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Tagesanbruch: Klimapolitik von Merkel & Co. – das große Versagen


Meinung
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MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 23.09.2019Lesedauer: 6 Min.
Angela Merkel winkt aus dem Dienstwagen.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel winkt aus dem Dienstwagen. (Quelle: Michael Kappeler/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

diese Woche beginnt anders als alle zuvor, denn die vergangenen 72 Stunden haben einiges verändert. Hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Politik soll gestalten. Sie soll Lösungen finden, wo sich Probleme stauen. Sie soll das Wohl der gesamten Bevölkerung im Blick haben und Konflikte ausgleichen. Und sie soll neue Wege einschlagen, wenn die alten nicht mehr ans Ziel führen. Soweit die Theorie. Die Praxis im Herbst 2019 klingt so: “Politik ist das, was möglich ist.“ O-Ton Angela Merkel auf der Pressekonferenz am Freitag, als sie das “Klimapaket“ ihrer Koalition vorstellte. Ein Satz, so klein wie aus dem Puppenhaus. Ein Satz ohne jegliche Ambition, ohne Elan, ohne Kraft. Ein Satz, der zum politischen Alltagsgeschäft passt, zum Klein-Klein, mit dem sich Regierende tagein, tagaus beschäftigen müssen. Aber kein Satz, der für eine historische Herausforderung taugt. Die Kanzlerin und ihre Minister sind nicht bereit, den Kampf gegen die Klimakrise ernsthaft aufzunehmen: Das ist die Botschaft der vergangenen 72 Stunden. Ihre Antwort auf den Aufschrei Hunderttausender Demonstranten war ein müdes Seufzen.

Der entscheidende Faktor beim Klimaschutz ist hierzulande der Verkehr. Im Unterschied zu allen anderen Sektoren ist der CO2-Ausstoß dort seit Jahren nicht gesunken. Das muss er aber, damit Deutschland seine Grenzwerte einhält, zu denen es sich verpflichtet hat. Und das, da sind sich Politiker und Wissenschaftler einig, gelingt nur über einen Preis auf CO2. Allerdings muss dieser so hoch sein, dass er tatsächlich wirkt, dass er Autofahrer, Flugpassagiere, Lkw-Spediteure und andere Unternehmen zum Umstieg auf weniger schmutzige Verkehrsmittel veranlasst. In der Schweiz, in Schweden und in anderen Länder hat man das verstanden, dort liegt der CO2-Preis pro Tonne bei 80 bis 115 Euro.

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Die deutsche Bundesregierung hat es nicht verstanden. Mit zunächst 10 Euro, später 35 Euro pro Tonne wird der nun von der Koalition verkündete CO2-Preis seinen Zweck niemals erfüllen. Wissenschaftler sind bestürzt. “Die große Koalition hat in zentralen Punkten nicht geliefert“, sagt Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenschätzung. “Lustlos, visionslos, existenzbedrohend für unsere Kinder“, nennt Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, den Beschluss. Die Grünen wollen ihn im Bundesrat blockieren. Kurz: Die Klimapolitik der Bundesregierung ist eine Kapitulationserklärung.

Die große Koalition war von Anfang an umstritten, sie zerstob fast während des unseligen Asylstreits, kam auch danach nie recht in die Spur. Nun hat sie beim wichtigsten Zukunftsthema versagt. Vor den Augen der ganzen Republik lieferten die kleinmütigen Großkoalitionäre am Freitag ein Bild des politischen Elends. Angesichts der größten Herausforderung, der sich die Menschheit gegenwärtig gegenübersieht, kneifen sie vor der Verantwortung. CDU, CSU und SPD haben vielerorts den Draht zu den Menschen verloren, daher sind sie weder in der Lage, gesellschaftliche Entwicklungen wie das gewachsene Umweltbewusstsein rechtzeitig zu erkennen noch die Herausforderungen eines wirklich konsequenten Klimaschutzes konstruktiv zu moderieren. Sie fürchten sich vor der AfD, vor dem Zorn der Pendler auf dem Land, die seit Jahren unter der verkorksten Verkehrspolitik leiden, vor dem Entflammen einer deutschen Gelbwesten-Bewegung.

Angst war noch nie ein guter Ratgeber. Erst recht nicht in Zeiten, in denen mutige Entscheidungen und kraftvolle Weichenstellungen gefordert sind. Angela Merkels vierte Regierung ist weder mutig noch kraftvoll. Und den Preis für ihr Versagen werden unsere Kinder und Enkel bezahlen. Wenn sie in 15, 20, 30 Jahren zurückschauen, wird der 20. September 2019 nur ein Datum unter vielen sein, an dem die Generation ihrer Eltern und Großeltern sich weigerte, Verantwortung zu übernehmen. Angela Merkels Politik wird in dieser Betrachtung nur noch eine Fußnote sein. Das ist die Lehre der vergangenen 72 Stunden.


Die Helden des Westens kennt fast jedes Kind. Neil Armstrong, Buzz Aldrin – sogar Ulf Merbold ist vielen ein Begriff. Viele Helden des Ostens dagegen sind heute vergessen. Zu Unrecht. Menschen wie Sigmund Jähn haben Großes geleistet und Millionen begeistert. Deshalb verdient der erste deutsche Raumfahrer, der nun im Alter von 82 Jahren gestorben ist, unsere Hochachtung. Erst recht, weil er über sich selbst sagte: "Ich bin kein Volksheld."


Am Ende ging es um eine Finanzierungslücke von 200 Millionen britischen Pfund, aber alles Verhandeln zwischen Firmenchefs und Investoren half nichts mehr: Der Reisekonzern Thomas Cook ist pleite – und damit sind es auch Neckermann-Reisen und die Fluglinie Condor. Die britische Regierung hat Hals über Kopf eine großangelegte Hilfsaktion organisiert, um mehr als 150.000 Urlauber nach Hause zu holen, Codename: "Matterhorn". Auch viele deutsche Touristen sind betroffen. Hier erfahren Sie mehr.


WAS STEHT AN?

Nachdem sie ihr Klimapäckchen geschnürt haben, sind die Kanzlerin und drei ihrer Minister in die USA aufgebrochen, ein vierter folgt. In New York beginnt der Klimagipfel der Vereinten Nationen. Mehr als 60 Staats- und Regierungschefs sollen in jeweils dreiminütigen Ansprachen konkrete Pläne zur CO2-Reduzierung präsentieren. Um kurz vor fünf spricht Angela Merkel, und es dürften ziemlich kurze drei Minuten werden.

Fußnote: Für ihre Reise nach Amerika nutzen die Kanzlerin, Entwicklungsminister Müller, Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer und Außenminister Maas drei verschiedene Regierungsmaschinen (Umweltministerin Schulze begnügt sich mit einem Linienflug). Für diese Regierung irgendwie konsequent, oder?


In London öffnet sich heute der Vorhang für den nächsten Akt des Brexit-Dramas. Das höchste britische Gericht wird voraussichtlich entscheiden, ob Boris Johnson das Parlament so lange in Zwangspause schicken darf. Bestätigen die Richter die Anweisung des Premiers, darf er sich kurz freuen. Widersprechen sie ihm, darf er sich auf einiges gefasst machen.

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In Vittoriosa auf Malta treffen sich heute Vertreter der EU-Staaten, um die Verteilung von Migranten zu regeln, die aus Seenot gerettet werden. Bundesinnenminister Seehofer geht mit gutem Beispiel voran: Deutschland will künftig ein Viertel der Menschen aufnehmen. Nun sollen die anderen Länder nachziehen.


Cem Özdemir ist ein toller Redner. Das findet auch Cem Özdemir, weshalb er morgen in einer Kampfkandidatur die grünen Bundestagsfraktionsvorsitzenden herausfordert. Er macht das gemeinsam mit Kirsten Kappert-Gonther, die bislang kaum aufgefallen ist, was Cem Özdemir vermutlich nicht allzu gravierend findet. Gravierend finden die ganze Aktion allerdings die amtierenden Vorsitzenden Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt. Die wollen nämlich am liebsten selbst weiter auffallen.


Es gibt Menschen, die mit 70 Jahren noch so viel Energie haben wie ein junger Hüpfer. Kein Wunder, wenn man den ganzen Tag Musik macht.Happy birthday, Boss, you are tougher than the rest!


DIE GUTE NACHRICHT

Das absurde Urteil des Berliner Landgerichts gegen Renate Künast hat gezeigt, wie dringend wir schärfere Regeln gegen Hass und Hetze im Internet brauchen. Die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen geht nun mit gutem Beispiel voran: Sie errichtet ein Meldesystem, über das jeder Bürger einfach und schnell Beleidigungen und Aufrufe zur Gewalt anzeigen kann. Das ist eine gute Nachricht, wenn die Behörden dann auch wirklich einschreiten.


WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

“Ich bin ein Loser. Ich habe mein Leben verkorkst“, sagt Maik Scheffler. Als stellvertretender NPD-Landesvorsitzender war er früher tief in der rechtsextremen Szene verankert. Wie hat er sich davon gelöst und was geschieht mit Aussteigern wie ihm? Diese und weitere Fragen unserer Leser beantwortet er in unserem beliebten Format “Frag mich“.


Ein entschlossener Klimaschutz ist dringender als je zuvor. Das sagt sich so leicht – aber erst, wenn man sich die Folgen der Krise vor Augen führt, wird es richtig klar. Wie ernst die Lage in der Arktis ist, zeigt das Video meiner Kollegen Jerome Baldowski und Arno Wölk. Aber auch die deutsche Nord- und Ostseeküste sind stark betroffen. Was schon ein halbes Grad Erderwärmung vor den Toren Hamburgs und Bremens anrichtet, sehen Sie in der Video-Animation meiner Kollegen Arno Wölk und Jerome Baldowski.


Wie sieht sinnvoller Klimaschutz aus, was müsste die Politik, was könnten Bürger tun? Die Klimaforscherin Brigitte Knopf hat es meinem Kollegen Daniel Schreckenberg erklärt.


WAS AMÜSIERT MICH?

Boris Johnsons Eskapaden sind so legendär wie seine Lügen. Erst kürzlich sorgte ein handfester Streit mit seiner Freundin für Schlagzeilen (Anlass sollen ein Sofa und vergossener Rotwein gewesen sein). Wie klingt es also, wenn man als Journalist bei Herrn Johnson anruft, um mit ihm ein Interview zu führen? Hören wir doch mal hinein.

Ich wünsche Ihnen einen energiegeladenen Start in die Woche. Morgen schreibt Peter Schink den Tagesanbruch, mich lesen Sie ab Mittwoch wieder. Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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