Intensivbetten, Beatmungsgeräte und Schutzmaterial, zu viel Konfusion: Eine klare Strategie im Kampf gegen das Virus ist in den Vereinigten Staaten nicht zu erkennen. Mangels verlässlicher Vorgaben aus Washington haben viele Gouverneure und Bürgermeister das Krisenmanagement selbst in die Hand genommen, stoßen dabei aber schnell an die Grenzen ihrer Kompetenzen. So kann es passieren, dass mancherorts der Bürgermeister den Menschen das eine empfiehlt, der Gouverneur das glatte Gegenteil, und der Präsident posaunt noch mal etwas völlig anderes in die Gegend. Wer da nicht verwirrt und beunruhigt ist, braucht starke Nerven.

Und nun kommen auch noch die Unruhen nach dem Tod George Floyds hinzu. Dass Amerika ein Problem mit Polizeigewalt hat, dass der Rassismus gegen Schwarze und Hispanics das Land vergiftet, dass viele Bürger die Staatsorgane nicht als Hilfe, sondern als Bedrohung wahrnehmen, all das ist hinlänglich bekannt. Was es in amerikanischen Familien anrichtet, zeigt uns zum Beispiel dieses eindrucksvolle Video. Auch Unruhen wie in diesen Tagen hat es in der Vergangenheit immer wieder gegeben. Bisher konnte kein Präsident das Problem lösen, auch Trumps Vorgängern Clinton, Bush und Obama ist es nicht gelungen. Man kann Herrn Trump deshalb nicht allein dafür verantwortlich machen. Wofür man ihn allerdings sehr wohl zur Verantwortung ziehen kann und wodurch er sich eklatant von seinen Vorgängern unterscheidet: Er versucht die gesellschaftlichen Konflikte nicht zu beruhigen, sondern facht sie weiter an. Statt Empathie zeigt er Kaltherzigkeit, statt Mitgefühl nur Profilierungssucht. "Der US-Präsident fürchtet, in der Protestwelle als Schwächling dazustehen. Deshalb droht er mit Militär und spannt die Polizei für eine PR-Aktion in eigener Sache ein", berichtet unser Korrespondent Fabian Reinbold. Das muss man dokumentieren und anprangern – aber man sollte dabei nicht übers Ziel hinausschießen.

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Teile der deutschen Medien sehen sich in diesen Tagen nur allzu gern in ihren Urteilen über Herrn Trump bestätigt – und schlittern in dieselbe sprachliche Eskalation, die sie dem US-Präsidenten vorwerfen. "Trump spielt Diktator", titelt der "Spiegel", "Trump erklärt Amerika den Krieg", donnert die "Süddeutsche Zeitung" und sieht die USA bereits am Ende: "Amerika versinkt in der Gewalt." Grundlage für derlei Einschätzungen ist die Drohung des obersten Befehlshabers, Soldaten gegen Randalierer und Plünderer einzusetzen, wo die Gouverneure und die Nationalgarde die Lage nicht zu beruhigen vermögen. Das wäre zweifellos gefährlich, womöglich auch rechtswidrig. Soldaten gegen die eigenen Bürger in Stellung zu bringen, könnte die Lage weiter verschärfen, die Wut auf die Staatsorgane schüren, mehr Opfer fordern. In einer Zeit, in der Amerika dringend einen Versöhner bräuchte, hat es einen Staatschef, der die Spaltung des Landes mutwillig vertieft, um seinen rechten Wählern zu gefallen. Schriebe man einen Roman über ein Land, das außen stark und innen schwach ist, das die Welt dominiert, aber an seinen internen Konflikten zerbricht, dann fände man im Amerika unter Donald Trump das perfekte Objekt.

Aber Journalismus ist nicht Belletristik, sondern muss sich an Fakten halten. Je wilder der Berichtsgegenstand, je grotesker die Protagonisten, desto vorsichtiger sollte man als Journalist mit Formulierungen sein. Als Leserin und Leser des Tagesanbruchs wissen Sie, dass Herr Trump auch hier oft und hart kritisiert wird. Aber dabei bemühen sich meine Kollegen und ich stets, den Kopf auf dem Hals und die Kirche im Dorf zu lassen. Wer mit Schaum vorm Mund schreibt, der wird sich schwertun, alle Aspekte einer Entwicklung wahrzunehmen. Wer im Tunnel der eigenen Weltsicht unterwegs ist, der sieht nicht mehr, wie sich die Dinge wandeln. Schlimm genug, wenn Politiker aufrüsten. Berichterstatter sollten es ihnen nicht gleichtun.


WAS STEHT AN?

Gut ausgeschlafen wollen Frau Merkel, Herr Scholz und die anderen Koalitionäre heute über das Konjunkturpaket weiterverhandeln. Mindestens 75 Milliarden Euro soll es umfassen, Deutschland soll sich nach den Corona-Soforthilfen noch weiter verschulden, um schnell in erfolgreiche Bahnen zurückzukommen. "Die Wirtschaft ankurbeln" heißt das im Politikerdeutsch, aber wer genau angekurbelt werden soll, ist noch unklar. Ökonomen sagen uns: Damit ein Konjunkturprogramm wirklich wirkt, müssen drei Faktoren erfüllt sein, und praktischerweise beginnen sie alle mit T. Zumindest im Englischen: Das Geld muss "timely" in den Wirtschaftskreislauf fließen, also schnell, am besten binnen Wochen. Es muss "targeted" ausgegeben werden, also gezielt an den richtigen Stellen. Und die Beschlüsse müssen "temporary" sein, dürfen also nicht für alle Ewigkeit gelten, weil der Staat sonst überlastet wird.

Folgt man der Lehre der drei Ts, fallen langfristige Investitionen, zum Beispiel in den umweltfreundlichen Umbau des Verkehrs, ebenso weg wie der Vorschlag von Finanzminister Olaf Scholz (SPD), klamme Kommunen zu entlasten. In beiden Fällen kämen die Effekte erst in Jahren und damit zu spät. "Dennoch werden sich die Koalitionäre heute wahrscheinlich sowohl auf Infrastrukturhilfen als auch auf eine Entlastung der Kommunen verständigen", prophezeit unsere Wirtschaftskolumnistin Ursula Weidenfeld. "Wennschon, dennschon, denken sie sich. Wer weiß, wann man das nächste Mal Probleme lösen kann, die schon so lange auf der To-do-Liste stehen, dass niemand nach ihrem Einfluss auf die Konjunktur fragt. Hauptsache, die Sachen sind endlich mal vom Tisch."

Merke: Was Ökonomen sagen, ist das eine. Was Politiker daraus machen, ist das andere. Trotzdem können manchmal beide recht haben.


WAS LESEN?

Eine Topmanagerin wird schwanger, will sechs Monate zu Hause bleiben – und muss deshalb ihren Posten in einem Unternehmensvorstand räumen: Was vielen wie eine Anekdote aus den Fünfzigerjahren vorkommt, ist in Deutschland bis heute geltendes Recht. Das muss sich schleunigst ändern, fordern die Aktivistinnen der Initiative #stayonboard, Vorständinnen sollen ein Recht auf eine Babypause bekommen. Die Rechtsanwältin Jessica Jacobi hat die Initiative mitgegründet. Im Interview mit meinem Kollegen Florian Schmidt erklärt sie, warum "ein Vorstandsmitglied oder ein Geschäftsführer vor dem Gesetz bislang kaum als Mensch betrachtet wird".


Prominente, die wilde Corona-Gerüchte streuen, stoßen auf immer größeren Widerstand. Viele Leute fordern, die Produkte von Unternehmern wie Attila Hildmann und Joseph Wilhelm zu boykottieren. Das ist falsch und anmaßend, findet unsere Kolumnistin Ursula Weidenfeld. Hier erklärt sie, warum.


WAS AMÜSIERT MICH?

Deutschland galt mal als Hochburg der Sparsamkeit. Bemerkenswert, wie schnell sich das geändert hat.

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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