Lothar Matthäus Diskussion um EM-Absage: "Das ist typisch deutsch"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Coronavirus, Aufstand der Ultras, Jürgen Klinsmann – der deutsche Fußball erlebt turbulente Zeiten. Im Interview mit t-online.de spricht Lothar Matthäus über die bewegenden Fußball-Themen in Deutschland.
Lothar Matthäus ist für Sky immer ganz nah dran an den Fußballplätzen der Bundesliga. Wenn der 58-jährige Rekordnationalspieler bei Live-Übertragungen des Pay-TV-Senders am Spielfeldrand eine Partie analysiert, fällt schon einmal die eine oder andere Bemerkung von der Tribüne.
Der Umgang mit Beleidigungen ist im Fußball ein sehr aktuelles Thema, genau wie die Probleme, die das Coronavirus für den Sport mit sich bringt. Wie Matthäus darüber denkt, erfahren Sie im ersten Teil des großen Interviews auf t-online.de.
t-online.de: Herr Matthäus, momentan geht es im Fußball nicht nur um Fußball. Das Coronavirus ist ein Riesenthema. Haben Sie Bedenken, dass die Austragung der EM 2020 in Gefahr ist?
Lothar Matthäus (58): Man sieht ja, was in anderen Ländern passiert. Wir müssen die nächsten zwei, drei Monate abwarten. Natürlich muss man das Coronavirus eindämmen, man sollte meiner Meinung nach aber nicht in Panik verfallen. Das ist typisch deutsch. Ich war in Südafrika, dort gibt es Corona ebenfalls. Aber die Leute dort lassen das Problem nicht so an sich ran, dass sie sagen, ab morgen geht gar nichts mehr. Wenn die Europameisterschaft aber wegen des Coronavirus abgesagt werden muss, müssen wir das akzeptieren.
Es gibt Leute, die in Panik verfallen. Am kommenden Spieltag findet unter anderem das Revier-Derby zwischen dem BVB und dem FC Schalke ohne Zuschauer statt. Hätten Sie sich noch auf eine volle Tribüne gesetzt?
Klar mach ich mir Gedanken und schaue, dass ich mir regelmäßig die Hände reinige. Ich bin kürzlich auf dem Rückflug von Südafrika in einem vollen Flieger gesessen. Beim Hinflug mussten wir in Johannesburg auf unseren Sitzen bleiben und ich wurde gegen Corona gecheckt. Da hat der Pilot durchgesagt: "Wir haben eine Corona-Kontrolle, bitte alle sitzen bleiben." Die drei, vier Minuten, bevor ich gecheckt wurde, bin ich dagesessen und habe mir gedacht: "Boah, wenn die jetzt was feststellen, wenn ich erhöhte Temperatur habe, dann sitzt du in Südafrika in Quarantäne. Wann siehst du deine Familie wieder?" Ich war froh, als sie weitergegangen sind. Du weißt ja nie. Das schöne Thema Fußball ist von Corona eingeholt worden. Aber ich laufe nicht mit Mundschutz rum und gebe Ihnen später gerne die Hand.
Ein anderes Thema im deutschen Fußball ist der Aufstand der Ultras.
Man muss sich zusammensetzen und darf keine falschen Versprechungen machen. Ich bin mein Leben lang im Stadion beleidigt worden, da hat sich keiner drüber aufgeregt. Ich werde heute noch teilweise von Fans beleidigt, nenne Ihnen gerne ein Beispiel: Ich war vor Kurzem mittagessen, da kam ein Kind her und hat gefragt, ob es ein Autogramm haben kann. Ich habe dem Kind gesagt, wenn es nach dem Mittagessen noch mal herkommt, gerne. Fünf Minuten später steht der Vater vor mir und sagt: "Was bist denn du für ein arrogantes Arschloch?" Habe ich ihn deswegen aus dem Restaurant verbannt?
Nein.
Wir sind in ganz Deutschland als Bayern-Schweine beschrien worden. Ich wurde in Mönchengladbach Judas genannt, meine Familie wurde beleidigt – wenn ich auf alles reagiert hätte, hätte ich denen einen Ansporn gegeben, nachzulegen. In diesem Fall geht es gegen den DFB. Der DFB hat diesen Fans offenbar etwas versprochen, woran er sich nicht gehalten hat. Aber natürlich muss es Grenzen geben. Ein Fadenkreuz im Stadion geht nicht.
Viele Ultras begehren auf, weil sie fürchten, dass ihr Fußball verscherbelt wird. Es gab zuletzt das prominente Beispiel Jürgen Klinsmann. Er kam zu Hertha BSC, hat auf Identifikation gemacht, in kurzer Zeit viel Geld ausgegeben und war ruck, zuck wieder weg. Sie haben lange mit ihm in der Nationalmannschaft und bei Inter Mailand zusammengespielt – wie haben Sie das Szenario in Berlin wahrgenommen?
Ich habe meinen Frieden mit Jürgen geschlossen, es gab viele Diskussionen zwischen ihm und mir. Wir hatten privat unsere Probleme, was wir aber nie auf dem Platz auf die Mannschaft übertragen haben. Meinungsverschiedenheiten, andere Ansichten …
… über den Führungsstil in einer Mannschaft?
Ich habe ja geführt, war immer ein Führungsspieler, mit Kapitänsbinde oder ohne (grinst). Jürgen hat in seiner Karriere alles clever gemacht, auch was mich betrifft. Das hat er immer hinbekommen. Ich kenne Jürgen, mich hat das in Berlin alles nicht überrascht. Bei ihm war es schon immer so: Ich bin irgendwo drin, und jetzt mehr, und dann noch ein bisschen mehr. So war Jürgen schon zu seiner aktiven Zeit. Mir tut es nur leid, dass es jetzt so gelaufen ist, weil er für mich eine Attraktion und ein Gesicht der Bundesliga war.
- Sportpsychologe über Coronavirus-Folgen: Geisterspiele können für manche Spieler ein Vorteil sein
Das sehr schnell wieder verschwunden ist.
Jürgen ist immer sehr schnell wieder verschwunden. Bei Bayern München, in der Nationalmannschaft – wenn ihm was nicht gepasst hat, war er wieder weg. Erst Jürgen, dann Jürgen, und dann noch mal Jürgen – eine andere Meinung hat er nicht gelten lassen.
Lesen Sie am kommenden Freitag im zweiten Teil des großen Interviews mit Lothar Matthäus, zu welchen Transfers der einstige Münchner dem FC Bayern rät – und welcher Spieler Borussia Dortmund die Chancen auf die Meisterschaft bewahrt.