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Tagesanbruch: Der Salvini-Trump-Johnson-Faktor


Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Was heute wichtig ist
Der Salvini-Trump-Johnson-Faktor

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 21.08.2019Lesedauer: 5 Min.
Matteo Salvini und Donald Trump.Vergrößern des Bildes
Matteo Salvini und Donald Trump. (Quelle: ap)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

viele von Ihnen haben mir in den vergangenen Tagen sehr nette E-Mails geschrieben, herzlichen Dank dafür! Wenn Sie mögen, empfehlen Sie den Tagesanbruch gerne mit diesem Link weiter.

Hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Ein Mann tritt ans Rednerpult. Dunkler Anzug, Einstecktuch, ernste Miene. Er räuspert sich, richtet das Mikrofon, glättet sein Manuskript und hebt den Blick ins Auditorium. Dann beginnt er seine Rede vor den dicht besetzten Parlamentsbänken. Ach was, Rede, es ist eine Abrechnung! Höflich im Ton, aber schonungslos in der Sache, ohne Schaum vorm Mund, aber rhetorisch messerscharf kanzelt Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte den Politikdarsteller ab, der direkt neben ihm hockt und die Standpauke wie ein frecher Schulbub über sich ergehen lassen muss.

So heruntergeputzt kannte man ihn gar nicht, den Matteo, ohnehin schwänzte er Parlamentsdebatten gern und unterhielt sich stattdessen lieber mit seinem Smartphone. Im Viertelstundentakt jagte er Einfälle, Beschimpfungen und Belanglosigkeiten in die Facebook-Twitter-Insta-irgendwas-Welt hinaus und badete anschließend im Applaus seiner Anhänger. Manchmal nahm er das mit dem Baden auch wortwörtlich, planschte an Mittelmeergestaden und beglückte seine Anhänger mit halb nackten Selfies. Nein, es gab wirklich kaum eine Grenze des guten Geschmacks und des politischen Anstands, die Innenminister Matteo Salvini nicht mit Karacho niederriss! Er gerierte sich als wahrer Patriot und starker Maxe gegen Flüchtlinge, EU-Bürokraten und die Pfennigfuchser in Berlin. Verwünschungen und Versprechungen gingen ihm leicht über die Lippen, mit dem mühsamen Politikalltag und den Feinheiten von Gesetzestexten tat er sich dagegen schwer. Ist halt anstrengend.

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Nun ist die Regierung, die seine Sperenzchen 445 Tage lang erduldete, am Ende. Regierungschef Conte hat gestern seinen Rücktritt eingereicht und vorher die Gelegenheit genutzt, dem ganzen Land zu erklären, welcher inkompetente Hanswurst die Koalition aus Lega und Fünf Sternen zum Platzen brachte: "Völlige Verantwortungslosigkeit", warf der vom Erfüllungsgehilfen zum Staatsmann gereifte Ministerpräsident seinem Innenminister vor. "Ich habe deinen Ruf nach 'ganzer Macht' gehört und nach Unterstützung durch die Menschen auf den Plätzen. Diese deine Auffassung finde ich besorgniserregend", prangerte er Salvinis Herrschsucht an. Der habe keinen Respekt vor dem Parlament, kenne die Verfassung offenbar nur mangelhaft und betreibe Stimmungsmache in den sozialen Medien. Er stelle seine persönlichen Interessen und die seiner Partei über die des Landes. Sätze wie Hagelkörner.

Natürlich ließ der Getadelte den Hagel an sich abprallen, brüstete sich mit seinen tollen Umfragewerten, schmähte zum x-ten Mal Merkel und Macron und lästerte über die EU-Regeln, die ihm "vollkommen Wurst" seien. Eine detailliertere Wiedergabe dieser Tiraden ersparen wir uns heute Morgen. Stattdessen machen wir, bevor wir hier nachlesen, wie es in Italien nun weitergehen könnte, ein kleines Gedankenexperiment: Stellen wir uns doch einfach mal vor, wer die gestrige Standpauke noch so alles verdient hätte. "Keinen Respekt vor dem Parlament." "Kennt die Verfassung offenbar nur mangelhaft." "Betreibt Stimmungsmache in den sozialen Medien." "Stellt seine persönlichen Interessen über die des Landes." Ja, es fällt uns nicht schwer, dabei an einen anderen Herrn zu denken, der uns täglich in Atem hält. Genau, der in Washington. Eigentlich würde aber auch der Mann in Brasilia in dieses Muster passen und der Mann in London dito. Männer, die sich selbst für die Krone der Schöpfung halten und ein feines Gespür für Stimmungen im Volk haben. Die im Namen von Benachteiligten die Eliten anprangern, obwohl sie selbst zur Elite zählen. Die einfache Lösungen für komplexe Probleme versprechen und Kompromisse als Feigheit verhöhnen. Die schamlos das Blaue vom Himmel herunterlügen und von der Schwäche ihrer Gegner profitieren. Die virtuos die digitalen Netzwerke bespielen und damit ungebrochenen Erfolg haben – erst recht in Zeiten politischer, wirtschaftlicher oder sonstiger Krisen.

Notieren wir uns heute Morgen also im Geiste: Populisten zu erkennen ist nicht schwer. Ihren Zauber zu brechen dagegen umso mehr.


WAS STEHT AN?

Der Mann aus London klettert heute Abend in Berlin aus dem Flugzeug, um Bundeskanzlerin Merkel seine Aufwartung zu machen. Wird schlagzeilenträchtig den Verzicht auf den Backstop in Nordirland verlangen. Wird damit scheitern.

Bereits am Morgen trifft sich das Bundeskabinett, um über die weitgehende Abschaffung des Solidaritätszuschlags zu beraten. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) will den Soli für 90 Prozent der Zahler streichen, weitere 6,5 Prozent sollen ihn ab 2021 nur teilweise berappen – je höher das Einkommen, desto mehr. Sie wissen ja, dass über die Details ein Streit zwischen Union und SPD entbrannt ist. Aus der Regierung hören wir aber, dass sie den Zwist rasch beilegen und die Bürger schnell entlasten, statt länger nerven will. Stehen ja Wahlen vor der Tür.

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey beginnt heute ihre mehrtägige Sommerreise durch Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Sie besucht Städte, Betriebe, Bürgerinitiativen und ein Gefängnis und will sich ausführlich mit den Menschen vor Ort unterhalten. Ich freue mich, dass ich zuhören darf.

In Weimar beginnt das Kunstfest mit der Uraufführung des Stücks "Reichstags-Reenactment" anlässlich der letzten Sitzung der Weimarer Nationalversammlung vor hundert Jahren. 500 Schauspieler, Politiker, Schüler und Flüchtlinge stellen das Plenum sowie den späteren deutschen Reichstag nach und lesen Ausschnitte aus den Debatten vor.


DIE GUTE NACHRICHT

Indonesien hat ein riesiges Problem mit importiertem Unrat: Angekaufter Hausmüll aus Europa türmt sich vielerorts zu stinkenden Bergen auf, Plastik verschmutzt die Strände. Viele Bürger haben jetzt die Nase voll: Zehntausende haben geholfen, an den Küsten Hunderte Tonnen Abfall einzusammeln. Bis 2025 will die Regierung den Müll im Land um 70 Prozent verringern – und Sie und ich und alle anderen Einkäufer hierzulande können den Indonesiern dabei helfen: indem wir auf Plastiktüten ganz und auf Plastikverpackungen soweit wie möglich verzichten.


WAS LESEN?

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Erinnern Sie sich noch an den April 1986, als wir panisch alle Fenster schlossen, auf frisches Gemüse verzichteten und Kinder nicht mehr im Sandkasten spielen durften? Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl starrte ganz Westeuropa gebannt auf die Fernsehbildschirme, wollten wissen, wohin die radioaktiven Wolken zogen. Der Kreml dagegen versuchte, das Ausmaß der Katastrophe zu verheimlichen. Lange Zeit galt eine Zensur, noch heute sind selbst die Opferzahlen umstritten. US-Forscher haben nun in Zusammenarbeit mit russischen Journalisten zahlreiche Geheimdokumente zusammengetragen. Sie vermitteln uns einen Eindruck davon, wie perfide die sowjetischen Behörden damals vorgingen. Mein Kollege Jonas Mueller-Töwe hat die Details.


Die Linke verliert in Ostdeutschland an Boden. Bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen sieht sie einem Debakel entgegen, nur in Thüringen trotzt sie noch dem Niedergang. Wie hat die Partei ihre Kernwähler vergrätzt – oder haben die sich einfach nur emanzipiert? Meine Kollegin Madeleine Janssen hat Antworten gefunden.


Eigentlich sollen die Wachleute in einer Asylunterkunft in Halberstadt die Bewohner schützen – aber dann werden sie plötzlich gewalttätig, schlagen und treten: Ein Mann filmte die Szene und stellte das Video ins Netz, aber niemand interessierte sich dafür. Dann stieß mein Kollege Lars Wienand darauf und recherchierte die Hintergründe.


WAS AMÜSIERT MICH?

Herr Scholz geht jetzt mit … Momentchen, ich sehe noch mal nach, ah ja: Frau Geywitz ins Rennen um den SPD-Parteivorsitz. Die ist bundesweit noch kaum bekannt, gilt aber als großes politisches Talent.

Ich wünsche Ihnen einen dynamischen Tag. Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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