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Tagesanbruch: Arbeitszeiterfassung – Das Dilemma des EuGH-Urteils


Meinung
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Was heute wichtig ist
Das Dilemma des Arbeitszeiten-Urteils

  • Florian Wichert
MeinungVon Florian Wichert

Aktualisiert am 15.05.2019Lesedauer: 5 Min.
Eine Frau bei der Arbeitszeiterfassung.Vergrößern des Bildes
Eine Frau bei der Arbeitszeiterfassung. (Quelle: Bildfunk/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages – heute von mir als Stellvertreter von Florian Harms:

WAS WAR?

Die Unternehmerverbände Niedersachsen sprechen von einem Schildbürgerstreich aus Brüssel und einem drohenden Bürokratie-Tsunami. Der Deutsche Gewerkschaftsbund freut sich, dass endlich Schluss ist mit Flatrate-Arbeit und unsere Kolumnistin Ursula Weidenfeld nennt es eine Revolution.

Die Rede ist vom gestrigen Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur systematischen Erfassung von Arbeitszeiten. Unternehmen müssen künftig die gesamte Arbeitszeit ihrer Beschäftigten dokumentieren – und somit belegen, dass die Arbeitszeit von maximal 48 Stunden in der Woche und die Ruhezeit von mindestens elf Stunden am Stück pro Tag eingehalten werden. Zumindest sobald die "konkreten Modalitäten" zur Umsetzung von den einzelnen Mitgliedstaaten der EU festgelegt worden sind.

Das klingt erst mal gut – lässt aber einige Fragen offen. Einige davon beantwortet meine Kollegin Ana Grujić hier. Zum Beispiel: Was bedeutet das für Deutschland und für einzelne Berufe? Wie soll die Arbeitszeitaufzeichnung genau aussehen? Was zählt eigentlich als Arbeitszeit? Und was ist mit Vertragsklauseln, die Überstunden abgelten?

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Mindestens genauso spannend sind die Fragen: Ist so eine systematische Erfassung überhaupt noch zeitgemäß geschweige denn realistisch? Schwächen wir dadurch nicht mittelfristig die Wirtschaft, weil wir gar nicht mehr zu Innovationen infolge von Mehrarbeit fähig sind? Schaffen wir Probleme, wo eigentlich keine sind?

Auch das Medienecho ist bundesweit zweigeteilt. "Eine Gesamterfassung der Arbeitszeit ist längst überfällig", schreibt die Münchner "Abendzeitung". Die Bilanz der unbezahlten Überstunden in Deutschland sei "ein Skandal". Die "Stuttgarter Zeitung" dagegen kommentiert, dass "in einer globalisierten Wirtschaft die Notwendigkeit von Flexibilität" wachse. Und das sei dann eben nicht mehr möglich.

Ist dieses EuGH-Urteil also falsch? Die unbefriedigende Antwort lautet: Jein.

Rund 2,1 Milliarden Überstunden haben Arbeitnehmer im vergangenen Jahr geleistet. Das ist viel. Nur rund die Hälfte davon haben sie bezahlt bekommen. Das ist eindeutig zu wenig. Gerade Geringverdienende müssen vor der Ausbeutung geschützt werden. Und sicherlich ist es auch überfällig, verschiedene Berufsstände genau unter die Lupe zu nehmen und beispielsweise bei überlasteten Ärzten oder bei Pflegepersonal einzuschreiten. Allerdings müsste man dann vorher das Problem in den Griff bekommen, dass sich unter Umständen niemand um die Patienten kümmert, denn medizinische Betreuung funktioniert derzeit oft nur aufgrund von Überstunden.

Mehr zu dem Thema gibt es bei unseren Kollegen von Statista hier.

Das Urteil so umzusetzen, wäre auch darüber hinaus eine Gefahr, weil viele Erfolge und Innovationen leider nicht in acht Stunden Arbeitszeit täglich geschaffen werden (können). Ob in der Wissenschaft, in der Politik, im Journalismus oder in der Unternehmensberatung, um ein paar Beispiele zu nennen: Hier ist es über weite Strecken schwierig bis unmöglich, solch strikte Grenzen zu ziehen. Ideen, Pläne oder Recherchen hören oft nicht auf, nur weil man aus dem Büro rausspaziert. Erst recht nicht, wenn Job und private Interessen verschwimmen – womöglich, weil der Job eine Herzensangelegenheit ist. Wo soll hier Schluss sein?

Ein spannender Vorschlag kam vom Präsidenten des Verbands der Digitalunternehmen Bitkom, Achim Berg. "Die tägliche sollte auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit umgestellt und die elfstündige Mindestruhezeit überprüft werden", sagte er. Das wäre zunächst mal ein praktikables Modell. Vielleicht nicht für alle, aber zumindest für einige der genannten Berufe.


Mehr als eine Milliarde Menschen weltweit nutzen den Messenger WhatsApp. Gestern wurde bekannt, dass die App eine Sicherheitslücke hatte, durch die Angreifer Spionage-Software über einen Anruf auf das Handy schleusen konnten. Das Opfer musste den Anruf nicht einmal entgegennehmen. Eine gruselige Vorstellung, aber (für die meisten von uns) noch kein Grund zur Panik. Die Angriffsmethode wurde speziell zu Spionagezwecken entwickelt und vermutlich nur gegen wenige, ausgewählte Zielpersonen eingesetzt. Unter anderem soll es einen Menschenrechtsanwalt getroffen haben.

Inzwischen können sich aber auch Aktivisten wieder etwas sicherer fühlen, denn die Schwachstelle wurde geschlossen – durch ein Sicherheits-Update, das Sie dringend installieren sollten, falls nicht schon geschehen. Der Fall zeigt jedenfalls, wie wichtig es ist, seine Smartphone-Software aktuell zu halten. Wie das geht, erfahren Sie hier.


WAS STEHT AN?

Gestern Abend trafen sich die Partei- und Fraktionschefs der großen Koalition im Kanzleramt zum ersten Koalitionsausschuss seit zwei Monaten – und dem letzten vor der Europawahl am 26. Mai. Eines der Themen: Die künftigen Ausgabeprioritäten angesichts der langsamer steigenden Steuereinnahmen.

Heute werden die Ergebnisse Thema sein. Zum Beispiel bei einer Podiumsdiskussion "Ein Jahr Groko wie geht's weiter?" mit dem CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus und der SPD-Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles beim "Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK)". Ein treffender Slogan, denn sowohl die Spitzen der SPD als auch die der Union scheinen genau das derzeit nicht zu 100 Prozent zu wissen – und sich auf alles vorzubereiten. Auch wenn sie sich in der Nacht noch auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Paketboten geeinigt und ein entsprechendes Gesetz angekündigt haben.


Ein 31-Jähriger soll Ende Juni in Mittelfranken seine drei Kinder und deren Mutter mit einem Messer erstochen haben. Heute wird das Urteil gegen den Mann nach dem Gewaltakt in Gunzenhausen erwartet. Er muss sich vor dem Landgericht Ansbach verantworten.

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Die Spitzenkandidaten zur Europawahl debattieren ab 21 Uhr öffentlich im Europaparlament.


WAS LESEN ODER ANSCHAUEN?

Erinnern Sie sich noch an Mr. Brexit? Nigel Farage ist wieder da. Und wie. Aus dem Stand heraus hat seine neue Partei – die "Brexit Party" – in den Umfragen zur Europawahl die Torys und Labour hinter sich gelassen. Demnach bekäme die Farage-Partei bei der Europawahl sogar mehr Stimmen als die beiden Volksparteien zusammen. Aber was will Farage, der oft als Polit-Clown unterwegs ist? Was ist sein Programm und was würde sein Erfolg für die EU bedeuten? Stefan Rook hat festgestellt: Farage hat eine Mission und die ist alles andere als witzig.


Freihandel ist für alle Beteiligten besser als ein striktes Zollregime, so die klare Lehrmeinung. Donald Trump setzt im Handelsstreit mit China dennoch auf Strafzölle, nachdem er schon vor etwas mehr als einem Jahr eine ganze Welle von Handelsauseinandersetzungen losgetreten hat. Ursula Weidenfeld erklärt, warum der amerikanische Präsident entgegen aller Expertenmeinungen nun doch recht behalten könnte.


Stellen Sie sich vor, Ihr Chef hat dauernd etwas zu meckern. Ob gegenüber Kollegen oder der Konkurrenz: Irgendwas hat er immer an Ihrer Arbeit auszusetzen. Er wisse auch nicht, ob Sie langfristig der Richtige für Ihren Job sind.

So muss sich Niko Kovac als Trainer des FC Bayern München fühlen. Unser Kolumnist Stefan Effenberg hat deshalb den Verein für den Umgang mit Kovac scharf kritisiert. Er hat in seiner neuesten Kolumne geschrieben: "Die Bayern haben ein Fass aufgemacht, das sie gar nicht mehr schließen können."


"Schiedsrichter, ist das hier das WM-Finale?" Unvergessen, wie Christoph Kramer sich vor mittlerweile fünf Jahren im Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien beim Spielleiter nach seinem Zusammenprall mit dem Argentinier Ezequiel Garay erkundigte. Völlig benommen wurde der Nationalspieler behandelt, spielte anschließend weiter und wurde erst kurze Zeit später ausgewechselt. Eine lustige Geschichte, mag man meinen. Leider ist sie das nicht. Gehirnerschütterungen werden im Fußball immer noch unterschätzt, obwohl bei fahrlässigem Umgang schwere Folgen drohen. Benjamin Zurmühl hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt und mit Neurowissenschaftlern, Mannschaftsärzten und Kramer selbst gesprochen.


WAS AMÜSIERT MICH?

Es gibt Szenen im Profifußball, die hätte man eher auf einem Kinderspielplatz erwartet. Diese hier zum Beispiel.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.

Ihr

Florian Wichert
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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