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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wachleute attackierten Flüchtlinge "Ich bin kein Deutscher, ich habe keine Rechte"
Security-Kräfte misshandeln Bewohner einer Asylunterkunft und wollen es vertuschen. Zwei Videos eines Bewohners können als Hilferuf verstanden werden. t-online.de hat den Mann ausfindig gemacht.
Miklo O. lud bei YouTube die Szenen hoch, die ihn so empört hatten. Er schickte E-Mails an Medien. Und es passierte – nichts. Niemand regte sich über die Bilder aus der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber auf, die Zeitungen meldeten sich nicht bei ihm. Miklo hatte die Hoffnung schon aufgegeben: Er kann nichts tun gegen die willkürliche Gewalt von Wachleuten.
Doch vier Monate später hat Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) "die Übergriffe auf das Schärfste" verurteilt und deutliche Worte gefunden: "Menschen, die zu uns gekommen sind, um Schutz zu suchen, muss dieser Schutz für die Zeit ihres Aufenthaltes gewährt werden." Im Innenausschuss des Landtags ist die Aufklärung jetzt Thema, bei der Polizeiinspektion Magdeburg gibt es eine Ermittlungsgruppe. Und das LKA wertet das Video aus, das Miklo am 13. April um 17.54 Uhr gefilmt hat.
"Die sind doch hier, um uns zu schützen"
Miklo berichtete, wie es zur Szene gekommen ist: Wegen lauter Stimmen habe er aus dem Fenster geschaut und zwei Männer unterhalb miteinander rangeln sehen. Die beiden Männer seien Afghanen, sagt er. Ihm seien sie nie als Störenfriede oder als aggressiv aufgefallen. Es habe auch keine erkennbare Gefahr gegeben, dass sie sich ernsthaft verletzen.
Am Verhalten der Security habe er aber gemerkt, dass gleich etwas passiert. Und tatsächlich ist dann zu sehen, wie ein Wachmann hinzueilt und mit einem Tritt in den Oberkörper des einen Mannes ins Geschehen eingreift. Später zeigt das Video, wie dieser Security-Mitarbeiter den am Boden liegenden Mann noch einmal in den Bauch tritt. Dokumentiert ist auch, dass ein Wachmann den Afghanen schubst und ihm dabei ein Bein stellt, sodass der Mann mit dem Kopf voraus hinfällt. Miklo filmte mit. "Ich habe dabei gedacht: Was passiert hier? Die sind doch hier, um uns zu schützen."
Inzwischen ist nach Informationen von t-online.de ermittelt worden, wie es nach der Szene weiterging: Der von der Security attackierte Afghane landete bei der MediCare, der Ambulanz in der Einrichtung. Im Wachschutzprotokoll wurde notiert, er habe Verletzungen von einem "alkoholbedingten Sturz". Ein Versuch, das Geschehen zu vertuschen.
Sicherheitsfirma beklagt Untätigkeit der Kollegen
Der Arbeitgeber der Wachleute geht offen mit dem Fall um. "Bei allem Verständnis für die schwere Arbeit unserer Kollegen: Es gibt rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen", erklärt Lars Knopke, Prokurist der City Schutz GmbH, in einer langen Stellungnahme für t-online.de. Die sei nicht nur mit den Übergriffen überschritten, sondern auch durch "das untätige Herumstehen angesichts solcher Ereignisse und das Nichtmelden an den Arbeitgeber".
City Schutz arbeitet seit 1990 für große öffentliche Auftraggeber, hat deutschlandweit 1.000 Mitarbeiter und stellt die Wachleute in Halberstadt nach einer europaweiten Ausschreibung. Das Unternehmen habe alle Beteiligten zunächst sofort vom Dienst suspendiert, angehört und inzwischen entlassen. Ermittelt wird auch gegen die, die nicht eingegriffen und geschwiegen haben.
Angesichts der Untätigkeit der Sicherheitsmitarbeiter sagt Miklo, dass er keinem bei der Security getraut hat – und auch sonst niemandem. "Miklo" ist nicht sein richtiger Name. Es ist der falsche Name, unter dem er kurz nach der Veröffentlichung das YouTube-Video auch auf Facebook gepostet, und t-online.de so auf seine Spur gebracht hat. "Wenn mein richtiger Name bekannt wird, habe ich Angst, dass mir etwas passiert."
Vielleicht sei er auch noch einmal angewiesen auf Freunde oder Kollegen der Männer, die nach seinem Video ihre Jobs verloren haben. "Das ist das, was mich so gestört hat: Man sollte keine Angst haben müssen vor Leuten, deren Hilfe man vielleicht mal benötigt."
Unternehmen plant Präventivstrategie
Das steht auch für City-Schutz-Prokurist Knopke außer Frage: Die Mitarbeiter hätten ihre nicht einfachen und oft undankbaren Jobs gerade, weil die Lage so schwierig ist. "Ihre Aufgabe ist es, mit diesen Schwierigkeiten umzugehen, die Bewohner zu schützen und die Interessen des Auftraggebers zu wahren. Mit dem Verhalten auf den beiden Videos haben unsere Mitarbeiter genau das Gegenteil getan."
Das Unternehmen sieht das Thema deshalb auch grundsätzlicher: "Wir werden im Rahmen unserer Managementstrukturen prüfen, was wir tun können, um solchen Ereignissen künftig präventiv entgegenzuwirken." Es seien noch nicht alle resultierenden Maßnahmen abzusehen.
Wenn Miklo erzählt, dann vermittelt das etwas von seiner Fassungslosigkeit: Willkürliche Gewalt von denen, die zum Schutz da seien, das hätte er in Deutschland nicht erwartet. Und machtlos habe er sich gefühlt, niemanden gewusst, der dagegen etwas unternimmt. Auch bei den Sozialarbeitern habe er befürchtet, dass Informationen über Fehlverhalten der Security am nächsten Tag dort landeten. "Wenn ich etwas sehe, kann ich nichts tun. Ich bin kein Deutscher, ich habe keine Rechte", sagt Miklo.
"Fehlverhalten wäre leicht zu melden"
Knopke zeigt dafür wenig Verständnis: "Ein eventuelles Fehlverhalten der Sicherheitsmitarbeiter wäre denkbar leicht zu melden", meint er. Die Bewohner stünden ja im Austausch mit Vertretern der Behörde in der ZASt und mit Hilfsorganisationen. Sie könnten sich frei bewegen und frei kommunizieren wie jeder, also auch die Firmenleitung kontaktieren, die örtliche Polizei oder Akteure der Zivilgesellschaft. Nur: In Halberstadt hat das offenbar niemand gemacht. Oder es hat die Falschen erreicht und niemanden interessiert.
Es gibt vom örtlichen Polizeirevier Harz diverse Pressemitteilungen über Streitigkeiten in der ZASt, manchmal mit Messern und mit Schwerverletzten, auch Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes wurden schon verletzt.
Miklo sagt auch nicht, dass es für den Sicherheitsdienst leicht sei oder sie nicht durchgreifen müssten. Im Gegenteil: In der ZASt seien manche Bewohner aggressiv und unter den anderen Bewohnern berüchtigt. Dort gebe es etwa eine Gruppe Marokkaner, von der sich einige eingeschüchtert fühlten, die sich kaum an Regeln hielten. Gegen die gehe die Security aber kaum vor, vielleicht aus Angst vor denen. "Wenn man etwas sagt, lachen die uns aus."
Von der Sicherheitsfirma bekommt man eine andere Sicht. "Würden Sie unter der marokkanischen Bewohnerschaft der ZASt recherchieren, würden Sie mit Sicherheit ein gänzlich anderes Bild erhalten", so City-Schutz-Manager Lars Knopke. Grüppchenbildungen sind in solchen Einrichtungen die Regel.
Video zeigt weiteren Vorfall
Herausforderung für die Sicherheitskräfte sei es, keine Partei zu ergreifen, sondern einerseits zurückhaltend und andererseits konsequent die von der Behörde festgelegten Regelungen umzusetzen. "Dabei werden die Sicherheitsmitarbeiter naturgemäß selbst ständig Gegenstand der Kritik, nämlich im Zweifel durch die Bewohner." Einseitige Parteinahme zugunsten von einzelnen Gruppen sei dem Unternehmen nicht bekannt und wäre auch nicht mit "unserem Auftrag und den Aufgaben der Sicherheitsmitarbeiter vereinbar".
Miklo hat t-online.de ein weiteres Video aus der ZASt geschickt, das zumindest fragwürdiges Vorgehen gegen einen Bewohner zeigt. Bei anderen Vorfällen hätten Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes dafür gesorgt, dass niemand filmt. Es sei aber auch nicht häufig vorgekommen, dass die Security jemanden geschlagen habe.
Prokurist Knopke weist den Vorwurf zurück, dass es "regelmäßig" zu Vorfällen komme, die Bewohner dokumentieren wollten. Filme jemand, könne es natürlich zu Konflikten kommen. Es gebe das Recht am eigenen Bild. "Und wo verläuft im Einzelfall die Grenze zwischen einer berechtigten Dokumentation oder dem eher üblichen Filmen aus Neugier, Langeweile oder Gafferei?"
Absichtlich nur Deutsch? – Sicherheitsfirma widerspricht
Miklo hat t-online.de in hervorragendem Englisch von dem Geschehen in der ZASt berichtet, er sagt, dass er einen Deutschkurs besucht. Die Security-Mitarbeiter würden allerdings nicht Englisch sprechen. "Ich denke schon, dass sie es können, sie sind ja jung. Aber sie machen es einfach nicht." Deeskalierend zu wirken, sei so noch schwieriger.
"Abwegig" findet Lars Knopke diese Darstellung. Wenn jemand absichtlich mit den Bewohnern der ZASt kein Englisch sprechen wolle, "wäre das ein Dienstvergehen und arbeitsrechtlich zu ahnden". Es hapere bei manchen einfach an der Sprache, wegen des Fachkräftemangels ließen sich nicht alle Wünsche an das Personal vollständig erfüllen. "Und der Fokus liegt noch vor den Sprachkenntnissen auf der Zuverlässigkeit der Kollegen." Um die war es bei dem Vorfall am 13. April aber offenbar nicht so gut bestellt.
- Videos zeigen Angriff: Wachpersonal attackiert Flüchtlinge in Asylunterkunft
Miklo hat durch einen Anruf erfahren, dass er doch etwas erreicht hat mit seinem Video. Ein Freund aus einer anderen Stadt meldete: "Du musst mal schauen, die Zeitungen sind voll mit dem Video!" Das Innenministerium hatte nach eigenen Angaben einen Hinweis auf die Szene erhalten und war an die Öffentlichkeit gegangen.
- Eigene Recherchen
- Ankommen und mehr: Infoguide für Flüchtlinge in Landeserstaufnahmeeinrichtungen in Sachsen-Anhalt