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Coronavirus: Kampf, Flucht oder Vermeidung – was unser Gehirn macht


Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Was heute wichtig ist
Das Coronavirus wird für Journalisten zum Problem

  • Peter Schink
MeinungVon Peter Schink

Aktualisiert am 12.03.2020Lesedauer: 6 Min.
Bundespressekonferenz: Statements zum Coronavirus.Vergrößern des Bildes
Bundespressekonferenz: Statements zum Coronavirus. (Quelle: ap)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages, heute in Stellvertretung für Florian Harms:

WAS WAR?

Ich beginne diesen Tagesanbruch mit einem Geständnis: Das Coronavirus stellt mich vor eine Herausforderung, die ich so noch nicht erlebt habe. Noch nie musste ich mit existentiellen Fragen umgehen, die mich gleichzeitig beruflich wie privat fordern. Beides verschmilzt in diesen Tagen, dank Coronavirus.

Wie schnell wird das Virus kommen? Werden wir tatsächlich zu Hause bleiben müssen? Welche wirtschaftlichen Auswirkungen werden uns ereilen? Darüber schreibe ich tagsüber, und abends unterhalte ich mich mit Familie und Freunden weiter. Gleiches Thema, überall.

Für Journalisten ist das problematisch. Denn persönliche Betroffenheit verstellt leicht den objektiven Blick. Und der ist entscheidend. Wir müssen täglich unvoreingenommen Fakten zusammentragen. Andernfalls gäbe es keinen nüchternen Ort der Berichterstattung. Die ist nötig, wenn wir uns eine fundierte Meinung bilden wollen.

Ich habe mir also von einem Psychologen erklären lassen, was das Corona-Virus mit uns macht. In Gefahrensituationen hat unser Hirn drei Panikreaktionen parat: Kampf, Flucht oder Vermeidung. Je nach Prägung und Charakter reagieren wir unterschiedlich. Wer zum Kampf neigt, kauft im Supermarkt Nudeln und Klopapier auf Vorrat. Vermeidung und Flucht sind derzeit schwierig, können aber dazu führen, dass Sie die Nachrichtensendungen wegschalten oder sich das Corona-Problem kleinreden.

Wichtig ist, unserem Hirn zu sagen, dass es keine Gefahr wittern muss. Die Rationalität muss die Oberhand wiedererlangen (oder behalten). Erst dann informieren wir uns ausgewogen, waschen uns die Hände, meiden unnötige Menschenansammlungen. Handeln also rational.

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Und wir Journalisten? Müssen da eine hilfreiche Rolle einnehmen. In meiner Ausbildung habe ich gelernt: Ein Journalist filtert Informationen, er gewichtet sie, er ordnet sie ein. Wenn Sie unseren Newsblog zum Corona-Virus verfolgen, ahnen Sie vielleicht, wie viele Informationen wir da derzeit filtern, gewichten und einordnen müssen.

Die größte tägliche Herausforderung für uns: Wir sind auch Menschen. Mit Gefühlen, Ängsten, mit Familien, um die wir uns sorgen. In der Redaktion muss dann das Persönliche ein gutes Stück in den Hintergrund treten, um wirklich gut zu berichten. Professionelle Distanz zum Thema nennt man das unter Journalisten.

Wenn wir Journalisten selbst in Panik geraten würden, wäre diese Distanz nicht möglich.

Was hilft? Natürlich Erfahrung, aber vor allem ein gehöriges Maß an Rationalität. Wenn Sie so wollen, ist das eine Errungenschaft der Aufklärung des 17. Jahrhunderts: Erkenntnis kann es nur durch Vernunft und Empirie geben; durch rationales Handeln schaffen wir eine Gesellschaft, die über sich hinauswächst. In den nächsten Wochen werden wir genau das dringend brauchen.

Wenn man sich gestern Gesundheitsminister Jens Spahn und Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Bundespressekonferenz angesehen hat, konnte man von beiden hören, wie dringend sie auf die Besonnenheit aller hoffen. Merkel sagte: "Da sind unsere Solidarität, unsere Vernunft, unser Herz füreinander schon auf eine Probe gestellt, von der ich mir wünsche, dass wir sie auch bestehen." Ein erstaunlicher, fast flehentlicher Satz.

Deshalb gilt.

Erstens: Keine Panik. Werfen Sie mal einen Blick auf diese schlaue Datenanalyse der "Süddeutschen Zeitung". Die Kollegen haben visualisiert, weshalb es so wichtig ist, die Verbreitung des Virus zu verlangsamen. Gelingt uns das, wird die Epidemie halb so schlimm.

Zweitens: Schützen wir die Risikogruppen. Lebensbedrohlich ist Covid-19 vor allem für ältere Menschen. Wenn jeder Einzelne von uns überlegt, wie in seinem Umfeld Ältere und chronisch Kranke geschützt werden können, dann sind wir wirklich solidarisch.

Drittens: Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise eindämmen. Ökonomen haben erst gestern gemeinsam und eindringlich für drastische staatliche Hilfen plädiert. Das wird eine Herkules-Aufgabe.

Neben allem, es gibt für uns Journalisten noch eine Herausforderung. Im Bemühen, täglich das bestmögliche Programm zu liefern, geraten andere Themen aus dem Fokus. Und die bleiben vielfältig und ebenfalls wichtig: Bis Ende des Jahres muss die EU mit Großbritannien ein Handelsabkommen vereinbart haben. Die Klimakrise nötigt uns dazu, Deutschland klimaneutral zu machen. Die CDU sucht nach wie vor einen neuen Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten. Die Debatte um rechten Hass und Hetze in Deutschland ist noch lange nicht abgeschlossen. Und in vielen Ländern fürchten Menschen jeden Tag ums Überleben, in Syrien, Libyen, Jemen, Venezuela, Irak, Afghanistan und anderswo.

In diesen Tagen gelingt es uns kaum, ausreichend Zeit für solche Themen zu finden. Wir nehmen sie uns natürlich trotzdem, so gut es eben geht. Wir filtern dann etwas mehr als sonst, das schränkt die Weite der Berichterstattung ein.


WAS STEHT AN?

Der Rat der EZB tagt in Frankfurt am Main. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches. Aber was ist in diesen Tagen schon noch gewöhnlich. Die Fed in den USA hat es schon getan, die Bank of England hat es gestern getan. Und die EZB wird es dann wohl heute tun: Die Zinsen senken. EZB-Chefin Christine Lagarde hat dabei ein Problem. Der Leitzins für Einlagen ist bereits negativ. Und wird heute vermutlich noch negativer.


Ganz und gar positiv: Die Ministerpräsidenten aller 16 Bundesländer koordinieren sich im Kampf gegen Corona. Das Treffen wird geleitet von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Er wird wissen, dass am Ende der Sitzung mehr als nur warme Worte nötig sind. Die Länder müssen beim Kampf gegen das Coronavirus deutlich mehr tun als bislang.


In der Stadt Olympia in Griechenland wird das olympische Feuer entzündet. In guter Tradition wird es dann über viele Etappen nach Tokio getragen. Eine schöne Idee der japanischen Organisatoren: Die Fackel soll durch alle 47 Präfekturen des Landes getragen werden, möglichst viele Menschen sollen sie sehen, um so den olympischen Gedanken zu verbreiten.

Ich hoffe für alle Sportler, dass die Olympiade wie geplant am 24. Juli beginnen kann. Die japanische Olympia-Ministerin Seiko Hashimoto hat allerdings schon eine Verschiebung ins Gespräch gebracht. Aktuell sind in Japan knapp 650 Menschen mit dem Coronavirus infiziert.


WAS LESEN ODER ANSCHAUEN?

Ich hatte das schon seit ein paar Tagen immer wieder mal beobachtet. Die veröffentlichten Zahlen zu den Corona-Infektionen in Deutschland wichen mal mehr, mal weniger voneinander ab. Merkwürdigerweise war die uns in Deutschland reichlich unbekannte Johns-Hopkins-Universität in den USA mit ihrer Karte dem deutschen Robert Koch-Institut (RKI) immer ein Stück voraus. Dort waren schlicht mehr Fälle verzeichnet. Egal, es gibt im Moment Wichtigeres. Dachte ich mir.

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In den vergangenen Tagen wurden die Abweichungen immer größer. Gemeinsam mit dem geschätzten Kollegen Lars Wienand bin ich der Sache nachgegangen. Ergebnis: Das RKI kommt als Bundesbehörde mit rund 1.100 Mitarbeitern offenbar nicht hinterher. Unsere Recherchen ergaben für das ganze Bundesgebiet gestern 1.970 Corona-Erkrankte, die Johns-Hopkins-Universität kannte zum gleichen Zeitpunkt 1.908 Fälle, die Kollegen von "Zeit Online" zählten 1.952 Fälle. Nur das RKI wies gestern Nachmittag 1.567 Covid-19-Patienten aus. Da fehlen mindestens 340 Erkrankte. Das RKI hatte dafür nur eine reichlich unbefriedigende Erklärung, wie Sie in dieser Geschichte lesen können.

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Wer hätte vor zwei Wochen gedacht, dass die Bundesliga-Saison auf der Kippe steht. Doch nicht nur das. Das Coronavirus gefährdet auch die Fußball-EM im Sommer. Denn in drei Monaten würden Tausende Fans quer durch Europa reisen und den Erreger wahrscheinlich weit verbreiten. Lothar Matthäus hält eine Absage für möglich. "Wenn die Europameisterschaft aber wegen des Coronavirus abgesagt werden muss, müssen wir das akzeptieren", sagte er im Interview mit meinem Kollegen Patrick Mayer. Wie der Rekordnationalspieler des DFB selbst in seinem Alltag mit dem Coronavirus zu tun hat und wie er über Beleidigungen im Fußball denkt, erfahren Sie hier.


Fredi Bobic ist einer, den man im Fußball-Geschäft gerne als "hohes Tier" bezeichnet. Seit 2016 ist der 48-Jährige Sportvorstand bei Eintracht Frankfurt. Nach dem Klassenerhalt vor vier Jahren ist die Eintracht in den vergangenen Jahren zwei Mal ins internationale Geschäft sowie zwei Mal ins DFB-Pokalfinale eingezogen. Im Interview auf t-online.de (voraussichtlich ab Mittag online) spricht Bobic mit meinen Sportkollegen Melanie Muschong und Noah Platschko über die erfolgreiche Zeit mit der Eintracht, die Zukunft von Trainer Adi Hütter, Rassismusprobleme in deutschen Fußballstadien sowie Politikverdrossenheit in Deutschland.


DIE GUTE NACHRICHT

Klima, da gibt es ja sonst nur schlechte Nachrichten. Voraussichtlich heute Nachmittag wird dann eine interessante und gute Nachricht zu lesen sein. Zu viel kann noch nicht verraten werden. Aber es geht um einen ehrgeizigen Plan: Deutschland bis 2035 klimaneutral machen. Mehr dann gegen 15 Uhr auf t-online.de.


WAS AMÜSIERT MICH?

Trotz Coronavirus, das Lachen wird uns nicht vergehen.

Ich wünsche Ihnen einen gesunden Tag. Morgen schreibt Daniel Fersch an dieser Stelle.

Ihr

Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Twitter: @peterschink

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