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Merkels China-Reise: Im Land der totalen Kontrolle – Ende des Handelkriegs?


Meinung
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Was heute wichtig ist
Im Land der totalen Kontrolle

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 06.09.2019Lesedauer: 7 Min.
Die Kanzlerin wird auf dem Airport in Peking empfangen.Vergrößern des Bildes
Die Kanzlerin wird auf dem Airport in Peking empfangen. (Quelle: t-online.de)

Guten Morgen aus Peking, liebe Leserinnen und Leser,

während Sie sich den ersten Kaffee schmecken lassen, ist hier schon High Noon.

WAS WAR?

Wir sind mit der Bundeskanzlerin unterwegs, der Hinflug war erträglich. Neun Stunden ab Berlin, Gespräche an Bord, zwischendurch Klopse mit Reis, ein kurzes Nickerchen, da vergeht die Zeit wie im Flug. Also schnell vorwärts:

WAS STEHT AN?

Angela Merkel ist auf heikler Mission in China. Gleich nach der Ankunft in Peking hat sie mit Ministerpräsident Li Keqiang gefrühstückt, vor der Großen Halle des Volkes die militärischen Ehren abgenommen (im Sitzen), nun leiht sie deutschen und chinesischen Unternehmern ihr Ohr, bevor sie Staatspräsident Xi Jinping zum Gespräch in kleiner Runde trifft – der wichtigste Termin der Reise. Niemand in China hat mehr Macht als der Mann mit der eingefrorenen Mimik und dem strategischen Geschick, vielleicht ist er sogar schon mächtiger als der Lautsprecher in Washington.

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Die Kanzlerin hat sich viel vorgenommen: Ein vollgepacktes Programm in Peking und der Universitätsstadt Wuhan, gerade mal 34 Stunden vor Ort, auf die Minute getaktet. Die Chefs von Daimler, VW, BMW und Siemens, von Allianz, BASF, Deutscher Bank, Herrenknecht und einigen Mittelständlern dürfen sie begleiten. Es gab mehr Bewerber als Plätze in der First Class des Regierungsfliegers. Zwar bestimmen die Eskalation in Hongkong und der Handelskonflikt die Schlagzeilen, aber ein anderes Problem bereitet vielen Firmenbossen noch mehr Kopfzerbrechen: China entwickelt sich zur globalen Digitaldiktatur – und deutsche Unternehmen werden dabei am Nasenring durch den Cyberspace geführt. "Präsident Xi Jinping hat das Internet als wichtigstes Schlachtfeld für den Meinungskampf definiert. Die Partei will die totale Kontrolle", schreibt der "Handelsblatt"-Kollege Stephan Scheuer in seinem Buch "Der Masterplan. Chinas Weg zur Hightech-Weltherrschaft".

Dazu gehört die harte Zensur: Automatische Filter und Heerscharen von Zensoren tilgen rund um die Uhr alles aus Foren, Websites, sozialen Netzwerken, was dem Kurs der Kommunistischen Partei entgegensteht. Zum Meinungskampf gehört aber auch das System der Sozialkreditpunkte, das alle 1,3 Milliarden Chinesen in “gute“ und “schlechte“ Bürger einteilen soll und über das ich hier und hier bereits berichtet habe. Mithilfe digitaler Technologie werden Menschen zu Maschinenteilen degradiert, zu kleinen Rädchen im großen Plan, die Volksrepublik bis 2035 an die Weltspitze zu katapultieren – wirtschaftlich, politisch, militärisch. Die Provinzregierungen, die Parteikader, Zigtausende Unternehmen und die Untertanen werden für die Erreichung des strategischen Ziels eingespannt. Planwirtschaft im XXXL-Format.

Jetzt schlagen Herr Xi und seine Leute das nächste Kapitel in ihrem Masterplan auf: Vor wenigen Tagen hat die chinesische Führung angekündigt, das Überwachungssystem der Sozialpunkte im kommenden Jahr auf alle ausländischen Unternehmen in China auszuweiten. VW, Siemens, Daimler und all die anderen deutschen Exportchampions müssen sich also der totalitären Staatskontrolle unterwerfen. Vordergründig geht es um verlässliche Regeln für das Wirtschaftsleben. De facto geht es um viel mehr. Handeln die Firmen oder ihre Mitarbeiter im Widerspruch zum Kodex der Partei, müssen sie künftig mit Hindernissen, Strafen, im schlimmsten Fall auch dem Rausschmiss rechnen. In Hongkong demonstriert uns Chinas Führung gerade, wie brachial sie vorgehen kann: Sie setzt Firmen unter Druck, dass diese ihren Mitarbeitern verbieten, an den Protesten der Demokratiebewegung teilzunehmen. Die Fluglinie Cathay Pacific feuerte daraufhin gehorsam ihren Chef und mehrere Angestellte.

Ein Konzern wie Volkswagen, der die Hälfte seines Geschäfts in China macht, kann sich Konflikte mit den Bossen in Peking keine zwei Minuten erlauben. Im Gegenteil: Eher ist zu erwarten, dass deutsche Firmen sich den Befehlen aus Peking vorausschauend fügen und ihre Prozesse, Richtlinien und Geschäfte danach ausrichten. Aufgrund der vielfältigen Verflechtungen in der globalisierten Welt dürfte die Habachthaltung allerdings nicht auf den Exportmarkt China beschränkt bleiben. Wir können davon ausgehen, dass die Tentakeln der Pekinger Überwachungsdiktatur demnächst auch an den Hauptsitzen deutscher Unternehmen in Wolfsburg, München oder Stuttgart um sich greifen. Schon jetzt interessieren sich chinesische Behörden auffällig für das Privatleben deutscher Arbeitnehmer. Wer beispielsweise ein Visum beantragt, muss sich nicht nur durch einen vielseitigen Fragenkatalog kämpfen, sondern darf sich auch nicht darüber wundern, dass er die Höhe seines Gehalts, Details zu Ehepartner, Kindern, Eltern und Bekannten rausrücken soll. George Orwells Dystopie ist ein Kindergarten im Vergleich zu dem globalen Schnüffelsystem, das China gerade errichtet.

Und was macht die Bundesregierung? Sie macht gute Miene zum bösen Spiel. Die Kanzlerin will Herrn Xi heute auf das Sozialpunktesystem ebenso ansprechen wie auf die Polizeigewalt in Hongkong. Höflich, respektvoll, wie man das eben macht, wenn man einem Stärkeren gegenübersitzt. Das ist ehrenwert – aber ist es auch wirksam? Längst hat sich in der Bundesregierung die Erkenntnis breitgemacht, dass man einen Machtkampf, Handelsstreit oder gar Konflikt um ethische Werte mit Herrn Xi und seinen Parteisoldaten nur verlieren kann. Also trifft man sich regelmäßig zum "Meinungsaustausch" und freut sich, wenn man an der einen oder anderen Stelle vielleicht ein Kompromisschen gewährt bekommt. Dauerhafte Rücksichtnahme? Ein Umdenken gar? Illusorisch.

Ist man Idealist, kann man sich darüber empören. Ist man Realist, sieht man ein, dass die Verhältnisse in der Welt nun mal so sind, wie sie sind. China schwingt sich zur ersten digitalen Weltmacht auf und diktiert immer stärker die Regeln. Deutschland dürfte sich bald im ökonomischen Mittelfeld wiederfinden und kann froh sein, wenn der Verlust an Einfluss und Ertrag keine sozialen Verwerfungen nach sich zieht. Vielleicht ist es Angela Merkels größte Leistung, diese globale Verschiebung früh erkannt zu haben und sie umsichtig zu managen. In einer Welt, in der sich jeder Donald, Boris oder Wladimir als Supermann brüstet, aber mehr Schaden als Nutzen anrichtet, behält die Bundeskanzlerin den kühlen Kopf für die Realitäten.

Was ist langfristig besser für ein Land: ein Prahlhans, der Luftschlösser verspricht, aber Freund und Feind verprellt, Konflikte schürt, verbrannte Erde hinterlässt? Oder eine Taktikerin, die den Radius des Machbaren auslotet, sorgsam einen Schritt vor den anderen setzt, statt Supersprüchen lieber Sätze sagt, die zwar nicht glänzen, aber vielleicht nachhallen? Die Antwort dürfen Sie sich heute selbst geben. Ich muss in die Große Halle. Xis Soldaten rufen schon.

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Augenblick, einen Gedanken habe ich doch noch! Bisher dachte ich ja, die Salami sei eine Erfindung aus Italien. Ich habe mich geirrt. Sie kommt aus Hongkong. Meisterhaft hat Carrie Lam, die dort nicht nur Küchen-, sondern auch Regierungschefin ist, ein dünnes Scheibchen abgeschnitten und es der Stadt als Festmahl serviert. Seit drei Monaten tobt in Hongkong der Aufstand: Demonstrationen, Tränengas, Menschenketten, Molotowcocktails, Polizeiknüppel. Anlass war ein Gesetz, dass die Abschiebung politisch unbequemer Bürger nach China ermöglicht hätte, wo man mit Andersdenkenden schnellen Prozess macht. Eine schockierende Vorstellung, die Menschen quer durch alle Gesellschaftsschichten auf die Barrikaden getrieben hat. Doch längst geht es um mehr als nur um dieses gefährliche Gesetz.

Eine unabhängige Kommission verlangen die Protestierenden, sie soll die Polizeigewalt untersuchen. Die hat alle Grenzen des Bekannten überschritten und einen tiefen Graben zwischen Regierung und Bevölkerung aufgerissen. Die Kommission soll Täter und Verantwortliche im Apparat zur Rechenschaft ziehen. Mehr als tausend inhaftierte Aktivisten sollen freigelassen werden. Die Regierung soll es unterlassen, die Aufmärsche von Hunderttausenden, die mehrheitlich friedlich demonstrieren und anschließend auch noch den Müll von der Straße aufsammeln, als "Krawalle" zu diffamieren. Und schließlich die politische Bombe: Jeder Bürger soll wählen können! Also nicht mehr nur der kleine Club von Interessensvertretern, der bisher mit Pekings Segen den Chefsessel besetzt hat.

Am Mittwoch hat sich Regierungschefin Carrie Lam vor die Fernsehkameras begeben und in einer Ansprache, deren Charisma von jeder Supermarktdurchsage übertroffen wird, das umstrittene Abschiebungsgesetz beerdigt. Hätte sie das vor Monaten getan, Hongkong wäre nach kurzem Jubel zum Tagesgeschäft zurückgekehrt. Jetzt dagegen wirkt ihr Salamischeibchen so dünn, dass das Flackern brennender Barrikaden problemlos hindurchscheinen kann. Wir sind Zeugen eines gefährlichen Moments. Frau Lams Regierung und ihre Chefs in Peking rühmen sich ihrer Kompromissbereitschaft – und kündigen zugleich noch mehr Härte an, sollte es weitere Demonstrationen geben. Halten die Proteste jetzt an, dann geht es also ums Ganze: den Systemwechsel. Mit Salamischeibchen hätte das sehr schnell nichts mehr zu tun.


DIE GUTE NACHRICHT

"Ach, dann kannste also deinen Namen tanzen? Höhöhö!" Nein, Waldorfschüler haben nicht den besten Ruf. Seltsamerweise. Denn wer gute Lehrer erwischt, dem kann als Kind eigentlich nichts Besseres passieren, als eine Waldorfschule besuchen zu dürfen. Im Mittelpunkt steht die Entfaltung der Persönlichkeit zu einem empathischen, sozialen und neugierigen Menschen, nicht die Paukerei. Ausgiebiger Handwerk- und Musikunterricht ergänzt die kognitiven Fächer, und nach dem Schulabschluss hat man nicht nur viel für den Uni- oder Berufsstart, sondern noch mehr fürs Leben gelernt. In diesem Jahr feiern Waldorfschulen in der ganzen Welt ihr hundertjähriges Bestehen. Am Samstag steigt der große Festakt auf der Uhlandshöhe in Stuttgart, das war die erste von Rudolf Steiner gegründete Schule. Nur ein paar Kilometer weiter liegt die Kräherwaldschule, die ist sogar noch besser. Woher ich das weiß? Na ja, auch ich kann meinen Namen tanzen.


WAS ANHÖREN?

Wenn Ihnen der Tagesanbruch-Podcast gefällt, dann wird Ihnen die "Königsklasse" erst recht gefallen: In unserem neuen Audio-Format entlockt Florian König den Größen des Fußballsports, was wir schon immer von ihnen wissen wollten. Zum Auftakt: mein allerliebster Lieblingsspieler/-trainer/-experte/-schwabe Jürgen Klinsmann.


WAS AMÜSIERT MICH?

Die Bosse in Peking haben gerade Probleme. Frau Merkel kennt das, sie hat zu Hause ja auch Probleme. Was also tun?

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Freitag und dann ein erquickliches Wochenende. Der Wochenend-Podcast kommt morgen von meinen Kollegen Marc Krüger und Peter Schink. Mich lesen Sie am Montag wieder mit einigen Notizen aus China, so denn der Rückflug pünktlich klappt. Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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